Timothy R. Heath/Sale Lilly/Eugeniu Han: Can Taiwan resist a large-scale military attack by China? Assessing strengths and vulnerabilities in a potential conflict. Santa Monica, Cal.: RAND Corporation
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Heath Timothy R. Lilly Sale Han Eugeniu Can Taiwan resist a large-scale military attack by China? Assessing strengths and vulnerabilities in a potential conflict Santa Monica, Cal. RAND Corporation
Der Forschungsbericht von Timothy R. Heath, Sale Lilly und Eugeniu Han evaluiert Taiwans Widerstandsfähigkeit im Fall eines Angriffs durch die Volksrepublik China. Anders als viele andere Veröffentlichungen liefert das Autorenteam mit seinem Forschungsdesign theoriegeleitete Indikatoren, um eine vergleichende Bewertung zuzulassen. Die Studie untersucht konkret Taiwans Leistungsfähigkeit, sich einem großangelegten Angriff zu widersetzen. Dabei wird die Widerstandsfähigkeit definiert durch das Vermögen der nationalen Regierung, eine entschlossene Verteidigung über einen Zeitraum von 90 Tagen durchzuhalten. Als Bewertungsgrundlage für die fünf Kapitel umfassende Studie dienten Interviews mit zuständigen Offiziellen und Experten sowie Fachliteratur.
Das im zweiten Kapitel ausführlich dargelegte Untersuchungsdesign basiert auf vier Schlüsselvariablen, mit denen die Widerstandsfähigkeit eines Landes bei einem Angriff ermittelt wird (Kapitel 2). Diese sind: (1) Politische Führung und sozialer Zusammenhalt, (2) Militärische Wirksamkeit, (3) Durchhaltefähigkeit sowie (4) militärische Unterstützung durch Verbündete. Die einzelnen Variablen sind nicht gleichrangig und werden unterschiedlich zueinander in Bezug gesetzt und dadurch kumulativ bewertet. Die gegeneinander abgewogene Bewertung wird im Abschnitt comprehensive assessment detailliert ausformuliert. So kann z. B. die militärische Intervention eines Verbündeten eine schwache Bewertung der ersten Variablen, politische Führung und sozialer Zusammenhalt, nicht ausgleichen (Seite 34). Sie kann aber durch ein kumulatives Additionsverfahren gleichrangig zur eigenen militärischen Effektivität bewertet werden (Seite 35). Die addierte Bewertung sieht dann drei Einstufungen vor: niedrig, mittel und hoch. Die mittlere Bewertung einer „begründeten Wahrscheinlichkeit“ spricht dafür, den Widerstand aufrechtzuerhalten, schließt die Möglichkeit des Scheiterns jedoch nicht aus (Seite 37).
Im dritten Kapitel wird eine Bewertung der vier Variablen für den Friedenszustand ermittelt und im vierten Kapitel untersucht, wie sich eine anhaltende Krise oder ein Konflikt auf Taiwans Widerstandsfähigkeit gegenüber einem Angriff auswirkt. Im Krisenfall könnte die innenpolitische Polarisierung abnehmen und zur größeren Unterstützung der nationalen Führung beitragen. Allerdings vermuten die Autoren, dies geschehe nur, wenn die Führung es schafft, eine „bezwingende Vision von der politischen Identität Taiwans“ aufrechtzuerhalten (Seite 56). Bezüglich einer anhaltenden Krise vermuten sie als plausibelstes Resultat eine Stärkung der Lösungs- und Leistungsfähigkeit, obwohl begünstigende Veränderungen sicherlich nicht ausreichen, um die erheblichen militärischen Nachteile der Streitkräfte zu kompensieren.
Die Auswirkung eines Konflikts mit militärischen Mitteln variiere je nach Angriffsmethode. Für China werden vier vorrangige Angriffsmethoden gelistet: der konventionelle Flugkörperangriff (missile attack), eine Blockadekampagne (joint blockade campain), eine Amphibien-Invasion und extensive Informationsoperationen (Seite 57). Nach der Bewertung sei die Widerstandsfähigkeit in den ersten beiden Fällen am höchsten und bei einem Amphibienangriff ohne US-Intervention am geringsten (Seite 57). Laut den Autoren mache die militärische Unterlegenheit eine US-amerikanische Militärintervention zu einer „essenziellen Komponente“ für Taiwans Kampffähigkeit (Seite 59). Sie sehen zwar den wachsenden Einfluss von Informationskampagnen, bewerten eine Kapitulation allein wegen gezielter Fehl- und Falschinformationen allerdings als unwahrscheinlich (Seite 60).
Im abschließenden fünften Kapitel führt das Autorenteam neben seinen Analyseergebnissen auch Implikationen und Empfehlungen auf. Das Festhalten an der Ein-China-Politik sei im Interesse der USA, eine Unabhängigkeitserklärung stoße daher nicht auf deren Unterstützung. Ein Eingriff in einen Konflikt zwischen einem „aggressiven China und trotzigen Taiwan“ könnte sich zudem als „schmerzhaft und prekär“ erweisen (Seite 62). In zwei hypothetischen Szenarien zeigen die Verfasser tabellarisch die Variation ihrer Bewertung auf. Erneut wird die Wichtigkeit der ersten Variablen herausgestellt und hervorgehoben, dass eine schwache Führung Taiwans plus eine geteilte Gesellschaft auch trotz militärischer Verbesserungen dank US-Hilfe die Aussicht für Taiwans Widerstandsfähigkeit ungünstig erscheinen lassen würde (Seite 63). Sie empfehlen, an der Stärkung der Streitkräfte Taiwans festzuhalten und sowohl bei der Aufklärung von Desinformationskampagnen als auch beim Abfedern wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen Chinas aktiv zu helfen (Seite 64).
Im umfangreichen Anhang thematisieren die Autoren zudem Taiwans ökonomische Abhängigkeit von China. In sich ist der Forschungsbericht schlüssig. Allerdings könnten für eine Bewertung noch weitere Faktoren herangezogen werden, z. B. geostrategische Überlegungen anderer Allianzpartner wie Japan oder die Auswirkungen auf den regionalen und globalen Imageverlust im Fall einer ausbleibenden Unterstützung Taiwans. Auch der Angriff mittels Cyberangriffen oder hybrider Kriegsführung ist als Szenario unterbeleuchtet.
Über den Autor / die Autorin
Non-resident Fellow des ISPK
© 2023 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.
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