Home Ausstellungsverwertung – Kunst zwischen Konserve und Kapital
Article Publicly Available

Ausstellungsverwertung – Kunst zwischen Konserve und Kapital

  • Ludger Schwarte
Published/Copyright: August 26, 2017
Become an author with De Gruyter Brill

Abstract

Im Gegensatz zum Sammeln, Aufbewahren und Vorzeigen von Sammlungsgegenständen setzt das Ausstellen eine andere zeitliche Orientierung durch und damit andere Techniken zur Definition kultureller Identität. Der Beitrag untersucht die Konsequenzen, die sich angesichts der Musealisierung und der neuen technischen Bedingungen des Ausstellens für die Bildende Kunst ergeben.

I.

Nicht alle Lebewesen neigen dazu, Dinge zu sammeln und aufzubewahren. Es ist nicht unbedingt ein Ausweis von Intelligenz, auf Vorrat zu leben, beweist jedoch zumindest einen ausgeprägten Sinn für räumliche Differenzen und zeitlichen Wandel. Sammlungen schaffen räumliche und zeitliche Ordnungen zwischen zerstreuten Dingen. Es muss sich dabei um keine Ordnung handeln, die bewusst angelegt wurde oder sich Außenstehenden erschließt. Womöglich ergibt sie sich erst aus dem, was mehr oder minder zufällig gesammelt wurde. Wenn eine Sammlung aufbewahrt, einordnet und sich vervollständigt, errichtet sie auch einen idealen sozialen Ort, eine Heterotopie, die den Bedingungen der Veränderung, des Verfalls oder Verbrauchs außerhalb der Sammlung tendenziell entzogen ist. Aber auch eine Müllhalde, ein nukleares Entsorgungszentrum oder eine Kloake sind Sammlungen von etwas, das ausgegrenzt, unter Verschluss gehalten oder vernichtet werden soll. Wenn eine Sammlung Dinge bewahrt, gegenwärtigt sie das, was andernfalls vergangen oder verbraucht wäre, sie errichtet ein räumliches Gedächtnis und sorgt für die Zukunft vor. Das Gesammelte hält das bereits Gewesene präsent und beeinflusst dadurch die Wahrscheinlichkeit günstiger zukünftiger Ereignisverläufe. Schon als Aufbewahrungsstätten und erst recht als Präsentationen einer temporalen Ordnung stellen Sammlungen sich der Zeit des Verbrauchs und des Verfalls entgegen. Diese Art von Heterochronie, in der das Vergangene der Gegenwart zugänglich bleibt und das, was geschehen kann, bestimmt, führt einen grundsätzlichen Unterschied in die Kulturen des Sammelns ein. Denn wenn zunächst hauptsächlich Gegenstände gesammelt wurden, um sie später zu verbrauchen, und sodann Gegenstände, die, aus anderen Räumen stammend, selten, einzigartig oder vollendet waren, dann setzt sich nun eine Sammlung von Gegenständen durch, die in höchstem Maße gleichförmig und seriell sind, die an sich keinen Verbrauchswert haben, sondern erst in Zukunft etwas werden oder bewirken oder sich vermehren können. Die ausgeprägteste Form einer solchen heterochronen Sammlung ist bekanntlich die Kapitalakkumulation. Und auch eine negative Akkumulation, ein Schuldenberg, ist eine solche Sammlung.

Prinzipiell bildet auch etwas Einzelnes, das in dieser Weise ausgesondert wird, eine Sammlung, insofern es das Grundelement in einer möglichen Serie markiert und eine durch Erinnerung oder Antizipation ergänzte Integrität aufweist, aufgrund derer dieses Einzelne herausgenommen, bewahrt und aufgeschoben wird, anders als beispielsweise Dinge, die für einen bestimmten Zeitraum im Kühlschrank gelagert werden.

Die Einordnung in eine Sammlung ist die statistisch-archivarische Seite des Exponats. Etwas wird nur als Teil einer Sammlung ausgestellt, als Exemplar, dessen Eigenschaften stellvertretend getestet werden oder in einem Archiv verwaltet, als Teil einer parametrisierten Wissensordnung. Die Sammlung ästhetischer Dinge befindet sich im Lager. Diese Beziehung von Ausstellung und Lager wird institutionalisiert als Museum und Depot. Im Depot lagern die Objekte als akkumulierte Ausstellungswerte.

Das Sammeln ist eine Variante, komplexe Objekte zu erfinden, mit denen Zeit und Raum sinnlich wahrnehmbar, manifest gemacht, verdichtet und manipulierbar werden.

Vielleicht gibt es unendlich viele Weisen und Zwecke des Sammelns, des Erfindens, Markierens und Zusammenstellens komplexer Objekten, des Einrichtens räumlicher Strukturen, des Verdichtens und Bearbeitens von Zeit mithilfe derartiger Objekte. Diverse Sammlungssysteme sind daraufhin untersucht worden, wie es ihnen gelingt, anhand von Objekt-Serien Geschichte zu erzeugen und Zeit kulturell auf nicht-reduzierbare Weise zu organisieren. Dennoch scheint die Aktivität des Sammelns nicht nur die Zerstreuung der Aufmerksamkeit auf das mannigfaltige Mögliche, dann die Bewegung, die Fokussierung, die Interaktion, das Auswählen und Prüfen und schließlich auch die innere Sammlung im Moment der äußeren Einfügung von etwas in die Sammlung zu umfassen, sondern auch und vor allem die Akkumulation von Zeiteinheiten. Diese Bewegung vollziehen auch all diejenigen nach, die in eine Sammlung eintreten, um sie sich als verdichteten Zeitraum anzuschauen.

Unter den Weisen des Sammelns stechen zwei unterschiedliche temporale Ausrichtungen hervor, die es erlauben, eine unreine, ökonomische, von einer reinen, ästhetischen Weise des Sammelns zu unterscheiden, wenn man Manfred Sommer folgt:

Ökonomisch also wird das Sammeln, indem es zur Optimierung der Vernichtung in Dienst genommen, funktionalisiert, instrumentalisiert wird. Eingespannt in den ökonomischen Kontext ist das Sammeln gleichsam sich selbst entfremdet. Das zeigt sich, sowie man es aus der Funktion löst, die es im Wirtschaften hat […]: Was bislang bloß Aufschub brachte, zeigt sich jetzt als Dauer; was bislang nur Verzögerung bewirkte, erweist sich jetzt als Beharrung; was bislang das Verschwinden nur verlangsamt hatte, tritt jetzt offen zutage als ein ständiges Bleiben. Für das auf solche Weise funktionslos gewordene, von den Retardierungspflichten befreite Sammeln ist das Beisammensein des Gesammelten also kein episodischer, sondern ein permanenter Zustand. Was gesammelt worden ist, endet nicht in einem – wenn auch verzögerten – Übergang zur Vernichtung, sondern verharrt in unbefristetem Fortbestand. (Sommer 1991, S. 51)[1]

Wenn sich aus dem ökonomischen Aufsparen ein Für-sich-selbst-Dastehen-Lassen, aus dem Aufschub der Vernichtung eine Dauer entwickelt, so geschieht dreierlei: „die Befreiung der Anschauung von begrifflicher Gängelung, die Emanzipation des Sammelns aus ökonomischer Dienstbarkeit und die Entdeckung des Sehenswerten inmitten des Brauchbaren“ (ebd., S. 52). Damit die Anschauung vor etwas verharren kann, das sich allein schon deshalb nicht vollständig einem Begriff unterordnet, weil es diesen so mustergültig erfüllt, dass es zum Prototyp für den Begriff avanciert, muss es nicht nur gesammelt, sondern als Ding inmitten von Dingen auf Dauer zur Schau gestellt werden:

Dieses Sammeln in Reinstform finden wir dort vor, wo Sehenswertes zusammengetragen wird, das gar nicht existieren würde, wenn wir nicht schaulustige Wesen wären; Dinge also, die nicht allein sehenswert sind, sondern die eigens und ausschließlich um unserer Schaulust willen hergestellt wurden. Sehenswert ist ja […] vor allem auch derjenige Gegenstand, der einen bestimmten Begriff mustergültig exemplifiziert […]. Auch unter den vielen anschauungswürdigen Dingen gibt es welche, die diesen Begriff paradigmatisch darstellen, Dinge, die als Musterexemplare des Sehenswerten gelten können. Diese Paradigmen des Sehenswerten sind die Werke der Kunst: Dinge, die einzig und allein hervorgebracht wurden, damit wir sie mit ästhetischer Lust betrachten können. (ebd., S. 83)

Legein“ heißt im Griechischen Sammeln, Auflesen und Legen. Das Auflesen bestimmt den Logos. Versammlungen bilden Kollektive. Das Sammeln bildet einen Sinn für das Passende, das Angemessene; es selegiert das Konforme und diskriminiert das, was nicht in die Ordnung passt; es bringt das berechnete Ereignis mit der symbolischen Zeitordnung in Übereinstimmung und produziert sodann neue Ereignisse. Das Sammeln steht dem Neuen und Unbekannten feindlich gegenüber und ist doch, so Boris Groys, die Voraussetzung seiner Produktion:

Die Museen des 19. Jahrhunderts waren von Anfang an […] ästhetisch sehr heterogen. Sie enthielten unterschiedlichste Beispiele europäischer, chinesischer, japanischer oder ägyptischer Kunst. […]. Die innere Struktur der musealen Sammlungen, in der jede historische Epoche durch einen nur für sie spezifischen ästhetischen Stil repräsentiert worden war, [verlangte] nach der Produktion neuer historischer Stile. Die historistische Logik der musealen Sammlungen selbst hatte nach einer anderen, innovativen, alternativen Kunst verlangt, um diese Sammlungen zu erweitern […]. Die Kunst der Avantgarde wurde dagegen von Anfang an im Blick auf ihre potentielle Position im historischen Vergleich produziert […]. Nicht die neue, außermuseal entstandene Kunst wird mit der alten Kunst verglichen, sondern der Vergleich findet vor dem Entstehen der neuen Kunst statt – und produziert überhaupt erst diese neue Kunst. Die Kunst der Avantgarde ist Produkt eines solchen musealen Vergleichs. (Groys 1997, S. 28-30)

Als Produkt des Sammelns und Lagerns schleppt jeder Mensch seinerseits eine Sammlung von Dingen oder Vorzeichen von Dingen (Kapital) mit sich herum und hinterlässt diese. In allen kulturellen Formationen wuchern die Werte, die Nachlässe und Testamente; die Anweisungen von zu bewahrenden Andenken und Güter, die die jeweilige Kultur auszumachen scheinen, und die Programmierungen von Zukunft, die über Ausstellungen eines abstrakten Begehrens funktionieren, legen die Auftrittsfläche möglicher Ereignisse fest. Die Identität wird durch die Tradition, die Weitergabe von Ordnungen, durch die Instrumentalisierung dessen, was erst noch geschaffen werden muss, bestimmt. Ein kulturelles Gedächtnis wird durch die Sammlung derartiger Objekte konstruiert.

Die symbolische Zeitordnung wird dadurch zum bestimmenden, identitätsstiftenden Faktor. Musealisierung kann man den Prozess nennen, durch den alles, was ist, seine Existenzberechtigung aus einer Heterochronie ableitet, beispielsweise, indem es sein Herkommen bzw. seinen Platz im Rahmen einer historischen Erzählung erweist.

Musealisierung greift in die Zukunft aus: Was auch immer geschehen wird, soll von der dargestellten Vergangenheit, genauer: von der musealen Zeitordnung bestimmt werden. Die Art der Bestimmung ist allerdings die Differenzierung: das, was entsteht, kann nur als eine wiederholte Unterscheidung, eine Differenzierung der Vergangenheit erscheinen. Die Zukunft wird ins Integral der Dauer einberechnet und von der Virtualität der Vergangenheit aus programmiert. Auf diese Weise vorgezeichnet und handhabbar gemacht, wird sie in die Gegenwart investiert als Teil einer geschichtlichen Veranstaltung, die der Gegenwart vorgehalten wird und sie dadurch konditioniert. Die Kunst der Avantgarde, so wie Boris Groys sie beschreibt, ist in diesem Museumsdispositiv der Wechsel auf die Zukunft, der Optionsschein, mit dem zukünftige Verläufe der Kunstgeschichte jetzt schon kapitalisierbar werden.

Aus der Ordnung vergangener Konstellationen konstituiert die Musealisierung Zeit als kulturellen Wert. Zugleich wird die Abfolge als Nachfolge instauriert: Zeit wird zugleich als Maß und als Ursache von Veränderung postuliert. Damit wird genealogisches Denken hegemonial; die Vorvergangenheit wird als dominantes Ordnungsprinzip der Gegenwart operationalisierbar gemacht. Die Zeit strukturiert die Reihenfolge und Erscheinungsform sukzessiv enthüllter, virtuell koexistierender Objektkonstellationen.

Zwischen dem Müll, der nicht vergehen will, und dem Museum, das die Dinge künstlich am Leben erhält, liegt nicht nur die normierte Lebensdauer der Dinge in der ökonomischen Zirkulation, sondern auch die Ausstellung als Vorführung und Innervation der Norm.

Wer in ein Museum geht, sieht dort in die Regel; die Höhepunkte der permanenten Sammlung stellen die Regeln der Permanenz aus. Andere Objekte lagern im Depot. Die Objekte werden als prototypische Objekte statuiert, aus der Sammlung geholt, und markieren eine temporale Differenz innerhalb einer kulturelle Identitäten affirmierenden Erzählung.

Beliebige Objekte können in einem geeigneten Ausstellungskontext zu ästhetischen Sensationen werden. Menschen, die ausgestellt werden (in den Weltausstellungen des 19./20. Jahrhunderts, oder im „Musée de l’homme“), werden, ihrer Personalität entkleidet, als Dinge, genauer: als Produkte einer spezifischen Zeitkultur, präsentiert.

II.

Wie und in welchem Rahmen ein Ding präsentiert wird, bedingt, ob dieses als ästhetische Sensation, als kommerzieller Wert oder als künstlerisches Ereignis gelten wird. Diese Präsentation unterscheidet sich vom Gewärtigen, vom Gegenwärtigsein wie auch von der mediatisierten Vergegenwärtigung. Die Präsentation hebt das, was sie präsentiert, gegenüber dem schon Gegenwärtigen heraus. Etwas, das einfach nur sichtbar gemacht wird, wird dadurch nicht ausgestellt. Aus der schlichten Präsenz und Wahrnehmbarkeit von etwas im öffentlichen Raum folgt noch nicht, dass dieses Etwas dort ausgestellt ist. Bäume am Straßenrand, Statuen an den Fassaden von Kathedralen, Wandgemälde, Poster auf Litfaßsäulen oder Graffitis werden nicht ausgestellt. Was heißt ausstellen?[2]

Die vielen verschiedenen Arten von Ausstellungen,[3] die es gibt, lassen sich vielleicht in drei Bereiche sortieren: ökonomische (Warenausstellungen, Kunstmessen), didaktische (Geschichtsausstellungen, Technikausstellungen, Weltausstellungen) und ästhetische (kulturelle Sensationen, Kunstausstellungen).

Die Kunstausstellung von der didaktischen und der Verkaufsausstellung kategorial trennen zu wollen, mag zunächst historisch nicht einleuchten: Aus den Sammlungen, den Kunst- und Wunderkammern, gehen die Verkaufsausstellungen hervor, deren Präsentationstechniken von den Salons des 18. Jahrhunderts übernommen werden. Die Herkunft der Kunstausstellung aus den handwerklichen Verkaufsausstellungen im Italien der Renaissance, die Emanzipation des Kunstpublikums im Zuge der ersten Salons (ab 1747) und die Gründung des Louvre als Kunstmuseum 1793 markieren wichtige historische Schritte, die zur Herausbildung dieser spezifisch künstlerischen Ausstellungslogik geführt haben. Transformieren sich ästhetische Objekte durch den Akt der Ausstellung in Kunstwerke, so funktioniert dies nur in Abhängigkeit von einem historisch sehr spezifischen kulturellen Kontext. Das Ausstellenkönnen gehört nicht zur vermeintlichen anthropologischen Grundausstattung.

Kaum ein Exponat auf einer merkantilen oder didaktischen Ausstellung wird ästhetisch komplett anspruchslos sein. Sammlungen von Kultgegenständen, wissenschaftlichen Instrumenten, Schmetterlingen oder Geheimdienstakten entfalten je nach Ausstellungskontext andere Evidenzen. Wenn man auch probeweise ihren Nutzen testen kann, so kommt doch auch bei solchem Testen kaum der wirkliche Nutzen, der Gebrauchswert, zur Geltung, als vielmehr die Aufmerksamkeit erheischende Gestaltung. Sie bannt die Betrachter mit dem Versprechen auf zukünftige Effekte.

III.

Zu den institutionellen Rahmenbedingungen der Kunst zählen die Ausstellung und das Museum. Manche zählen das Einrücken eines Gegenstands in diese Institutionen zu den entscheidenden Faktoren, die aus einem beliebigen Gegenstand ein Kunstwerk machen. Nach George Dickie gibt es kein denkbares gemeinsames Merkmal aller Kunstwerke oder ästhetischen Gegenstände, durch die sich diese formal von nicht-ästhetischen Gegenständen, beispielsweise von Müll, unterscheiden ließen. Folglich wäre es nichts anderes als der institutionelle Rahmen, der etwas zu einem Kunstwerk macht.[4] Doch was ist eine Kunstinstitution – das Museum, eine Galerie, ein Atelier, ein Friseurladen, bei dem ich etwas aufhänge? Oder die Müllhalde, die sich in Palästen im Laufe der Zeit ansammelt? Die Antwort wäre: Was auch immer als Kunstinstitution in einer Kultur zählt, ist verantwortlich dafür, aus allem möglichen dasjenige auszuwählen und mit künstlerischem Wert auszuzeichnen, was in dieser Kultur als Kunst zählt. Analog ist für Arthur Danto etwas ein Kunstwerk, wenn es in der Kunstwelt als solches gilt: Wer auch immer die Kunstwelt repräsentiert, tauft etwas durch eine Interpretation zum Kunstwerk.[5]Warum sollte ich aber dieses Urinoir bestaunen und nicht jenes andere, warum diese Suppendose und nicht jene, identische, die im Supermarkt steht? Weil ich nur in der Kunstwelt das Objekt plus die darin investierte Interpretation vor mir habe. Die Suppendose im Supermarkt ist nicht mit der Suppendose im Museum identisch. Um welche Objekte geht es aber innerhalb der Institution? Denn Lampen und Ledersofas sind auch aufgrund ihrer ästhetischen Eigenschaften in Museen aufgestellt worden, ohne dadurch zu Kunstwerken zu werden. Man hat sie womöglich auch als ästhetisch wertvolle Objekte, wenn auch nicht als Kunstwerke, interpretiert. Der Unterschied zwischen Objekten, die in Museen und Galerien einfach nur stehen, weil sie dort aufgestellt worden sind, und solchen, die dort ausgestellt worden sind, ist oft nicht leicht zu bemerken. Es handelt sich aber prinzipiell um eine wahrnehmbare Differenz zwischen Ausstellen und Aufstellen.

Sicher ist es auch eine Frage des Kontextes und der Pragmatik: So hat die Venus von Milo eine andere Erscheinung und eine andere Bedeutung, wenn sie im Louvre steht oder in einem archäologischen Museum in Griechenland. Doch ebenso macht es einen Unterschied, ob sie auf einem Podest oder an der Wand steht, ob man auf sie herabsehen, um sie herum gehen oder sie gar anfassen kann. Drei Fragen ergeben sich: Wie geht das überhauptetwas ausstellen? Was passiert mit einem Ding, wenn es ausgestellt wird? Und: Was passiert mit einem Kunstwerk, wenn es in ein Museum eingeordnet wird?

Etwas wird nicht ausgestellt, nur weil es in einer Ausstellungshalle, in einer Galerie oder in einem Museum steht. Eine ganze Anzahl von Objekten steht dort in auffälliger Weise platziert herum (z. B. Kassen, Stühle, Sofas, Getränkeautomaten), von denen niemand den Eindruck hätte, dass sie ausgestellt worden wären. Solange Kunstwerke noch aufgebaut werden, oder nachdem die Ausstellung geschlossen ist, stehen sie dort, aber werden nicht ausgestellt. Zunehmend stehen die Kunstwerke in Ausstellungen und Museen zwischen allerlei anderen ästhetischen Objekten, die dort zu Verkaufs- oder Konsumzwecken aufgestellt werden. In Reinform ist das Ausstellen aber kein Anbieten: Hier wird keine instrumentelle, perzeptive oder konsumistische Eignung vorgezeigt wie bei Waren, die zum Verkauf präsentiert werden, oder bei Instrumenten, Möbeln oder dergleichen, die sich ebenfalls in Schauräumen befinden mögen.

Ästhetische Objekte werden nicht dadurch zu Kunstwerken, dass sie in eine Sammlung von Kunstwerken oder in ein Museum integriert werden. Es ist nicht die „Selektion“, die eine künstlerische Geltung verleiht, denn diese ist eventuell noch Teil eines Entstehungs- bzw. Produktionsvorgangs; vielmehr unterscheidet sich ein Kunstwerk von irgendeinem anderen Artefakt vor allem dadurch, dass es im Licht der Öffentlichkeit am Kunstbegriff bemessen wurde (durch Interpretation, Kommentar und Kritik).

In der jüngeren Ästhetik gibt es verschiedene Ansätze, denen zufolge bestimmte performative Akte aus einem beliebigen ästhetischen Gegenstand ein Kunstwerk machen; entweder durch Institutionalisierung (Dickie), durch eine interpretierende Taufe in der Kunstwelt (Danto), durch „Interpretation, Kommentar und Kritik“ (Adorno) oder durch die Aufführung (Fischer-Lichte). Ergänzend dazu ist es meine These, dass der Akt des Ausstellens als derjenige Akt zu analysieren ist, der im Bereich der Bildenden Kunst ein Äquivalent der Aufführung ist. Ist das Ausstellen ein Zeigen? Ein Anbieten? Oder ein Entrücken?

Genau wie der Akt der Taufe jemandem einen Namen verleiht oder wie die Aufführung gleichsam aus dem Nichts ein Theater- oder Musikereignis hervorbringen kann, lässt der Akt der Ausstellung irgendetwas zu einem ästhetischen Objekt werden, das gute Chancen hat, von Kunstliebhabern sehr gründlich und etwas verzückt angesehen zu werden. Anders gesagt: Eine Skulptur, die niemand gesehen hat, ein Gemälde, das in einem Tresor verschwindet oder eine Installation, die niemand bemerkt, wird man als Versuche wertschätzen können; doch erst wenn sie zur Kenntnis gebracht, aufgeführt oder ausgestellt werden, können sie als Kunstwerke gelten.[6]

Der Akt der Ausstellung gelingt, wenn er einer Sache oder Situation Bedeutung verleiht, wenn die Sache oder Situation nicht mehr nur etwas ist, sondern für etwas steht oder als etwas anderes, als es ist, angesehen werden kann. Der Akt der Kunstausstellung gelingt, wenn er einer Sache oder Situation künstlerische Bedeutung verleiht. Die künstlerische Bedeutung ist nicht identisch mit und auch nicht abhängig vom kommerziellen Wert eines Werkes auf dem Kunstmarkt. Ebenso wenig ist sie abhängig vom Renommee seiner Produzentinnen, von ihren guten Absichten oder von dem Grad an Bildung, das erforderlich ist, um dieses nun auch noch als Kunst wertschätzen zu können. Doch genauso, wie Proben, Bühnenbild und Inszenierung nicht garantieren können, dass ein Theaterereignis gelingt, kann auch eine Ausstellung scheitern, denn die künstlerische Bedeutung kann man einem Gegenstand nicht dekretieren oder wie einen Namen im Taufakt verleihen. Man kann ihn auch nicht durch einen Kaufakt affirmieren.

Zur Kunstausstellung gehören zumindest auch die Betrachter wie der Kunstbegriff, von dem sich dieses Kunstwerk abstößt. Es liegt daher nicht in der Macht eines genialischen Subjektes, eine Ausstellung zu Wege zu bringen und ein Kunstwerk zu realisieren. Auch ein Kunstbeamter kann nicht im Auftrage der Kunstwelt eine künstlerische Bedeutung verleihen. Genau deshalb sind Kunstwerke ereignishafte Prozesse und keine Produkte. Sie sind an intersubjektive Ausstellungsbedingungen und an die Implikation unvorhersehbarer Öffentlichkeit gebunden.

Die performative Erzeugung kultureller Bedeutung kann durch den Aufführungsbegriff analysiert werden. Aufführungen gibt es in vielen Lebensbereichen, vom alltäglichen Reinigungs- oder Essensritual bis hin zu politischen Akten wie der Inthronisierung. Im Rahmen einer Theorie des Performativen hat man sich bisher am Muster der musikalischen Interpretation und der Theateraufführung orientiert, um auch Happenings, Aktionskunst, Installationen und Performances zu analysieren. Der Akt der Ausstellung aber, für die bildende Kunst womöglich viel entscheidender, ist der theoretischen Aufmerksamkeit weitgehend entgangen. Aufführungen und Ausstellungen divergieren an entscheidenden Stellen.[7]

Anders als bei Aufführungen, die aus einer Konfrontation mit Zuschauern die Funken des künstlerischen Ereignisses schlagen, müssen die Akteure bei einer Ausstellung nicht leiblich ko-präsent sein.[8] Die Gegenwart eines Publikums ist bei einer Ausstellung nicht erforderlich. Denn etwas wird ausgestellt, ohne dass ein Publikum dieses Ausgestellte bereits erwartet und ohne dass die Lebendigkeit gegenseitiger Wahrnehmung eine Rolle spielte. Die Öffentlichkeit kann diffus bleiben, es muss die Möglichkeit bestehen, dass sie sich einfindet und gegenüber dem Exponat manifestiert. Eine Ausstellung ruft keine humanen Körper, sondern die Interaktion der Dinge auf den Plan. Ausgestellte Dinge übernehmen den Betrachtern gegenüber ein Quasi-Handlungspotential (besonders die Fähigkeit, nicht zu handeln). Die Dinge treten als Akteure des Visuellen auf, vor allem aber treten sie in Kontrast zueinander und zu dem Raum, in dem sie stehen.

Der Akt des Ausstellens bezieht ästhetische Aspekte der Gestaltung des Exponats auf einen Wahrnehmungsparcours. Und wenngleich das Ausstellungsereignis oft von beschränkter Dauer sein mag: Die Ausstellung ist daher gerade nicht räumlich und zeitlich kompakt wie das Aufführungsereignis, sondern diffus. Es erstreckt und verstreut sich; und es existiert oftmals intensiver im Echo, das es hervorruft, als in der Präsenz.

Nicht nur Kunst wird ausgestellt. Auch in den anderen Arten von Ausstellungen (historischen Ausstellungen, Verkaufsmessen usw.) stehen die Seltenheit, die Sehenswürdigkeit und die Glaubwürdigkeit der Exponate auf dem Prüfstand. Sie teilen mit Proben, Spuren, Elementen und Stoffen die Eigenschaft der Exemplarizität, mit Instrumenten und Produkten jedoch den Bezug zur Lebenswelt. Zwar sind die Dinge, die andere Dinge ausstellen (Podeste, Rahmen, Monitore etc.) kommunikativen Medien sehr ähnlich, weil sie Formen sichtbar machen, sie sind jedoch hinsichtlich des Exponats nicht kontingent und sie bereiten diesem auch kein kommunikatives Setting. Ihre Verwendung allein jedoch genügt nicht, um einen Ausstellungsakt zu vollziehen. Wenn ich einen Stein auf ein Podest stelle oder ein Bild mit einem Rahmen an die Wand hänge, dann habe ich noch nichts ausgestellt.

IV.

Der Akt des Ausstellens lässt sich allein durch die Analyse der beteiligten Medien nicht begreifen. Anders gesagt: Ein Schaufenster oder ein Fernseher zeigen etwas, aber sie stellen per se nichts aus. Weder die Verwendung architektonischer Displays noch der Einsatz medialer Präsentationstechnologien können veranlassen, dass eine Ausstellung stattfindet. Ein Schaufenster zeigt etwas, stellt etwas zur Schau, bewirbt etwas. Das Vorzeigen, das Schaustellen, das Preisgeben, das Anbieten und Werben ähneln dem Ausstellen zwar nicht nur hinsichtlich der verwendeten Medien; sie unterscheiden sich jedoch darin, dass sie den Adressaten zu etwas veranlassen wollen; sie sind zweckgebunden, erfüllen eine eindeutige kommunikative Funktion und definieren einen konkreten Adressatenkreis. Dies gilt nicht von der Ausstellung, die prinzipiell keine eindeutigen Adressierungen, Veranlassungen oder Zwecksetzungen vornimmt.

Im Bereich des Kultes gibt es strenggenommen kein Publikum, sondern nur Eingeweihte. Dies ändert sich, sobald die Skulpturen und Bilder, das Angesicht des Heiligen, nach außen gewandt, in die Öffentlichkeit gestellt werden. Die Bedeutung der Darstellung wie auch der Sinn der Bilder werden fast irrelevant, sobald sie ausgestellt werden, denn nun zählen die Gestaltung und die Materialität.

Betrachtet man die Gemeinsamkeit aller dieser Präsentationsakte hinsichtlich der beteiligten Medien, so scheinen sie vor allem eines zu leisten, nämlich das Zeigen. Wer etwas zur Schau stellt oder etwas präsentiert, zeigt etwas. Aber das Ausstellen unterscheidet sich in wichtigen Punkten vom Zeigen. Die Logik des Zeigens ist eine Logik der Gesten. Von der gestischen Verwendung hängt es beispielsweise ab, was ein Bild jeweils zeigt. Bilder bestimmen nicht selbst, was sie zeigen, wie Lambert Wiesing nachgewiesen hat: „Wer ein Bild zum Zeigen verwendet, gibt ihm einen Sinn, wie sich feststellen läßt, was mit ihm gezeigt werden soll.“ Dasselbe Bildding kann mit exakt derselben sichtbaren Oberfläche unterschiedliche Hinsichten evozieren. „Jede Neukontextualisierung, Umhängung des Bildes und jeder neue Titel gibt dem Bild einen Sinn, der dazu führt, dass es jeweils etwas anderes zeigt […].“ Bilder sind Zeigzeug, keine Zeigefinger. Sie geben Hinweise als Indizes: „Wer mit etwas etwas in der Welt zeigen möchte, muss entweder eine Spur von diesem Etwas zum Zeigen verwenden oder etwas so zum Zeigen verwenden, als wäre es eine Spur.“[9]

Das Ausstellen ist eine anderer Akt als das Zeigen, denn es enthält keine deiktische Relation (keinen Zeigegestus; vgl. Koch 1967, S. 13). Das Ausgestellte ist keine Spur und kein Wegweiser. Mit dem Ausgestellten zeige ich nicht auf etwas, ich zeige auch nicht jemandem etwas. Ich stelle nicht jemandem etwas aus; das Ausstellen impliziert zunächst eine zweistellige Relation: Ich stelle etwas aus. Damit das Ausstellen gelingt, muss ich etwas an einem öffentlichen Ort eine Weile sich selbst überlassen. Etwas ist meiner Macht, meines Schutzes auch, entbunden. Freigestellt. Etwas ausstellen heißt also vor allem: es aussetzen. Etwas riskieren. Es preisgeben. Das Ausstellen überantwortet etwas einem Testen, einer temporären Aneignung, einem unkontrollierten Gebrauch, wobei das Publikum nicht präsent sein muss, sondern nur eingeräumt, ermöglicht, zukünftig.

Bevor Exponate einem Publikum vorgezeigt werden, um etwas mit diesem Zeigen zu bezwecken, müssen sie überhaupt erst in die Sichtbarkeit gebracht, plausibel gemacht, präsentiert, zur Schau gestellt werden. Der Rhetorik des Zeigens geht die sichtbarmachende Ausstellung zwar voraus. Das Zeigen gliedert diese radikale Sichtbarkeit allerdings wieder in einen Bezug zur Sagbarkeit ein, bedeckt sie gewissermaßen mit einem Gewebe aus Gesten. Was aber ausgestellt ist, lässt sich so, wie es ist, anschauen: in seinem nackten So-Sein.[10] Das Exponat stellt sich den Blicken der Anderen. Das Ausstellen ist ein Gewaltakt, der eine Sache aussetzt – der Anschauung, den Erwägungen, dem unangemessenen Sinnenspiel. Was ausgestellt wird, steht entblößt da. Daher rührt auch die Verwandtschaft des Ausstellens zu der kriminellen Handlung des Aussetzens (von Kindern, Kranken, Alten), das im Römischen Recht als „expositio“ verhandelt wurde.

Etwas an einem öffentlichen Ort aufzustellen, heißt also nicht unmittelbar, dass eine Sache einem Publikum präsentiert wird. Wenn etwas vorgezeigt wird, wie es Angeber oder Exhibitionisten tun, bleibt dies einer perlokutionären Absicht untergeordnet. Nichtsdestoweniger gehören auch die gegenseitigen Wahrnehmungsakte der Betrachter zum Ausstellungsereignis. Dieses kann aber räumlich und zeitlich verstreut geschehen. Etwas wird ausgestellt, wenn es im öffentlichen Raum dem ästhetischen Urteil ausgesetzt wird.

V.

Der Ausstellungswert wird von der Gestaltung eines präsentablen Objektes, vor allem aber durch die Ausstellungs- und Präsentationstechnik produziert. Der somit generierte Wert wird durch Szenographien und Perspektiven herausgestrichen; sodann wird er vervielfältigt und publiziert. Der Ausstellungswert basiert nicht auf einer Einzigartigkeit, einer Aura, einer seltenen Gestaltung oder Materialität, sondern auf der Wirkung, die etwas im Zusammenspiel mit technischen Reproduktionsmitteln zu entfalten vermag. Eher wird die Sensation als Vorläufer möglicher Serialität produziert – der Prototyp, der Wechsel auf eine profitable Zukunft. Daher rührt die Bedeutung der Reproduktionstechnik, besonders der Photographie, für die Ausstellung. Benjamin schreibt: „In der Photographie beginnt der Ausstellungswert den Kultwert auf der ganzen Linie zurückzudrängen. Dieser weicht aber nicht widerstandslos. Er bezieht vielmehr eine letzte Verschanzung, und die ist das Menschenantlitz […]. Wo aber der Mensch aus der Photographie sich zurückzieht, da tritt nun erstmal der Ausstellungswert dem Kultwert überlegen entgegen“ (1980, S. 445). Der Ausstellungswert unterscheidet sich von dem, was Gernot Böhme einen szenischem Wert nennt, von der Atmosphäre, mit der die Gestaltung die Wahrnehmungsmodi beeinflusst, dadurch, dass die Dinge erst Ausstellungswert annehmen in dem Maße, wie sie nicht nur aus ihrem Milieu, sondern aus ihren praktischen Kategorien heraustreten.

Weil der Ausstellungswert des Exponats vom Einsatz technischer Medien abhängt, wird das Arrangement der Dinge eine Funktion der publizistischen Sensation bzw. des kommunikativen Sinns. Das Exponat rückt ein in eine Apparatur des Tests und der Kontrolle, die auf eine Messbarkeit der ästhetischen Erfahrung ausgerichtet ist.[11] Das Exponat wird dann ein Befehl zum Sinnverstehen. Was als Ding zählt, ändert sich durch diese Repräsentation individualisierender Vermassung ebenso, wie die Akkumulation von Ausstellungswerten den öffentlichen Raum überformt. Deshalb unterstreicht Benjamin die Abhängigkeit der Politik von der Ausstellungsweise und der Reproduktionstechnik: „Die Veränderung der Ausstellungsweise durch die Reproduktionstechnik macht sich auch in der Politik bemerkbar. Die Krise der Demokratien läßt sich als eine Krise der Ausstellungsbedingungen des politischen Menschen verstehen. Die Demokratien stellen den Politiker unmittelbar, in eigener Person, und zwar vor Repräsentanten, aus […]. [Diese Veränderung] erstrebt die Ausstellbarkeit prüfbarer, ja überschaubarer Leistungen unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen wie der Sport sie zuerst unter gewissen natürlichen Bedingungen gefordert hatte. Das bedingt eine neue Auslese, eine Auslese vor der Apparatur, aus der der Champion, der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen“ (Benjamin 1980, S. 454f.).

Das Produkt, das sich mit seinen Leistungen in den Testapparaturen der Ausstellungsöffentlichkeit durchsetzt, d. h. die publizistisch generierte Ausstellungssensation, vergrößert den Marktplatz der Champions, der Stars und der Diktatoren in das Reich der Dinge, der Materialien hinein. Das Auswahlverfahren wird automatisiert bzw. von Kriterien des Apparats geleitet.

Während das Lager eine Sammlung provisorischer Existenzen erhält und Leistungsanforderungen räumlich staffelt, ist das Museum die Investition dieser Werte in die zeitliche Erstreckung einer Ausstellungspolitik. Die exponierten Dinge entfalten ihre Macht dadurch, dass sie vor aller Augen stehen und doch dem Gebrauch entzogen sind. Ihr Potential kann nicht getauscht, wohl aber investiert werden. Diese Verschränkung des Lagerns und des Museifizierens kennzeichnet das moderne Ausstellungswesen.[12]

Die Kunstausstellung funktioniert in dieser Hinsicht nicht anders als die Verkaufsausstellung oder das Geschichtsmuseum. Doch entfalten Kunstausstellungen neben den Techniken des Lagerns und der Musealisierung auch noch eine zusätzliche Praktik, die deutlich wird, sobald ursprünglich sakrale Gegenstände – Altarbilder, Statuen, Fetische – als ästhetische Objekte betrachtet werden können, d. h. unabhängig von ihrer Bedeutung schlicht als mit sinnlichen Reizen ausgestattete Gegenstände. Diese dritte Dimension lässt sich, mit Giorgio Agamben, als Profanierung beschreiben. Agamben unterscheidet bekanntlich zwischen Säkularisierung und Profanierung (2005, S. 74). Das Profanierte wird aus dem sakralen oder arkanen Bereich der Macht herausgelöst und dem Gebrauch zurückgegeben; für Agamben liegt darin die wichtigste politische Aktionsform der Zukunft (ebd., S. 91). Wenn es der Profanierung auch gelingen mag, das temporale Regime der Zeitgenossenschaft zu subvertieren, so bleiben dies letztlich unzureichende, punktuelle Interventionen. Wenn es nicht gelingt, ein anderes zeitliches Regime durchzusetzen, bleibt jedwede Existenz abhängig vom möglichen Ausstellungswert.

Der Existenzmodus des Exponats wird durch die Profanierung zusätzlich prekär. Denn das Exponat ragt weiterhin aus dem Kontext der normalen Wahrnehmung heraus. Die üblichen Kategorisierungen der Verwendung werden suspendiert. Und es kann durch die Betrachtung sogar verbraucht werden.[13] Obschon es stets das Ziel dieses Aktes ist, dem Exponat eine neue epistemische oder soziale Platzierung zu sichern, so bleibt das Ausstellen doch ein Experimentieren mit Weltzugängen. Dies gilt besonders für die Kunstausstellung.

Kunst ist per se Institutionskritik. Schon aus Hegels Ästhetik folgt auch das Argument, dass etwas aufhört Kunst zu sein, wenn es im Museum landet. Denn Akte des Ausstellens schaffen den Dingen ein außergewöhnliches Existenzrecht im öffentlichen Raum, zugleich verschenken, verschwenden und verausgaben sie sich.[14] Besonders Ausstellungen, die sich mit ästhetischen Verfahren auf die Unterbrechung des Alltäglichen als Domäne des Befehls und der Anleitung durch Zeichen richten, untergraben die publizistische Produktion von Sensationen ebenso wie die Vermarktungstechniken.[15]Ausstellungen ragen immer dann in den Bereich der Kunst herein, wenn es ihnen gelingt, Modi der Sichtbarkeit zu erfinden und inaktuelle Affekte zu konstituieren (vgl. Rancière 2008, S. 82), d. h. wenn es ihnen gelingt, der Öffentlichkeit im politischen Raum Geltung zu verschaffen. Kunstausstellungen vollziehen ästhetische Interventionen im öffentlichen Raum. Die Politik dieser Ausstellungen liegt in der Performanz der Dinge, die sich den Präsentations-, Instruktions- und Kommunikationstechniken versperren; sie räumen den Dingen die Möglichkeit ein, Fragen zu stellen, indem sie ein Arrangement widerstreitender Qualitäten der Überprüfung überantworten.

So, wie die Kommunikationstechniken Öffentlichkeit lediglich simulieren und durch gesteuerte Publizität ersetzen, wird der öffentliche Raum durch die Spektakeltechniken des Marktes ausgeklammert. Das Sichtbare wird eingerichtet und kommodifiziert. Es wird zur Spur, zum Zeichen seiner selbst. Dies zeigt beispielsweise der Unterschied zwischen einer Kunstmesse und einer Kunstausstellung. Sicher kann man auf einer Kunstmesse ästhetische Objekte als Bilder sehen; sie sollen dort aber nicht einfach ausgestellt, sondern zum Kauf angeboten werden. Obschon eine Wahrnehmung dieser Objekte als bloße Ausstellungsstücke prinzipiell möglich bleibt, muss sie durch die marktförmige Platzierung möglichst unterbunden werden. Der Einsatz von Vermarktungstechniken selbst noch auf der Seite der Besucher einer Verkaufsmesse (Selbstvermarktung) verhindert eine vielfältige Begegnung mit den Dingen ebenso wie die bloße Betrachtung des Beliebigen. Vom Messebau bis zum Sprachgebrauch dienen die Vermarktungstechniken einzig dem Zweck, die Infrastrukturen der Affektzirkulation, die Rituale des Anbietens und Verkaufens und die Verarbeitung von marktrelevanten Daten so aufeinander abzustimmen, dass der ästhetische Wert mit dem Marktwert zu steigen oder zu fallen scheint. Diese Ästhetik des Marktes trägt zum reibungslosen Funktionieren der sozialen Ordnung bei. Die Ausstellung im marktförmigen Design bringt das Erleben und das Verhalten in Einklang mit den Gesetzen des Kapitalismus. Was als ästhetisch erlebt und beurteilt wird, ist nichts anderes als die innere Aneignung dieser Gesetze. Wie Terry Eagleton (1994, S. 39) sagt: „Das Ästhetische ist in diesem Sinn nichts weiter als ein Name für das politisch Unbewußte […]. Das Schöne ist einfach die am Körper ausgelebte politische Ordnung“. Das Bild wird als Ware, genauer: als Wertäquivalent angesehen. Das, was das Bild unter anderen Dingen auszeichnet, gerät dadurch aus dem Blick; es wird, als Produkt visueller Gestaltung, unter andere solche Produkte eingeordnet. Es erhält den zeitlichen Index der Konjunkturen, Moden, Stile und Epochen, den die Musealisierung produziert.

Digitale Kommunikationstechniken verschalten zunehmend die Produktion und Rezeption von Bildern. Und dies bedeutet auch: Künstlerische Leistung wird am Ausstellungswert innerhalb des Internets bemessen. Die Differenz zwischen Kunstmesse und Kunstausstellung wird zusehends kassiert. Bilder von Produkten oder produktförmigen affektiven Situationen beginnen, als Warenäquivalente zu zirkulieren, gesammelt und akkumuliert zu werden. Aus dem Ansammeln und Aufsparen von Vergänglichem wurde zuerst der Besitz dauerhafter Güter. Derartige Güter bilden jetzt nur mehr die kurzfristige Oberfläche für die Investition von Wert-Zeichen in das Versprechen zur Produktion von Mehrwertzeichen. Kunstwerke, nach Maßgabe der digitalen Welt kommodifiziert, zeigen vor allem das in sie investierte kulturelle Kapital. Sie speichern es, konservieren es, bieten es der staunenden Anschauung dar. Digitale Ausstellungen präsentieren Schauwerte, publizistische Sensationen, im Falle von Kunstwerken reichlich reduziert, meist leere Zeichen, Anweisungen für die Produktion von Bedeutung in der Kunstwelt, Bilder affektiver Situationen, strukturiert entlang der Achse immer aufwendigerer Präsentationstechniken – permanent sichtbar und stets in der Lage, modularisiert, rekombiniert, reinvestiert zu werden.

Suppendosen, mit philosophischer Interpretation gefüllt, werden Monstranzen unvorstellbarer Summen an Ausstellungswert. Derartige Kunstwerke profitieren von der Aufmerksamkeit, die sie generieren. Tendenziell akkumulieren sie, abhängig vom Zeitregime der Musealisierung, mit jeder derartigen Ausstellung noch mehr (kulturelles) Kapital.

Anders als eine Verkaufsmesse kann eine künstlerische Ausstellung mit dieser Ordnung der Körper, mit den Gewohnheiten des Sehens, mit dem Regime des Sichtbaren und mit den Techniken des Beobachtens und Aneignens brechen. Nur wenn es ihr gelingt, aus dem Zeitregime der Musealisierung herauszutreten, ist Kunst weder Konservendose noch Kapital.

Literatur

Agamben, G. (2005): Profanierungen. Frankfurt/M.Search in Google Scholar

Aristoteles (1999): Rhetorik. Stuttgart.Search in Google Scholar

Benjamin, W. (1980): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Gesammelte Schriften 1.2. Frankfurt/M.Search in Google Scholar

Danto, A. C. (1964): The Artworld. In: Journal of Philosophy LXI, S. 571-584.10.2307/2022937Search in Google Scholar

Danto, A. C. (1984): Die Verklärung des Gewöhnlichen. Frankfurt/M.Search in Google Scholar

Dickie, G. (1974): Art and the Aesthetic. An Institutional Analysis. Ithaca, London.Search in Google Scholar

Eagleton, T. (1994): ÄsthetikDie Geschichte ihrer Ideologie. Weimar.10.1007/978-3-476-03510-3Search in Google Scholar

Fischer-Lichte, E. (2005): Ästhetik des Performativen. Frankfurt/M.Search in Google Scholar

Glicenstein, J. (2009): L’art. Une histoire d’expositions. Paris.10.3917/puf.glice.2009.01Search in Google Scholar

Groys, B. (1997): Logik der Sammlung. München.Search in Google Scholar

von Hantelmann, D. (2007): How to do things with art. Zur Bedeutsamkeit der Performativität von Kunst. Zürich.Search in Google Scholar

Hegel, G. W. F. (1837): Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Werke Bd. 9, hg. von E. Gans. Berlin.Search in Google Scholar

John, J./Richter, D./Schade, S. (Hg.) (2008): Re-Visionen des Displays. Ausstellungs-Szenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum. Zürich.Search in Google Scholar

Koch, G. F. (1967): Die Kunstausstellung. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Berlin.10.1515/9783110844757Search in Google Scholar

Mersch, D. (2002): Ereignis und Aura. Frankfurt/M.Search in Google Scholar

Rancière, J. (2008): Ist Kunst widerständig? Berlin.Search in Google Scholar

Sommer, M. (1999): Sammeln. Ein philosophischer Versuch. Frankfurt/M.Search in Google Scholar

Wiesing, L. (2013): Sehen Lassen. Die Praxis des Zeigens. Berlin.Search in Google Scholar

Published Online: 2017-8-26
Published in Print: 2017-8-28

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 1.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/para-2017-0009/html
Scroll to top button