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Der Kultwert des Ausstellungswertes und die Zeitlichkeit musealer Gegenstände

  • Markus Ophälders
Published/Copyright: August 26, 2017
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Abstract

Museen sind Räume, in denen und durch welche Zeit und damit Tradition konstruiert wird. Die in ihnen sich befindenden Gegenstände unterliegen also einer künstlich hergestellten Zeitlichkeit, und dies charakterisiert ihren Ausstellungswert, dem ein ganz eigener, sehr zweideutiger Tauschwert zukommt. Die Werke in den Museen jedoch sind tot, was in ihrer vorgeblichen Zeitlosigkeit zum Ausdruck kommt, die ihnen jedoch von außen aufgepfropft wird; sie führen ein Scheinleben. Mit der Zweideutigkeit des Tauschwertes verbinden sich jedoch auch zwei weitere Momente: der Fetischcharakter und das Glücksversprechen, das die Kunstwerke mit den Waren teilen und das an ihren Vorschein gebunden ist und nicht an ihr museales Nachleben. An beide ist der museale Massentourismus mit all seinen Entfremdungserscheinungen gebunden. Folgendes ist das Problem: Ist es möglich, der Kunst wieder einen Gebrauchswert zuzuschreiben, der ihrem momentanen Tauschwert gegenüber gesellschaftlich und kulturell positiv wirksam würde?

„Stirb und werde.“

(Goethe)

Museen sind Räume, in denen und durch welche Zeit konstruiert wird. Die in ihnen sich befindenden Gegenstände unterliegen also einer künstlich hergestellten Zeitlichkeit, und dies charakterisiert neben anderen, bekannteren Charakteristiken ihren Ausstellungswert. Geschieht dies mit Bewusstsein, dann sprechen die Organisatoren einer derartigen Unternehmung meist von einer in der Vergangenheit liegenden Zeitlichkeit, wobei sie insgeheim zugeben, dass sie Tradition konstruieren, was in Begriffen wie etwa dem einer Klassischen Moderne zum Ausdruck kommt, ganz zu schweigen von Museen mit sogenannten klassischen, also schon zur Tradition standardisierten Werken. Worauf allerdings nur selten reflektiert wird, ist der Umstand, dass eine derartige Konstruktion nicht allein Vergangenes wieder aufbaut, sondern gleichfalls auch die Gegenwart hierdurch umbaut. Tradition nämlich ist einzig da gegeben, wo sie die Gegenwart ganz wesentlich bestimmt. Dieses Bewusstsein zeichnete die Bürgerklasse aus, als sie im Zuge ihres Aufstiegs und nach den ersten Siegen daran ging, in den zentralen Städten Europas und nicht ohne die Hilfe des noch herrschenden Adels Museen einzurichten. Damit kommt nicht nur die Idee einer Renaissance zu sich selbst, sondern auch der konservative Charakter dieser Traditionsbildung, welche schon damals in nuce und vielleicht etwas unbewusst jener Vorstellung folgte, die später dann Hegel aufs Präziseste mit dem Vergangenheitscharakter von Kunst zum Ausdruck bringen sollte.[1] Denn die Werke in den Museen sind tot, d. h. sie stehen nicht mehr in einer lebendigen Beziehung zum Zeitalter und sind in diesem Sinne nicht nur verdinglicht, sondern ebenfalls ungleichzeitig, auch wenn jede Musealisierung den Anspruch erhebt, sie zu übergleichzeitigen und in gewissem Sinne ewigen Werken zu stilisieren. Die Werke wurden vom Baum des Lebens gebrochen und werden den überlebenden Menschen von einer Muse dargeboten, dem letzten Lebenszeichen der untergegangenen Kultur, auf deren Trümmern die Museen ihr künstliches Leben errichten. Eben dies hat Benjamin in Hegels Ästhetik wahrgenommen und diesen Sachverhalt denn auch der Zertrümmerung der Aura zugeordnet. Hegel hatte hiervon denn auch ein sehr klares Bewusstsein. Nicht nur konnte er von seinem Fenster aus die Errichtung des ersten Museums in Berlin beobachten, sondern auch seine Konstruktion der Klassischen Kunst, nach welcher nichts Schöneres je sein oder entstehen könnte, folgt einerseits diesem Prinzip, versucht es andererseits jedoch auch kritisch zu reflektieren.[2]

Diese Umstände erklären die statische Beharrlichkeit der Werke in den Sälen – herauskatapultiert aus ihrer geschichtlichen Zeugenschaft scheinen sie nun zeitlos zu sein. Doch muss Zeitlosigkeit oder Ewigkeit, auch die augenblickhafte, erst einmal künstlerisch erschaffen werden, um dann auch kulturell wirksam werden zu können. Die Zeitlosigkeit musealer Gegenstände jedoch wird ihnen von außen aufgepfropft; sie entsteht nicht aus ihrer inneren Prozesshaftigkeit heraus, wie etwa bei der gelungenen Aufführung einer musikalischen Komposition. Aus eben diesem Grund kann sie mit dem Fetischcharakter der Ware verglichen werden, der ja auch erst dort entsteht, wo der Produktionsprozess vom Zirkulationsprozess unterbrochen und still gestellt wird. Zudem teilen Kunstgegenstände und Fetischcharakter noch ein weiteres Merkmal: In beiden kann ein Glücksversprechen wahrgenommen werden. Dieses zusammen mit den untersten Schichten des Fetischcharakters bedingt nicht nur den heutigen musealen Massentourismus mit all seinen Entfremdungserscheinungen, sondern es bedingt zusammen mit dem, was am Fetischcharakter zu retten wäre, ebenso den Kultwert des Ausstellungswertes. Diese Zweideutigkeit ist der Gegenstand einer Dialektik im Stillstand, die im Bildcharakter der Museumsgegenstände zum Ausdruck kommt: „Zweideutigkeit ist die bildliche Erscheinung der Dialektik, das Gesetz der Dialektik im Stillstand. Dieser Stillstand ist Utopie und das dialektische Bild also Traumbild. Ein solches Bild stellt die Ware schlechthin: als Fetisch“ (Benjamin 1980-1989, Bd. V.2, S. 1246).

Der Intention der Musealisierung zufolge ist die Zeitlichkeit musealer Gegenstände die der Ewigkeit; Benjamin zufolge also die des Scheins. Nicht nur rührt dieser Scheincharakter von dem Umstand her, dass diese Gegenstände als tote ein Scheinleben führen, der Schein ist vielmehr noch der Grundcharakter ihrer Zweideutigkeit, die eben auf der Schwelle entsteht, welche Leben und Tod sowohl trennt als auch verbindet. Diese Schwelle stellt eben das Museum dar, in das man hineintritt, indem man aus der Lebenswelt herausgeht. Der notwendig zum dialektischen Bild gehörende Schein ist jedoch, wie seine Zweideutigkeit, nicht nur negativ, er und nur er allein birgt auch die Momente, die zur dialektischen Operation seiner Rettung notwendig sind. Die Musealisierung des Kultwerts beschränkt diesen zwar, indem sie seinen Spielcharakter reduziert, durch den Schiller, Benjamin, aber auch noch Gadamer Bewusstsein von Freiheit konstruieren wollten. Doch ist gerade der Schein und der des Fetisch zumal Erbe dessen, was einmal kultisch war und dann als das Schöne oder als Wert der Kunst erschien (ebd., Bd. I.2, S. 638).

Im Zuge der Musealisierung sind denn auch die Kunstwerke (großenteils auch die, welche nicht Einzug ins Museum gehalten haben) einem Prozess unterzogen worden, der mit dem der fortschreitenden Vermarktung und damit Fetischisierung aller Gebrauchswerte einhergeht. „Es gibt Beziehungen zwischen Warenhaus und Museum, zwischen den[en] der Bazar ein vermittelndes Glied schafft. Die Massierung der Kunstwerke im Museum nähert sie den Waren an, die, wo sie sich dem Passanten in Massen darbieten, die Vorstellung in ihm wecken, auch auf ihn müsse ein Anteil daran entfallen“ (ebd., Bd. V.1, S. 522). Der Unterschied zwischen Baudelaires Grands Magasins und den berühmten Museen in aller Welt ist gar nicht so groß, im Gegenteil. Es fragt sich nur, ob auch ihre ivresse der der Warenhäuser vergleichbar ist, denn die hängt eben mit dem Fetischcharakter der Ware und dem Glücksversprechen der Kunst zusammen, die sich in der Ware wahrscheinlich wirkungsvoller verschränken als im ausgestellten Kunstwerk, da eben dessen Kultwert, an dem ja das Glücksversprechen hing, nicht mehr derselbe ist. Er hat sich verändert, und zwar dahingehend, dass das ganze Verhältnis zwischen Werk und Beobachter pervertiert worden ist. Die Perversion besteht darin, dass eine Ware, wenn sie einmal gekauft worden ist, ihren Gebrauchswert ohne Umstände offenbart; im Falle eines Kunstwerkes ist dieser Gebrauchswert keineswegs offenbar. Hierbei ist es unwichtig, ob es gekauft wird oder nicht, was natürlich nur wenigen vergönnt ist. Denn die technische Reproduzierbarkeit hat dieses Problem in hohem Maße verringert. Was in jedem Fall nicht zum Vorschein kommt, das ist eben der Gebrauchswert von Kunst, sie bleibt Gefangene ihres Tauschwertes und damit ihres Ausstellungswertes, denn ihr ist der Rückweg in die Lebenswelt versperrt.

Ein Paralipomenon zur zweiten Fassung der Reproduktionsarbeit wirft ein eigentümliches Licht auf das Verhältnis von Kunst und Gebrauchswert, denn Benjamin behauptet hier, „daß die Auffassung der Kunst umso mystischer wird, je mehr die Kunst von echter magischer Brauchbarkeit sich entfernt; je größer dagegen diese magische Brauchbarkeit ist (und in der Urzeit ist sie am größten), desto unmystischer ist die Auffassung von Kunst“ (ebd., Bd. I.3, S. 1050). Im Kultwert von Kunst also liegt ihr Gebrauchswert, der Ausstellungswert jedoch hat sich in seinen eigenen Bereich der Warenzirkulation verschlossen und scheint cum grano salis einzig als Tauschwert noch Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Schon der Sammler Eduard Fuchs wollte „dem Kunstwerk das Dasein in der Gesellschaft zurückgeben, von der es so sehr abgeschnürt worden war, daß der Ort, an dem er es auffand, der Kunstmarkt war, auf dem es, gleich weit von seinen Verfertigern wie von denen, die es verstehen konnten, entfernt, zur Ware eingeschrumpft, überdauerte“ (ebd., Bd. II.3, S. 503). Auch die behände Reklame ist allgegenwärtig, nicht nur um das Museum seiner eigentlichen und heutzutage fast einzigen Klientel zuzuführen, nämlich den Massen, sondern auch um den Warencharakter der Ausstellungsgegenstände im Namen der Kultur zu vertuschen, wobei letztere sich natürlich unmerklich in einen neuen Fetisch verwandelt. Diesen Umständen gegenüber stellt sich nun folgendes Problem: Ist es möglich, der Kunst einen Gebrauchswert zuzuschreiben, der zumindest nicht nur wirtschaftlich zu Buche schlüge, sondern gesellschaftlich wirksam würde? Anders gesagt: Wie soll der Kultwert des Ausstellungswerts konzipiert werden, wie soll die zweideutige Dialektik im Stillstand zwischen fetischhaftem Schein und dem Glücksversprechen von Kunst ausgetragen und auf ein neues Leben hin in Bewegung gesetzt werden? Hier mag Brechts Diagnose weiterhelfen. „Ist der Begriff Kunstwerk nicht mehr zu halten für das Ding, das entsteht, wenn ein Kunstwerk zur Ware verwandelt ist, dann müssen wir vorsichtig und behutsam, aber unerschrocken diesen Begriff weglassen, wenn wir nicht die Funktion dieses Dinges selber mitliquidieren wollen, denn durch diese Phase muß es hindurch, und zwar ohne Hintersinn, es ist kein unverbindlicher Abstecher vom rechten Weg, sondern was hier mit ihm geschieht, das wird es von Grund auf ändern, seine Vergangenheit auslöschen, so sehr, daß, wenn der alte Begriff wieder aufgenommen werden würde – und er wird es werden, warum nicht? – keine Erinnerung mehr an das Ding durch ihn ausgelöst werden wird, das er einst bezeichnete“ (Brecht 1977, S. 484). Es geht also keineswegs um das Werk, es geht um seine Funktion und um die Möglichkeit, dass diese Funktion einen Gebrauchswert darstellen könnte, einen gesellschaftlichen Wert also, und eben darum ging es auch Benjamin bei der technischen Reproduzierbarkeit, welche die beiden Begriffe des Kult- und des Ausstellungswertes ja erst hat entstehen lassen. Aus diesem Grund heraus ist die Musealisierung einerseits tödlich für die Kunst, doch ist sie dies andererseits eben gerade deshalb, weil sie den gesellschaftlichen, kultur- und traditionsbildenden Charakter auf ihre Art überakzentuiert und dadurch Kunst gleichzeitig aus der Lebenswelt hinauskatapultiert. Das wirkt sich, wie sich von selbst versteht, auf die Rezeption von Kunst aus, die in Museen ausgestellt wird, doch kann den Besuchern der Museen nur selten ein Bewusstsein dessen zugeschrieben werden, was sie wirklich tun, wenn sie den Ausstellungswert eines Kunstwerkes genießen, vor allem wenn dies in Massen erfolgt, was der musealisierten Kunst keineswegs widerspricht, und eben dies hat am deutlichsten der Faschismus erkannt. Museum und Masse waren ihrer Anlage nach immer schon komplementär und der Faschismus hat nicht nur die Politik ästhetisiert, er hat gleichfalls auch die Kunst politisiert wie nie je eine Machtkonstellation zuvor.

In Bezug auf die Erfahrung des Beobachters kann das Verhältnis von Kultwert und Ausstellungswert folgendermaßen charakterisiert werden: Der Kultwert erheischt die Kontemplation immer wieder desselben Bildes, aus der eine immer wieder neue Erfahrung hervorgeht; der Ausstellungswert hingegen betrifft immer wieder die gleiche Erfahrung mit immer wieder neuen Bildern. Das bedeutet, dass der Gebrauchswert des auratischen Kultbildes nicht nur in der von Benjamin so genannten Urzeit, sondern auch in einem eminent politischen Sinne[3] höher ist als der des ausgestellten Bildes. Denn die Phantasievorstellung oder das kollektive Traumbild von einer besseren Natur, ebenso wie das von einer besseren Gesellschaft, sind von der Aura und von ihrem Scheincharakter nicht zu trennen. Dieser Scheincharakter hat allerdings nichts zu tun mit dem Fetischcharakter und dem ungleichzeitigen Scheinleben toter Gegenstände, sondern mit der Phantasievorstellung einer wirklich übergleichzeitigen, in die Zukunft projizierten Welt. Nicht nur ist diese Form von Schein Antizipation, sondern sie ist Schiller zufolge ebenso notwendig wie der Spielcharakter, um in dem von ihm so bezeichneten ästhetischen Zustand eine derartige neue Welt vorbereiten zu können. Gleiches gilt, wie sich von selbst versteht, für das im Fetischcharakter verborgene Glücksversprechen, das ja an den Vorschein der Kunstwerke gebunden ist und nicht an ihr museales Nachleben. Deshalb kann auf die Aura nicht in unreflektierter Weise verzichtet werden, denn sie ist von jeher der Inbegriff all dessen gewesen, was den Gebrauchswert von Kunst ausgemacht hat: nicht nur Glücksversprechen, sondern vor allem die Schaffung von kollektivem Bewusstsein bzw. das von Benjamin zitierte römische ad plures ire oder das Schöne als „Appell, zu denen sich zu versammeln, die es früher bewundert haben“ (ebd., Bd. I.2, S. 639), aber auch Darstellung dessen, was ist als das, was sein könnte. Deshalb auch zweifelte Benjamin, wie Brecht, an der eigenen, in Teilen allzu positiven Prognose, wenn er der Aura ihre eigene Zertrümmerung diagnostizierte: „Vielleicht ist es notwendig, es mit dem Begriff einer von kultischen Fermenten gereinigten Aura zu versuchen? Vielleicht ist der Verfall der Aura nur ein Durchgangsstadium, in dem sie ihre kultischen Fermente ausscheidet um sich mit noch nicht erkennbaren anzunähern“ (ebd., Bd. VII.2, S. 753). Letztere ersetzen jedoch nicht den Kultwert als solchen, sondern lediglich seine einstige Funktion.

Umgekehrt heißt das aber auch, dass der Tauschwert des Kultbildes niedriger ist, denn es entzieht sich großenteils der warenhaften Zirkulationssphäre. Dies sagt einiges über den zumindest seit dem Wirken von Kunstmagnaten wie Peggy Guggenheim und der fast gleichzeitig mit den Museen entstandenen britischen Versteigerungshäuser existierenden Warencharakter zumal der sogenannten bildenden Künste aus. Hinter dem modernen Begriff des Neuen oder der Neuigkeit versteckt sich denn auch zumindest teilweise die angestrengte Suche danach, dem immer wieder neuen Ausstellungswert erneut einen im einstigen Sinne verstandenen Kultwert zuwachsen lassen zu können. Aber „das Neue ist eine vom Gebrauchswert der Ware unabhängige Qualität. Es ist der Ursprung des Scheins, der den Bildern unveräußerlich ist“ (ebd., Bd. V.2, S. 1246). Deshalb kann diese Suche einzig über den Weg des Tauschwerts erfolgen, der die Gebilde schon von vornherein immer ein wenig mit etwas Totem belegt. Eine vom Kultus befreite und dem Ideal der Schönheit immer weniger verpflichtete Kunst – was dasselbe bedeutet wie: eine immer autonomere und freiere und der Gefahr des Subjektivismus ausgesetzte – ist immer mehr auf ihren Ausstellungscharakter angewiesen, der vom institutionalisierten Museum über temporäre Ausstellungen bis hin zu den Versteigerungen fast bruchlos sich durchhält.

Nun haben allerdings auch ausgestellte Bilder eben gerade kraft ihres Scheincharakters einen eigenen Kultwert, und diese Zweideutigkeit trifft man eben am besten in den Museen an. Der Kultwert eines in einem Museum ausgestellten Bildes besteht darin, dass ihm eben durch die Musealisierung eine traditionsschaffende Funktion zukommt. Eine solche Operation verdinglicht das Kulturerbe, und die so geschaffene Tradition hat ihren ganz eigenen Warencharakter, der ebenfalls den Fetischcharakter mit einschließt. Auf diese Weise wird der potentielle gesellschaftliche Gebrauchswert des Kultwertes, der auch dem ausgestellten Werk eignet, ausgeblendet. Auch die Schaffung einer Tradition nämlich verbleibt, wenn sie in Museen stattfindet, als Ausstellungswert toter Gegenstände im Schein des Fetischcharakters der Werke verfangen. „Indem an Dingen ihr Gebrauchswert abstirbt, werden die entfremdeten ausgehöhlt und ziehen als Chiffren Bedeutungen herbei. Ihrer bemächtigt sich die Subjektivität, indem sie Intentionen von Wunsch und Angst in sie einlegt. Dadurch, daß die abgeschiednen Dinge als Bilder der subjektiven Intention einstehen, präsentieren diese sich als urvergangne und ewige. Dialektische Bilder sind Konstellationen zwischen entfremdeten Dingen und eingehender Bedeutung, innehaltend im Augenblick der Indifferenz von Tod und Bedeutung. Während die Dinge im Schein zum Neuesten erweckt werden, verwandelt die Bedeutungen der Tod in älteste.“[4] In diesem Sinne ist das dialektische Bild, das von in einem Museum ausgestellten Werken dargestellt wird, zu definieren als objektiver, gegenständlich-bildhafter Charakter einer subjektiven Form der Sinngebung, deren Bewusstseinsstruktur eben deswegen – als Konstellation von subjektiven Bedeutungen, die auf objektive Gegebenheiten projiziert werden – kollektiv ist. Subjektive Sinngebung, entfremdete und vom Glücksversprechen angezogene Erfahrung mit museal ausgestellter Kunst und fetischhafter Scheincharakter der ausgestellten Werke ohne Gebrauchswert verschränken sich in diesem dialektischen Bild, dessen Stillstand nun in Bewegung zu setzen ist. Das haben wohl – jeder auf seine Weise – Andy Warhol mit seinen Produktionen, vor allem aber Marcel Duchamp an der musealen Kultur wahrgenommen. Die spezifisch museale Vermittlung nämlich verändert, wie gesehen wurde, das Verhältnis zwischen traditionsschaffendem Bild und Publikum bis hin zur Perversion. Denn die Lebenszeit der ausgestellten Werke ist verstrichen, sie sind aus ihrem Lebensfluss hinauskatapultiert worden und ihre neue Zeitlichkeit ist folglich auch die des Todes. Die Indifferenz jedoch zwischen Tod und Bedeutung, Entfremdung und Subjektivität, Angst und Wunsch könnte das zur Erscheinung kommen lassen, was als Kultwert des Ausstellungswertes zu bezeichnen wäre. Der Tod nämlich ist weder Ziel noch einfach Abbruch, sondern vielmehr Schwelle, und dadurch trägt er maßgeblich – ebenso wie der Fetischcharakter – zur Zweideutigkeit und zum Scheinhaften alles Musealen bei, was allerdings wirkliche Gleichzeitigkeit immer auch prinzipiell unmöglich werden lässt. Dementsprechend ist die durch Musealisierung geschaffene Tradition in gewissem Sinne der sogenannten zeitgenössischen Kultur gegenüber immer auch gegenläufig, wenn man Kultur betrachtet als Schaffung eines gleichzeitigen gemeinsamen Bewusstseins oder – wie Nietzsche es ausdrückt – eines gemeinsamen Empfindens. Was auf dieser Seite des Verhältnisses von Werk und Beobachter der museal geschaffenen Tradition entspricht, ist denn auch keine aus ihrem Inneren heraus strukturierte Kollektivität, sondern einzig eine formlose Masse unverbundener Einzelner, welche ihrerseits wiederum von jeder beliebigen äußeren Macht manipuliert werden kann.

Nun kann allerdings diese Zweideutigkeit dialektisch gewendet werden und der Kultwert des Ausstellungswertes kann auf punktuelle Weise immer wieder von neuem Form annehmen dadurch, dass in ihr Akzente gesetzt werden. Auf diese Weise kommt der Doppelrhythmus zustande, den Benjamin als Ursprungsphänomen oder eben als dialektisches Bild bezeichnet. „Der Ursprung steht im Fluß des Werdens als Strudel und reißt in seine Rhythmik das Entstehungsmaterial hinein. Im nackten offenkundigen Bestand des Faktischen gibt das Ursprüngliche sich niemals zu erkennen und einzig einer Doppeleinsicht steht seine Rhythmik offen. Sie will als Restauration, als Wiederherstellung einerseits, als eben darin Unvollendetes, Unabgeschlossenes andererseits erkannt sein. In jedem Ursprungsphänomen bestimmt sich die Gestalt, unter welcher immer wieder eine Idee mit der geschichtlichen Welt sich auseinandersetzt, bis sie in der Totalität ihrer Geschichte vollendet daliegt“ (ebd., Bd. I.1, S. 226). Hierdurch wandelt sich die bildlich scheinhafte ewige Wiederkehr des Gleichen, welche den Ausstellungswert betrifft, in eine musikalische ewige Wiederkehr des immer wieder Neuen, die nun auf andere Weise als Kultwert charakterisiert werden kann. Diesem dialektischen Doppelrhythmus entspricht denn auch die Zeitauffassung in der Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anhand von Strawinskys Sacre du Printemps hat Olivier Messiaen herausgearbeitet, dass Zeit unabhängig von anderen Dimensionen (Melodik, Harmonik) konstruktiven Prozeduren unterworfen werden kann. Der Sinn von Musik bestünde demnach darin, dass Zeit konstruiert werden kann und dass der Komponist ihr nicht – wie in der Vergangenheit – als innerer, psychologischer Zeit einfach unterliegt. Man spricht hier von einer Musik der rational konstruierten Zeit, die kein neutraler Behälter ist, der vom Komponisten mit Klangereignissen angefüllt wird. Im Anschluss hieran bildet sich die pluralistische Zeitauffassung der postseriellen Musik aus, wie etwa die Stockhausens. Zeit wäre demnach nicht nur teleologisch ausgerichteter Prozess, sondern ebenfalls Konstruktion einer Konstellation, deren verschiedene Konfigurationen – wie Benjamins Ursprungsphänomene – auf eine ursprüngliche Form zurückgeführt werden können: Musik als teleologischer Prozess und als ewige Wiederkehr des immer wieder Neuen. Analog dazu muss auch das Museum nicht als neutraler Behälter aufgefasst werden, sondern als eine zu konstruierende Konfiguration, deren Ziel nicht so sehr allein in der Bildung von Tradition besteht, als vielmehr darin, immer wieder von neuem Kultur und Gleichzeitigkeit zu schaffen, wodurch es sich virtuell natürlich auch gleichzeitig aufhöbe. Denn es müsste in einer Selbstreflexion aus sich herausgehen und in der Lage sein, nicht eine fetischisierte Öffentlichkeit in den eigenen Räumen als immer wieder private zu versammeln, sondern umgekehrt den musealen Raum als kollektive und bewusste Öffentlichkeit zu konstruieren; dies würde sich dann natürlich auch auf die in diesen Räumen konstruierte Zeit, d. h. auf die jeweils herrschende Tradition auswirken. Bei einer solchen Operation allerdings ist es von höchster Notwendigkeit, auf Folgendes tief und aufmerksam zu reflektieren: „Es ist in der Tat nicht an der Zeit, das was wir, wohl nicht ganz mit Unrecht, in Händen zu halten glauben, in Kiosken zur Schau zu stellen; vielmehr scheint es an der Zeit, an seine bombensichere Unterbringung zu denken. Vielleicht liegt die Dialektik der Sache darin: Der nichts weniger als glatt gefügten Wahrheit ein Gewahrsam zu geben, das glatt gefügt ist wie eine Stahlkassette“ (Benjamin 1999, S. 457f.).

Einzig auf diese Weise kann die Zweideutigkeit museal ausgestellter und durch ihren partikularen Kultwert hindurch Tradition begründender Werke dialektisch akzentuiert auf den Todespunkt hingetrieben werden – den Benjamin als Todeskrisis bezeichnet[5] – und zwar dadurch, dass sie als Ursprungsphänomen fruchtbar gemacht wird. Immer wieder dasselbe Werk bestärkt hierdurch im Beobachter nicht nur eine vergangene Tradition auf immer wieder neue Weise, wie vormals der Kultwert. Durch die Wiederherstellung wird vielmehr gleichzeitig auch Neues geschaffen, das Kontinuum der Tradition wird momentan unterbrochen, um einer neuen Sinnkonstellation Platz zu machen. Zeit und damit Geschichte und Kultur wären nicht mehr neutrale Behälter, die mit Ereignissen auszufüllen wären; es geht vielmehr darum, sie zu konstruieren: Zeit und Geschichte als Resultat menschlicher kultureller und politischer Taten. Hegels Klassische Kunst als von der Moderne geschaffene und von ihr immer wieder neu zitierbare und in den jeweiligen Zeitgeist übersetzbare bzw. aktualisierbare Tradition gehört hierher ebenso wie Hölderlins Antigone-Übertragung oder die Parodie in Luciano Berios Sinfonia und die ironische Tragik in Becketts Endspiel. Dies jedoch ist einzig durch künstlerisches Schaffen, Wiedererschaffen, Umbilden, Übersetzen und Aktualisieren möglich, was die Musealisierung jedoch im Grunde ja immer wieder auch versucht zu verhindern. Ein derartiges Schaffen ist jedoch nicht geradehin konstruktiv, sondern involviert immer auch destruktive Momente. Nicht nur Nietzsches „Was fällt, das muß man auch noch stoßen“ bringt dies zum Ausdruck, sondern auch – in einem nicht nur rhetorisch interessanten, sondern mehr noch rein poietischen, bildnerischen Sinne – gewisse Vorgehensweisen in der Musik des 20. Jahrhunderts. Luciano Berio hat dies folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: Die vergangene klassische Zeitauffassung ging davon aus, dass jedes Klangmoment, aber auch jede musikalische Form ein dynamisches Potential besitzt, das durchgeführt wird und dadurch seine Entelechie ausbreitet; demgegenüber solle man – so Berio – nicht nur traditionelle Formen zu ihrem Ende bzw. ihrem Ziel kommen lassen, sondern man solle auch bewirken, dass sie aufhören. Kulturelle Arbeit besteht eben nicht allein in der Schaffung eines Sinnkontinuums, d. h. von nahtlos an vorgegebene Traditionen anknüpfenden Veranstaltungen, sondern auch in der Fähigkeit, diese scheinhafte Kontinuität unterbrechen zu können, um die zweideutige Zeitlichkeit musealer Gegenstände im todesträchtigen, dadurch aber gleichzeitig auch ewigen Augenblick umschlagen zu lassen in kollektives, öffentliches, aktives Bewusstsein bzw. ihr sterbendes Scheinleben in neues Leben.

Das gilt vor allem in Zeiten einer bestimmten technischen Reproduzierbarkeit, wo scheinbar alles an traditioneller Kultur Vorhandene immer schon zur Verfügung steht, denn die technisch möglichen Formen der Ausstellung ebenso wie die wirtschaftlichen, an den Ausstellungswert geknüpften Interessen entscheiden über die Art der Ausstellung. Die sogenannte zeitgenössische Kunst tut nichts anderes, als diese universale Verfügbarkeit auch der eigenen, noch nicht standardisierten Erzeugnisse massenhaft zu vervielfältigen. Die Vorstellung, alles sei durch die Digitalisierung ebenso ewig wie immer und überall verfügbar, ist Schein und blockiert jedwede Erneuerung von Kultur mindestens ebenso wie der konservative Charakter der Museen. Die jeweilige Tradition jedoch, wenn sie eine lebendige ist, wird ausgewählt und nicht einfach nur akzeptiert; dies kann zum Untergang anderer Traditionen führen. Denn damit eine Tradition innerhalb einer gegebenen Gegenwart wirklich fruchtbar werden kann, muss sie das enthalten, was Berio mit Italo Calvinos Metapher einer Erinnerung an die Zukunft bezeichnet hat: einen Moment, in dem eine mögliche Zukunft sich wiederzuerkennen vermag, weil er als eine solche Erinnerung immer schon in die Zukunft projiziert war (vgl. Berio 2006). Dies hat denn auch nicht zuletzt Hegel mit der Konzeption der Klassischen Kunst zum Ausdruck gebracht, denn vor allem das Bürgertum hat ebendies immer wieder getan, angefangen bei der Selbstbezeichnung seiner eigenen Kultur als Renaissance und der Fremdbezeichnung der anderen als Mittelalter, d. h. der Zeit, die es von der wirklichen Kultur trennt und die deshalb übersprungen werden muss. Dieser womöglich etwas willkürlich anmutende Umstand, Kultur und damit Zeiten auswählen zu können, stellt nicht nur ein kritisches Moment dar, das eine Krisis herbeiführen kann; er deutet ebenso sehr auf etwas Wesentliches hin, was die in Museen geschaffene scheinhafte Zeitlichkeit immer wieder zu verhindern sucht, nämlich auf den Wunsch, Zeit anhalten zu können. Hierin treffen die innersten Absichten der Kunst, der Revolution oder auch nur des Festes, das ja seit jeher eng an den Kultus gebunden ist, zusammen. Gelänge es, dann schlüge die ungleichzeitige, zweideutig über der Schwelle des Todes schwebende und auf Dauer und Kontinuität ausgerichtete Zeitlichkeit musealer Gegenstände um in die punktuelle des wirklichen, sich selbst immer gleichzeitigen Todes, an dem – wie Hölderlin es seinen Empedokles aussprechen lässt – zuletzt das Leben sich entzündet, was auf das Übergleichzeitige hindeutet. Die scheinhaft kontinuierliche Zeitlichkeit der verdinglichten, fetischhaft ausgestellten Werke könnte so aufgesprengt werden und der unvollständige Charakter eines jeden Werkes, sein Vorschein, durch den ein jedes von ihnen den durch und durch fragmentarischen und unabgeschlossenen Charakter der Kulturgeschichte, ebenso wie den der politischen und gesellschaftlichen, offenlegt, käme auf diese Weise zutage. Diese kritische Zeitlichkeit würde sich im punktuellen Augenblick konzentrieren und auf ein geschichtliches Aufwachen hindrängen, dem allein sich der Horizont auf die nicht mehr scheinhafte Ewigkeit öffnen könnte. Diese Zeitlichkeit ist nicht allein die der Krise, sondern auch die der Katharsis: Durch ihre Verbindung mit dem Element des Todes zusammen mit dem der Krisis führt sie zu Ende und reinigt, wodurch gleichzeitig der Blick frei würde für das vollkommen Andere, ein wirkliches Werden, dem die Scheinhaftigkeit des Weihrauchs sich zu Göttern wandeln würde, denen gegenüber der Kult das wirklich beträfe, was er im Grunde immer zum Ziel hatte: den Menschen als solchen. In ähnlicher Weise dachte auch Hegel von der neuen Kunst, dass ihr Zentrum nun nicht mehr einzelne bestimmte Formen und Inhalte seien, sondern der Mensch als solcher in seiner ganzen Breite und Tiefe. Mit den Worten Benjamins, die gleicherweise für die Arbeit an der Kultur gelten: Die Revolution ist nicht – wie Marx dachte – die Lokomotive der Geschichte, sondern der verzweifelte Versuch der in diesem außer Kontrolle geratenen Zug sitzenden Menschheit, die Notbremse zu ziehen. Hierzu jedoch bedarf es außer der Verzweiflung, wie Hegel erkannt hat, der List.

Literatur

Benjamin, W. (1980-1989): Gesammelte Schriften, hg. von R. Tiedemann/H. Schweppenhäuser. Frankfurt/M.Search in Google Scholar

Benjamin, W. (1999): Gesammelte Briefe. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Bd. V, 1935-1937, hg. v. Ch. Gödde/H. Lonitz. Frankfurt/M.Search in Google Scholar

Berio, L. (2006): Remembering the Future. Cambridge.10.2307/j.ctv1nzfghqSearch in Google Scholar

Brecht, B. (1977): Versuche. Frankfurt/M.Search in Google Scholar

Ophälders, M. (2013): Hegel. The Death of Art and the Tragedy of Living. In: Studi Germanici, Nr. 2, S. 91-117. Rom.Search in Google Scholar

Ophälders, M. (2015): Tod der Kunst und Zertrümmerung der Aura. Ambivalenzen des Endens. In: Vieweg, K./Iannelli, F./Vercellone, F. (Hg.), Das Ende der Kunst als Anfang freier Kunst, S. 215-230. Paderborn.10.30965/9783846758557Search in Google Scholar

Published Online: 2017-8-26
Published in Print: 2017-8-28

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