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Bidens große Herausforderung

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Published/Copyright: March 27, 2021

 Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021

Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021

Die Ereignisse vom 6. Januar 2021 werden in der amerikanischen Geschichte als eine Explosion eingehen, wie die eines Vulkans nach Jahren des Brodelns und Dampfens. Jene, die das Kapitol gestürmt haben, waren eine chaotische Mischung aus unterschiedlichen Anarchisten, die von Verschwörungsphantasien und niemanden geringerem als Präsident Trump in einen historischen aber auch hysterischen Wutanfall getrieben wurden. Die Nation war geschockt und Sätze wurde laut wie „das sind doch nicht wir“, während andere sich fragten, ob das nicht genau einige von uns sind.

Der Sturm auf das Kapitol wird in Erinnerung bleiben als das passende Ende der Präsidentschaft von Donald Trump, die mit einer Antrittsrede begann, die ein einziger Ausdruck von Ärger und Groll war. Der Zustand der Nation wurde von ihm als blutiges Gemetzel (carnage) bezeichnet. Dieses Gemetzel trat allerdings erst vier Jahre später ein, als ein von Trump aufgehetzter Mob durch das Repräsentantenhaus und den Senat brandete auf der Suche nach jenen, die für alles Übel angeblich verantwortlich sein sollten.

Man hätte das kommen sehen, haben viele später gesagt. Trump hatte seine treuen Anhänger eingeladen, nach Washington, D.C., zu kommen und sie gebeten, gemeinsam mit ihm bis zum Ende zu kämpfen, um sich ihr Land zurückzuholen. Diese Aufforderung war der Katalysator für viele, um nach Washington, D.C., zu fahren und sich an einem Aufstand zu beteiligen. Der illegale Versuch, den Kongress von der Bestätigung der Wahl eines rechtmäßig gewählten Präsidenten durch die Besetzung des Kapitols abzuhalten, läutete die vulkanische Phase ein.

Später am gleichen Tag sah die schockierte Nation die Präsidentschaftswahl bestätigt durch die selben Menschen, die zuvor vor dem Mob geflohen waren. Und dennoch, ein großer Teil der Republikanischen Abgeordneten und mehrere Senatoren blieben weiterhin entschlossen diese Bestätigung in Frage zu stellen. Der Tag endete wie er begann: mit einer zutiefst gespaltenen Nation, die sich nicht einig ist, wie es mit einem neuen Präsidenten weitergehen soll.

Wir befinden uns in unerforschtem Terrain ohne einen verlässlichen Kompass. Anders ausgedrückt, wir versuchen einen Weg nach vorne zu finden und gebrauchen dabei veraltete Landkarten. Das gilt sowohl für die Innenpolitik wie für die globale Arena. Die Nation ist geteilt in einen roten und einen blauen Stamm. Politische Debatten werden zu Schlachten im Kulturkampf. Wir sind geteilt durch unterschiedliche Meinungen darüber, was Realität und was Fiktion ist. Wir haben kein gemeinsames Narrativ mehr, das uns sagt, woher wir kommen und wohin wir gehen werden.

Die Vorstellungen von dem, wie die Welt ist und welche Rolle die USA in ihr haben sollen, sind ebenfalls völlig unterschiedlich. Die Begriffe, die wir früher benutzt haben – Amerikanischer Exzeptionalismus, Eindämmung, Krieg dem Terror, Globalisierung der liberalen internationalen Ordnung – und all die Strukturen, die wir unter diesen Begriffen geschaffen haben, erscheinen nicht mehr geeignet, um eine Welt zu erklären, in der sich fundamentale Machtveränderungen vollziehen und tradierte Formeln nicht mehr greifen wollen. Den Weg nach vorne müssen wir gehen, ohne über ein funktionierendes Navigationsgerät.

Präsident Joseph Biden sieht sich einem doppelten Dilemma ausgesetzt. Innenpolitisch wird Biden versuchen, die Amerikaner wieder miteinander zu verbinden und zu versöhnen, die zurzeit in einem Maße voneinander getrennt sind, welches es seit dem Bürgerkrieg vor 160 Jahren nicht mehr gegeben hat. Die Mauern, die die Amerikaner derzeit trennen, müssen überkommen werden. Dies kann nur gelingen, wenn das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen wiederhergestellt wird und wenn die Zuversicht zunimmt, dass es gelingen wird, jene ökonomischen und sozialen Asymmetrien abzubauen, die den Zusammenhalt der Nation gefährden. Die Vereinigten Staaten können kaum als ein Modell für heutige Demokratien gelten, wenn der demokratische Prozess dysfunktional bleibt. Die Pandemie zu bewältigen und die Wirtschaft wieder in Gang zu setzen, werden daher seine ersten Prioritäten sein müssen.

Die zweite Herausforderung ist außenpolitischer Natur und besteht in der Notwendigkeit, Partnerschaften und Allianzen mit anderen Staaten wiederzubeleben und erneut zu organisieren, die man braucht, um die größte Herausforderung zu meistern, der sich die USA im 21. Jahrhundert gegenübersieht: China. Die Erfahrung aus dem Kalten Krieg mit der Sowjetunion wird sich nicht wiederholen lassen, sowohl gegenüber China wie mit den Alliierten. Das Schachbrett der Interessen und Prioritäten wird anders sein als ein rein militärisches Gegenüber. Geo-ökonomische Verbindungen und Interdependenzen spielen heute eine viel größere Rolle als zurzeit des Kalten Krieges.

Von daher ist es lebenswichtig, dass sowohl für das heimische Publikum als auch für die globalen Partner und Alliierten der USA ein überzeugendes und kohärentes Narrativ entwickelt wird. Internationale und nationale Prioritäten müssen sich gegenseitig bestätigen und tragen. Wie Henry Kissinger einst sagte: Keine Außenpolitik – egal wie genial gedacht – hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie nur in den Köpfen einiger weniger entsteht, aber nicht in die Herzen der Menschen gelangt.

Präsident Biden kann unter den gegenwärtigen Bedingungen lediglich die notwendige Transformation und Erneuerung der USA in Gang setzen. Ebenso wie frühere katalytische Momente der amerikanischen Geschichte – der Bürgerkrieg, die Große Depression, die Terroranschläge vom 11. September – wird die Verarbeitung und Lösung der Probleme Angelegenheit einer ganzen Generation sein. Der bekannte Journalist Walter Lippmann ermahnte seinerzeit die USA in einer Phase der Neuorientierung während der 40er Jahre des 20. Jahrhundert und angesichts eines bevorstehenden Krieges, dass es wichtig sei, dass die Nation ihre Ziele und ihr Gleichgewicht miteinander harmonisiert, so dass ihre Ziele auch zu ihren Instrumenten passen. Mit dem Amtsantritt von Joseph Biden bleiben diese Worte bedeutsam.

Published Online: 2021-03-27
Published in Print: 2021-04-01

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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  23. Marc F. Cancian: U.S. Military Forces – FY 2021: Marine Corps. Washington, D.C., Center for Strategic & International Studies (CSIS), November 2020
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  27. Buchbesprechungen
  28. Supermacht China
  29. Stephan Bierling: America First – Donald Trump im Weißen Haus. Eine Bilanz. München: C H Beck Verlag, 2020, 271 Seiten
  30. Joachim Weber (Hrsg.): Handbook on Geopolitics and Security in the Arctic. The High North Between Cooperation and Confrontation. Cham: Springer Nature Switzerland, 2020, 378 Seiten
  31. Sebastian Bruns/Sarandis Papadopoulos (Hg.): Conceptualizing Maritime & Naval Strategy. Festschrift for Captain Peter M. Swartz, United States Navy (ret.), ISPK Seapower Series. Baden-Baden: Nomos Verlag, 2020, 373 Seiten
  32. Bildnachweise
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