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Stefanie Aunkofer, Väter in Elternzeit: (Nicht-)Anerkennung von Familien- und Erwerbsarbeit bei Paaren. Weinheim Basel: Beltz Juventa 2022, 359 S., kt., 50,00 €

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Published/Copyright: October 20, 2023
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Stefanie Aunkofer, Väter in Elternzeit: (Nicht-)Anerkennung von Familien- und Erwerbsarbeit bei Paaren. Weinheim Basel: Beltz Juventa 2022, 359 S., kt., 50,00 €


Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Wandlungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland werden Muster intersubjektiver (Nicht-)Anerkennung von Familien- und Erwerbsarbeit gesucht, die sich im Kontext väterlicher Elternzeitnahme im Paar zeigen – so die Autorin der empirischen Studie. Diese werden in der Vielfalt von Lebens- und Beziehungsformen in Abweichung von einem „bürgerlichen Familienmodell“ (S. 11) gedeutet. Generell wird eine sozialkonstruktivistische Perspektive in Verbindung mit Honneths Theorie der Anerkennung (1992) eingenommen. Für die zudem als geschlechtersoziologisch etikettierte Studie ist die Annahme der Existenz einer geschlechterdifferenzierenden ungleichen Anerkennungsordnung im Paarkontext von Elternzeit erkenntnisleitend, um im Kontext der Analyse von Elternzeitarrangements ihre Dissertation und schließlich das hier vorgestellte Buch entstehen zu lassen.

Einleitend wird die Fragestellung in den Kontext von Elternschaft unter einer vorrangig ökonomischen Perspektive entwickelt – vermittels der Kategorien „Familienarbeit“ (definiert als „jede Form von innerfamilialer Haus- und Fürsorgearbeit“ S. 13) und von Erwerbsarbeit (Abschnitt eins). Bezug genommen wird auf familienpolitisch motivierte Veränderungen in der Gesetzgebung, etwa auf die Umgestaltung des Elternteilzeitgesetzes und die damit verbundenen Ziele, wie z. B. einer Erhöhung der Wahlfreiheit von Beteiligten. Die Orientierung an gesetzlichen Regularien – weniger an sozialen oder pädagogischen Gesichtspunkten oder an Bildungsaspiration – wird im vierten Hauptabschnitt auf verschiedenen Ebenen (Recht, Betrieb, Familie/Paar) auf die Fragestellung bezogen, nachdem zuvor (in Abschnitt zwei) die Elternzeitnahme durch Väter anhand aktueller Tendenzen thematisiert und in den Forschungsstand sowie in die Fragestellung übertragen worden sind, sowie – in Abschnitt drei – die Anerkennungstheorie Honneths (1992) vorgestellt, diskutiert und über die Verbindung von ‚Anerkennung‘ und ‚Geschlecht(-erungleichheit)‘ zu einer Verdichtung der Fragestellung führt: Nämlich Elternzeit und Familienarbeit anerkennungstheoretisch betrachten zu wollen. In dieser Blickrichtung verläuft in der Folge die Darstellung von Forschungsdesign und Untersuchungsmethoden (Abschnitt fünf), die der empirischen Analyse der Paarinterviews (Abschnitt sechs) und die der Diskussion der Forschungsergebnisse (Abschnitt sieben) und zwar als ‚Verdichtung der Analysedimensionen‘, die schließlich als ‚Muster der Anerkennung‘ in einer als „komparative Sequenzanalyse der Dokumentarischen Methode“ (S. 313) bezeichneten Weise. Schließlich kommt es in Fazit und Ausblick (Abschnitt acht) zur Zusammenfassung fallübergreifender Ergebnisse, wiederum auf Honneth bezogen. In der eingesetzten Erhebungsmethode sieht die Autorin einen wesentlichen Beitrag ihrer Dissertation: Als „Mehrwert von Paarinterviews“ (S. 312) – dies ist wohl als höherer Erkenntniswert gegenüber Einzelinterviews zu verstehen und wird als eine Erweiterung der dokumentarischen Methode (wohl) in der Variante von Bohnsack et al. (2013) gewertet.

Dass die väterliche Elternzeitnahme stets Gegenstand von Aushandlungen im Paar ist, bildet dabei eine zentrale Grundannahme, die an das selbst erhobene Interview-Material zur Untersuchung intersubjektiver Anerkennung bzw. Nicht-Anerkennung in Paarbeziehungen sowie von Aushandlungsprozessen herangetragen wird. Ganz im Sinne der konstruktivistischen Vorgehensweise wird bereits vor der Analyse der Interviews davon ausgegangen, dass eine väterlicherseits in Anspruch genommene Elternzeitnahme nicht als individuell getroffene Entscheidung betrachtet wird, „sondern als ein im Paar ausgehandeltes Arrangement, bei dem geschlechterdifferenzierende Vorstellungen und Verweisungen im Geschlechterverhältnis wirken können“ (S. 16). Demgegenüber könnten – ein strukturrealistisches Forschungsdesign vorausgesetzt – auch andere Lesarten greifen, etwa im Sinne autonomer Entscheidungen im Durchgang durch eine Entscheidungskrise. Doch die Lesart des sog. ‚doing couple‘ durchzieht in diesem Sinne des Verständnisses interaktiver Deutungs- und Herstellungsleistungen die Studie. Überhaupt greift eine relationale Sicht der Dinge – etwa als „paarinterne Konstruktion von Geschlecht“ (S. 312) oder im Sinne des „doing (gender) inequality“ (Rusconi & Wimbauer, 2013). Um das Forschungsvorhaben zur Rekonstruktion subjektiver Sichtweisen in Daten zu grundieren (vgl. S. 113), wurden im Zuge der als ‚qualitativ-sinnrekonstruktiv‘ bezeichneten Studie mehrstündige Interviews durchgeführt, die, als Paarinterviews konzeptualisiert, schließlich für diese Veröffentlichung eine Konzentration auf sechs der von insgesamt erhobenen 16 Fälle (‚Projektsample‘) ermöglichten. Die als „dokumentarische Auswertung“ (S. 149) bezeichnete Analyse besteht je aus einer Fallkurzdarstellung, in der objektive Daten und subjektive Sichtweisen vermengt sind und in der anschließend unter vorab festgelegten Kategorien wie (‚Vereinbarungs- und Elternzeitarrangement‘ oder ‚Paarinterne Anerkennung und Elternsein‘) eine Subsumption von Interviewaussagen vollzogen wird. Der so bezeichnete ‚methodologische Relativismus‘ steht in krassem Gegensatz zu dem methodologischen Realismus der objektiven Hermeneutik oder zum Vorgehen der Datenauswertung im Rahmen einer soziolinguistischen Prozessanalyse, die über das von der Autorin verfolgte Ziel der Herausarbeitung „(inter-) subjektiver Bedeutungszuschreibungen und Relevanzen der Partner*innen“ (S. 315), also über subjektiv vermeinten Sinn hinausweisen, um tatsächlich Deutungsmuster zu rekonstruieren bzw. zu weiteren theoretischen Abstraktionen vorzudringen. Ohne die methodischen Gesichtspunkte der Studie hier weiter diskutieren zu können, etwa um darüber nachzudenken, wie viel Subsumtionslogik das Vorgehen mit sich gebracht hat (vgl. zu dieser Diskussion Oevermann 2004) oder wie viel Ähnlichkeit darin mit der von Schütze (2016) konzipierten narrativen Interviewtechnik besteht (die sich durchaus für Paare eignet) bzw. ob es ertragreicher gewesen wäre, latente Sinnstrukturen in der Logik der Fallrekonstruktion zu erschließen, soll die Konstruktion des Forschungsdesigns skizziert werden. Dies besteht aus einer Mischform unterschiedlicher Paradigmen (etwa durch Alfred Schütz oder Herbert Blumer begründet) und führt schließlich unter Anlehnung an Wimbauer & Motakef (2017) zu einem Relationismus, um die Studie von der Datenerhebung bis zur Datenauswertung im Sinne des angestrebten Nachvollzugs subjektiv gemeinten Sinns in Korrespondenz zu den gewählten Vorab-Kategorien zu konstruieren. Eindrucksvoll ist die Studie, die Darstellung der empirischen Analyse und die fallübergreifende Analyse dennoch (auch wenn der Abdruck von vollständigen Transkriptionen der Paarinterviews und die klare Darlegung von objektiven Daten zu den Befragten aufschlussreich gewesen wären). Auch beeindrucken die Ausführungen der Autorin zum gesellschaftlichen und rechtlichen Umfeld im Kontext der herausgearbeiteten „Muster der Anerkennung“ (vgl. S. 149), die sich wie folgt darstellen:

Überwiegend konsensuelle Muster:

  1. Gleichaufteilung bei Gleichwertigkeit der Berufsbiographien und des Elternseins im Doppelkarriere-Arrangement

  2. Wechselseitige Anerkennung und beiderseitige Familienzentrierung im Familienernäherinnen- und Zuverdiener-Arrangement

Ambivalente Muster:

  1. Ambivalente Wertschätzung und beiderseitige Erwerbszentrierung im ‚rollengetauschten‘ Haupternäherinnen-Arrangement

  2. Ambivalenz zwischen geteilter Abwertung und paarinterner (Un-)Sichtbarmachung von Familienarbeit im Doppelerwerbs-Arrangement

Überwiegend konflikthafte Muster:

  1. Einseitige Abwertung und Begrenzung väterlicher Familienarbeit bei geteilter Familienzentrierung im Familienernährer-Arrangement

  2. Einseitige Abwertung und Geringschätzung von mütterlicher Familienarbeit bei einseitiger Familienzentrierung im Familienernährer-Arrangement“ (S. 19, Hervorh. im Original).

Fazit: Zwischen ‚Anerkennung‘ und ‚Nicht-Anerkennung‘ (besser: Aberkennung?) zwischen Konstruktion und Deskription bewegt sich die hier knapp vorgestellte Studie. Sie bietet Erkenntnisse darüber, wie ‚neue Väterlichkeit‘ und Elternzeitarrangements sich gestalten. Das Fazit bilanziert realistisch und (selbst-)kritisch (S. 331–342): So konnten beispielsweise Änderungen zum Elterngeld Plus oder Auswirkungen der Pandemie nicht berücksichtigt werden (die Interviews wurden von 2014–2017 geführt), die Paare hatten zumeist rechtlich und gesellschaftlich wenig mit Anerkennungsproblemen zu tun – im Gegensatz zu dem übergreifenden Sample des ‚Väter in Elternzeit‘-Projekts (Mercator Research Center Ruhr) und dem in der Untersuchung berücksichtigten männlichen, gleichgeschlechtlichen Paar. Auch sieht die Autorin jene Einschränkungen, die sich aus der ‚Brille‘ der Anerkennungstheorie Honneths ergeben und sie zieht konkrete Schlüsse für politische und betriebliche Zielsetzungen, die einer gleichstellungsorientierten Gestaltung von Vereinbarkeitsarrangements zwischen Familien- und Erwerbsarbeit zuträglich sind.

Literatur

Bohnsack, R., Nentwig-Gesemann, I., & Nohl, A.-M. (Hrsg.) (2013). Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Springer VS. 10.1007/978-3-531-19895-8Search in Google Scholar

Honneth, A. (1992). Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Suhrkamp.Search in Google Scholar

Oevermann, U. (2004). Die elementare Problematik der Datenlage in der quantifizierenden Bildungs- und Sozialforschung. Sozialer Sinn, 3, 413–476. 10.1515/sosi-2004-0305Search in Google Scholar

Rusconi, A., & Wimbauer, C. (2013). Paare und Ungleichheit(en) – eine Einleitung. In Rusconi, A., Wimbauer, C., Motakef, M., Kortendiek, B., & Berger, P. A. (Hrsg.), Paare und Ungleichheit(en). Eine Verhältnisbestimmung (S. 10–36). Verlag Barbara Budrich.10.2307/j.ctvddzk7h.4Search in Google Scholar

Schütze, F. (2016). Sozialwissenschaftliche Prozessanalyse. Grundlagen der qualitativen Sozialforschung. Verlag Barbara Budrich. 10.2307/j.ctvdf09cnSearch in Google Scholar

Wimbauer, C. (2012). Wenn Arbeit Liebe ersetzt. Doppelkarriere zwischen Anerkennung und Ungleichheit. Campus.Search in Google Scholar

Wimbauer, C., & Motakef, M. (2017). Das Paarinterview in der soziologischen Paarforschung. Method(olo)gische und forschungspraktische Überlegungen. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum Qualitative Social Research 18 (2), Art. 4, (87 Absätze).Search in Google Scholar

Online erschienen: 2023-10-20
Erschienen im Druck: 2023-10-31

© 2023 Klaus Kraimer, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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