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Unser geheimnisvolles Ich

  • Anja Hoffmann EMAIL logo
Published/Copyright: September 11, 2017
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Rezensierte Publikation:

Unser geheimnisvolles Ich, 3 Bände: Die Welt im Kopf – Was unser Gehirn kann; Das Rätsel Bewusstsein – Wie unser Ich entsteht; Das gute Leben – Wie wir das Glück lernen können, Hrg. Andreas Sentker, DIE ZEIT, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH Co. KG und Springer Verlag GmbH Berlin Heidelberg, 1. Auflage 2015, ISBN: 978-3-662-46973-6, 29,99 €


Wer bin ich? Diese Frage haben sich die meisten von uns sicherlich schon einmal oder sogar öfter gestellt. Es ist eine Frage, die Philosophen von alters her umtreibt, die aber spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts auch eine Domäne der Hirnforschung geworden ist – zunächst der Psychologen und Psychiater und nun auch zunehmend der Neurowissenschaften.

„Unser geheimnisvolles Ich“ beleuchtet diese Frage aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Trilogie trägt auf ca. 800 Seiten Artikel und Interviews aus der „ZEIT“ oder „ZEIT WISSEN“ aus einem Zeitraum von 2005 bis 2014 zusammen, geschrieben von Wissenschaftsjournalisten und Wissenschaftlern. Aufgelockert und ergänzt werden diese Texte durch „Stichworte“, deren Inhalte verschiedenen Büchern der Reihe „50 Schlüsselideen“ entnommen wurde.

Das Spektrum der behandelten Themen ist ungewöhnlich und beeindruckend breit. Der 1. Band, der einen Überblick über die verschiedenen Funktionen des Gehirn gibt, startet z. B. mit dem „Blue Brain Projekt“ – einem Versuch, das Gehirn nachzubauen. Die unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen werden aus neuartigen Perspektiven geschildert („Auf den Geschmack gekommen“ beschreibt Riechen und Schmecken im Zusammenhang mit Sterneküche), bevor zu verschiedenen Erkrankungen wie Alzheimer, Schizophrenie, Depression, Patientenperspektiven und modernen Therapieformen übergegangen wird (z. B. „Im Dorf des Vergessens“ – eine Schilderung des „Demenzdorfes“ De Hogeweyk). Der 2. Band beschäftigt sich mit verschiedenen Fragestellungen der Neuropsychologie: Die Themen „Bewusstsein und „freier Wille“, Entscheidungsfindung und die Arbeit des Gedächtnisses werden ebenso beleuchtet wie Authentizität und Selbstoptimierung („Im Rausch der Petersilie“). Im 3. Band schließlich dreht es sich um verschiedene Facetten des Glücklichseins: Um Ruhe, den Umgang mit Stress und die Kunst des Scheiterns sowie Weiterentwicklung und Glauben. Bei der Mehrheit der Texte handelt es sich um Artikel, in Band 2 und 3 gibt es eine Reihe von Interviews mit Wissenschaftlern.

Die Qualität der Beiträge ist überwiegend sehr gut. Sie sind abwechslungsreich geschrieben, schildern verschiedene Perspektiven einer Fragestellung und erlauben dem Leser auf diese Weise, sich eine eigene Meinung zu bilden. Meistens haben die Autoren sehr lebendige Wege gefunden, sich mit den Themen auseinanderzusetzen. In wenige Artikel haben sich allerdings kleinere Fehler eingeschlichen, sodass ich mir hier und da das Korrekturlesen durch einen Wissenschaftler gewünscht hätte. Viele der Artikel machen neugierig darauf, was aus den beschriebenen Projekten inzwischen geworden ist – bei einem Bericht z. B. aus dem Jahr 2008 ist schließlich seitdem eine ganze Zeit vergangen. Das spricht einerseits für die Qualität der Artikel, denn es zeigt, dass beim Leser Begeisterung entstanden ist. Leider wird dem Umstand der zwischenzeitlichen Weiterentwicklung aber keine Rechnung getragen. Dabei wäre eine Aktualisierung z. B. durch das eine oder andere kleine Postskriptum relativ unaufwendig möglich gewesen. Zwar ist naheliegend, dass eine Sammlung von Artikeln nicht den Wissensstand des Herausgabedatums reflektieren kann, sondern nur den jeweiligen des Ersterscheinungsdatums, aber das ist gerade bei so einem Werk, das durch seinen Umfang und die guten Recherchen besticht, einfach schade.

Die sorgfältige Aufmachung, der Hardcover-Einband, die gelungene farbliche Abstimmung der Bände und das Lesebändchen verleihen der Trilogie ein Erscheinungsbild, das einen Bücherfreund freut. Die Fotos sind eine schöne, lebendige Ergänzung, ebenso die hervorgehobenen, einzeln dargestellten Zitate. Die wenigen Schema-Zeichnungen fand ich hingegen nicht durchweg überzeugend, sie waren gelegentlich nicht ganz korrekt, und mitunter habe ich mich gefragt, was einzelne Abbildungen für einen inhaltlichen Beitrag leisten. Auch hätte ich mir eine editorische Anpassung an das Buchformat gewünscht bzw. mehr lektorische Sorgfalt, denn die Querverweise in den Texten lassen sich im Buch nicht nachvollziehen und scheinen durchweg auf die ursprünglichen Zeitungsartikel zurückzugehen. Die Trilogie besitzt Autorenverzeichnis und Register; was allerdings komplett fehlt – und ohne das kommt heute meiner Meinung nach kein gutes populärwissenschaftliches Buch aus – ist ein Quellennachweis bzw. eine Sammlung weiterführender Literatur. Dabei werden solche Angaben in den einzelnen Artikel durchaus gemacht. Hier hätte der Aufwand, diese Verweise noch einmal zusammenzustellen, dem Buch zusätzliche Qualität verliehen.

Dessen ungeachtet hat es mir viel Freude gemacht, die drei Bände zu lesen, ich habe mich gut unterhalten gefühlt, und ich habe einige spannende neue Perspektiven kennengelernt. Für Neuro-Begeisterte ist „Unser geheimnisvolles Ich“ eine schöne Zusammenstellung von Texten, in der man gut stöbern kann.

Online erschienen: 2017-9-11
Erschienen im Druck: 2017-8-28

© 2017 by De Gruyter

Downloaded on 29.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/nf-2017-0021/html
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