Abstract
John of Damascus (ca. 650/660 – 754 AD) is one of the first contemporary witnesses to critically examine the emergence of Islam and its holy scripture, the Qur’an. John came from a distinguished Melkite family that held political offices in state finance for generations. Like his father, he was initially a civil servant under the Arab rule of Caliph ‘Abd al-Malik (685 – 705). The anti-Christian movement that began in that time forced him to withdraw from public life and enter the Mar Saba monastery near Jerusalem. While at the monastery, John grappled with the text of the “new” religion and defended the Christian position. In this milieu, the interpretation of the divine incarnation occupied a central position. By demonstrating the divine incarnation in Jesus Christ, John makes convergences with the Qur’anic movement of the new rulers. In doing so, he highlights the Qur’ans high esteem of the Virgin Mary as well as the birth and humanity of her Son, Jesus Christ. In this way, he seeks to bring Christianity into agreement with the Qur’an and to break down theological barriers.
Wie haben die Christen auf die ersten Anfänge der „koranischen“ Bewegung reagiert? Diese Frage lässt sich aufgrund der Quellenlage nicht leicht beantworten. Wo lassen sich explizite, aber auch implizite Bezüge zum Koran unter den christlichen Autoren feststellen? Wir besitzen aus dem ersten islamischen Jahrhundert nur sehr wenige christliche Zeugnisse über den Islam. Mit Johannes von Damaskus begegnet uns der erste christliche Autor überhaupt, der eine intensivere Auseinandersetzung mit der „neuen“ religiösen Bewegung wagt. Es stellt sich auf diese Weise die Frage nach den Hintergründen und Inhalten dieser Debatte. Zunächst soll der Fokus auf die Person des Johannes von Damaskus selbst gelegt werden: Wer war dieser Autor und aus welchem Anlass setzte er sich mit der „koranischen“ Bewegung auseinander?
1 Zur Person des Johannes von Damaskus
Johannes von Damaskus wurde zwischen 650 und 660 oder im Jahr 675 in Damaskus geboren. Er ist in einer christlichen Familie aufgewachsen, die entweder syrischer oder arabischer Abstammung war. Er kann zur oströmischen bzw. byzantinischen Tradition des Christentums gerechnet werden, obwohl Damaskus zu seiner Zeit außerhalb des Byzantinischen Reiches lag. Johannes verbrachte die ganze Zeit seines Lebens unter dem umayyadischen Kalifat (661 – 750), zuerst in der Hauptstadt der Umayyaden, Damaskus, und danach in Palästina, wohin er sich als Mönch zurückzog.
Johannes genoss die klassische Bildung (ἐγκύκλιος παιδεία), was sich an seiner meisterhaften Dichtung und Prosa zeigt. Nach dem Studium war Johannes seinem Vater bei der Ausübung dessen Amtes in der Finanzverwaltung behilflich. Der Damascener entstammte also einer vornehmen melkitischen Familie, die seit Generationen politische Ämter im staatlichen Finanzwesen innehatte.[1] Wie sein Vater war er zunächst Beamter unter arabischer Herrschaft beim Kalifen ‘Abd al-Malik (685 – 705) gewesen. Der unter ‘Abd al-Malik einsetzende „christenfeindliche“ Kurs drängte die Christen aus den öffentlichen Ämtern zurück. Johannes behielt zunächst den Posten eines Privatsekretärs in der Finanzverwaltung bei. Im Vorfeld der Edikte des Kalifen ‘Umar II. (717 – 720) trat er wahrscheinlich zurück.[2] Diese Edikte untersagten den Schutzbürgern, Juden und Christen, hohe Ämter im Staat zu bekleiden, es sei denn, sie würden zur Religion der Machthaber konvertieren. Als Reaktion auf diese Edikte zog sich Johannes aus dem öffentlichen Leben zurück und begab sich ins Kloster Mar Saba bei Jerusalem.[3] Er ist vermutlich vor dem Jahr 753/754 verstorben. Denn er wurde nach seinem Tod auf dem ikonoklastischen Konzil von Hiereia 754 unter seinem arabischen Namen „Mansur“ verurteilt und anathematisiert – zusammen mit den Patriarchen Germanus von Konstantinopel und Georgius von Zypern.[4] Das siebte ökumenische Konzil 787 rehabilitierte Johannes und sprach ihn heilig.
2 Die Auseinandersetzung mit den „Ismaeliten“ in De haeresibus 100
Johannes von Damaskus ist einer der ersten Zeitzeugen, der sich mit dem im Entstehen begriffenen Islam und dessen Heiliger Schrift kritisch auseinandersetzt.[5] Er ist der erste christliche Schriftsteller überhaupt, der explizit Inhalte des Korans direkt wiedergibt und auf den Propheten Mohammed als dessen „Urheber“ verweist. Er spricht jedoch noch nicht vom „Islam“ als einer vom Christentum unabhängigen Religion,[6] sondern versteht diese religiöse Bewegung als christliche „Häresie“.[7] Dabei handelt es sich für ihn um eine „bis heute vorherrschende und volksverführende Gottesverehrung der Ismaeliten“ (θρησκεία[8] τῶν Ἰσμαηλιτῶν), die er polemisch als „Vorläufer des Antichristen“ einstuft.[9] In seiner Schrift De haeresibus behandelt er diese „neue“ religiöse Erscheinungsform als die letzte Häresie seiner Zeit und widmet ihr ein längeres Kapitel als Abschluss aller häretischen Lehren des Christentums (Kap. 100). Die Schrift De haeresibus macht den zweiten Teil einer groß angelegten Trilogie aus: „Quelle der Erkenntnis“ (Πηγὴ γνώσεως).[10] Im ersten Teil dieser Trilogie behandelt er in der Schrift Dialectica die wichtigsten philosophischen Termini, bevor er dann eine Sammlung von Häresien bis zu seiner Zeit bietet. Im dritten Teil der „Quelle der Erkenntnis“ wird schließlich das Werk Expositio fidei als Zusammenfassung der altkirchlichen Lehre dargelegt.[11] Die gesamte Schrift „Quelle der Erkenntnis“ schreibt er also als Verteidigung des christlichen Glaubens angesichts der religiösen Herausforderungen seiner Zeit. Er möchte seine Zeitgenossen zum Festhalten am Christsein ermutigen und mit Argumentationshilfen gegen die koranische Bewegung der arabischen Machthaber ausstatten.[12] Das christliche Selbstverständnis musste in Auseinandersetzung mit den verschiedenen Strömungen innerhalb des Christentums neu gegenüber der Propagierung der aufkommenden θρησκεία der zeitgenössischen Herrscher begründet und ausgeführt werden. Daher fasst er in systematischer Weise die überlieferte rechtgläubige Lehre zusammen, so dass er innerhalb der Dogmengeschichte den Abschluss der altkirchlichen Lehrbildung repräsentiert.[13]
2.1 Fragestellung
Wie und in welcher Weise findet nun seine Auseinandersetzung mit der „Gottesverehrung der Ismaeliten“ statt? Setzt sich Johannes allein im letzten Kapitel von De haeresibus mit der „neuen“ Bewegung auseinander oder gibt es auch eindeutige Spuren dieser Debatte in seinem vermutlich nach De haeresibus verfassten dogmatischen Hauptwerk Expositio fidei? Die Expositio fidei wurde bisher unter diesem Gesichtspunkt kaum untersucht;[14] es lohnt sich aber, dieser Fragestellung nachzugehen, da diese Schrift direkt auf De haeresibus folgt und die christlichen Glaubenslehren im Diskurs mit konkurrierenden Annahmen der Vergangenheit und Gegenwart entfaltet.
2.2 Die wichtigsten theologischen Differenzpunkte in De haeresibus 100
Zu Beginn seiner Beschäftigung mit der „θρησκεία der Ismaeliten“ in De haeresibus 100 verweist Johannes auf die Zeit des Kaisers Heraklius (610 – 641), in der der „falsche“ Prophet (ψευδοπροφήτης) Mohammed auftrat (ca. 610 – 632): Dieser machte Bekanntschaft mit dem Alten und Neuen Testament und hatte „anscheinend“ (δῆθεν) Umgang – so Johannes – mit einem „arianischen Mönch“,[15] daraufhin brachte er eine eigene „Häresie“ hervor (ἰδίαν συνεστήσατο αἵρεσιν). Dabei verbreitete er das Gerücht, vom Himmel sei eine Schrift von Gott auf ihn herabgekommen.[16] Hierbei spielt Johannes auf die in Sure 2,97 bekannte Vorstellung vom Empfang des Korans durch Mohammed an: Der Engel Gabriel habe den Koran „mit Gottes Erlaubnis dir (sc. Mohammed) ins Herz herabkommen lassen als Bestätigung dessen, was (an Offenbarungen) vor ihm da war, und als Rechtfertigung und Frohbotschaft für die Gläubigen“.[17]
Johannes greift auf die zentralen Positionen des zu seiner Zeit ihm bekannten Korans zurück; ihm liegt offenbar eine abweichende Fassung des Korans gegenüber der sich im Überlieferungsprozess durchgesetzten Version vor. Der Damascener verweist beispielsweise auf die im heutigen Koran nicht mehr erhaltene Sure „Das Kamel Gottes“ (γραφὴ τῆς καμήλου τοῦ θεοῦ) und zitiert daraus.[18] Es ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die uns heute vorliegende Fassung des Korans dem Damascener grundsätzlich bekannt war. Seine sehr guten Kenntnisse der koranischen Anschauungen lassen sich in dem uns überlieferten Koran allesamt nachweisen.[19]
Im Mittelpunkt der Kontroverse steht vor allem die Person Jesu Christi. Johannes macht den Gegensatz zwischen der christlichen und „neuartigen“ Lehre am Verständnis Jesu Christi fest:
Er (sc. Μάμεδ) sagt, dass es einen einzigen Gott gibt, den Schöpfer des Alls, der weder gezeugt wurde noch gezeugt hat. Er sagt, dass Christus das Wort Gottes und sein Geist ist, aber geschaffen und ein Diener, und dass er von Maria, der Schwester von Mose und Aaron[20], ohne Samen geboren wurde. Denn das Wort Gottes, sagt er, und der Geist gingen in Maria ein, und sie gebar Jesus, der ein Prophet und ein Diener Gottes war; und dass die Juden gesetzeswidrig handelten und ihn kreuzigen wollten, und sie ergriffen (ihn), kreuzigten (nur) sein Schattenbild, Christus aber selbst wurde nicht gekreuzigt, sagt er, auch starb er nicht. Denn Gott nahm ihn zu sich in den Himmel, weil er ihn liebte. Auch dieses aber sagt er, dass, als Christus in die Himmel hinaufgestiegen war, Gott ihn fragte und sprach: Oh Jesus, hast du (etwa) gesagt: ‚Ich bin Sohn Gottes und Gott‘? Und Jesus antwortete, sagt er, ‚Sei mir gnädig, Herr! Du weißt, dass ich es nicht gesagt habe, auch habe ich mich nicht überheblich gezeigt, dein Diener zu sein. Aber die Menschen, die Frevler, haben geschrieben, dass ich dieses Wort gesagt hätte, und sie erfanden Lügen über mich, und sie sind irregeführt‘. Und Gott, sagt er, antwortete ihm: ‚Ich weiß, dass du dieses Wort nicht gesagt hast‘.[21]
Johannes gibt die Auffassung des Korans in Bezug auf Jesus Christus sehr präzise wieder.[22] Verschiedene Aussagen aus seinem zeitgenössischen Koran werden hier zusammengefasst und paraphrasiert:[23] Dass Gott sich weder ein Kind gezeugt habe noch selbst – wie die Christen im Hinblick auf den Sohn Gottes behaupten – gezeugt sei, wird exponiert in Sure 112,1.3 in Abgrenzung vom Christentum geäußert: „Er ist Gott, ein Einziger. […] Er hat weder gezeugt, noch ist er gezeugt worden.“[24] Daraufhin behauptet der Damascener kühn, dass Mohammed die samenlose Zeugung Jesu durch das Wort und den Geist Gottes gelehrt habe. Nun wird im Koran der göttliche Ursprung Jesu nicht geleugnet. Dabei wird Jesus Christus explizit als Wort und Geist Gottes bezeichnet, was seinen Status als Gesandten Gottes konstituiert und ihn zum besonderen Propheten und Diener macht (Sure 4,171): „Christus Jesus, der Sohn der Maria, ist nur der Gesandte Gottes und sein (Gottes) Wort (kalima), das er an Maria richtete, und Geist von ihm.“[25]
Aufgrund der göttlichen Herkunft Jesu Christi wird auch der schmähliche Tod am Kreuz im Koran bestritten. Denn der Gesandte Gottes ließe sich keinesfalls durch die Hände der Menschen ergreifen, vielmehr sei ein anderer an seiner Stelle getötet worden.[26] Die Vorstellung vom Scheintod Jesu ist bereits seit dem zweiten Jahrhundert in bestimmten gnostischen Kreisen vertreten worden.[27] Die leitende Absicht dieser Annahme besteht darin, dass ein göttlicher Mensch dem Zugriff der Übeltäter enthoben bleibt. Gott habe ihn vielmehr zu sich in den Himmel erhoben[28] und auf diese Weise seinen göttlichen Status bestätigt,[29] ohne ihn zu einem Gott bzw. Sohn Gottes im Sinne der Wesensgleichheit mit Gott Vater machen zu wollen.
Johannes bestätigt, dass sich der Koran explizit von einer Vorstellung der trinitarischen Gottheit distanziert: „Sie nennen uns aber ‚Beigeseller‘ (ἑταιριαστής), weil wir, sagt er (sc. Μάμεδ), Gott heimlich einen Gesellen (ἑταῖρος) einführen, indem wir (nämlich) sagen, Christus sei Sohn Gottes und Gott.“[30] In der Tat wird dieser Vorwurf ausdrücklich von Seiten des Korans den Christen gemacht: Sie haben Christus, den Sohn der Maria, zu einem Gott erklärt und ihn dem einzig wahren Gott auf diese Weise „beigesellt“,[31] so dass sie nun behaupten: „Gott ist einer von dreien.“[32]
Auf den Vorwurf, dass die Christen Gott einen Gefährten beigesellen, reagiert Johannes folgendermaßen: Wenn Christus im Koran ausdrücklich als Wort und Geist Gottes bezeichnet wird, so muss aus seiner Sicht die koranische Vorstellung der Gottheit neu überdacht werden:[33]
Denn das Wort und der Geist sind von dem, in dem sie von Natur aus sind, nicht trennbar. Wenn also in Gott (etwas) als sein Wort ist, (so) ist klar, dass es auch Gott ist. Wenn es aber außerhalb von Gott ist, (dann) ist Gott nach euch vernunftlos (ἄλογος) und geistlos (ἄπνους).[34]
Mit dieser Argumentation legt Johannes den Grundstein für die Widerlegung der koranischen Anschauung von Jesus. Er stellt zunächst einmal die gemeinsame Ausgangslage her, gemäß welcher Jesus als λόγος und πνεῦμα Gottes verstanden wird. Nun kann Gott nicht ohne den Logos und seinen Geist beschrieben werden. Hier rekurriert der Damascener insbesondere auf die Vorstellung im Johannesprolog (Joh 1,1: Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος): Wenn das Wort von Natur aus bei Gott existiert, so ist auch sein Logos mit Gott zu identifizieren (καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος). Auf ähnliche Weise verhält es sich auch mit dem Geist Gottes (vgl. Expositio fidei 1,7).[35] Der Damascener versucht somit, aus dem Zeugnis des Korans die Trinität der Gottheit nachzuweisen sowie mit neutestamentlichen Aussagen in Verbindung zu bringen, um auf diese Weise die Dreiheit in der Einheit Gottes implizit seinen Zeitgenossen nahezulegen.
Diese Argumentation wird im dritten Teil der Trilogie – in der Expositio fidei – vertieft.[36] In Expositio fidei 1,6 führt Johannes den Nachweis hinsichtlich des Logos Gottes als eine der drei Hypostasen des einen Wesens Gottes:
Dieser einzige und alleinige Gott ist also nicht ohne Logos (ἄλογος). Indem er aber einen Logos hat, wird er ihn nicht ohne eigene Subsistenz haben, der weder zu existieren angefangen hat noch aufhören wird. Denn es gab nie eine Zeit, da Gott ohne Logos (ἄλογος) war. Vielmehr besitzt er immer seinen eigenen Logos, der aus ihm gezeugt wurde, nicht gemäß unserem Wort, das ohne eigene Subsistenz ist und sich in die Luft ergießt, sondern er (sc. Logos) ist subsistierend, lebendig, vollkommen, weicht nicht von ihm (sc. Gott), sondern ist immer in ihm. […] Da Gott aber immer existiert und vollkommen ist, wird sich (auch) sein eigener Logos vollkommen, subsistierend verhalten, immer bestehen, lebendig sein und alles besitzen, was der Erzeuger hat.[37]
Somit ist für Johannes der Beweis erbracht, dass der Logos als zweite Person der Gottheit mit Gott zu identifizieren ist. Da Gott schon immer seinen Logos besitzt und ohne ihn nicht gedacht werden kann, muss sein Wort selbst Gott sein.[38] Im Gegensatz zum Koran ist jedoch der Logos nicht geschaffen (κτιστός),[39] sondern ist aus einer ewigen Zeugung in Gott selbst hervorgegangen. Aufgrund der Ansicht von der Kreation Jesu im Koran[40] geht Johannes vom Einfluss eines „arianischen Mönchs“ auf Mohammed in dieser Verhältnisbestimmung Jesu zu Gott aus. Daher argumentiert er mit antiarianischen Annahmen zugunsten der zeitlosen und ewigen Erzeugung des Sohnes Gottes.[41] Im Anschluss an ein Zitat aus dem konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis[42] führt Johannes sein Verständnis hinsichtlich der Erzeugung der zweiten Hypostase der Gottheit aus:
Mit den Worten ‚vor aller Zeit‘ zeigen wir an, dass seine Zeugung zeit- und anfangslos ist. Denn der Sohn Gottes wurde nicht aus dem Nichtsein ins Sein herbeigeführt, er, welcher ‚der Abglanz der Herrlichkeit, der Abdruck des Wesens‘ (Hebr 1,3) des Vaters ist, die lebendige ‚Weisheit und Kraft‘ (vgl. 1Kor 1,24), das Wort, das in sich selbst subsistiert, das wesenhafte und vollkommene und lebendige ‚Abbild des unsichtbaren Gottes‘ (Kol 1,15), (nein) vielmehr war er immer mit dem Vater und in ihm, ewig und anfangslos aus ihm gezeugt. Denn es gab nie eine Zeit, da der Vater war, als der Sohn nicht existierte, sondern mit dem Vater war zugleich der Sohn aus ihm gezeugt. Denn ohne den Sohn könnte der Vater nicht (als solcher) heißen.[43]
Die anfangs- und zeitlose Entstehung des Sohnes leitet Johannes aus der Bezeichnung des Gott-Vaters ab, der als solcher nur infolge der ewigen Erzeugung des Sohnes genannt werden kann. Umgekehrt dürfte er nicht als Vater bezeichnet werden, wenn der Sohn einen zeitlichen Anfang seiner Existenz erhielte. Denn dann müsste Gott zu einem bestimmten Zeitpunkt ohne den Sohn gewesen sein und dürfte somit nicht immerwährender Vater im vollen Sinne genannt werden.
3 Die Vorstellung von der Inkarnation Gottes als entscheidender Differenzpunkt
3.1 Die samenlose Zeugung Jesu
An der Vorstellung von der Inkarnation Gottes zeigt sich für Johannes die entscheidende Differenz zu der im Koran geäußerten Ansicht hinsichtlich der Entstehung Jesu Christi. In dem zu seiner Zeit verbreiteten Koran wird explizit die samenlose Zeugung Jesu in der Jungfrau Maria vertreten. Johannes bekräftigt diese Sicht seines Korans, dass nämlich das Wort Gottes und dessen Geist in Maria eingingen, woraufhin sie schwanger wurde und Jesus als Propheten und Diener Gottes gebar.[44] Auch in dem uns heute überlieferten Koran wird diese Annahme bestätigt (Sure 21,91): „Und die, die ihre Scham unter Schutz stellte/hütete (sc. Maria). Da hauchten wir in sie von unserem Geist […] und machten sie und ihren Sohn zu einem Zeichen für die Weltenbewohner.“[45] Auch in Sure 19,17 wird ausdrücklich von der Geistsendung bei der Zeugung Jesu gesprochen: „Und wir sandten unseren Geist zu ihr (sc. Maria). Der stellte sich ihr dar als ein wohlgestalteter (w. ebenmäßiger) Mensch.“[46] Dieser tritt als Gesandter des Herrn mit dem Auftrag auf, Maria „einen lauteren Jungen zu schenken“[47] – nämlich Jesus, der ein Erzeugnis der Einhauchung des Geistes und des Wortes Gottes ist. Denn in Sure 3,45 wird Jesus mit dem Wort selbst identifiziert: „(Damals,) als die Engel sagten: ‚Maria! Gott verkündet dir ein Wort von sich, dessen Name Jesus Christus, der Sohn der Maria, ist! Er wird im Diesseits und im Jenseits angesehen sein, einer von denen, die (Gott) nahestehen‘.“[48]
Ähnlich wie in Sure 19,16 – 22 und 3,42 – 51 beschreibt Johannes in Anlehnung an die Geburtsankündigung Jesu im Lukasevangelium (Lk 1,26 – 38) narrativ die Umstände, die zur Schwangerschaft Marias geführt haben.[49] Die entscheidende Differenz gegenüber der koranischen Darstellung besteht in der Aussage von Lk 1,35: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Sohn Gottes (υἱὸς θεοῦ) genannt werden.“[50] Im Koran wird das neugeborene Kind stattdessen ein besonderer Mensch im Sinne eines Propheten und Dieners Gottes, ein Zeichen für die Menschen in aller Welt sein. Johannes hält in Abgrenzung dazu ganz bewusst an der Gottessohnschaft Jesu fest:
Nach der Zustimmung der heiligen Jungfrau kam also der Heilige Geist über sie gemäß dem Wort des Herrn, das der Engel sprach, reinigte sie und verlieh ihr sowohl die zur Aufnahme der Gottheit des Logos als auch zugleich die zum Erzeugen geeignete Kraft. Und dann überschattete sie die in sich subsistierende Weisheit und Kraft Gottes, des Höchsten, der Sohn Gottes, der mit dem Vater wesensgleich (ὁμοούσιος) ist – wie ein göttlicher Same –, und bildete sich aus ihrem lauteren und reinsten Blut Fleisch, das von einer vernünftigen und geistigen Seele belebt ist, als ‚Erstling unseres Teiges‘ (vgl. Röm 11,16), nicht samenhaft, sondern schöpferisch durch den Heiligen Geist.[51]
Für Johannes bleibt Gott das handelnde Subjekt bei Marias Empfängnis. Der Verdacht menschlicher Zeugung soll auf jeden Fall ausgeschlossen werden. Daher stellt der Damascener die These auf, die als Kernsatz seiner Inkarnationsvorstellung anzusehen ist: „Der Logos (Gottes) selbst wurde für das Fleisch zur Hypostase!“[52] Dabei schließt er die Annahme aus, dass sich der Logos bereits mit einem vorher existierenden Fleisch vereinte und so einen eigenen Körper mitbrachte, bevor er in Maria einging. Vielmehr wohnte er im Mutterschoß der Jungfrau und brachte in seiner eigenen Hypostase als Gott-Logos aus ihrem reinen Blut für sich Fleisch hervor. Auf diese Weise wird das Geheimnis der Inkarnation in Form der Annahme des materiellen Zustands gedeutet. Er erschafft sich also in Maria eine eigene Hypostase des Fleisches. Daher wird er als Logos Fleisch, bleibt aber weiterhin der Gott-Logos.
Bei der Beschreibung des Inkarnationsvorgangs möchte Johannes die Vorstellung vermeiden, dass Jesus nur ein „vergöttlichter Mensch“ gewesen sei.[53] Mit dieser Abgrenzung trifft er offenbar auch die Position des Korans, in dem durchaus eine göttliche Herkunft Jesu und die anschließende Entrückung vor seinem Kreuzestod angenommen wird. Jesus ist dort nämlich ein Erzeugnis des Wortes und Geistes Gottes, aber kein Gott oder Sohn Gottes, sondern nur ein exponierter Mensch, der den Status eines Propheten und Gott nahestehenden Dieners innehat.
Für den Damascener ist Jesus hingegen in seiner Körpergestalt ein „menschgewordener Gott“, was er mit allem Nachdruck betont. Er ist ein in menschlicher Gestalt lebender Gott, der jedoch das Menschsein nicht aufhebt: „Denn derselbe (Logos), der von Natur ein vollkommener Gott ist, ist von Natur ein vollkommener Mensch geworden.“[54] Er verändert sich nicht in seiner Natur, noch nimmt er zum Vollzug des göttlichen Heilsplans die leibliche Gestalt nur zum Schein an, ohne sich gänzlich mit der Menschennatur zu verbinden. Vielmehr erhält er aus der Jungfrau Maria Fleisch, das mit einer vernünftigen und geistigen ψυχή beseelt wird. Er vereinigt sich mit der menschlichen Natur durch die Hervorbringung einer fleischlichen Hypostase.[55] Dabei hält Johannes streng an der Unterscheidung der beiden Naturen in der einen zusammengesetzten Hypostase des Gott-Menschen Jesus fest.
Der Gott-Logos verwandelt nicht die Natur seiner Gottheit in die Wesenheit des Fleisches, sondern beide Naturen bleiben bei dieser Vereinigung unvermischt und unverändert, jedoch nicht geteilt für sich bestehen. Umgekehrt verwandelt sich auch nicht das Wesen des Fleisches in die Natur seiner Gottheit.[56] Es entsteht keinesfalls ein vergöttlichtes Fleisch, so dass der Logos als ein besonderer und göttlicher Mensch wahrzunehmen wäre. Vielmehr nimmt er die sterbliche und den Affekten ausgesetzte Menschennatur vollständig an und wird auf diese Weise ein vollkommener Mensch.
Trotz der zwei in Christus bestehenden Naturen ist der Mensch Jesus als eine gänzliche Vereinigung der Gottheit und der Menschheit anzusehen. In diesem Sinne erscheint Johannes als ein typischer Vertreter der Zwei-Naturen-Lehre: „Wir bekennen nämlich, dass derselbe aus Gottheit und Menschheit (Bestehende) vollkommener Gott und vollkommener Mensch ist und genannt wird, aus zwei und in zwei Naturen.“[57] Dabei stellt die Bezeichnung „Christus“ den Namen der aus zwei Naturen zusammengesetzten Hypostase dar. Johannes spielt hierbei auf die Bedeutung Christi als „Gesalbten“ an.[58] Er salbt sich nämlich selbst: Als Gott salbt er den Leib mit seiner Gottheit; als Mensch aber wird er gesalbt und ist auf diese Weise der Empfänger der Salbung.[59] In einer Art Bekenntnis hält der Damascener erneut an der Unterscheidung der zwei Naturen in Jesus Christus fest:
Wir bekennen in zwei vollkommenen Naturen eine Hypostase des Sohnes Gottes und des Fleischgewordenen, indem wir dieselbe Hypostase der Gottheit und seiner Menschheit aussagen, und wir bekennen, dass die zwei Naturen in ihm nach der Einigung bewahrt bleiben, indem wir nicht jede für sich und der Reihe nach bestimmen, sondern sie werden miteinander in der einen zusammengesetzten Hypostase verbunden.[60]
3.2 Das Sterben Jesu am Kreuz
Die Vereinigung der beiden Naturen geschieht dem Wesen nach und ist als eine wirkliche und keineswegs als eine scheinbare Verbundenheit aufzufassen.[61] Johannes stellt besonders diesen Zusammenhang in Hinblick auf seine Rezipienten heraus, dass nämlich der Gott-Logos nicht zum Schein die Menschennatur annimmt. Der Logos ist nicht bloß in einer Menschenhülle auf Erden erschienen, er ist auch nicht ein Mensch göttlichen Ursprungs, der sich dem Tod am Kreuz durch die Auffahrt in den Himmel zu Gott entzieht. Vielmehr nimmt er wirklich die sterbliche Natur der Menschen an und erleidet den Tod. Hier ist eine deutliche Abgrenzung von der Sicht des Korans erkennbar. Denn wenn nur sein Schatten gekreuzigt wäre, hätte er als Mensch nicht gelitten. Er hätte sein Menschsein am Kreuz nur dem Anschein nach dargeboten, ohne sich selbst dem Tod auszuliefern.
Dennoch betrifft das Sterben am Kreuz keinesfalls seine göttliche Natur, sondern nur seine Menschennatur. An dieser Stelle wird nun ganz bewusst zwischen den beiden Naturen Christi unterschieden, um das Sterben der Gottheit zu vermeiden.[62] Es ist unvorstellbar, dass die Göttlichkeit des Sohnes den Tod erleiden sollte, denn dann wäre eine der Hypostasen der Gottheit und somit Gott selbst gestorben. Auch im Koran spiegelt sich diese Vorstellung indirekt wider, dass nämlich der göttliche Mensch keinesfalls den Tod erlitten haben konnte. Wenn Johannes das wirkliche Leiden Jesu nicht aufheben möchte, muss er plausibel erklären, was nun am Kreuz gestorben ist. An dieser Stelle gibt die Zwei-Naturen-Lehre eine mögliche Erklärung. Es stirbt nämlich nur die Menschheit Jesu, während seine Gottheit davon nicht betroffen ist:
Denn das Geschaffene ist geschaffen und das Ungeschaffene ungeschaffen geblieben, und das Sterbliche blieb sterblich und das Unsterbliche unsterblich, das Umschriebene umschrieben, das Unbegrenzte unbegrenzt, das Sichtbare sichtbar und das Unsichtbare unsichtbar. ‚Das eine leuchtet durch Wundertaten hervor, das andere unterliegt den Misshandlungen‘.[63]
Er bietet dadurch seinen „koranischen Rezipienten“ eine Brücke zum Verständnis: Was nicht gelitten hat, ist seine Gottheit, während seine Menschheit tatsächlich leidet.[64] Auf diese Weise ist der scheinbare Tod nur auf die Gottesnatur, nicht aber auf die Menschennatur zu beziehen. Die beiden Naturen dürfen somit bei der Heilshandlung des Gott-Logos am Kreuz nicht verwechselt werden, so als ob die Gottheit gelitten hätte. Vielmehr überwindet die göttliche Natur die Macht des Todes und erweckt den verstorbenen Menschen. Die Gottheit Christi bleibt auf diese Weise der Todessphäre enthoben und ist das handelnde Subjekt bei der Erlösung der Menschheit infolge der Auferstehung Jesu von den Toten.
Aus diesem Grund kann Johannes auch von beiden Gegensätzen in der einen Hypostase des fleischgewordenen Gott-Logos sprechen: Mit Rücksicht auf die Unterschiedenheit der beiden Naturen setzt sich die Wesenheit Christi aus diesen beiden Polen und somit aus dem Gegensätzlichen zusammen. Der Gottheit nach ist sie mit dem Vater und dem Heiligen Geist wesensgleich (ὁμοούσιος), der Menschheit nach aber mit der Mutter und dadurch mit allen Menschen.[65] Diese Verbundenheit sowohl mit Gott als auch mit Menschen weist die besondere Hypostase des Gott-Logos als Teil der göttlichen Dreieinheit aus. Denn seine beiden Naturen werden infolge der Inkarnation in der einen zusammengesetzten Hypostase vereinigt, was den Gott-Menschen Jesus einzigartig macht. Er unterscheidet sich nämlich durch diese Vereinigung sowohl von den anderen beiden Hypostasen der Gottheit als auch von der Menschheit in seiner besonderen Verbindung der göttlichen und der menschlichen Natur zu einer vollkommenen Einheit.[66]
3.3 Wechselseitige Durchdringung (communicatio idiomatum)
Ohne die Naturen der Gottheit und der Menschheit in Jesus Christus zu vermischen, spricht Johannes von ihrer wechselseitigen Mitteilung. Die Unterscheidung der Naturen wird an ihren spezifischen Eigentümlichkeiten festgemacht. Die Gottheit Jesu bleibt leidensunfähig und nicht geschaffen, während seine Menschheit leidensfähig und geschaffen ist.[67] In der einen Hypostase des Gott-Logos vereinen sich die beiden Naturen, so dass Christus aus beiden bestehend „sowohl Gott als auch Mensch, geschaffen und ungeschaffen, leidensfähig und leidenslos genannt wird“[68]. Als Sohn Gottes und Gott nimmt er die Eigenheiten der Natur des Fleisches an, so dass er nach 1Kor 2,8 als „gekreuzigter Herr der Herrlichkeit“ und daher als „leidensfähiger Gott“ bezeichnet werden kann – nicht sofern er Gott, sondern sofern er als derselbe auch Mensch ist.[69] Als Mensch und Menschensohn nimmt er die Besonderheiten und Auszeichnungen des göttlichen Wesens an, so dass er „vorzeitiges Kind und anfangsloser Mensch“ genannt wird. Er erhält alle diese Bezeichnungen, nicht weil er ein Kind und Mensch ist, sondern weil er ein vorzeitlicher Gott ist, zuletzt aber ein Kind infolge der Geburt aus der Jungfrau Maria wird.[70]
Johannes fasst dieses Wechselverhältnis so zusammen: „Und dies ist die Art der Wechselmitteilung: Jede Natur teilt der anderen infolge der Identität der Hypostase und infolge ihrer wechselseitigen Durchdringung (ihre jeweiligen) Eigenheiten mit.“[71] Auf diese Weise kann von Christus gesagt werden, dass er als unser Gott auf Erden erschienen ist und dass er als dieser Mensch – seiner Gottheit nach – ungeschaffen, leidenslos und unbegrenzt ist.[72]
Während Johannes bei der communicatio idiomatum von der gegenseitigen Durchdringung der beiden Naturen ausgeht, bleibt dennoch die Gottheit das dominierende Subjekt. Denn die περιχώρησις geht von Seiten der göttlichen Natur aus.[73] Sie teilt dem Fleisch ihre eigenen Vorzüge mit, bleibt aber von den Affekten des Fleisches unbeeinflusst.[74] Die Einigung der beiden Naturen bleibt auf diese Weise unvermischt, so dass ihre jeweiligen Eigenschaften unversehrt bewahrt werden. Das Fleisch des Herrn gewinnt aufgrund seiner hypostatischen Einheit mit dem Gott-Logos die göttlichen Wirksamkeiten, ohne jedoch einen Verlust seiner natürlichen Eigenheiten zu erleiden.[75] Es ist sterblich aufgrund der natürlichen Eigenart, lebendig machend aufgrund der hypostatischen Verbindung mit dem göttlichen λόγος.[76]
3.4 Gott-Logos als Hypostase für das Fleisch
Wie wird nun der Gott-Logos für das Fleisch zur Hypostase? Diese theologische Fragestellung zielt auf die Explikation des Inkarnationsgeschehens. Zunächst bemüht sich der Damascener um eine präzise Definition des Terminus ὑπόστασις: Die „Hypostase“ wird als Wesenheit mit den hinzukommenden Merkmalen definiert.[77] Daher besitzt die Hypostase das Gemeinsame neben dem Eigentümlichen.[78] Im Unterschied dazu besteht die οὐσία der Gottheit nicht für sich selbst, sondern wird in den drei Hypostasen betrachtet.[79] Wenn also eine der Hypostasen leidet, so betrifft das Leiden die ganze Wesenheit in einer ihrer Hypostasen. Es ist jedoch nicht notwendig anzunehmen, dass alle gleichartigen Hypostasen zugleich mit der einen Hypostase leiden.[80] Aus dieser Erörterung zieht Johannes die Schlussfolgerung in Bezug auf Gott:
So bekennen wir also, dass die ganze Natur der Gottheit vollkommen in jeder ihrer Hypostasen ist, ganz im Vater, ganz im Sohn, ganz im Heiligen Geist. Darum ist auch der Vater vollkommener Gott, der Sohn vollkommener Gott, der Heilige Geist vollkommener Gott.[81]
Wie wird nun der Sohn Gottes als Hypostase der göttlichen Wesenheit Mensch? Aus der Perspektive der göttlichen Trinität vereinigt sich der Gott-Logos als eine der drei Hypostasen der Gottheit bei der Inkarnation mit der ganzen menschlichen Natur. Diese Vereinigung findet nicht abstrakt mit der gesamten Menschennatur, sondern ganz konkret bei der Zeugung Jesu in der Jungfrau Maria – stellvertretend für alle – mit dem einen Menschen statt. Dabei geht die Fleischwerdung allein von der Hypostase des Gott-Logos und nicht von der Hypostase des Vaters oder der des Heiligen Geistes aus, jedoch in Übereinstimmung mit der gesamten Gottheit und so nach ihrem Wohlgefallen und Willen. Dennoch kann Johannes sagen, dass sich die ganze Wesenheit der Gottheit mit der ganzen menschlichen Natur vereint hat[82] – genauer gesagt – in der einen Hypostase des Sohnes Gottes:
Denn nichts von dem, was der Gott-Logos unserer Natur eingepflanzt hat, als er uns von Anfang an gebildet hatte, hat er ausgelassen, sondern alles hat er angenommen, einen Leib, eine geistige und vernünftige Seele und deren Eigentümlichkeiten – denn ein Lebewesen, das eines davon nicht hat, ist kein Mensch. Denn er hat als Ganzer mich ganz angenommen, und ganz hat er sich mit dem Ganzen vereinigt, um dem Ganzen das Heil zu schenken.[83]
Für Johannes besteht der ursprünglich gebildete Mensch aus einer Seele und einem Leib. Daher nimmt auch der Logos beide Bestandteile des Geschöpfes an, um dem ganzen Menschen die Erlösung mitzuteilen. Dabei beruft sich der Damascener auf Gregor von Nazianz als kirchliche Autorität, um die Absicht der Menschwerdung Gottes anzudeuten: „Was nämlich nicht angenommen ist, kann (auch) nicht geheilt werden.“[84]
Johannes expliziert daraufhin die Inkarnation Gottes in der konkreten Menschennatur. Seine leitende Fragestellung lautet: In welchem Teil des Menschen findet die Verbindung mit dem Gott-Logos statt? Nun vereinigt sich der göttliche Logos mitten im Geist (διὰ μέσου νοῦ) des Menschen. Der νοῦς nimmt eine Vermittlerfunktion zwischen der Reinheit Gottes sowie der Materialität und Grobheit des Fleisches ein:[85] „Der (menschliche) νοῦς ist zur Wohnstätte der mit ihm in der Hypostase geeinten Gottheit geworden.“[86] Der Damascener hält auf diese Weise an der Prämisse fest, dass sich die Gottheit nicht gänzlich mit der groben Materie vermischt. Die Verbindung mit dem Fleisch findet durch die Einwohnung des Gott-Logos im νοῦς der Menschenseele als Abbild des Wesens Gottes statt. Denn allein die vernünftige und geistige Seele sowie der νοῦς als ihr höherer Teil – keineswegs jedoch der Körper – spiegeln die Erschaffung nach dem Ebenbild Gottes wider.[87]
3.5 Die Jungfrau Maria als Gottesgebärerin
In Abgrenzung von Nestorius hält Johannes an der Bezeichnung der Jungfrau Maria als θεοτόκος fest. Nestorius (ca. 381 – 451) hat sich selbst noch für die Benennung der Maria als „Christusgebärerin“ (χριστοτόκος) eingesetzt, um auf diese Weise die zwei Naturen in Jesus Christus zu wahren. Maria war weder eine Menschengebärerin noch eine Gottesgebärerin, sondern brachte Christus in seinen beiden Naturen als wahren Gott und wahren Menschen hervor. Nun gilt Nestorius zur Zeit des Damasceners längst als „Häretiker“ und seine wirkliche Absicht und Vorstellung der Zwei-Naturen-Lehre werden nicht mehr ernsthaft diskutiert.[88] Er dient nur als Mittel zur Abgrenzung und Explikation der eigenen Position, ohne dessen Aussageabsicht wirklich wahrzunehmen.
Johannes möchte mit der Bezeichnung der Maria als θεοτόκος die Gottesgeburt und somit die Gottheit Jesu in Anbetracht der zeitgenössischen religiösen Herausforderung betonen. Gerade die Gottheit Jesu wird ja im Koran bestritten, so dass Maria keinen Gott, sondern einen ganz gewöhnlichen Menschen geboren habe – freilich einen Propheten, der von Gott erwählt sei.[89] Für Johannes gelten insbesondere die Könige und Priester als Gesalbte und können daher auch als „Christusse“ bezeichnet werden.[90] Wenn Jesus nur auf seinen Status als Christus reduziert werde, besteht für den Damascener die Gefahr, ihn als bloßen Menschen zu verstehen.[91] Aus diesem Grund wird auch Nestorius unterstellt, dass er in der Person Jesu nur die Menschheit und keineswegs die Göttlichkeit vertreten wissen wollte.[92] Indem Johannes mit Nestorius ein Negativbild konstruierend aufgreift, trifft er in Wahrheit das koranische Verständnis von Jesus als bloßen Menschen, selbst wenn dieser von Gott in besonderer Weise erwählt worden sei.
In der Bezeichnung der Maria als „Gottesgebärerin“ schwingt somit die gesamte Debatte um die Göttlichkeit und Menschlichkeit und deren Verhältnis zueinander in der Person Jesu Christi mit. Für den Damascener wird die Jungfrau zu Recht als θεοτόκος genannt, da sie den wahrhaftigen Gott, der aus ihr Fleisch genommen hat, zur Welt bringt.[93] Der vor aller Zeit gezeugte und ohne Anfang präexistierende Gott-Logos wohnt „am Ende der Tage“ (Hebr 1,2) um unseres Heils willen in ihrem Mutterleib und nimmt aus ihr Fleisch an, ohne sich zu verwandeln.[94] Jesus behält auch im embryonalen Zustand in der schwangeren Maria seine Gottheit und wird nicht als ψιλὸς ἄνθρωπος, sondern als fleischgewordener Gott geboren. Er eignet sich auf diese Weise wirklich die menschliche σάρξ an und bringt nicht einen vom Himmel stammenden Körper mit, um durch den Mutterleib der Maria – wie durch einen Kanal – hindurchzugehen, ohne sich mit ihr wesenhaft zu verbinden.[95] Vielmehr nimmt er aus ihr uns wesensgleiches Fleisch an und bringt in sich selbst die Hypostase des Körpers hervor.[96]
3.6 Die Absicht der Menschwerdung Gottes
Die Inkarnation Gottes hat ein ganz bestimmtes Ziel in der göttlichen Heilsökonomie, denn sie findet um der Menschen und ihrer Erlösung willen statt: „Denn die Menschwerdung des Gott-Logos ist darum geschehen, damit die sündige, gefallene und verdorbene Natur selbst den Tyrannen, der sie täuschte, besiege und so vom Verderben befreit werde.“[97] Johannes rekurriert mit dieser Aussage auf die in der christlichen Tradition bekannte Vorstellung von der Täuschung der Protoplasten durch den Teufel, der auf diese Weise die Menschen zu Fall bringt. Wie der Satan die ersten Geschöpfe getäuscht und von Gott abgebracht habe, müsse auch er selbst mit den Mitteln des Betrugs gleichermaßen überwunden werden. Nur so kann die Entfremdung der Kreaturen von Gott rechtmäßig bewältigt und die Macht des Bösen gebrochen werden.
Johannes bringt die Absicht der Menschwerdung Gottes sehr präzise auf den Punkt: „Denn er (sc. der Gott-Logos) ist Mensch geworden, damit das Besiegte den Sieg davontrage.“[98] Der Logos nimmt also die Menschengestalt an, um seinen Geschöpfen den Sieg über den Feind zu gewähren. Durch den Glauben an die Erlösungstat Jesu Christi können sich die Menschen die von ihm vollbrachte Überwindung der Todesherrschaft aneignen und nur auf diese Weise siegreich werden. Der Gott-Logos hätte zwar die Macht gehabt, die Menschen ohne Inkarnation und ohne das Sterben am Kreuz der Gewalt des Tyrannen zu entreißen, aber dann müsste er sich von Seiten des Feindes die Anklage gefallen lassen, unrechtmäßig die Menschen erlöst zu haben.[99]
Der Teufel, der die Menschen durch den Sündenfall besiegte und in seine Gewalt brachte, muss vom Besiegten selbst überwunden werden. Er täuschte den Menschen und entfremdete ihn von Gott. In gleicher Weise muss er von einem Menschen selbst mit den Mitteln der Täuschung bewältigt werden. Da die Menschen dazu nicht in der Lage sind, vollbringt Gott diese Heilshandlung an ihrer Stelle und wird Mensch. Die Inkarnation Gottes zielt daher darauf, seinen Geschöpfen Hilfe zur Überwindung des Feindes zu verschaffen: „Da also der mitfühlende und menschenliebende Gott den Gefallenen selbst zum Sieger machen wollte, wird er Mensch, um das Gleiche durch den Gleichen zu sich zu rufen.“[100] Da der Feind nämlich beim Tod Jesu die Herrschaft über ihn witterte und sein Fleisch in Besitz nehmen wollte, wurde er, da Christus sündlos blieb, getäuscht und hatte kein Anrecht auf sein Fleisch. Infolge der Auferstehung der σάρξ Jesu wird ihm die Todesherrschaft über alle Menschen genommen, so dass er auf diese Weise seine Machtstellung verliert.[101] Durch diese Überwindung des Bösen wird allen Kreaturen im Vertrauen auf den Erlöser derselbe Sieg zuteil.
Der Feind kann also nur durch die vollkommene Menschenannahme des Gott-Logos und auf keine andere Weise besiegt werden. Daher muss der Sohn Gottes ganz Mensch werden und sich nicht nur mit einem Teil des Menschseins vereinen. In diesem Zusammenhang verteidigt Johannes die vollgültige Aneignung der menschlichen Existenz durch den Logos Gottes. Der Logos erhält durch die Inkarnation weder ein unbeseeltes Fleisch noch eine Seele ohne νοῦς, denn sonst wäre er nicht gänzlich Mensch geworden. Diese Abgrenzung richtet sich offenbar gegen die Anhänger des Apollinaris von Laodizea (ca. 315 – 392), der noch behauptete, dass sich der Logos Gottes direkt mit dem menschlichen Fleisch ohne Vermittlung einer vernunftbegabten Seele verbunden habe: Der göttliche Logos tritt anstelle der vernünftigen Seele mit der σάρξ direkt in Verbindung, so dass Jesus als himmlischer Mensch auf Erden erscheint. Auf diese Weise sollten die Einzigartigkeit des göttlichen Menschseins und die Sündlosigkeit Jesu auf der Grundlage von Joh 1,14a plausibel gemacht werden: „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns.“ Der menschliche νοῦς als Teil der Seele wird also durch den λόγος τοῦ θεοῦ ersetzt.[102]
Johannes nimmt zu dieser Ansicht Stellung: Wenn der νοῦς der Menschenseele in das Inkarnationsgeschehen nicht involviert wäre, dann nähme der Gott-Logos lediglich einen Teil des Menschseins an und ließe die Seele aus. Er würde somit nicht ganz Mensch in seiner psycho-somatischen Einheit.[103] Dabei beruft sich der Damascener erneut auf die prägnante Aussage des Gregor von Nazianz: „Was nämlich nicht angenommen ist, kann (auch) nicht geheilt werden.“[104] Die Menschwerdung Gottes kommt allein in der soteriologischen Ausrichtung zu ihrem Ziel: „Er nimmt also den ganzen Menschen an, auch dessen Bestes, das aus Schwachheit gefallen ist, um dem ganzen (Menschen) das Heil zu schenken.“[105]
„Da der Gott-Logos das Ebenbildliche erneuern wollte, ist er Mensch geworden. Was ist aber das Ebenbildliche, wenn nicht der νοῦς? Soll er also das Bessere ausgelassen, das Geringere (aber) angenommen haben?“[106] Der Gott-Logos vereinigt sich also in der Inkarnation mit dem menschlichen νοῦς, der allein als der bessere Teil das Ebenbild Gottes im Menschen repräsentiert. Durch diese Verbindung werden beide Naturen im Gott-Menschen Jesus unversehrt bewahrt, es kommt nicht zur Vermischung der Naturen. Vielmehr findet eine Vermittlung zwischen der Reinheit Gottes und der materiellen Grobheit des Fleisches statt.[107] Hätte der Herr aber eine Seele ohne den νοῦς angenommen – wie Apollinaris erwogen hat –, so hätte er sich gleichsam mit der Seele eines vernunftlosen Tieres vereinigt, was eine wirkliche Menschwerdung ausschließt.[108] Der Herr nimmt somit kein unbeseeltes und vernunftloses Fleisch an, sondern bezieht den νοῦς der Seele in das Inkarnationsgeschehen bewusst mit ein.[109] „Er nahm also Fleisch an, das von einer vernünftigen und geistigen Seele belebt war, die über das Fleisch herrschte, (selbst) aber von der Gottheit des Logos beherrscht war.“[110]
3.7 Gemeinsame Wertschätzung der Jungfrau Maria in christlicher und in koranischer Tradition
Im vierten Buch der Expositio fidei vertieft Johannes noch einmal die Vorstellung von der jungfräulichen Geburt Jesu. In diesem Zusammenhang wird die besondere Stellung der Jungfrau Maria bei ihrer Empfängnis „des göttlichen Samens“ sowohl im Koran als auch in der christlichen Tradition als gemeinsame Glaubensgrundlage evident.
Johannes bemüht erneut die traditionelle Täuschungstheorie,[111] um den Kerngehalt seiner Inkarnationsvorstellung herauszustellen: Durch die Geburt Jesu aus der Jungfrau wird der Feind unseres Heils selbst – wie durch einen Köder, den er verschluckt – getäuscht. Er belauerte nämlich alle Jungfrauen, um die Prophetie aus Jes 7,14 (Mt 1,23) von der Geburt des Messias durch eine Jungfrau nicht zur Erfüllung kommen zu lassen („Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Emmanuel geben, was übersetzt heißt: Gott mit uns!“).[112] Sie sollten vielmehr ihre Jungfräulichkeit verlieren und eine Ehe eingehen, damit die göttliche Voraussage nicht ausgeführt werden konnte.
Nun wird der Feind, der die Protoplasten täuschte und zum Abfall von Gott verführte, selbst getäuscht. Die Jungfrau Maria geht die Ehe mit Joseph ein, ohne jedoch ihre Virginität bei der Empfängnis Jesu einzubüßen: „Die Vermählung war einerseits ein Schutz der Jungfrau, andererseits eine Täuschung dessen, der die Jungfrauen belauerte.“[113] In Übereinstimmung mit dem Koran betont Johannes, dass Maria keineswegs durch ein menschliches Sperma schwanger wurde. Vielmehr wird ein Engel Gottes zu ihr gesandt, der ihr die Empfängnis des Herrn verkündet.[114]
Und so empfing sie den Sohn Gottes, die in sich subsistierende Kraft des Vaters, ‚nicht aus dem Willen des Fleisches, auch nicht aus dem Willen eines Mannes‘ (Joh 1,13), nämlich aus (sexueller) Verbindung und Samen, sondern aus dem Wohlgefallen des Vaters und aus der Mitwirkung des Heiligen Geistes.[115]
Mit dieser Aussage wird die geschlechtliche Zeugung Jesu sowohl durch Joseph als auch durch den Heiligen Geist explizit ausgeschlossen. Es soll diesbezüglich kein Missverständnis entstehen, als ob ein Geschlechtsakt für die Befruchtung der Eizelle und somit für die Schwangerschaft der Maria verantwortlich sei. Vielmehr stellt der Gott-Logos aus ihr für sich selbst die σάρξ und somit die körperliche Existenz her. Dabei liefert Maria dem Schöpfer sozusagen den Stoff,[116] „aus ihrem reinen sowie unbefleckten Fleisch und Blut“ eine eigene fleischliche Hypostase zu erschaffen, und bietet auf diese Weise dem Sohn Gottes die Gelegenheit, „Fleisch anzunehmen und Mensch zu werden“ (σαρκωθῆναι καὶ ἀνθρωπισθῆναι).[117]
So bringt sie den „neuen Adam“ nach dem Gesetz der Schwangerschaft hervor, jedoch entgegen der natürlichen Zeugung.[118] Die naturgemäße Ordnung der Schwangerschaft wird also bewahrt, so dass Jesus nach neun Monaten geboren wird. Dabei spricht Johannes explizit von einer schmerzfreien Geburt (ἀνωδίνως, ὑπὲρ θεσμὸν γεννήσεως).[119] Diese Art des Geburtsvorgangs steht jenseits der natürlichen Ordnung und übersteigt deren Gesetzesmäßigkeiten.[120] Auf diese Weise wird das Prophetenwort in Jes 66,7 erfüllt: „Bevor sie Geburtsschmerzen erlitt, hat sie geboren. Bevor die Zeit der Wehen kam, entging sie ihr und gebar einen Knaben.“[121] Diese Geburt steht nicht unter dem Zeichen des Fluches als Folge des Sündenfalls (Gen 3,16) und der anschließenden Vertreibung der Protoplasten aus dem Paradies. Da nämlich der Zeugung keine Sinneslust vorangeht, folgt ihr auch kein Geburtsschmerz.[122]
Anschließend nimmt Johannes mit Hilfe der angeblichen Distanzierung von der „nestorianischen“ Vorstellung der Maria als Christusgebärerin eine klare Abgrenzung von der im Koran bezeugten Geburt Jesu vor:
Es ist also aus ihr der Sohn Gottes und fleischgewordener Gott geboren, nicht ein gotttragender Mensch, sondern ein fleischgewordener Gott, nicht wie ein Prophet, der zur (bestimmten) Tätigkeit gesalbt wird, sondern zur Anwesenheit des ganzen Salbenden, so dass das Salbende Mensch und das Gesalbte Gott wurde, nicht durch Umwandlung der Natur, sondern durch hypostatische Einigung.[123]
Hier grenzt sich Johannes von der nestorianischen Bezeichnung der Maria als χριστοτόκος ab, gleichzeitig trifft er die im Koran bezeugte Sicht von der Geburt Jesu. Es wird nämlich weder ein gotttragender Mensch (θεοφόρος ἄνθρωπος)[124] noch ein Prophet (προφήτης) im koranischen Sinne zur Welt gebracht.[125] Vielmehr hält der Damascener an dem Verständnis der Maria als Gottesgebärerin fest. Sie gebiert den fleischgewordenen Gott, weswegen sie im eigentlichen und wahren Sinne θεοτόκος ist.[126] Auf diese Weise bekräftigt er ihre Gottesgeburt gegen die koranische Vorstellung einer Prophetengeburt.[127]
Auch das Verständnis des Korans, dass Jesus nur ein Diener (δοῦλος) gewesen sei,[128] schließt Johannes explizit aus: In Expositio fidei 3,21 relativiert Johannes in Abgrenzung vom Koran die Bezeichnung Jesu Christi als „Diener/Knecht“. Er will auf diese Weise keineswegs den koranischen Zeitgenossen ein Zugeständnis machen: „Man muss aber wissen, dass wir ihn auch nicht Knecht nennen können (Ἰστέον δέ, ὅτι οὔτε δοῦλον αὐτὸν λέγειν δυνάμεθα).“[129] Der Name der „Knechtschaft“ weist auf eine Verhältnisbestimmung hin und macht nicht das Kennzeichen der Natur (οὐ φύσεως) Jesu aus. Johannes möchte auf keinen Fall Jesus allein mit einem δοῦλος identifizieren, obwohl er mit Phil 2,7 die Vorstellung teilt, dass Jesus die Knechtsgestalt angenommen hat: „Er wird also mit Beinamen Knecht genannt, nicht als ob er selbst dies wäre, sondern weil er unseretwegen die Knechtsgestalt annahm und sich mit uns Knecht nennen ließ.“[130] Um der Heilsökonomie willen nimmt er also die Gestalt eines δοῦλος an, daher darf er aber nicht in seinem Wesen als solcher verstanden werden. Denn er bleibt „Gebieter und Herr der ganzen Schöpfung“, so dass er als der eine Christus Gott und Mensch zugleich ist.[131]
Nun teilt Johannes die gemeinsame Annahme mit dem Koran von der samenlosen Zeugung Jesu. Er weiß um die besondere Wertschätzung der Jungfrau Maria im Koran und versucht, auf dieser Grundlage die Geburt des Sohnes Gottes zu beweisen: Der Gott-Logos geht in Maria ein und wird dann geboren, während ihre Jungfräulichkeit gleichzeitig unversehrt bewahrt wird:[132] „Er ging allein durch sie hindurch und erhielt sie verschlossen.“[133] Diese Paradoxie des unbefleckten Zeugungsvorgangs deutet Johannes ähnlich wie im Koran[134] mit dem Hinweis auf das Hören des Wortes Gottes, wodurch sie schwanger wird:
Durch Hören (erfolgte) die Empfängnis, die Geburt aber durch den gewöhnlichen Ausgang des Geborenen […]. Denn es war (ihm) nicht unmöglich, durch die Pforte hindurchzugehen und deren Siegel nicht zu verletzen.[135]
Hierbei stellt sich Johannes den Eingang des Wortes Gottes in Maria sehr konkret vor: Durch die Ohren gelangt das göttliche Wort und der Geist Gottes in sie, so dass sie das Heilige empfängt und schwanger wird: „Als (ihre) Ohren die göttlichen Worte hörten und sich an der Leier des Geistes erfreuten, ging der Logos durch sie (sc. Ohren) hinein, um Fleisch anzunehmen.“[136] Er hält somit – wie im Koran – an der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria fest, zieht aber die gegensätzliche Schlussfolgerung daraus: Es ist weder ein gottähnlicher Mensch noch ein besonderer Prophet geboren, sondern der Sohn Gottes, ja Gott selbst, der Fleisch annimmt. Daraufhin versucht Johannes, die Differenzen zur Lehre der „Ismaeliten“ abzubauen und die für den Koran mit dieser Vorstellung verbundene Blasphemie auszuschließen: Gott verwandelt sich nämlich nicht in eine Menschengestalt und gibt auf diese Weise seine Transzendenz auf. Nein, er bleibt in seiner Jenseitigkeit der materiellen Sphäre enthoben, bringt aber in einer seiner drei Hypostasen eine eigene Wesenheit im Fleisch hervor.
Der Zweck dieser hypostatischen Einigung mit dem Fleisch erfüllt sich im Heilshandeln Jesu, der als fleischgewordener Gott allen Menschen den Zugang zum Heil eröffnet. Durch die Inkarnation Gottes wird es möglich, dass Gott den Menschen gänzlich gleich wird und somit die Grundlage dafür schafft, sie von ihrem Verderben zu befreien. Dabei geht Johannes von einem stellvertretenden Tod Jesu für alle Menschen aus, da sie sich die Strafe des Todes zugezogen haben. Christus stirbt am Kreuz an ihrer Stelle und überwindet durch seine Auferstehung die Todesmacht des Bösen. Durch das Vertrauen auf sein Erlösungshandeln am Kreuz wird allen Menschen das Heil zuteil. Die Menschwerdung Gottes hat somit eine klare soteriologische Implikation und lässt an der Erlösung diejenigen Individuen teilhaben, welche sich die göttliche Heilshandlung im Vertrauen auf Jesus aneignen und direkt auf sich beziehen.
4 Resümee
Wie hat Johannes auf die koranische Bewegung seiner Zeit reagiert? Lassen sich in den Ausführungen des Damasceners eindeutige Bezüge zum Koran feststellen? Nicht nur im letzten Kapitel von De haeresibus, sondern auch in seinem dogmatischen Hauptwerk Expositio fidei führt Johannes die Auseinandersetzung mit der „neuen“ Religion der arabischen Machthaber fort. Er konzentriert sich dabei auf das umstrittene Verständnis der Person Jesu Christi. Hierbei knüpft er an der im Koran bezeugten Wertschätzung der Maria und ihrer jungfräulichen Empfängnis an. Ihr Sohn wird im Koran als Erzeugnis des Wortes und des Geistes Gottes verstanden. Johannes setzt seine Inkarnationsvorstellung dem entgegen und bietet aus seiner Sicht die „adäquate“ Deutung von der Geburt Jesu Christi in Auseinandersetzung mit der koranischen Vorstellung.[137]
Auf diese Weise rückt er die Christologie in den Mittelpunkt der Debatte und führt in Abgrenzung zu konkurrierenden christlichen Anschauungen das „rechte“ Verständnis Jesu Christi angesichts der religiösen Herausforderungen seiner Zeit aus: Wenn Jesus Christus tatsächlich das Wort und der Geist Gottes ist, dann muss ihm auch sein Gottsein zugestanden werden. Er ist nicht nur ein besonderer Prophet oder ein gottähnlicher Mensch, sondern der fleischgewordene Gott selbst. Jesus Christus stellt die eine der drei Hypostasen des einzigen Wesens Gottes dar. In dieser Weise bleibt der Monotheismus gewahrt, wie er insbesondere vom Koran eingefordert wird. Zudem räumt Johannes das Missverständnis des Tritheismus in der christlichen Lehre aus:[138] Die Christen halten am Glauben an den einzig wahren Gott fest, der sich den Menschen durch seine Inkarnation in der einen Hypostase des Gott-Logos offenbart. Der Logos Gottes wird in Jesus Christus ganz Mensch – ohne seine göttliche Natur aufzugeben –, um auf diese Weise als Gleicher die Gleichen zu erlösen. Dieses Heil wird allen Menschen im Glauben an seine Überwindung der Todesmacht infolge der Auferstehung von den Toten zuteil.
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