Home Nachruf auf Robert F. Schmidt
Article Publicly Available

Nachruf auf Robert F. Schmidt

  • Herta Flor EMAIL logo and Niels Birbaumer
Published/Copyright: May 12, 2018
Become an author with De Gruyter Brill

Am 13. September 2017 starb wenige Tage vor seinem 85. Geburtstag der Physiologe Robert F. Schmidt in Würzburg. Robert Schmidt war langjähriges Mitglied der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft. Mit ihm verliert die deutsche Wissenschaft einen der bedeutendsten und bekanntesten Neurophysiologen. Seine Lehrbücher haben ebenso wie seine wissenschaftlichen Arbeiten die moderne Physiologie und Neurowissenschaften in Deutschland und international repräsentiert und es ist auch ihm zu danken, dass die deutsche Neurowissenschaft zu einer Spitzenposition nach ihrer fast völligen Vernichtung in der Nazizeit aufgestiegen ist. Robert F. Schmidt wurde vor allem durch sein Lehrbuch „Physiologie des Menschen“ (Human Physiology, übersetzt in viele Sprachen) bekannt. Wissenschaftlich hat Robert F. Schmidt bahnbrechende Arbeiten zur synaptischen Verschaltung und präsynaptischen Hemmung im Rückenmark gemeinsam mit John Eccles verfasst und hat die sogenannten „stillen“ Nozizeptoren entdeckt. Diese Arbeiten haben unser gegenwärtiges medizinisches aber auch psychologisches Verständnis von chronischen Schmerzzuständen entscheidend geprägt.

Robert Schmidt wurde am 16. September 1932 in Ludwigshafen geboren. Von 1953 bis 1959 studierte er Humanmedizin an der Universität Heidelberg und wurde 1959 zum Dr. med. promoviert. Seine von Wolfgang Trautwein betreute Doktorarbeit befasste sich mit der Wirkung von Acetylcholin und Adrenalin auf Zellen des Herzgewebes. Nach einem Jahr als Medizinalassistent am Bethanien-Krankenhaus in Heidelberg hat Robert Schmidt mit seiner jungen Familie und seinem gerade geborenen Sohn ein italienisches Emigrantenschiff bestiegen und sich in einer mehrwöchigen Reise auf den Weg nach Canberra in Australien gemacht, um mit John Eccles (später Sir John Eccles), dem Begründer und Entdecker der Synapsenphysiologie im Nervensystem und späteren Nobelpreisträger, zu arbeiten. Fasziniert von Eccles Buch „The Physiology of Nerve Cells“ hat er sofort erkannt, dass hier der Schlüssel für das Verständnis unserer Denkprozesse und unseres Verhaltens zu suchen ist. In zwei Jahren hat er in Eccles Laboratorium 24 wissenschaftliche Arbeiten publiziert, darunter in Zeitschriften wie „Nature“ und „Science“ und dafür 1963 seinen Ph.D. erhalten. Seine Arbeiten in Canberra befassten sich vornehmlich mit der präsynaptischen Hemmung im Rückenmark. Robert Schmidt habilitierte sich 1964. Er wurde nach der weiteren Zusammenarbeit mit Eccles in Buffalo in den USA 1971 als Ordentlicher Professor für Physiologie an die Universität Kiel berufen und 1982 an die Universität Würzburg, wo er den Lehrstuhl für Physiologie bis ins Jahr 2000 innehatte. Themen seiner Forschung waren mit seinen Kollegen Manfred Zimmermann und Wilfrid Jänig die Fortsetzung der Arbeiten über afferente Depolarisation unter Anwendung physiologischer Reizung von Mechanorezeptoren der Haut. Er arbeitete auch zu somatovegetativen Reflexen, unter anderen mit Akio Sato, der zunächst Assistent in Heidelberg und dann Professor in Tokio war. Weitere Themen seiner Forschung waren die Physiologie des Kleinhirns, Eigenschaften und Verschaltung von Muskelafferenzen und in der Würzburger Zeit insbesondere Mechanismen des Gelenkschmerzes. Im Mittelpunkt standen Eigenschaften von Nozizeptoren und die Verarbeitung nozizeptiver Prozesse im Rückenmark. So hat er zum Beispiel gemeinsam mit Hans-Georg Schaible die „schlafenden Nozizeptoren“ entdeckt, die erst arbeiten, wenn Gewebe entzündet ist. Zum Thema Schmerz und Nozizeption gründete er eine Forschergruppe wie auch ein Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft und initiierte gemeinsam mit Hermann Handwerker den Sonderforschungsbereich 353 (Pathobiologie der Schmerzentstehung und Schmerzverarbeitung), der über viele Jahre (1992–2003) ein Exzellenzzentrum der deutschen und internationalen Schmerzforschung war. Im Jahr 2001 wurde er Honorarprofessor an der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen. Von 1997 bis 2008 arbeitete er mit Carlos Belmonte als Gastforscher am Neurowissenschaftlichen Institut der Universidad Miguel Hernández, San Juan de Alicante, in Spanien.

Seine enorme Popularität wurde aber weniger durch seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Arbeiten als durch seine Lehrbücher, vor allem die „Physiologie des Menschen“ begründet, welche nun in ihrer 31. Auflage vorliegt. Durch das Lehrbuch „Biologische Psychologie“, zusammen mit Niels Birbaumer, hat er wesentlich die Entwicklung der Psychologie in Deutschland von einer eher geisteswissenschaftlich-kognitiv gestimmten Wissenschaft hin zu einer biologisch orientierten Hirnwissen-schaft mitgeprägt. Durch seine langen und häufigen Forschungsaufenthalte in Japan hat er auch die fernöstliche Entwicklung der Physiologie und Schmerzforschung und die lateinamerikanische und spanische Neurowissenschaft durch die Zusammenarbeit mit Carlos Belmonte (Universität Alicante) beeinflusst. 2007 gab er gemeinsam mit William D. Willis die erste „Encyclopedia of Pain“ heraus, die er mit Gerald F. Gebhart ab 2013 weiterführte.

Abb. 1: Robert F. Schmidt
Abb. 1:

Robert F. Schmidt

Robert F. Schmidt hat zahlreiche Ehrungen erhalten, darunter 1985 die Warner-Lambert Lectureship for a Distinguished Foreign Scientist der Society for Neuroscience, die Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, 1991 den Max Planck-Forschungspreis 1991 (für seine Kooperation mit Akio Sato in Tokio), 1996 die Ehrendoktorwürde der University of New South Wales, Sydney, Australia und 2000 das Bundesverdienstkreuz 1.Klasse, Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland sowie zahlreiche Ehrenmitgliedschaften in nationalen und internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften.

Wir haben in Robert F. Schmidt nicht nur einen herausragenden Forscher und Universitätslehrer, sondern auch unseren weltoffenen und allseits gebildeten Freund und eine „Lichtgestalt“ der deutschen Neurowissenschaft verloren.

Herta Flor

Niels Birbaumer

Published Online: 2018-05-12
Published in Print: 2018-05-25

© 2018 by De Gruyter

Downloaded on 6.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/nf-2018-0003/html
Scroll to top button