Joachim Müller-Jung: Hirnforschung 8: Sprache und Kommunikation (F.A.Z.-Hörbuch)

Wir tun es täglich. Mal mit Händen und Füßen, meist aber mit viel oder wenig Worten: sprechen und kommunizieren. Sprache ist ein wesentliches Element der zwischenmenschlichen Verständigung. Und gelungene Kommunikation ist ein wichtiges Thema in vielen Bereichen. Es gibt heutzutage wohl kaum jemanden, der nicht irgendwann in seinem beruflichen Leben mit diesem Thema in Form eines Trainings konfrontiert wird. Insofern ist es spannend zu sehen, was die Neurowissenschaft zu diesen Themen beisteuern kann.
„Hirnforschung 8 – Sprache und Kommunikation“ setzt die erfolgreiche Reihe der F.A.Z. Hörbücher aus der Reihe Hirnforschung fort und präsentiert in gewohnter Manier eine Zusammenstellung von Beiträgen namhafter Hirnforscher, hier z. B. von Frau Friederici, und Wissenschaftsjournalisten aus den Jahren 2010 bis 2015. Die insgesamt 10 Texte auf 2 CDs ergeben eine Gesamtspielzeit von ca. 2 Stunden, wobei die Dauer der einzelnen Texte zwischen ca. 6 bis 20 Minuten variiert.
Die erste CD beschäftigt sich in erster Linie mit neurobiologischen Grundlagen von Sprache und Grammatik: Es werden die neuroanatomischen Präsentationen beschrieben („Wenn Worte Wurzeln schlagen“), in „stille Grammatik“ geht es um die Fragestellung, ob es eine innere Grammatik des Gehirnes gibt, Spracherwerb und Entwicklung werden ausführlich geschildert und über verschiedene Sprachräume verglichen, der Einfluss von Mehrsprachigkeit und Dialekten diskutiert („Auch Schwäbisch wäre eine Option“). Sprache wird als Abbildung einer Persönlichkeit beleuchtet, und auch die Diversität der Sprache, das Forschungsgebiet der Ethnolinguistik, und ihre Weiterentwicklung werden in einem Beitrag erläutert. Die zweite CD legt den Schwerpunkt mehr auf Kommunikation: So beschäftigen sich zwei Texte mit dem Beitrag, den Gesten zu unserer Kommunikation beitragen, inwiefern Sprache und Gestik zusammenhängen und welche Rolle einzelnen, besonders typischen Handgesten zukommt, die Rolle und Weiterentwicklung der Schriftsprache werden kritisch beleuchtet. Die Zusammenstellung endet mit einem Vergleich von Musik und Sprache, Fragen zur Musikästhetik und Betrachtungen, was einen Sommerhit ausmacht. Die einzelnen Texte werden durch musikalisch unterlegte Überleitungen verbunden, die den roten Faden zwischen den Beiträgen sichtbar machen.
Das Hören dieser Doppel-CD war für mich mit vielen überraschenden und erhellenden Erkenntnissen verbunden. Wussten Sie, dass deutsche und französische Babys unterschiedlich betont schreien und damit schon in diesem frühen Sprachentwicklungsstadium die typischen Kennzeichen ihrer Landessprache abbilden? Zum Teil musste ich auch Jahrzehnte gehegtes Wissen über Bord werfen. Wobei es nicht wundert, dass die vermeintlich einfache Anatomie der Sprache, die auch Eingang in Schulbücher gefunden hat, nämlich die Funktionsteilung zwischen dem Broca- und Wernicke-Areal, komplexer ist als lange angenommen. An anderen Stellen habe ich eine wissenschaftliche Erklärung für mein eigenes intuitives Verhalten bekommen: Als in der Gegend von Hannover aufgewachsener Mensch nicht mit einem Dialekt gesegnet, habe ich sowohl in der Schweiz als auch in Berlin festgestellt, dass sich die lokale Sprache heimlich bei mir einschleicht, aber auch, dass ich bei häufigem Kontakt mit Kollegen deren sprachliche Besonderheiten plötzlich übernehme. Seit dem Hören des Artikels „Darf es noch ein bisschen Näseln sein?“ weiß ich, dass ich „Sprachimitation als sozialen Klebstoff“ verwende – eine Verhaltensweise, die seit Anbeginn der Sprache zur Gruppenbildung beigetragen hat und die auch beim Spracherwerb dazugehört.
Die Qualität der Beiträge finde ich durchweg sehr gut: Die Sprache ist gewählt und variantenreich. An manchen Stellen musste ich schmunzeln ob der Bildhaftigkeit der Sprache (der Zeigefinger als „direkter Erfüllungsgehilfe des Gehirns“) oder der offensichtlichen Freude der Autoren an der Sprachgestaltung (die Stimme als „variabelstes Lauterzeugungsinstrument“). Der Vortrag durch die beiden Sprecher ist gut gestaltet. Man kann sehr gut zuhören, und es gab aus meiner Sicht keinen Artikel, dem man nicht gut folgen konnte.
Sehr gefallen hat mir – wie auch schon bei anderen Dossiers – die Tatsache, dass die Autoren die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht nur darstellen, sondern sie in einen größeren Kontext bringen und mit Humor oder Kritik einordnen. Sehr nachdenklich hat mich z. B. der Artikel „Nur noch Analphabeten“ hinterlassen: Mit der zunehmenden Digitalisierung und dem Übergang in eine immer mehr audiovisuelle Kommunikationskultur nimmt die Kultur der Schriftsprache ab: Wann haben Sie den letzten (handschriftlichen) Brief geschrieben? Wann haben Sie das letzte Bild per Smartphone geteilt? Dass hier reflektiert wurde, wie die Bevölkerung gezielt manipuliert und im Sinne des Kapitalismus zu immer effizienterer Funktion erzogen wird, empfand ich wegen der Klarheit der Positionsbeziehung trotz des eher traurig stimmenden Inhalts positiv.
Auf der CD-Hülle befinden sich (einige wenige) Angaben zu weiterführender Literatur sowie Hinweise auf Internet-Links. Die Hinweise beziehen dabei auch Themen ein, die auf der CD nicht vertieft wurden und ermöglichen somit ein Weiterlesen über das Gehörte hinaus. Insgesamt finde ich dieses Hörbuch sehr gelungen und empfehlenswert: Es informiert kurzweilig und vielseitig über einen wesentlichen Teil unseres alltäglichen Verhaltens und hält bestimmt auch für andere Hörer die eine oder andere Überraschung bereit.
Joachim Müller-Jung (Hrsg.): Hirnforschung 8: Sprache und Kommunikation
Die besten Beiträge aus F.A.Z. und Sonntagszeitung
F.A.Z.-Hörbuch
Gesprochen von Olaf Pessler und Markus Kästle
Coproduktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Just GmbH
2 CDs, Laufzeit ca. 2 Stunden
19,90 Euro
© 2017 by De Gruyter
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Editorial
- Mehr als nur ein neuer Look
- Übersichtsartikel
- Unser hungriges Gehirn: Welche Rolle spielen Gliazellen bei der Energieversorgung?
- Our hungry brain: Which role do glial cells play for the energy supply?
- Untersuchung und Modulation kortikaler Inhibition mittels transkranieller Magnetstimulation
- Assessment and modulation of cortical inhibition using transcranial magnetic stimulation
- Mechanismen des Neuritischen Prunings
- Mechanisms of Neurite Pruning
- Funktionen der GABAergen Übertragung im unreifen Gehirn
- Functions of GABAergic transmission in the immature brain
- Cholinerge Rückkopplungen auf den auditorischen Hirnstamm
- Cholinergic top-down influences on the auditory brainstem
- Forschungsförderung
- DFG Schwerpunktprogramm (SPP) 1926 “Next Generation Optogenetics – Tools and Application”
- Rezension
- Joachim Müller-Jung: Hirnforschung 8: Sprache und Kommunikation (F.A.Z.-Hörbuch)
- Ich glaub, mich trifft der Schlag: Warum das Gehirn tut, was es tun soll, oder manchmal auch nicht
- Nachruf
- Peter H. Seeburg (21.8.1944–22.8.2016)
- Nachrichten
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