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Analyse der Einkommens- und Beschäftigungswirkungen einer Einführung des CDU-Konzepts der „Aktiv-Rente“

  • Eduard Brüll , Friedhelm Pfeiffer and Nicolas Ziebarth EMAIL logo
Published/Copyright: November 15, 2024

Zusammenfassung

Im September 2023 stellte die CDU das Konzept der „Aktiv-Rente“ vor. Die Idee dahinter ist, den Arbeitsverdienst von Rentnerinnen und Rentnern, die neben dem Bezug einer gesetzlichen Rente eine bezahlte Beschäftigung aufnehmen, bis zu 2.000 Euro pro Monat steuerfrei zu stellen. Diese Steuerbefreiung soll unter anderem die Arbeitsanreize verbessern sowie dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Eduard Brüll, Friedhelm Pfeiffer und Nicolas R. Ziebarth quantifizieren die möglichen Auswirkungen der Aktivrente auf die Beschäftigung von Rentnerinnen und Rentnern sowie auf die Nettoeinkommen der beschäftigten Ruheständler im Alter von 63 bis 73 Jahren auf der Basis von Stichproben des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 2019. Weil die verfügbaren Einkommen durch eine Aktivrente im Mittel um 5,5 Prozent stiegen, würden nach ihrer Analyse 5.000 bis 15.000 Ruheständler zusätzlich arbeiten. Mithin könne eine Aktivrente selbst unter optimistischen Annahmen dem Fachkräftemangel aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wohl nur in begrenztem Umfang entgegenwirken. Außerdem gebe es mögliche unerwünschte Nebenwirkungen.

JEL Classification: H24; J22; J26

1 Das Konzept der „Aktiv-Rente“ und die Vorgehensweise

Die CDU hat im September 2023 das Konzept der „Aktiv-Rente“ vorgestellt. Falls die Union in der nächsten Legislaturperiode Regierungsverantwortung übernimmt, soll dieses Konzept zunächst als Pilotprojekt für zwei Jahre in die Praxis umgesetzt werden (CDU 2023).[1] Die grundlegende Idee der Aktivrente ist, den Arbeitsverdienst von Beziehern einer gesetzlichen Rente bis zu 2.000 Euro pro Monat von der Einkommensteuer zu befreien. Diese Steuerbefreiung soll laut CDU helfen, die Arbeitsanreize älterer Menschen zu verbessern sowie dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Eine solche Steuerbefreiung für Arbeitseinkommen im Ruhestand ist politisch und ökonomisch umstritten. Im vorliegenden Artikel analysieren wir die direkten Einkommens- und Beschäftigungswirkungen der Aktivrente für Personen im Alter von 63 bis 73 Jahren erstmals auf Basis von Individualdaten. Ziel ist es, die abschätzbaren Kosten und Nutzen einer Aktivrente auf der Basis von repräsentativen Individualdaten und ökonomischen Überlegungen zu verdeutlichen.

In einem ersten Schritt untersuchen wir, über wieviel Nettoeinkommen erwerbstätige Rentenbeziehende verfügen und wie stark diese Nettoeinkommen bei Einführung der Aktivrente steigen könnten. In einem zweiten Schritt schätzen wir ab, wie viele Ruheständler, die eine gesetzliche Rente beziehen, zusätzlich eine Beschäftigung aufnehmen würden, verglichen mit einem Zustand ohne Aktivrente. Wir schätzen damit auch einen möglichen quantitativen Beitrag einer Aktivrente zur Reduktion des Fachkräftemangels ab. Die Nettoeinkommenszuwächse der Ruheständler führen zu Steuermindereinnahmen der öffentlichen Haushalte, deren Ausmaß wir ebenfalls erfassen. Auch thematisieren wir mögliche unerwünschte Nebenwirkungen der Aktivrente, wie Verdrängungseffekte in lokalen Arbeitsmärkten, die a priori nicht auszuschließen sind. Wie die Kosten-Nutzen-Bilanz einer Aktivrente tatsächlich ausfallen wird, könnte bei Einführung anhand einer wissenschaftlichen Evaluation abgeschätzt werden.

2 Erwerbstätigkeit in der Altersgruppe von 63 bis 73 Jahren

Für die nachfolgenden quantitativen Analysen nutzen wir die repräsentativen Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Die Analysen basieren auf der Grundgesamtheit der in Deutschland lebenden Menschen im Alter von 63 bis 73 Jahren.[2] Abbildung 1 veranschaulicht den kontinuierlichen und deutlichen Rückgang der Erwerbstätigkeitsquote von 60 Prozent im 63. Lebensjahr auf etwa 10 Prozent im 73. Lebensjahr. Um coronabedingte Verzerrungen im Arbeitsmarktgeschehen zu vermeiden, haben wir die Stichproben des SOEP aus dem Jahr 2019 verwendet, also dem Jahr vor dem Ausbruch der Pandemie. Alle Geldbeträge sind zur besseren Verständlichkeit anhand der allgemeinen Preisentwicklung Deutschlands auf Werte des Jahres 2023 hochgerechnet.

Von der Einführung der Aktivrente würden Menschen profitieren, die eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) beziehen und gleichzeitig erwerbstätig sind. Nach weiteren Auswertungen auf Basis von Stichproben des SOEP (ohne Abbildung) waren im Jahr 2019 gut 12,6 Prozent der etwa 7,2 Millionen Bezieher einer gesetzlichen Rente im Alter von 63 bis 73 Jahren erwerbstätig.[3] Absolut sind das fast 913.000 Personen. Der Anteil der beschäftigten Rentnerinnen und Rentner liegt im Alter von 64 Jahren bei einem Höchstwert von 20 Prozent und fällt dann mit zunehmendem Alter auf 7,5 Prozent für 73-jährige Rentner.

Die Idee der Aktivrente ist es, die Erwerbsbeteiligung durch Einkommenszuwächse über alle Altersklassen hinweg zu steigern.

Abbildung 1: Erwerbstätigkeit von Menschen im Alter von 63 bis 73 Jahren
Anmerkung: Die Werte wurden mit einem Generalized Additive Model (GAM) geglättet, um den allgemeinen Trend entlang des Alters hervorzuheben. Die schattierte Fläche zeigt das 95 %-Konfidenzintervall, dass die statistische Unsicherheit dieses Verfahrens angibt.

Quelle: SOEP-V38-Daten für das Jahr 2019
Abbildung 1:

Erwerbstätigkeit von Menschen im Alter von 63 bis 73 Jahren

Anmerkung: Die Werte wurden mit einem Generalized Additive Model (GAM) geglättet, um den allgemeinen Trend entlang des Alters hervorzuheben. Die schattierte Fläche zeigt das 95 %-Konfidenzintervall, dass die statistische Unsicherheit dieses Verfahrens angibt.

Quelle: SOEP-V38-Daten für das Jahr 2019

Abbildung 2: Nettoeinkommenssteigerungen nach individuellem Bruttoeinkommen (links) und deren Verteilung in Prozent (rechts)
Anmerkung: Die linke Abbildung zeigt den Zusammenhang zwischen dem individuellen Bruttoeinkommen und der prozentualen Steigerung des Nettoeinkommens durch die Aktivrente, geglättet mit einem Generalized Additive Model (GAM). Die schattierte Fläche stellt das 95 %-Konfidenzintervall dar und gibt die statistische Unsicherheit der Schätzung an. Die rechte Abbildung zeigt die Dichteverteilung der prozentualen Nettoeinkommenssteigerungen durch die Aktivrente.

Quelle: eigene Auswertungen auf Basis einer Steuersimulation mit einer Stichprobe von arbeitenden Rentenbeziehern im Alter von 63 bis 73 Jahren aus dem SOEP-V38 für das Jahr 2019, inflationsangepasst auf das Jahr 2023
Abbildung 2:

Nettoeinkommenssteigerungen nach individuellem Bruttoeinkommen (links) und deren Verteilung in Prozent (rechts)

Anmerkung: Die linke Abbildung zeigt den Zusammenhang zwischen dem individuellen Bruttoeinkommen und der prozentualen Steigerung des Nettoeinkommens durch die Aktivrente, geglättet mit einem Generalized Additive Model (GAM). Die schattierte Fläche stellt das 95 %-Konfidenzintervall dar und gibt die statistische Unsicherheit der Schätzung an. Die rechte Abbildung zeigt die Dichteverteilung der prozentualen Nettoeinkommenssteigerungen durch die Aktivrente.

Quelle: eigene Auswertungen auf Basis einer Steuersimulation mit einer Stichprobe von arbeitenden Rentenbeziehern im Alter von 63 bis 73 Jahren aus dem SOEP-V38 für das Jahr 2019, inflationsangepasst auf das Jahr 2023

3 Das Nettoeinkommen mit und ohne Aktivrente

Das Bruttoeinkommen von erwerbstätigen Rentnerinnen und Rentnern in den Stichproben des SOEP beträgt im Durchschnitt 44.259 Euro im Jahr. In diesem Wert ist die gesetzliche Rente, im Mittel 15.884 Euro, enthalten. Die Einkommensverteilung ist linkschief. So hatte die Hälfte der Rentnerinnen und Rentnern ein Gesamteinkommen von 27.310 Euro oder weniger und ein Erwerbseinkommen von 10.036 Euro oder weniger.

Die Abbildungen 2a und b zeigen die berechnete Veränderung des individuellen Nettoeinkommens im Vergleich zum Status quo und der kontrafaktischen Situation nach Einführung der Aktivrente.[4] Hierbei ist zu beachten, dass die Analyse statischer Natur ist und dass wir Arbeitsangebotsanpassungen aufgrund geringerer Einkommensteuern ausblenden.[5]

Abbildung 2a zeigt die Verteilung der Nettoeinkommenssteigerungen in Abhängigkeit vom Bruttoeinkommen. Mit der Aktivrente würden erwerbstätige Rentenbeziehende mit einem Gesamtbruttoeinkommen (Arbeitseinkommen, Renteneinkommen sowie sonstige Einkommen) von 45.000 Euro pro Jahr ein gut 10 Prozent höheres Nettoeinkommen (4.500 Euro mehr pro Jahr) erzielen. Die Hälfte der Personen in der Stichprobe würde einen Nettoeinkommenszuwachs von 4,4 Prozent oder weniger realisieren; etwa ein Drittel sähe einen Zuwachs von mindestens 10 Prozent (Abbildung 2b).

Die Steuerentlastung nimmt mit dem Einkommen zu. Von der Entlastung würden prozentual gesehen vor allem Menschen mit einem Einkommen zwischen 25.000 und 100.000 Euro profitieren. Die größte prozentuale Entlastung käme bei einem Gesamteinkommen zwischen 50.000 und 75.000 Euro zustande (-14 Prozent). Bei Einkommen über 100.000 Euro reduziert die Steuerprogression allmählich den prozentualen Steuervorteil. Bei niedrigeren Einkommen unter 25.000 Euro ist die Steuerbelastung gering, so dass auch die Entlastung gering ist.

Im Durchschnitt würde der Nettoeinkommenszuwachs durch die Aktivrente 5,5 Prozent betragen. Dieser eher moderate Zuwachs ergibt sich unter anderem daraus, dass die Steuerbelastung in den aktuellen Rentenjahrgängen noch recht niedrig ist, da nur etwas mehr als ein Drittel aller Renteneinkommen überhaupt besteuert wird (Statistisches Bundesamt 2023). Zudem liegt der Verdienst durch Erwerbstätigkeit für 65 Prozent der Ruheständler unter 2.000 Euro im Monat.

Die Erhöhung des Nettoeinkommens um durchschnittlich 5,5 Prozent summiert sich auf etwa 2,7 Mrd. Euro pro Jahr. Um diese Summe würden sich ceteris paribus auch das Volumen der Einnahmen der öffentlichen Haushalte aus der Einkommenssteuer vermindern.

4 Abschätzung der direkten Beschäftigungseffekte

Ein Ziel der Aktivrente ist es, die Erwerbstätigkeit im Ruhestand durch zusätzliche monetäre Anreize zu befördern. Die Frage lautet nun, ob und in welchem Umfang eine hypothetische Zunahme der Nettoeinkommen (Abb. 2) um 5,5 Prozent (im Fall einer Beschäftigung) die Arbeitsanreize verbessert und zu mehr Beschäftigung in der Gruppe der Ruheständler mit gesetzlicher Rente führen würde.

Für diese Abschätzungen verwenden wir vorhandene Schätzwerte der Lohnelastizität des Arbeitsangebotes, die angeben, wie viele Menschen mehr arbeiten, wenn das verfügbare Nettoeinkommen in Beschäftigung zunimmt. Die üblicherweise geschätzten Elastizitäten variieren zwischen 0,1 und 0,3 (Blundell et al. 2016, Laun 2017 und Seibold 2021). Im Folgenden werden zur Veranschaulichung möglicher Beschäftigungswirkungen der Aktivrente die Werte 0,1, 0,2 und 0,3 verwendet.

Es lässt sich nicht ganz ausschließen, dass die Elastizität des Arbeitsangebots von Ruheständlern im Mittel höher ist als bei Erwerbstätigen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, die empirisch ein eher inelastisches Angebot aufweisen. Aber es ist auch denkbar, dass Ruheständler ebenfalls nicht sehr stark auf Lohnänderungen reagieren, weil sie beispielsweise nicht mehr die Notwendigkeit sehen, ihren Arbeitgeber zu wechseln. Dazu gibt es für Deutschland nach bestem Wissen der Autoren jedoch keine belastbare Evidenz, wobei der mittlere Wert von 0,2 für die Zwecke dieser Studie eine gewisse Plausibilität hat.[6] Ein Wert von 0,2 bedeutet, dass die Erwerbsquote der Rentner um 2 Prozent zunimmt, wenn deren Nettoeinkommen um 10 Prozent steigt. Da die Nettoeinkommenszunahme nach dem Einkommen variiert (Abb. 2), wird die Arbeitsangebotsausweitung für die durchschnittliche Einkommenserhöhung berechnet.

4.1 Erwerbstätigkeit

Tabelle 1 fasst die Ergebnisse zusammen. Im Jahr 2019 gab es laut SOEP-Daten 7,2 Millionen Rentner im Alter von 63 bis 73 Jahren. Der Anteil der Beschäftigten in dieser Personengruppe, die gleichzeitig eine gesetzliche Rente erhielten, betrug 12,6 Prozent, hochgerechnet 913.000 Personen. Bei einer Elastizität von 0,2 würde eine Zunahme des Nettoeinkommens um 5,5 Prozent die Beschäftigung um 1,1 Prozent erhöhen (0,2 ⋅ 5,5). Bei dieser Elastizität würden demnach 10.124 Rentnerinnen und Rentner mehr arbeiten gehen (Spalte 5). Spalte (3) aus Tabelle 1 gibt an, dass in diesem Fall die Erwerbsquote aufgrund der Aktivrente im Mittel um 0,14 Prozentpunkte (ppt) zunehmen würde. Diese Erhöhung des Beschäftigtenanteils in Prozentpunkten wurde durch Multiplikation der Arbeitsangebotselastizität (0,2) mit dem durchschnittlichen Anstieg der Nettogehälter durch die Aktivrente (5,5 Prozent), mal dem Anteil an beschäftigten Rentnern (0,0553 ⋅ 0,2 ⋅ 0,1262 ⋅ 100 = 0,14 Prozentpunkte) ermittelt. Somit würden schätzungsweise 12,8 statt 12,6 Prozent aller Rentnerinnen und Rentner arbeiten. Dieser moderate Effekt ergibt sich durch das recht geringe Ausgangsniveau von arbeitenden Rentenempfängern, in Kombination mit einer moderaten Nettoeinkommenssteigerung und relativ inelastischem Arbeitsangebot.

Hierbei ist zu bedenken, dass sich diese Zahlen auf das Jahr 2019 beziehen, in dem noch Zuverdienstgrenzen für Menschen galten, die vor der Regelaltersgrenze in Rente gingen und gleichzeitig weiterarbeiteten („vorzeitiger Altersrentenbezug bei gleichzeitiger Arbeit“). In Jahr 2019 galt für diese Gruppe eine Hinzuverdienstgrenze von 6.300 Euro (Stetes 2023). Diese ist seit dem 1. Januar 2023 komplett aufgehoben, nachdem sie während der Coronapandemie zunächst zeitlich befristet bei 46.060 Euro lag.[7] Nähme man an, dass sich die Erwerbsbeteiligung von 63- und 64-jährigen GRV-Rentenbeziehern seit 2019 verdoppelt hat[8], ergäbe sich in Tabelle 1 eine allgemeine Erwerbstätigenrate von 13,8 %. Bei Annahme einer Elastizität von 0,2 würden dann 11.046 statt 10.124 Rentner aufgrund der Aktivrente arbeiten.

Tabelle 1:

Abschätzung der Beschäftigungswirkungen der Aktivrente

Angebotselastizität (1)

Erwerbstätige Rentner 63–73

(2)

Anteil erwerbstätige Rentner 63–73

(3)

Steigerung der Erwerbsquote in ppt

(4)

Zusätzliche erwerbstätige Rentner

(5)

Jahresarbeitsvolumen von (5) in Stunden (6)

Ohne Aktivrente

913.000

12,62 %

0 

0 

0 

0,1

917.626

12,69 %

0,07

 5.061

4,41 Mio.

0,2

922.688

12,76 %

0,14

10.124

8,84 Mio.

0,3

927.750

12,83 %

0,21

15.185

13,26 Mio.

Quelle: eigene Berechnungen mit einer Stichprobe von arbeitenden Rentenbeziehern im Alter von 63 bis 73 Jahren aus dem SOEP-V38 für das Jahr 2019, inflationsangepasst auf das Jahr 2023

4.2 Arbeitsstunden

Die durchschnittlichen Arbeitsstunden der beschäftigten Rentnerinnen und Rentner in den verwendeten Stichproben des SOEP betragen 16,8 pro Woche. Um den Beschäftigungsimpuls der Aktivrente abzuschätzen, ist es wichtig zu wissen, ob die Ruheständler mit der Aktivrente mehr oder weniger Stunden arbeiten würden. Die Gesamtwirkungen der Aktivrente können davon in gewissem Maße abhängen. Zwar würde der Substitutionseffekt für eine Ausweitung der Arbeitszeit sprechen (zumindest solange der Verdienst unter 2.000 Euro bleibt). Dennoch könnte die Arbeitszeit aufgrund des Einkommenseffektes in der Summe auch gleichbleiben oder zurückgehen. Da uns zu dieser Frage keine belastbare Evidenz vorliegt, gehen unsere Abschätzungen von der Annahme aus, dass sich die mittlere Arbeitszeit pro Kopf nicht ändern wird. Unter dieser Annahme würde das Arbeitsvolumen um 8,84 Millionen zusätzliche Stunden pro Jahr gesteigert (Spalte 6). Wie Tabelle 1 ebenfalls zu entnehmen ist, würde eine Elastizität von 0,1 (0,3) die Anzahl der erwerbstätigen Rentner um 5.061 (15.185) erhöhen, mit 4,41 (13,26) Millionen zusätzlichen Arbeitsstunden pro Jahr.

4.3 Steuereinnahmen

Unter den getroffenen Annahmen würden die Einnahmen aus der Einkommensteuer um etwa 2,7 Mrd. Euro sinken. Die geschätzten Mindereinahmen variieren kaum mit der Anzahl der zusätzlich durch die Aktivrente beschäftigen Rentnerinnen und Rentner, da die berechneten Beschäftigungsimpulse der Aktivrente eher gering sind. Daher entsteht der Großteil der fiskalischen Kosten durch Steuererleichterungen für Rentner, die auch ohne Aktivrente jetzt schon beruflich tätig sind. Die Steuermindereinnahmen entsprechen dem Einkommenszuwachs der erwerbstätigen Ruheständler. Mit anderen Worten: Durch die Steuersenkung würden auch die jetzt schon erwerbstätigen Rentenbezieherinnen und -bezieher profitieren, und deren Vorteil würde den Großteil der Steuermindereinnahmen ausmachen.

5 Fazit

Die Aktivrente kann einen, wenn auch quantitativ bescheidenen, Beitrag zur Hebung des Fachkräftepotenzials von Rentenbeziehern leisten. Berücksichtigt man, dass auch Menschen über 73 Jahren erwerbstätig werden können, mag der Impuls der Aktivrente etwas größer ausfallen. Zudem steigt aufgrund der nachgelagerten Besteuerung der Anteil der Renteneinkommen, die besteuert werden, weiter an. Daher ist es wahrscheinlich, dass die Beschäftigungsimpulse ceteris paribus mit der Zeit zunehmen. Zudem könnten bereits jetzt schon arbeitende Rentner ihre Stunden ausweiten. Selbst im optimistischen Fall wäre die Einführung des Konzepts der Aktivrente dennoch aufgrund der geringen Zunahme der Beschäftigung kaum geeignet, gesamtwirtschaftlich existierende Fachkräfteengpässe effektiv zu mildern.

Die Aktivrente würde jedoch zu einer Einkommensverbesserung von durchschnittlich 5,5 Prozent in der Gruppe der erwerbstätigen Ruheständler führen, die auch ohne Aktivrente bereits Steuern zahlen. Die Einkommensverbesserungen in dieser Gruppe würden sich insgesamt auf 2,7 Mrd. Euro summieren, die im Bundeshaushalt ceteris paribus zu direkten Steuermindereinnahmen in dieser Höhe führen. Die tatsächliche Steuerbelastung der öffentlichen Haushalte könnte geringer ausfallen, da die Rentnerinnen und Rentner mindestens einen Teil der Zusatzeinkommen konsumieren werden und dadurch das Mehrwertsteueraufkommen steigt. Rentnerinnen und Rentner verfügen zudem oftmals über erhebliche spezifische Erfahrungen, Kenntnisse und Netzwerke, die bei einer Partizipation im Erwerbsleben auch wirtschaftlich wertvoll sein können. Aus ökonomischer Sicht gälte es in weiterführenden Untersuchungen abzuwägen, ob der erwartete Nutzen die erwarteten Kosten der Aktivrente übersteigen könnte.

In den dargelegten Analysen sind wir davon ausgegangen, dass der Beschäftigungsimpuls der Aktivrente weder die bestehenden Segmente des Arbeitsmarktes noch die Arbeitsverdienste an sich tangiert. Vorstellbar ist jedoch, dass der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt durch die Angebotsausweitung zunimmt und dass in umkämpften lokalen Segmenten des Arbeitsmarktes die Löhne relativ gesehen sinken könnten – und damit auch die Einkommen. In einem solchen Fall könnte der Zuwachs der Nettoeinkommen im Durchschnitt niedriger ausfallen als oben berechnet. Der Impuls der Aktivrente könnte dann in der Summe geringer werden.

In lokalen Arbeitsmarktsegmenten lassen sich auch Verdrängungseffekte durch die Aktivrente a priori nicht ausschließen, beispielsweise bei Erwerbstätigen mit Qualifikationsprofilen, die denen der Ruheständler vergleichbar sind. Falls es Verdrängungseffekte geben sollte, wären auch diese unerwünschten Nebenwirkungen bei der Bewertung der Aktivrente zu beachten. Dabei fallen alle solchen möglichen Nebenwirkungen solange moderat aus, wie die Beschäftigungsimpulse moderat ausfallen, wie die obige Analyse nahelegt.

Mit einer Aktivrente könnte es sich zudem für ältere Beschäftigte lohnen, den aktiven Rentenbezug vorzuziehen und weiter zu arbeiten, um die individuelle Steuerbelastung zu reduzieren. Wie stark dieser Anreiz in Abhängigkeit beispielsweise vom Bruttoeinkommen und von möglichen Rentenabschlägen ist, wurde bislang nicht untersucht. Falls mit der Aktivrente die Frühverrentung zunehmen würde, wäre dies eine unerwünschte Nebenwirkung, welche die Ziele der Aktivrente konterkarieren würde. Ob und in welchem Umfang sich diese Nebenwirkung einstellen könnte, hängt auch von der Ausgestaltung der Aktivrente ab. So könnte man den Bezug einer Aktivrente beispielswiese auf Rentenempfänger ohne Rentenabschläge begrenzen.

Laut dem CDU-Konzept soll die Aktivrente zunächst für zwei Jahre eingeführt und dann ihre Wirkung evaluiert werden. Wie die Kosten-Nutzen-Bilanz tatsächlich ausfallen würde, ließe sich in dieser zweijährigen Phase wissenschaftlich beurteilen.

Danksagung

Wir danken einem anonymen Gutachten sowie Johannes Geyer für sehr hilfreiche und wertvolle Kommentare. Ebenfalls danken wir Mingjie Xu für hervorragende unterstützende Forschungsarbeiten. Für verbleibende Fehler und Unzulänglichkeiten sind ausschließlich wir verantwortlich.

Literaturverzeichnis

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Online erschienen: 2024-11-15
Erschienen im Druck: 2024-11-28

© 2025 the author(s), published by Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 29.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/pwp-2024-0022/html?lang=en
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