Home Notstand und Sachverstand
Article Open Access

Notstand und Sachverstand

Zur Konfliktgeschichte der Weimarer Zwangsanleihe
  • Stefanie Middendorf

    Stefanie Middendorf

    forscht und lehrt an der Freien Universität Berlin im Bereich Neuere Geschichte und Zeitgeschichte. Sie leitet gegenwärtig das von der DFG finanzierte Forschungsnetzwerk „Doing Debt. Praxeology of Sovereign Debt in the Long Twentieth Century“ und arbeitet an einer Studie zur Gesellschaftsgeschichte des Gläubigers seit dem 19. Jahrhundert. Weitere ihrer Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte von Staatlichkeit, Finanz- und Haushaltspolitik im europäischen Vergleich, die Rolle der deutschen Regierungseliten im 20. Jahrhundert und die Kulturgeschichte des modernen Frankreichs.

    EMAIL logo
Published/Copyright: November 5, 2021

Abstract

In the aftermath of the First World War, the Weimar Republic found itself in financial disarray. Originally put forward by the antirepublican right, the idea of a forced loan emerged. The idea triggered harsh controversies regarding the shortfalls in the new state’s sovereignty and its lack of fiscal power within the framework of an international order. The conflicting images of the Weimar state effected the decisions finally taken. This article argues that a rhetoric of emergency was combined with notions of the expert as an apolitical figure in order to legitimize compulsory lending. Yet, contrary to contemporary perceptions, the Weimar forced loan was not a result of governmental impotence or an exceptional incident within the history of public finance. As a political tool, it helped to solve conflicts on the national as well as the international level, if only for a short period of time. As an instrument of state finance, it was not an act of failure to still fiscal needs the ‚normal way‘ but a conscious claim for the autonomy of the Weimar state. But the conviction that compulsory loans might be a legitimate element of fiscal politics under the auspices of a strong and well-informed state emerged only with the Second World War – in Germany as well as on an international level.

JEL Classification: B 100; B 200; H 500; H 560; H 630; N 240; N 440

1 Ausgangsüberlegungen

„Die Mittelschicht zittert“, „Finanzielle Repression“, „Hessen-Sozi will Reiche schröpfen“ – solche Formulierungen beherrschen die Schlagzeilen, sobald es um das Thema Zwangsanleihe geht. Dies war zuletzt in der Folge der Finanzkrise beobachtbar, als 2008 zunächst der hessische SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel und einige Jahre später auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine solche Maßnahme in die Debatte brachten. Zumeist folgen dann unmittelbar die scharfe Abwehr solch „sozialistischer“ Ansinnen und der Verweis darauf, dass historisch noch kein derartiger Zwangseingriff des Staates in den Kapitalmarkt erfolgreich gewesen sei. Akzeptabel erscheint die Diskussion um eine Zwangsanleihe allenfalls dort, wo sie als Ratschlag von deutscher Seite an „Krisenstaaten“ wie Griechenland oder Italien gemeint ist. [1] Eine staatliche Zwangsanleihe, so der Eindruck, erregt also eher die Gemüter und markiert politische Konfliktlinien, als dass sie zur Lösung staatlicher Finanzprobleme beiträgt. Immerhin legt der Zwangscharakter einer solchen Maßnahme stets nahe, dass es der betreffenden Regierung nicht gelingt, einen gesellschaftlichen Konsens über ihren Haushalt herzustellen und ihre Kreditwürdigkeit auf einem freien Markt unter Beweis zu stellen.

Entsprechend eindeutig fiel unter Finanzexperten die Bewertung eines derartigen Vorgehens lange Zeit aus: Schon Lorenz von Stein machte in seinem Lehrbuch der Finanzwissenschaft von 1878 deutlich, dass solche Anleihen grundsätzlich verderblich seien, da „sie den Einzelnen nöthigen[,] einen Theil seines Vermögens dem Staate zu leihen[,] den er vielleicht für etwas anderes bestimmt hatte“ und durch diese „Unerbittlichkeit“ die Beziehungen zwischen den Besitzenden und dem Staat belasteten. [2] Der spätere Finanzstaatssekretär des Deutschen Reiches, Arthur Zarden, konstatierte 1923, die Zwangsanleihe sei „stets das Zeichen eines krisenhaften Zustandes der finanziellen, politischen oder wirtschaftlichen Lage eines Staates“. Wilhelm Röpke bezeichnete das Instrument der Zwangsanleihe 1928 als „eine finanzpolitische Kuriosität“, welche „die Nachteile sowohl der Besteuerung wie der Anleihe miteinander zu kombinieren“ wisse. Mit einer Zwangsanleihe offenbare der Staat „seine Schwäche“, so auch Friedrich Wissmanns Grundriss der Finanzwissenschaft von 1951, und erleide damit zugleich „eine Einbuße an Vertrauen“. Und Robert Nöll von der Nahmer urteilte 1964, dies sei ein Instrument, „das innerhalb geordneter Finanzwirtschaften nicht in Betracht“ kommen könne. [3]

Grundsätzlich ist unter einer Zwangsanleihe eine finanzielle Inpflichtnahme Einzelner mit Rückzahlungsversprechen zu verstehen, deren Ertrag üblicherweise in den staatlichen Haushalt fließt. Von einer normalen Anleihe unterscheidet sie sich durch die Unfreiwilligkeit der Geldgabe, von der Steuer durch die Rückzahlungsverpflichtung des Kreditnehmers gegenüber dem Kreditgeber. Aufgrund ihres ambivalenten Charakters ist die Zwangsanleihe auch haushaltstechnisch eine „Zwittergestalt“, wird sie doch einerseits als Form der Kreditaufnahme an anderer Stelle in den Haushalt eingestellt als die Steuern, benötigt aber andererseits wie die Steuern und im Unterschied zu Krediten ein eigenes Gesetz als materielle Grundlage. [4] Im Hinblick auf die Begriffsgeschichte bleiben solche Ambivalenzen nicht ohne Auswirkungen: Als Zwangsanleihe bezeichnet wurden beispielsweise auch Fälle, in denen eine Regierung Unternehmen dazu verpflichtete, die Bezahlung ihrer Lieferungen oder Dienste in Obligationen ohne gesetzliche Zahlungsfunktion zu akzeptieren. Auch Formen des erzwungenen Sparens, Wehrbeiträge und Vermögensabgaben, gezielte Entwertungen oder die übermäßige Ausgabe von Papiergeld sind als Zwangsanleihen beschrieben worden. Nicht selten hatte die Bezeichnung die rhetorische Diskreditierung der entsprechenden Maßnahme zum Ziel. Auf der anderen Seite wurden Eingriffe, die de facto Zwangsanleihen darstellten, mit alternativen Bezeichnungen belegt, um ihren problematischen Charakter zu verbergen. Dies galt beispielsweise für die Gesetze über die „Investitionshilfe“ in der Bundesrepublik von 1952 und 1982, den bundesdeutschen „Konjunkturzuschlag“ auf die Einkommen- und Körperschaftssteuer der Jahre 1970/71 oder internationale Debatten um eine refundable tax in Kriegszeiten. [5]

Die Zwangsanleihe, auf die der zitierte Arthur Zarden sich bezog, firmierte jedoch tatsächlich unter diesem Namen. Sie wurde im Jahr 1922 vom Deutschen Reich erhoben, um Reparationszahlungen zu finanzieren, und Zarden hatte sie als leitender Beamter im Reichsfinanzministerium selbst mitgestaltet. Zuvor war diese Maßnahme über einige Jahre Gegenstand einer scharfen Debatte gewesen, und zwar sowohl innerhalb der Regierung und in den parlamentarischen Gremien der Weimarer Republik als auch in der nationalen wie internationalen Öffentlichkeit. Nicht nur ihr ökonomischer Effekt stand dabei zur Diskussion. Zugleich ging es um Fragen der sozialen Umverteilung, um parteipolitische Konkurrenzen, um die Überhänge der Kriegswirtschaft und, ganz grundsätzlich, um die Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Interventionen in private Eigentumsverhältnisse beziehungsweise in die kapitalistische Wirtschaftsordnung. Zudem stellte die Debatte einen Anlass dar, den politischen Standort des Weimarer Staates im internationalen Wirtschaftsgefüge zu verhandeln, diente die Zwangsanleihe doch nicht nur der in der deutschen Gesellschaft zutiefst umstrittenen Erfüllung der Verpflichtungen des Versailler Vertrages, sondern rückte das Deutsche Reich vermeintlich auch in die Nähe finanziell halbseidener und politisch prekärer Staaten. Nicht zufällig verwies ein zeitgenössischer Kommentator – historisch unzutreffend – darauf, dass Zwangsanleihen als überkommene Praktiken des Mittelalters und der „rückständigen Länder“ anzusehen seien. [6] Ausgehend von diesem Diskussionsstand wurde die Weimarer Zwangsanleihe von den Zeitgenossen vorwiegend als ein „Notstandsmittel“ begriffen. Sie galt als Krisensymbol, als das finanzpolitische Gesicht einer Gesellschaft, die sich auch sonst auf diversen Ebenen in einem Ausnahmezustand befand. Anknüpfend an diese historische Semantik wurde sie gerade in der deutschsprachigen finanzwissenschaftlichen Literatur lange als Ausweis für die Ohnmacht eines nicht nur fiskalisch, sondern auch politisch scheiternden Staates interpretiert. [7]

In der historischen Forschung zur Weimarer Republik hat die Zwangsanleihe hingegen kaum Beachtung gefunden, allenfalls als finanzgeschichtliche Randerscheinung. Eine Analyse der sozialen, politischen und ökonomischen Auseinandersetzungen um diese Maßnahme kann jedoch zeigen, dass darin mehr zum Ausdruck kam als die Verzweiflung einer fragilen Republik am Rande des Zerfalls, die durch Zwangseingriffe fahrlässig die Beziehung zwischen Staat und Bevölkerung aufs Spiel setzte. Am Beispiel der Weimarer Zwangsanleihe sollen im Folgenden vielmehr die gesellschaftshistorischen Dimensionen finanzpolitischer Konflikte aufgezeigt werden. Damit verbindet sich insbesondere die Frage, welche konkurrierenden Konzeptionen von staatlicher Macht und Souveränität die Weimarer Debatte prägten. Untersucht wird daher, inwiefern die Idee einer Zwangsanleihe zu Beginn der 1920er Jahre an bestimmte Staatsvorstellungen geknüpft wurde oder eher Ausdruck staatsfernen Denkens einer internationalen Expertokratie war. Zudem wird es darum gehen, die sich wandelnde Gemengelage politischer und ökonomischer Argumentationsfiguren in der Debatte aufzuschlüsseln. Hier lässt sich zeigen, in welchem Maße die Weimarer Finanzpolitik von kurzfristigen Entscheidungsräumen im Modus des „Notstands“ geprägt war, in denen sich mögliche Ziele und Effekte einer solchen Maßnahme immer wieder veränderten. Dafür werden in einer kurzen Vorgeschichte zunächst die historischen Erfahrungen und Erwartungen in Bezug auf eine staatliche Zwangsanleihe skizziert, die nach dem Ersten Weltkrieg aktualisiert wurden (2). In einem weiteren Kapitel wird es um die Entstehung der Weimarer Debatte im Zuge der Kriegsfolgenbewältigung um 1919/20 gehen (3) sowie in einem folgenden Schritt um die endgültige Durchsetzung der Zwangsanleihe im Rahmen eines reparationspolitischen Deals im Jahre 1922 (4). Im Anschluss wird die Spezifik dieser historischen Konstellation deutlich gemacht, indem der Blick vom deutschen Fallbeispiel gelöst und die zunehmende Normalisierung solcher Zwangsanleihen auf internationaler Ebene im Verlauf des 20. Jahrhunderts betrachtet wird (5). Abschließend wird diskutiert, inwiefern die Versachlichung und Verwissenschaftlichung der Debatte um Zwangsanleihen im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts ein Anzeichen dafür ist, dass sich die Legitimation staatlicher Machtausübung im Bereich der Finanzökonomie verändert hat (6).

2 Erfahrungen und Erwartungen: Zur Geschichte der Zwangsanleihe als Argument

Die Debatte um eine Zwangsanleihe der Weimarer Republik wurde auch mit historischen Argumenten geführt, denn Erfahrungen mit Zwangsanleihen als Instrument der Krisenbewältigung fanden sich schon im Mittelalter. In dieser Frühphase markierten sie den Übergang von der persönlichen Vergabe eines Kredits an die Herrschenden zur Entstehung eines überindividuellen Staatskredits auf der Basis von Steuern und handelbaren Zahlungsversprechen. Förmliche Zwangsanleihen wurden vor allem von oberitalienischen Städten des 13. bis frühen 15. Jahrhunderts aufgelegt, etwa in Venedig, wo 1207 die Bürger eine Vermögensabgabe leisten mussten, für die ihnen Verzinsung und spätere Rückzahlung in Aussicht gestellt wurden. [8] Diese städtischen Zwangsanleihen wurden aber nur zur Deckung außerordentlicher Kreditbedürfnisse genutzt. In der Frühen Neuzeit entwickelte sich die Zwangsanleihe in einzelnen Territorialstaaten dann zu einem Instrument regulärer Staatsfinanzierung. So setzte das französische Ancien Régime sie seit dem 15. Jahrhundert wiederholt zur Erzielung von Einkünften für den Staatsbedarf ein. Auch in England war die Zwangsanleihe bis zur Glorious Revolution ein verbreitetes Instrument, allerdings vielfach gegen den Willen des Parlaments. Ihre rigorose Eintreibung gilt daher, gemäß der einflussreichen Deutung von Douglass C. North und Barry R. Weingast, als wesentlicher Schritt auf dem Weg in den englischen Bürgerkrieg. [9]

Seither wurde die enge Verbindung von Zwangsanleihen und Kriegsfinanzierung prägend, und diese historische Verbindung war auch für die Weimarer Diskussionen besonders wichtig. Der Blick in die Vergangenheit war aber politisch gefiltert. So galten die drei Zwangsanleihen, die Friedrich II. von Preußen zur Deckung der Kosten der Schlesischen Kriege (1740 bis 1742 und 1744/45) aufgelegt hatte, bei den deutschen Kommentatoren als unproblematischer Fall, da der preußische Herrscher in der Verwendung der eingehenden Gelder angeblich besondere „Sparsamkeit“ gezeigt und die Zwangsgläubiger fristgerecht ausgezahlt beziehungsweise anderweitig entschädigt habe. Die erwähnten Zwangsanleihen der französischen Könige seien hingegen „mit größter Härte“ bei den Bürgern eingetrieben worden und mit der gezielten Ungleichbehandlung von Bevölkerungsgruppen verbunden gewesen. [10] Die ökonomisch durchaus erfolgreiche Zwangsanleihe, die Ludwig XVIII. im Jahr 1815 erhoben hatte, um die Kosten der Schlacht von Waterloo zu refinanzieren, fand wiederum kaum Erwähnung. [11]

Den eigentlichen modernen Sündenfall stellten in der deutschen Finanzwissenschaft des frühen 20. Jahrhunderts die drei Zwangsanleihen in der Folge der Französischen Revolution in den Jahren 1793, 1795 und 1799 dar. Sie repräsentierten eine finanzpolitische „Schreckensherrschaft“, die zeige, dass „revolutionäre Regime“ zugleich „finanzielle Anarchie“ bedeuteten. [12] Die im Zuge der Revolution erzwungenen Anleihen wurden daher in den Debatten der Zwischenkriegszeit wiederholt als Präzedenzfälle angeführt, um die Finanzpolitik der jungen deutschen Republik zu diskreditieren, etwa in einem Zeitschriftenbeitrag von Julius Curtius, Reichstagsabgeordneter der Deutschen Volkspartei und späterer Minister, im März 1922. Eine Zwangsanleihe – so Curtius – würde wie im revolutionären Frankreich „meist mit einer Eile beigetrieben, welche für eine wirklich gerechte Umlage keine Zeit“ lasse und zerstöre daher „fast sicher den freiwilligen Kredit des Staates für einige Zeit“. [13] Die Tatsache, dass im Preußen des frühen 19. Jahrhunderts allein 13 Zwangsanleihen gezählt werden konnten (weitere hatte es in Bayern und Baden gegeben), die vielfach auch mit der Einbehaltung von Beamtengehältern und -pensionen verbunden gewesen waren, wurde hingegen damit legitimiert, dass im Zuge der sogenannten Befreiungskriege und der napoleonischen Fremdherrschaft „die regelmäßigen Einkünfte des größten Teil des Landes durch die Franzosen aufgezehrt“ worden seien, was den „notleidenden Staat“ zu diesen Maßnahmen gezwungen habe. [14]

Während des Ersten Weltkrieges waren Zwangsanleihen neuerlich auf die Agenda gekommen, etwa in den vom Deutschen Reich besetzten Städten Warschau und Łódź, was in der Weimarer Debatte aber nur eine marginale Rolle spielte. [15] In den Niederlanden, Neuseeland und Australien war die Emission regulärer Staatsanleihen mit der Androhung von Zwangsanleihen verbunden worden, um bessere Zeichnungsergebnisse zu erreichen. Zwangskreditähnliche Phänomene fanden sich darüber hinaus in vielen kriegführenden Staaten auch dadurch, dass die Aufnahme von Anleihen monopolisiert, der Kapitalmarkt überwacht und so die Kriegsfinanzierung abgesichert wurde. [16] Der Zusammenhang zwischen Zwangsanleihen und der Bewältigung militärischer Ausgaben blieb damit im frühen 20. Jahrhundert konstitutiv – dies galt auch für die Diskussionen um Abgaben und Staatsschulden insgesamt. Gleichzeitig wurde aber der Primat des fiscal military state durch den Aufstieg sozialstaatlicher Ideen zunehmend in Frage gestellt. Die Kontroversen der ersten Jahre der Weimarer Republik, die nachfolgend genauer betrachtet werden, waren daher Ausdruck einer Übergangssituation: Die Tatsache, dass Zwangsanleihen auf einen staatlichen Kriegs- und Krisenzustand verwiesen, prägte weiterhin den erfahrungsgeschichtlichen Rahmen, und die Kriegsfolgenbewältigung bestimmte de facto die Handlungsspielräume wie die Haltungen der Weimarer Regierung. Zugleich aber vertraten Teile der Weimarer Führung – insbesondere in den frühen Jahren der Republik – die Idee eines anderen Gemeinwesens, dessen finanzpolitische Maßnahmen nicht nur die Existenz des Staates absichern, sondern darüber hinaus soziale Gerechtigkeit ermöglichen sollten. Aufgrund der prekären Finanz- und Wirtschaftslage des deutschen Staates nach dem verlorenen Krieg wurden solche Reformvorhaben aber vielfach als Notstandsprogramme beschrieben. [17]

3 Vorschläge für eine deutsche Zwangsanleihe in den Jahren 1919/1920

Die ersten Vorschläge für eine Zwangsanleihe wurden von liberal-konservativen Kreisen und aus dem Umfeld der Reichsbank um die Jahresmitte 1919 vorgebracht, also in der Regierungszeit der Weimarer Koalition mit ihren sozialdemokratischen Reichskanzlern Philipp Scheidemann und Gustav Bauer. Zunächst erschien im Mai 1919 ein Beitrag des ehemaligen badischen Finanzministers und Volkswirts Josef Rheinboldt in der Frankfurter Zeitung. [18] Diese Initiative griff das Direktorium der Reichsbank unter Rudolf Havenstein im Juli 1919 in einem Schreiben an den Reichsfinanzminister auf, mit dem eine solche Maßnahme als Beitrag zur „ausgleichenden Gerechtigkeit“ präsentiert wurde: Die Zwangsanleihe sollte jenen auferlegt werden, die sich im Krieg nicht zu freiwilligen Anleihekäufen bereitgefunden hatten. Von jedem deutschen Vermögen über 10.000 Mark war ein Drittel des darüber hinausgehenden Betrages in der Zwangsanleihe anzulegen. Dabei sollte der Besitz von Kriegsanleihen angerechnet und die Zwangsanleihe zudem mit der geplanten großen Vermögensabgabe verrechnet werden können. Die gleichmäßige Verteilung des Anleihebesitzes unter der Bevölkerung werde dazu beitragen, so die Reichsbankdirektoren, dass „alle Kapitalbesitzer an dem finanziellen Stande und dem Gedeih und Verderb des Reiches interessiert würden“, also Loyalität gegenüber dem neuen Staat fiskalisch erzwungen würde. Nicht zuletzt erhoffte sich die Reichsbank davon die Sanierung des eigenen Kredits durch die Kontraktion des Notenumlaufs und die Wiedereröffnung des Kapitalmarktes für den privaten Verkehr. [19]

In der wirtschaftsliberalen Presse wurde die Zwangsanleihe vor allem als eine Form der Selbstmobilisierung des Kapitals verstanden, mit dem Ziel, weitergehende soziale Umwälzungen zu verhindern. So schrieb die Vossische Zeitung, dass angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche die „Bresche, die das Kapital zu decken“ habe, immer größer werde: „Bei einem Versagen seines Wollens oder seiner Kräfte hat es mit einem Zusammenbruch des Ganzen, der Grundmauern, auf denen es ruht, und so mit seiner gänzlichen Vernichtung zu rechnen.“ [20] Gegen die vermeintlich drohende Kapitalvernichtung durch revolutionäre Umverteilung sollte also die Zwangsanleihe als Instrument der Absicherung von Besitz und der Lastenverteilung nach gemäßigteren Prinzipien gesetzt werden. Eine solche Maßnahme zogen viele Kommentatoren auch den längerfristigen Steueranhebungen oder Vermögensabgaben vor, die der neue Reichsfinanzminister Matthias Erzberger (Zentrum) Mitte des Jahres 1919 anstrebte. Sein Steuerprogramm, das neben einer Einkommens- auch eine Kapitalertragssteuer und ein sogenanntes Reichsnotopfer der Vermögenden umfasste, präsentierte Erzberger als gezielte Belastung der Kapitalbesitzer und Kriegsgewinnler, also als Ausgleich zugunsten der arbeitenden Bevölkerung. [21]

Im Kampf gegen dieses Steuerprogramm und nicht zuletzt gegen die Person Erzbergers, den der ehemalige kaiserliche Finanzstaatssekretär und DNVP-Politiker Karl Helfferich in seinem Pamphlet „Fort mit Erzberger“ [22] aufs Schärfste attackierte, forderten vor allem Politiker der Rechten immer lauter eine breit angelegte Zwangsanleihe. Diese sollte, mit Blick auf den propagandistischen Kampf gegen die Reparationslasten, die Notlage des deutschen Staates deutlich machen. Zugleich wäre so die mangelnde Kreditwürdigkeit der jungen Republik in der eigenen Bevölkerung öffentlichkeitswirksam thematisiert worden. Zudem sollte damit ein Weg der Ressourcenmobilisierung gewählt werden, welcher den Alliierten den Zugriff auf die entsprechenden Erträge verwehrte – im Gegensatz zu den von Erzberger geforderten Abgaben und Steuern, bei denen viele Beobachter davon ausgingen, dass sie als ordentliche Staatseinnahmen von den Reparationsgläubigern eingezogen werden würden. Dem enthemmten „Mammonismus“ amerikanischer Art wurde argumentativ ein gemäßigter deutscher Kapitalismus entgegengestellt, der den privaten Reichtum zu einer einmaligen Zwangsanleihe mit der Aussicht auf Rückzahlung, nicht aber zu den von Erzberger verfolgten längerfristigen steuerlichen Abgaben verpflichtete – letztlich also das kleinere Übel und die verteilungspolitisch günstigere Lösung für die Wohlhabenden darstellte. De facto sollte die Belastung damit auch nicht nur auf die Allerreichsten, sondern auf einen breiteren Mittelstand verteilt werden. [23]

Erzberger vertrat wie andere Politiker der bürgerlichen Mitte stattdessen die Auffassung, eine Zwangsanleihe bedeute den Ruin der deutschen Volkswirtschaft und sei schon aus Zeitgründen nicht realisierbar. Vor allem aber sollte der Staat nicht zum Schuldner aus Not werden, der von einem nahenden Bankrott zum Äußersten getrieben wurde, sondern seinen Kredit weiterhin auf das Vertrauen seiner Gläubiger gründen können. Allein die Ankündigung einer möglichen Zwangsanleihe, so Erzberger, veranlasse schon das Kapital zur Flucht. [24] Erzbergers Gegenrede war auch der Versuch, das Deutsche Reich – vor 1914 selbst noch ein Gläubigerstaat – nicht auf eine Ebene mit ökonomisch fragilen oder politisch instabilen Schuldnerstaaten wie Polen, Griechenland, Ungarn oder Jugoslawien absinken zu lassen, in denen zeitgleich über Zwangsanleihen diskutiert wurde. Dort war absehbar, dass gerade mit einer Zwangsanleihe auch eine weitergehende Antastung des Privateigentums und das Erstarken der Arbeiterbewegung verbunden sein konnten. Zeitgenössische Kommentatoren verwiesen entsprechend darauf, dass in der Frage der Zwangsanleihe nicht nur das Finanzelend des jeweiligen Staates, sondern ein viel grundsätzlicheres „Ringen der Weltanschauungen“ deutlich werde. [25]

Um solche politischen Dynamiken einzuhegen, brachte Erzberger nach Rücksprache mit einigen Vertretern der Privatbanken eine Prämienanleihe als Alternative ins Spiel, die wiederum von der Reichsbank scharf abgelehnt, von der Rechten mit antisemitischer Rhetorik diskreditiert und von der extremen Linken als Form des hemmungslosen Kasinokapitalismus gebrandmarkt wurde. [26] Während die Stimmen der Opposition mit dem Thema der Zwangsanleihe gezielt Zweifel an der Souveränität und Macht des Weimarer Staates zu säen versuchten, bemühte sich der Reichsfinanzminister mit der Zurückweisung der Zwangsanleihe ebenso gezielt um die Entkräftung solcher Zweifel. Letztlich konnte sich die Regierung durchsetzen: Eine Zwangsanleihe wurde nicht aufgelegt, die Prämienanleihe ausgegeben (allerdings mit wenig befriedigendem Ergebnis) und die erwähnten Erzbergerschen Steuermaßnahmen umgesetzt. [27]

Wenige Monate später, im Herbst 1920, wurde eine Zwangsanleihe allerdings bereits neuerlich thematisiert. Zu diesem Zeitpunkt war die Weimarer Koalition aus DDP, Zentrum und SPD gerade abgewählt worden. Zudem hatte die „Sturm- und Drangperiode“ der Reparationsverhandlungen eingesetzt. Das Jahr 1920 war nicht nur durch die versuchte Gegenrevolution des Kapp-Putsches und die dadurch ausgelöste bürgerkriegsähnliche Gewalt geprägt, sondern auch durch eine Reihe von Versuchen, die Bestimmungen und Bedingungen des Versailler Vertrages in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Insbesondere die Vorbereitung der Brüsseler Konferenz vom 16. bis 22. Dezember 1920 beförderte entsprechende Diskussionen. Sie stand unter dem Vorzeichen einer von Experten und money doctors betriebenen rhetorischen Ökonomisierung (und damit vermeintlichen Entpolitisierung) der Reparationsverhandlungen, die mittels einer professionalisierten Finanzberatung und internationaler Handlungsprogramme die nationalen Entscheidungen einhegen sollte. [28] Deshalb war die Konferenz dezidiert als eine der „Sachverständigen“ und nicht der „Staatsmänner“ angelegt, wobei die Grenzen zwischen diesen personae natürlich fließend verliefen: Auf deutscher Seite bestand die Delegation unter anderem aus den Finanzstaatssekretären Carl Bergmann und Franz Schröder, dem Reichsbankpräsidenten Havenstein, dem liberalen Ökonomen Moritz Julius Bonn (der die deutsche Übersetzung von John Maynard Keynes The Economic Consequences of the Peace organisiert hatte) sowie dem konservativen Wirtschaftsführer und späteren Reichskanzler Wilhelm Cuno. [29]

Die Forderung einer Zwangsanleihe fand sich bereits auf einem vorab zirkulierten Tagungsprogramm der Brüsseler Konferenz, das unter den alliierten Delegierten, offenbar ohne Konsultation der Deutschen, informell abgestimmt worden war. Presseberichte, die Zwangsanleihe sei ein eigener Vorschlag des neuen Reichsfinanzministers Joseph Wirth (Zentrum), wurden hingegen dementiert – obwohl Wirth kurz nach seinem Amtsantritt im Frühjahr 1920 diesen Gedanken nachweislich ins Spiel gebracht hatte. [30] Im Herbst, während die Vorbereitungen der internationalen Verhandlungen liefen, kündigte die deutsche Regierung stattdessen ostentativ einen scharfen Sparkurs an und der Reichsfinanzminister wurde dafür mit quasi-diktatorischen Vollmachten ausgestattet. Neben Kürzungsvorschlägen für den Reichshaushaltsplan hatte das Reichsfinanzministerium im Oktober 1920 auch neue Richtlinien zur Stärkung der formellen Stellung des Ministers durchgesetzt; sie umfassten ein Widerspruchsrecht im Kabinett sowie einen Zustimmungsvorbehalt zu allen von den Ressorts geplanten Maßnahmen von finanzieller Bedeutung für das Reich. [31]

Außerdem wurde dem Finanzminister ein „Finanzdiktator“ zur Seite gestellt, der Reichskommissar für die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Reichsverwaltung Friedrich J. A. Carl. [32] Dieser beschrieb das Motiv für die Schaffung seines Amtes explizit als „außenpolitisches“. Durch die öffentlichkeitswirksame Ermächtigung nicht nur der Weimarer Regierung, sondern eines Sonderorgans sollte die „drohende Finanzkontrolle der Entente“ abgewehrt werden. [33] Damit wurden der äußere Druck und die mit dem Versailler Vertrag verbundene Notwendigkeit, sich mit den Forderungen der ehemaligen Kriegsgegner zu arrangieren, in die politische Semantik der Reichsregierung integriert. Daraus entstand die Fiktion einer nationalen Notgemeinschaft, mittels derer die systemsprengende Kraft sozialer und ökonomischer Interessen innerhalb der deutschen Gesellschaft eingedämmt werden konnte. [34]

Für das Zentralorgan der KPD, die Rote Fahne, waren solche Maßnahmen nicht mehr als eine ephemere „Heldenpose“ mit dem Ziel, eine internationale Expertokratie zu beeindrucken und den Kapitalismus vor dem Niedergang zu bewahren. Weder die vom Ausland betriebene Zwangsanleihe noch die Selbstermächtigung des Reichsfinanzministers seien geeignete Maßnahmen zur Drosselung der Inflation und zur Bewältigung der Finanznöte des Staates. Vielmehr sei der „Beginn des Kampfes um die Staatsmacht“ nötig, der von der Linken angeführt werden müsse. [35] Auch die Freiheit, das Berliner Blatt der Unabhängigen Sozialdemokraten, hielt Zwangsanleihe und Reichsnotopfer für Nebelkerzen der „kapitalistischen Staatsfinanzpolitik“, mit denen sich die Besitzenden einer wirklich durchgreifenden Besteuerung ihres Kapitals zu entziehen versuchten. Die Sanierung der Reichsfinanzen benötige stattdessen die „rücksichtslose Uebereignung der großen Vermögenswerte auf die Gesellschaft“ in Form einer konfiskatorischen Vermögenssteuer und einer umfassenden Sozialisierung des Eigentums. [36]

Während die politische Linke somit den Scheincharakter der Zwangsanleihe anprangerte und die dadurch entstehende Belastung des Besitzes eher für zu gering als für zu stark hielt, kritisierte die populäre Satire-Zeitschrift Kladderadatsch die weitere Ausbeutung der Deutschen, die damit verbunden sei (Abb. 1). Gezeichnet vom damals so bekannten wie beliebten Karikaturisten Fritz Koch-Gotha erschien der Reichsbankdirektor Havenstein dort als Repräsentant einer rücksichtslosen Regierungspolitik, die der deutschen Bevölkerung neben Kriegs- und Besatzungskosten, Inflation und Arbeitslosigkeit auch noch eine erzwungene Anleihe aufbürdete. Zu diesem Zeitpunkt hatte Havenstein in dieser Frage neuerlich das Heft in die Hand genommen und unmittelbar vor der Brüsseler Konferenz publikumswirksam die Zwangsanleihe wieder ins Spiel gebracht. In einer Rede vor dem Steuerausschuss des Reichstags legte er am 1. Dezember 1920 seine Vorstellung einer Kombination aus Reichsnotopfer und Zwangsanleihe ausführlich dar. Damit lancierte er zugleich innen- wie außenpolitisch den Eindruck, der Weimarer Staat sei zu geregelter und durchgreifender Steuererhebung nicht in der Lage: Die vor dem Bankrott stehende Reichsfinanzverwaltung müsse sich durch die Zwangsanleihe behelfen, um an Geld zu gelangen, so der Tenor seiner Darlegungen. [37]

Abb. 1 Zeichnung von Fritz Koch-Gotha (Kladderadatsch, 16.01.1921, Reproduktion Universitätsbibliothek Heidelberg / Abdruck mit Genehmigung der Familie Koch-Gotha).
Abb. 1

Zeichnung von Fritz Koch-Gotha (Kladderadatsch, 16.01.1921, Reproduktion Universitätsbibliothek Heidelberg / Abdruck mit Genehmigung der Familie Koch-Gotha).

Das von Wirth kurz zuvor präsentierte Programm aus Sparaktion und exekutiver Ermächtigung wurde so umgehend diskreditiert, wie die Rote Fahne bemerkte:

„Auf gut Deutsch gesagt, heißt dieses neue Auskunftsmittel, auf das der Reichsbankpräsident verfallen ist und das bankrotte Staaten als letzte Hilfe in der Not anzuwenden pflegen, nur das: die deutsche Bourgeoisie kann und will die Kosten des Krieges nicht zahlen. Dem Staat fehlt die Macht, ja sogar der technische Apparat, um die längst im Gesetz festgesetzten Steuern einzutreiben. Also bleibt nur ein Ausweg, eben der Havensteins: der Bourgeoisie die Steuern abzukaufen, indem die Ebertrepublik dem Schwerkapital und der Großfinanz für ihre Zahlungen an den Staat 4 Prozent Zinsen vergütet und ihnen dazu die Möglichkeit gibt, mit Schuldverschreibungen an der Börse zu handeln.“ [38]

Die radikale Linke verstand die Zwangsanleihe damit als Ausweis der „Ohnmacht des bürgerlichen Staates“, aber auch als gezielte Ungerechtigkeit gegenüber den Lohnempfängern, für die kurz zuvor, im Juni 1920, die Quellenbesteuerung eingeführt worden war. Anders als im Zuge der Umwälzungen der Französischen Revolution (auf die Havenstein in seiner Rede angespielt hatte) werde die Zwangsanleihe die Bourgeoisie aber nicht mehr retten, sondern die „Endkrise der kapitalistischen Wirtschaft“ einleiten, da die Arbeiterklasse nach russischem Vorbild die Annullierung aller Staatsanleihen herbeiführen werde. [39]

Aber auch auf bürgerlicher Seite regte sich Widerspruch. So wies der Leitartikler der Frankfurter Zeitung darauf hin, dass ein Verzicht auf die „kitschig“ als Reichsnotopfer bezeichnete Steuererhebung fatal wäre. Ein funktionierender Staat benötige „wirkliche Einnahmen“, also ordentliche Steuern, und nicht die weitere Verschuldung. Zwar sei eine Zwangsanleihe nicht per se der Ausdruck staatlichen Versagens, denn auch „ein so reiches und am Kriege nicht beteiligtes Land wie Holland“ habe zwischen 1914 und 1918 mehrfach auf dieses Instrument zurückgegriffen, um verfügbares Kapital in Krisenzeiten in die richtigen Bahnen zu lenken. Im Weimarer Falle aber sei die Gefahr zu groß, dass die Regierung angesichts einer Zwangsanleihe auf die durchgreifende Besteuerung verzichte, zumal die Erhebung der Zwangsanleihe wie des Reichsnotopfers aus Zeitgründen auf der Selbsteinschätzung der Pflichtigen beruhen sollte. Der Havensteinsche Plan bedeute die kosmetische Umschichtung von schwebender in konsolidierte Schuld im Reichsbankportfolio, was für den darbenden Staat aber völlig bedeutungslos sei. Zudem sei die von Havenstein angestrebte Ausstattung der Anleihe mit „splendider Verzinsung“ kaum vermittelbar und bedeute für die Reichsfinanzen weniger eine Ent- als eine Mehrbelastung. [40] Ähnlich skeptisch äußerte sich die zentrumsnahe Germania, die zwar die Entschlossenheit ihres Ministers Wirth würdigte, aber ebenfalls darauf hinwies, dass die „ungebrochene deutsche organisatorische Kraft“ eher in die weitere Steuerhebung und die Durchführung der Reichsabgabenordnung fließen müsse als in die Zwangseintreibung von Anleihen. Dieser Aufgabe sei das Reichsfinanzministerium nach der Aufbauleistung durch Erzberger und Wirth, anders als Havenstein insinuiere, durchaus gewachsen. [41]

Verteidigt wurde die von Havenstein vorgeschlagene Zwangsanleihe hingegen in der Vossischen Zeitung von dem Bankier Hans Jordan-Mallinckrodt, der dem Reichsverband der Deutschen Industrie nahestand und die Verwaltung der Anleihe den verschiedenen Erwerbsständen übertragen sehen wollte. Im Gegenzug könne dann auf die Erhebung des Reichsnotopfers als allgemeiner Vermögensabgabe verzichtet werden. Um die deutsche Wirtschaft vom fragilen Kredit des Reiches abzukoppeln, plädierte Jordan-Mallinckrodt zudem für die Gründung einer „Allgemeinen Kredit-Genossenschaft“, in welche die beteiligten Unternehmen ihre Berechtigungsscheine aus der Zwangsanleihe einbringen und auf dieser Basis Auslandskredite einwerben sollten. [42] Ähnlich aufgeschlossen zeigte sich der Wirtschaftsjournalist und Gewerkschafter Fritz Naphtali. Der Vordenker der Wirtschaftsdemokratie lobte im Plutus die Tatsache, dass die Zwangsanleihe bei Havenstein so angelegt sei, dass sie das Betriebskapital besonders schütze und weniger belaste als die Privatvermögen. Eine „gründliche Sanierung der Reichsfinanzen“ müsse aber trotzdem erfolgen, die Zwangsanleihe könne dafür allenfalls eine „Atempause“ verschaffen. So leitete Naphtali zu seinen eigenen programmatischen Plänen über: Finanzpolitik war für ihn nicht als Fiskal-, sondern nur als eine Wirtschaftspolitik denkbar, die „planmäßig“ die Gewerbe zusammenfassen und durch Syndikate zu Trägern der Steuerpolitik machen sollte. Dafür sei dann am Ende unerheblich, „ob man die Zwangsanleihe macht, oder ob man sie verwirft.“ [43]

Ganz auf dieser Linie lagen auch Walther Rathenau und Georg Bernhard, die in dieser Phase in der Vossischen Zeitung für ihr Programm einer „neuen Wirtschaft“ und überhaupt für die Vision eines gänzlich erneuerten Staatswesens warben. [44] Bernhard verurteilte in diesem Kontext die Gebundenheit der Politik an parteiliche Anschauungen und forderte als Ergänzung des „politischen“ einen „wirtschaftliche[n] Parlamentarismus“, der sich durch die Besitzverantwortlichkeit der deutschen Unternehmer legitimieren sollte. Die so verstandene, umfassende Ökonomisierung und Reorganisation des gesamten Staatsgebildes (inklusive der unzureichend arbeitenden Privatwirtschaft) favorisierten Bernhard und Rathenau gegenüber finanzpolitischen Maßnahmen der Regierung. Dementsprechend trauten sie auch dem Reichswirtschaftsrat eher als dem Reichsfinanzministerium die Lösung der finanziellen Probleme des Reiches zu. Die Position der SPD, die beständig auf „geordnete Zustände“ in der Reichshaushaltsplanung dränge, aber sich dabei nicht von ihrer „Parteianschauung“ zu lösen vermöge, attackierten diese Autoren hingegen scharf. [45]

Letztlich konnte sich auch 1920 die Idee einer Zwangsanleihe nicht durchsetzen. Erst das folgende Jahr brachte eine Veränderung, bedingt durch den Druck, den die alliierten Regierungen nun auf die deutsche Staatsführung ausübten. Mit dem Londoner Ultimatum vom 5. Mai 1921 wurde das Deutsche Reich aufgefordert, innerhalb von sechs Tagen einen Zahlungsplan zu akzeptieren, den die Reparationskommission, die gemäß Art. 233 und 234 des Versailler Vertrags berufen worden war, festgelegt hatte. Der Plan legte die Kapitalsumme, die das Reich zu verzinsen und zu tilgen hatte, auf 132 Milliarden Goldmark fest und umriss die Annuitäten, die von deutscher Seite zu leisten waren. Im Falle einer Verweigerung drohte die Besetzung des Ruhrgebiets. Überwacht wurde die Ausführung des Zahlungsplans durch das sogenannte Garantiekomitee. [46] Das Kabinett Fehrenbach trat zwei Tage vor Ablauf des Ultimatums zurück und wurde am 10. Mai von der neuen Regierung unter Joseph Wirth (der den Begriff der „Erfüllungspolitik“ prägte, der später zum Schimpfwort der Rechten degradiert werden sollte) abgelöst. Der Reichstag nahm den Londoner Zahlungsplan mit den Stimmen von SPD, USPD, Zentrum, DDP und Teilen der DVP an. Mit den beiden Kabinetten Wirth übernahmen wieder die Parteien der Weimarer Koalition die Führung, nun allerdings als Minderheitsregierungen erfahrener „Persönlichkeiten“, die auf wechselnde Mehrheiten angewiesen waren. [47]

4 (Außen-)Politischer Deal: Die Durchsetzung einer Zwangsanleihe 1922

Die Zwangsanleihe des Jahres 1922 wurde letztlich von jenen tragenden Kräften der frühen Weimarer Republik eingeführt, die diese Maßnahme im Jahr 1919 eigentlich abgelehnt hatten. Als Finanzminister unter Fehrenbach war Wirth noch als entschiedener Verfechter der Erzbergerschen Steuermaßnahmen aufgetreten. Während seiner Reichskanzlerschaft übernahm die Weimarer Regierung unter dem Druck des Londoner Ultimatums mit der Zwangsanleihe trotzdem das Programm des bürgerlich-konservativen Lagers, der deutschen Industrie und jener internationalen Finanzexperten, die von der Reichsbankführung um Havenstein repräsentiert wurden. Der Kontext, in dem die Zwangsanleihe ausgegeben wurde, war aber auch ein anderer als 1919: Eine mögliche Sozialisierung von Vermögen oder die Schaffung einer gänzlich veränderten Wirtschaftsordnung spielten für die politischen Entscheidungen der Jahre 1921/22 in Deutschland eine geringere Rolle als unmittelbar nach Kriegsende – wenngleich die Forderung nach „Erfassung der Sachwerte“ noch eine Bedeutung für die Rhetorik der Linken (die das Festhalten daran als Frage der „Ehre“ betrachtete) besaß, ebenso wie der Verweis auf drohende „russische Zustände“ auf Seiten der Rechten. Jenseits dessen aber war die Zwangsanleihe primär zu einem Instrument internationaler Finanzdiplomatie geworden, und damit zum Element eines globaleren Konflikts zwischen dem Primat der Politik und dem Primat der Ökonomie in der Ausgestaltung der Versailler Nachkriegsordnung. [48]

Im Dezember 1921 forderte Reichkanzler Wirth vom Parlament entsprechend, „die innerpolitische Notwendigkeit der außenpolitischen Lage unterzuordnen“. Kurz zuvor hatte auch Wirths Parteigenosse und Nachfolger als Reichsfinanzminister, Andreas Hermes, im Hauptausschuss des Reichstags den Offenbarungseid geleistet und dargelegt, dass die bisherigen Steuerpläne der Regierung nicht ausreichen würden, um die Verpflichtungen des Friedensvertrages zu erfüllen und die Reichsschulden abzubauen. Damit schloss sich die Reichsregierung der Sicht der Reichsbank an. [49] Die Zwangsanleihe sollte nun eine Strategie darstellen, um ein Entgegenkommen der Entente bei der Erfüllung der Reparationsverpflichtungen zu erreichen. Die regierungsinternen Verhandlungen um die Anleihe und das Finanzprogramm im Dezember 1921 waren daher begleitet von der Bitte der Reichsregierung um ein Moratorium der Reparationsgläubiger. Offiziell aufgebracht wurde die Idee der Zwangsanleihe dann von der Reparationskommission, im Zuge der Bewilligung eines Zahlungsaufschubs Mitte Januar 1922. Dies war in gewisser Weise ein „Glücksfall“ für die Regierung Wirth, da sie die Anleihe nun als eben jenes „sichtbare Opfer des Besitzes“ darstellen konnte, welches die Sozialdemokaten in den Verhandlungen beständig gefordert hatten. Auf diese Weise ließ sich im Gegenzug deren Zustimmung zu den Steuerplänen der Regierung einholen. [50]

Ende Januar 1922 integrierte die deutsche Regierung den Vorschlag einer Zwangsanleihe daher in ihre Antwortnote an die Alliierten im Vorfeld der Internationalen Konferenz von Genua. Das von der Reparationskommission angeforderte fiskalische Reformprogramm war darin an das Angebot gekoppelt, die Unabhängigkeit der Reichsbank zu stärken, was vor allem die britische Führung anstrebte. Ohnehin war die Zwangsanleihe ja eine Idee, welche die deutsche Regierung von der Reichsbankdirektion und den internationalen Sachverständigengremien aufgegriffen hatte. Dagegen wurden sowohl Forderungen der Briten nach einer umfassenden Währungsreform zurückgewiesen als auch der französische Versuch, eine intensivere Überwachung der Reichsfinanzen durch die Reparationskommission einzuführen. Eine freiwillige innere Anleihe wollte die deutsche Regierung ebenfalls nicht auflegen, solange es keine wirkliche Einigung in der Reparationsfrage gab. Zwar war sie sich wie ihre internationalen Gesprächspartner darüber im Klaren, dass mit einer Zwangsanleihe kaum größere Summen einzunehmen waren. Dennoch war die Zwangsanleihe ein Pfund, mit dem die deutsche Regierung in den Reparationsverhandlungen wuchern konnte, um zugleich Forderungen nach einem rigideren Vorgehen in der Steuerpolitik oder weitergehende Eingriffe von außen zurückzuweisen. [51] Denn da die Reparationskommission offiziell nicht befugt war, sich in die deutsche Steuergesetzgebung einzumischen und damit ein Hoheitsgebiet staatlicher Souveränität anzutasten, stellte der Vorschlag einer Zwangsanleihe für die deutsche Seite eine Möglichkeit dar, die Bereitschaft zur Erfüllung von Forderungen zu signalisieren, zugleich aber weitere Steuererhöhungen zu vermeiden. Gerade die „Zwittergestalt“ der Zwangsanleihe konnte also genutzt werden, um in den Reparationsverhandlungen eigene Positionen durchzusetzen. [52]

Die Zwangsanleihe trug so maßgeblich dazu bei, dass sowohl innen- als auch außenpolitische Kompromisse in der Frage der Reparationszahlungen erzielt werden konnten, trotz scharfer Debatten und skeptischer Voten diverser Experten, etwa des Reichswirtschaftsrats. [53] In einem Mantelgesetz wurde die Anleihe am 8. April 1922 mit einem steuerpolitischen Maßnahmenpaket (dem sogenannten Steuerkompromiss) verknüpft, das eine Vermögensbesteuerung einführte und vor allem die indirekten Steuern erhöhte – ein Schritt, den die Sozialdemokraten zuvor lange abgelehnt hatten. [54] Trotz dieses Entgegenkommens von Seiten des linken Lagers reagierte die politische Rechte mit harschen Vorwürfen an die republikanische Regierung, der sie vorwarf, aufgrund des ihr fehlenden parlamentarischen Vertrauens eine „Politik der Dunkelkammer“ zu betreiben und ihre Pläne zunächst mit den alliierten Vertretern zu besprechen, bevor sie die deutsche Bevölkerung informiere. [55] Der Vorwurf war in der Tat nicht ganz unbegründet, war die Zwangsanleihe doch weitgehend informell, also unter Umgehung des Reichswirtschaftsrats und der Reichstagsausschüsse, ausgehandelt worden. In den Monaten Februar und März 1922 waren stattdessen einzelne Vertreter von Bank-, Industrie- und Handelskreisen, aus Landwirtschaft und Arbeiterschaft gehört worden, in der Sprache der Zeit: „Sachverständige“. Lautstarke Proteste von Wirtschaftsorganisationen wie dem Hansabund, dem Reichsverband der Deutschen Industrie oder dem Zentralverband des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes begleiteten trotzdem das weitere Verfahren, da die Zwangsanleihe mit dem Mantelgesetz zunächst nur in eine vorläufige Rechtsform gegossen worden war, welche die genauere Festlegung der weiteren Aushandlung sowie den Ausführungsbestimmungen der Administration überließ. Die von der Sozialdemokratie – auch mit Blick auf die zunehmende Inflation – geforderte vollständige Erhebung der Zwangsanleihe noch im Jahr 1922 stieß in diesem Zuge auf Widerstand und wurde vom Reichsfinanzminister schließlich mit Verweis auf die Arbeitsüberlastung der Finanzämter abgelehnt. Auch in anderen Bereichen erreichten die Wirtschaftsvertreter im Zuge der Beratungen im Reichstag und Reichsrat diverse Verbesserungen zu ihren Gunsten, so etwa eine Entlastung der nicht-physischen Personen, eine Verbesserung des vorgesehenen Zinsfußes und eine Erhöhung der Freigrenzen für reine Kapitalvermögen. [56]

Nicht zu Unrecht wurde die dilatorische Vorgehensweise der Regierung bei der Vorbereitung und Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen von verschiedenen Seiten sowohl als „Sabotage“ der verteilungspolitischen Ziele des Steuerkompromisses als auch als eine Strategie wahrgenommen, welche die Exekutive gegenüber den parlamentarischen Gremien bevorteilte und besonders ermächtigte. [57] Die radikale Linke stand ohnehin der gesamten Maßnahme kritisch gegenüber. Die KPD argumentierte, dass die Zwangsanleihe nur ein „Schaustück“ sei, um zu verdecken, dass die Regierung als Büttel der Unternehmer agiere, insbesondere des Großindustriellen Hugo Stinnes. Der ganze Staat, so die Kommunisten, sei bloß noch eine „Attrappe“, letztlich herrsche „die Partei des Herrn Stinnes, die […] ihrem ganzen Wesen nach eine Politik macht, die gegen die Interessen des deutschen Volkes gerichtet ist“ (tatsächlich führte Stinnes zu diesem Zeitpunkt eigene, mit der Regierung konkurrierende Gespräche mit den Alliierten). [58] Etwas gemäßigter wies der Vertreter der Unabhängigen Sozialdemokraten, Rudolf Breitscheid, im Reichstag darauf hin, dass die Zwangsanleihe erkauft werde „mit einem Verzicht auf eine ganze Anzahl von Steuern auf den Besitz“ und entscheidende Fragen wie etwa die konkreten Maßstäbe der Vermögensbewertung ausblende, von einem „sichtbaren Opfer“ der Vermögenden könne deshalb keine Rede sein. Dass es darum auch nicht wirklich ging, ließ ein Zwischenruf der Mehrheitsfraktion der SPD während Breitscheids Rede erkennen, in dem gefragt wurde, ob Breitscheid wirklich lieber „den Sturz von Wirth“, also ein Auseinanderbrechen der Weimarer Koalition, in Kauf nehmen wolle. Die Sozialdemokraten wie auch die Gewerkschaften legitimierten die Annahme des Steuerkompromisses und der Zwangsanleihe vor allem mit der „Kapitulation vor der Realität“, welche allein die Rettung des republikanisch-parlamentarischen Systems ermögliche. [59] Nur so lasse sich auch das Misstrauen des Auslands und die Gefahr eines weiteren Souveränitätsverlusts bekämpfen, denn die Erhöhung der Verbrauchssteuern sei eine der Bedingungen des Londoner Ultimatums. Wenn das Reich diese Steuern nicht im Wege eines inneren Kompromisses durchsetze, „würden sie uns zwangsweise auferlegt werden“. [60]

Erst am 20. Juli 1922 erging dann das Gesetz, mit dem die Zwangsanleihe in Höhe von einer Milliarde Goldmark – auf Druck der Wirtschaft und der bürgerlichen Parteien aber nicht in Devisen, sondern in Papiermark in Höhe von 70 Milliarden zu zahlen – offiziell aufgelegt wurde. Zeichnungspflichtig sollte nach dem Gesetz sein, wer am 1. Januar 1923 vermögenssteuerpflichtig war und unabhängig von Staatsangehörigkeit und Wohnsitz inländisches Vermögen von mehr als 100.000 Mark besaß, wobei Sonderbestimmungen für reines Kapitalvermögen, für ältere Rentiers (über 60 Jahre) und für Familien vorgesehen waren. Da zur Feststellung der Vermögenswerte aber noch keine zuverlässige statistische Grundlage vorhanden war, sollten diese zunächst durch Selbsteinschätzung ermittelt werden. Die ursprüngliche Absicht, hier auf die Ausführungsbestimmungen und Vermögenserhebungen des Reichsnotopfergesetzes von 1919 zurückzugreifen, hatte die Regierung aufgegeben, zumal gegen diese Veranlagung bereits unzählige Rechtsverfahren liefen. Noch ausstehende Zahlungen des Reichsnotopfers konnten aber zugunsten der Zeichnungspflichtigen verrechnet werden. [61]

Das Gesetz unterschied drei Zeichnungsarten: die freiwillige Vorauszeichnung, die obligatorische Vorauszeichnung und die endgültige Zeichnung, wobei sich in der Praxis Steuer- und Anleihetechniken vermischten, da die Zeichnung der Anleihe teilweise mit der Abgabe der Vermögensteuererklärung verbunden wurde. Die Verzinsung der Zwangsanleihe sollte stufenweise erfolgen, die Tilgung ab dem 1. November 1925 durch Rückkauf zum Börsenkurs oder Auslosung zum Nennwert beginnen, wofür jährlich mindestens 0,5 Prozent des ursprünglichen Anleihebetrages zu verwenden waren. Das Plädoyer des Reichswirtschaftsrats, diesen Betrag auf ein Prozent zu erhöhen, verhallte ungehört. Stattdessen machte schon die Begründung des Gesetzentwurfes deutlich, dass die Regierung darauf bedacht war, den zunächst „voraussichtlich niedrigen Börsenkurs der Anleihe auszunutzen und sich in der Hauptsache auf einen Rückkauf zum Börsenkurs zu beschränken“. Eine Auslosung hingegen sollte, wie hinter verschlossenen Türen früh deutlich gemacht wurde, allenfalls nach mehreren Jahren in Frage kommen. Bis zum 31. Oktober 1925 war die Zwangsanleihe unverzinslich, anschließend sollten die Zeichnungspflichtigen bis zum 31. Oktober 1930 vier Prozent des Nennwertes, danach jährlich fünf Prozent Zinsen erhalten, was nur leicht unterhalb des um 1922 marktüblichen Zinses lag. [62]

Die Umsetzung der Zwangsanleihe wurde gleichwohl von den Effekten der einsetzenden Hyperinflation beeinträchtigt. Hatte die Regierung ursprünglich mit Einnahmen von etwa 46 Milliarden Mark bis Ende November 1922 gerechnet, so waren zu diesem Zeitpunkt laut zeitgenössischen Beobachtern nur knapp drei Milliarden Mark gezeichnet, weil viele Pflichtige trotz gesetzlicher Anreize für eine frühe Zeichnung auf ein weiteres Sinken des Wechselkurses der Mark spekulierten und die Zahlung deshalb hinauszögerten. Dem begegnete die Regierung mit einer Reform des Gesetzes, die am 22. Dezember 1922 vom Reichstag beschlossen wurde und unter anderem die Bewertungsvorschriften für die Vermögen verschärfte. Diese Änderung trat rückwirkend zum 25. Juli 1922 in Kraft, verzichtete aber auf weitere Bestimmungen über eine schnellere Eintreibung der Zwangsanleihe und eine schärfere Einbeziehung von Sachwerten, die von den Sozialdemokraten gefordert worden waren. So wurde das Ziel von einer Milliarde Goldmark, das der gleichzeitigen Belastung der deutschen Bevölkerung durch die mit dem „Steuerkompromiss“ eingeführten Verbrauchssteuern entsprochen hätte, in der vorgesehenen Zeichnungsperiode bis März 1923 nicht erreicht. Stattdessen gingen nur 50 Millionen in Goldmark beim Fiskus ein. Zudem konnten die entsprechenden Titel bei den Reichsdarlehnskassen und (ab 1925) bei der Reichsbank lombardiert werden, erhöhten also den durch die Zwangsanleihe kurzfristig eingeschränkten Geldumlauf gleich wieder. [63] Dass die konkrete Bewertung und Veranlagung des Vermögens am Ende angesichts inflationärer Entwicklungen und rechtlicher Unklarheiten schwierig werden würde, war allerdings schon in der parlamentarischen Debatte, vor allem auf Seiten der Rechten, bemängelt worden. [64] Zu Verzögerungen trug auch die Interalliierte Rheinlandkommission bei, die im April 1923 die Erhebung der Zwangsanleihe in den besetzten Gebieten unterbrach, da deren Erträge offenbar zur Finanzierung des deutschen Widerstands verwendet wurden. [65]

Während gleichzeitig Verhandlungen über die Reparationszahlungen liefen, in denen die Gläubigerstaaten von der deutschen Regierung „unmittelbar[e] Schritte“ zur Ordnung der Reichsfinanzen forderten, kann diese Phase auf deutscher Seite wohl als Übergang zu einer zunehmenden „Inflationsakzeptanz“ gewertet werden. [66] Trotzdem wurde mit dieser Maßnahme privater Reichtum zumindest in gewissem Maße für staatliche Zwecke rekrutiert. Mit dem Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. Juli 1925 wurde die Zwangsanleihe schließlich sogar in eine Steuer umgewandelt, also die Rückzahlung aufgegeben. [67] Die genauen Aufbringungszahlen und Verteilungseffekte der Zwangsanleihe sind indes ebenso wie ihre Bedeutung für die Beschleunigung der Inflation schwer zu bestimmen, zumal Daten hierzu fehlen. Einige Annäherungen sind über die Betrachtung der Vermögensentwicklung möglich. [68] So konstatierte eine amtliche Studie aus dem Jahre 1932 einen grundsätzlichen „Schwund der großen Einkommen“ seit dem Jahr 1913, verwies allerdings zugleich auf „statistische Fehlerquellen“ bei der Erhebung von Daten. Andere Auswertungen zeigten, dass zwischen 1913 und 1923 das vorhandene Reinvermögen über 10.000 Mark im Reich um mehr als 60 Prozent geschrumpft war und die entsprechenden Verluste bei den größten Vermögen (über 10 Millionen Mark) mit mehr als 86 Prozent überdurchschnittlich hoch waren (Abb. 2). [69]

Abb. 2 Darstellung der Vermögensentwicklung zwischen 1913 und 1923 (Die deutsche Vermögensbesteuerung vor und nach dem Kriege, bearb. im Statistischen Reichsamt, Berlin 1927, S. 204).
Abb. 2

Darstellung der Vermögensentwicklung zwischen 1913 und 1923 (Die deutsche Vermögensbesteuerung vor und nach dem Kriege, bearb. im Statistischen Reichsamt, Berlin 1927, S. 204).

Fraglich bleibt aber, inwiefern die Weimarer Zwangsanleihe – um in der eingangs zitierten Wahlkampfrhetorik zu bleiben – wirklich die „Reichen schröpfte“. Stattdessen muss für die skizzierte Vermögensentwicklung wohl eher auf die Nachwirkungen des Krieges sowie die diffusen Umverteilungseffekte der Inflation hingewiesen werden. Wie Thomas Piketty hat schon Carl-Ludwig Holtfrerich die Egalisierungstendenzen in der Zwischenkriegszeit hervorgehoben, dies aber nicht auf eine gezielte Politik der Weimarer Staatsführung, sondern auf die komplexen, teilweise unberechenbaren Wirkungen der Inflation zurückgeführt. Die Weimarer Republik sei kein Opfer der Inflation gewesen, sondern habe durch die Geldentwertung, teilweise ungewollt, die Nivellierung von Vermögensunterschieden und insgesamt einen deutlich verstärkten Zugriff des Staates auf privaten Reichtum erreicht, der vor allem die großen Vermögen getroffen habe. Dem hat in einer neueren Arbeit Helmut Kerstingjohänner die These hinzugefügt, es sei nicht zuletzt die Haltung der Reparationskommission und der Alliierten in den Reparationsverhandlungen gewesen, welche maßgeblich die finanzpolitischen Maßnahmen der Weimarer Republik, insbesondere den Übergang in die Hyperinflation im Sommer 1922, bestimmt habe. [70] Auch die Zwangsanleihe zeigt, dass nicht nur die Zielsetzungen, sondern auch die Auswirkungen einer solchen Maßnahme von unterschiedlichen Interessen auf nationaler wie internationaler Ebene abhängig waren.

Die von Piketty und Holtfrerich vertretene These, die Inflation und die Vermögensverschiebungen nach dem Ersten Weltkrieg hätten insgesamt ausgleichend auf die deutsche Gesellschaft gewirkt, ist allerdings zu modifizieren, wenn man die wirtschaftshistorische Perspektive mit der erfahrungsgeschichtlichen Perspektive verschränkt. Fragen von Besitz, Reichtum und sozialer Ungleichheit gingen gerade in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg nicht in ihren quantitativen Dimensionen auf, zumal diese Dimensionen ohnehin schwer zu erfassen waren. [71] Vielmehr erschienen Zahlen in zunehmendem Maße als bloße Fiktionen einer ökonomischen und sozialen Ordnung, die de facto nicht mehr bestand. Nicht zuletzt deshalb sind wohl auch die heute statistisch nachweisbaren Umverteilungen und Angleichungen der Zwischenkriegszeit im kollektiven Gedächtnis kaum in Erinnerung geblieben, im Unterschied zu der radikalen Umwertung aller Werte und dem Zerfall staatlicher Macht, die mit der Geldentwertung verbunden wurden. [72] Eben diesen Zerfall und den Sieg eines internationalen Expertentums über die nationale Souveränität verkörperte in der zeitgenössischen Wahrnehmung daher auch die Zwangsanleihe von 1922. Anknüpfend an diese Wahrnehmung stand die Anleihe auch in der deutschsprachigen Finanzwissenschaft des 20. Jahrhunderts primär für das Versagen der Weimarer Republik und für einen Zustand staatlicher Not.

Trotz ihrer begrenzten Bedeutung für die Sanierung der Reichsfinanzen erfüllte die Zwangsanleihe im Jahr 1922 aber eine wesentliche politische Funktion. Sie ermöglichte den Kompromiss über umstrittene Maßnahmen der Staatsfinanzierung, indem sie ein Gegengewicht zu den gleichzeitigen steuerlichen Belastungen für die breite Bevölkerung darstellte und das vorgesehene Steuerpaket damit konsensfähig für die politische Linke machte. Zugleich bot die Zwangsanleihe einen Ausweg, um politische Kräfte der Rechten in die Erfüllung von Reparationsverpflichtungen einzubinden, denn sie wurde als „außerordentliche“ Maßnahme zur Abwehr weitergehender Eingriffe oder Kontrollmaßnahmen der Reparationsgläubiger begründet und spielte dabei auf Zeit. Vor diesem Hintergrund ist die Zwangsanleihe vor allem als strategische Maßnahme zu verstehen, die nach außen den Willen des deutschen Staates zum Handeln dokumentieren und nach innen Loyalität stiften sollte. Tatsächlich gelang es damit in dieser Phase, die republikanische Ordnung zumindest kurzzeitig abzusichern und die gesellschaftlichen Erwartungen an staatliche Handlungsfähigkeit zu befriedigen. In einer Situation, in der unterschiedliche soziale Gruppen von den ökonomischen Verwerfungen der Nachkriegsjahre und der zunehmenden Inflation betroffen waren, war die Durchsetzung einer Zwangsanleihe aus politischen Gründen durchaus sinnvoll, wenngleich damit die fiskalischen Probleme des Staates nicht bewältigt, sondern deren Lösung, auch mit Hilfe der Inflation, vertagt wurde. Letzteres aber entsprach wiederum durchaus den Vorstellungen des Reichsbankpräsidenten Havenstein und des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, die eine tatsächliche Währungsstabilisierung zu diesem Zeitpunkt gar nicht für wünschenswert hielten. [73]

Die Zwangsanleihe war also sehr wohl ein Akt der politischen wie ökonomischen Krisenbewältigung, aber deswegen keineswegs eine bloße Verzweiflungstat. Dass sie dennoch allein als Akt der Verzweiflung beschrieben wurde, hatte viel mit den Notstandsrhetoriken der 1920er Jahre, der Umstrittenheit der internationalen Nachkriegsordnung innerhalb der Weimarer Gesellschaft sowie den nachfolgenden Entwicklungen bis zum Jahr 1933 zu tun, die zeigten, dass die ökonomische wie politische Stabilisierung der Republik nicht nachhaltig gelang. Blickt man hingegen vergleichend auf spätere Expertendiskurse, so zeigt sich, dass unter anderen Voraussetzungen solche Zwangsmaßnahmen keineswegs als Symptome staatlicher Schwäche, sondern vielmehr als Indizien für die ausgeprägte Handlungsfähigkeit von Staaten gewertet werden konnten. Darin wird ein historischer Wandel sichtbar, in dessen Zuge dem Staat ein stärkeres Zugriffsrecht auf privaten Besitz und ein eigenes ökonomisches Gewicht zugestanden wurde.

5 Nachgeschichten: Normalisierung und Verwissenschaftlichung seit den 1930er Jahren

Die Weimarer Zwangsanleihe war eng mit der Erfahrung des Krieges verbunden gewesen. Diese Beziehung zur Kriegsfinanzierung blieb auch in den Debatten der 1930er und 1940er Jahre bestehen, in denen die zwangsweise Intervention des Staates in die privaten Vermögen zum Gegenstand vertiefter wissenschaftlicher Auseinandersetzung wurde, so insbesondere in John Maynard Keynes’ Essay How to pay for the War von 1940. [74] Zu diesem Zeitpunkt hatten sich aber die handlungsleitenden Vorstellungen von staatlicher Autorität ebenso gewandelt wie die entsprechenden Begriffe des Ökonomischen. In den frühen 1920er Jahren hatten deutsche Finanzexperten noch unisono konstatiert, dass der Rückgriff auf eine Zwangsanleihe deutlich mache, dass der betreffende Staat gescheitert sei, weil er sich auf dem internationalen Kapitalmarkt nicht behaupten könne, und dies trotz der unbestreitbaren „Leistungsfähigkeit der Kreditorganisationen“, die normalerweise „selbst Staaten mit wenig gesicherten Finanzen“ zu ausreichenden Mitteln verhelfe. [75] Hingegen argumentierte der deutsche Finanzwissenschaftler Peter Habermehl im Jahr 1935, dass „der allverantwortliche und zentrale Staat“ sich nicht mehr auf das „Kreditprinzip mit seinen Unbestimmbarkeiten“ stützen könne. Wie bei der Steuer dürfe er daher auch bei der Verschuldung auf Zwang zurückgreifen und müsse sich von jeder privatwirtschaftlichen Basis der Staatsfinanzierung befreien. Diese Ermächtigung benötige aber nicht nur einen politisch herrschenden, sondern auch einen wirtschaftlich kundigen Staat, also eine ausreichende Wissensbasis, die in früheren Epochen noch nicht verfügbar gewesen sei. [76]

Solche Interpretationen sind zunächst als weltanschaulich begründeter Versuch zu verstehen, das Instrument einer Zwangsanleihe zu normalisieren und propagandistisch umzudeuten, zugunsten des nationalsozialistischen Regimes und seiner kriegswirtschaftlichen Ausrichtung. [77] Doch waren solche Vorstellungen nicht nur in der nationalsozialistischen Diktatur beobachtbar. Sie ließen sich auch in demokratischen Ländern finden, zumal dort die Mobilisierungsleistungen der rücksichtslosen Zwangswirtschaften des Deutschen Reichs und der Sowjetunion ebenso auf Besorgnis wie auf eine gewisse Anerkennung stießen. [78] So plädierte auf einer Konferenz des Tax Institute in New York im Jahr 1944 der Ökonom und Steuerexperte Carl Shoup für eine Betrachtung von Zwangsanleihen als „rückzahlbare Steuern“, die in Kriegszeiten aufgelegt werden könnten, um Kaufkraft zu lenken. Als politischer Berater der US-Militärregierung war Shoup Ende der 1940er Jahre an der Reform des japanischen Steuersystems beteiligt, später wurde er zum Vordenker der Mehrwertsteuer in Kanada, auf Kuba und in Europa. Den zum Zeitpunkt seines Vortrags noch andauernden Weltkrieg betrachtete Shoup als „gigantic experiment in the creation of liquid assets“. Vor diesem Hintergrund konzipierte er die Zwangsanleihe als eine Maßnahme, mit der Sparer von der Verausgabung ihrer liquiden Guthaben abgehalten werden sollten. Ihm ging es also nicht um eine gezielte Belastung hoher Vermögen, sondern um eine indirekte Maßnahme der Kriegsfinanzierung, die verschiedene Schichten der Bevölkerung und ihr Anlage- und Konsumverhalten im Blick hatte, mit dem Ziel, direkte Preiskontrollen und Rationierungen zu vermeiden. Solche Aspekte der gezielten Steuerung der Kaufkraft hatten in der Weimarer Debatte um Zwangsanleihen noch keine größere Rolle gespielt. Auch Shoup vertrat die Auffassung, seine Vorstellung von forced loans und die entsprechende Praxis kriegführender Staaten (vor allem der USA und Großbritanniens, aber auch Deutschlands) nach 1939 breche mit allen vorherigen Formen der Zwangsanleihe. Trotzdem betrachtete er die Weimarer Entscheidung zugunsten einer Zwangsanleihe grundsätzlich als Vorbild. [79]

Solche Versuche der Wissenschaft, das Instrument der Zwangsanleihe von seiner Exzeptionalität zu befreien, wirkten nach 1945 weiter. In diesen späteren Debatten wurden entsprechende Maßnahmen aber weniger durch außerordentliche politische Handlungszwänge legitimiert als durch volkswirtschaftliche Expertise. Im Anschluss an eine detaillierte Analyse der Effekte auf Kaufkraft und Konjunktur konstatierte etwa die deutsche Finanzwissenschaftlerin Lore Kullmer 1960, dass die ökonomische Theorie im Gegensatz zur Vergangenheit nun in der Lage sei, Ziele und Wege von Zwangsanleihen exakt zu bestimmen und diese entsprechend einzusetzen: „Was hindert unter diesen Umständen, die Zwangsanleihe, soweit sie sachlich als geeignetes Instrument angesehen werden kann, regelmäßig in den Dienst finanz- und konjunkturpolitischer Aufgaben zu stellen?“ [80] Die auf Weimar zurückgehenden Vorbehalte gegenüber diesem Finanzierungsinstrument wollte Kullmer durch wirtschaftswissenschaftliche Reflexion überwinden.

Allerdings konnte sich ein solches keynesianisches Machbarkeitsdenken zu diesem Zeitpunkt in Deutschland zunächst nur begrenzt durchsetzen. Die in den 1950er sowie in den 1980er Jahren unternommenen Versuche der Bundesrepublik, zwangsweise private Vermögen zu rekrutieren, liefen daher unter dem verschämten Label der „Investitionshilfe“ und scheiterten teilweise an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das der Bundesregierung die staatsrechtliche Legitimation zur Erhebung solcher Zwangsabgaben absprach. Erst im Zuge der jüngsten Finanzkrise seit 2009 tauchte der Begriff der „Zwangsanleihe“ in der Bundesrepublik wieder auf. So schlug das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Juli 2012 vor, zur Sanierung der europäischen Staatsfinanzen Zwangsanleihen für vermögende Privathaushalte aufzulegen, um den Abbau der Staatsschulden und wachstumsfördernde Reformen zu bewältigen, ohne die Konsumnachfrage zu dämpfen. In dem entsprechenden Papier wurde dieser Vorschlag nicht als Beleg für eine mangelnde Staatsautorität der europäischen Krisenländer betrachtet. Vielmehr sah der Autor Stefan Bach darin ein „klassisches Instrument“ zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit, dessen Problematik primär die korrekte Schätzung der Aufkommenseffekte und die Vermeidung von Kapitalflucht sei. Zugleich liege darin ein deutliches „Signal an die Geberländer und die Hilfsfonds, dass man sich besonders anstrengt“ und ein Anreiz für die betroffenen Personen, „sich stärker um die fiskalische und wirtschaftliche Gesundung ihrer Länder zu kümmern“. [81] Auch in neueren finanzwissenschaftlichen Abhandlungen steht nicht mehr der historische Ausnahmecharakter der Zwangsanleihe im Fokus, also ihre erfahrungsgeschichtliche Verbindung mit der Weimarer Staatskrise, sondern ihre konjunkturpolitische Wirkung sowie ihre Rechtsnatur. Für beide Fragen ist vor allem die Abgrenzung gegenüber regulären Steuern und die verfassungsrechtliche Einordnung der Zwangsanleihe relevant. Daneben rücken Fragen ihrer konkreten Umsetzung, etwa der Verzinsung und der Handelbarkeit, in den Blick. Prägend ist dabei das Plädoyer, die Zwangsanleihe nicht länger als Krisensymbol, sondern als „nachhaltige“ Alternative der Staatsfinanzierung zu verstehen. [82]

Anhand der Konfliktgeschichte der Weimarer Zwangsanleihe sind zudem die internationalen Verflechtungen staatlicher Finanzpolitik deutlich geworden, die im 20. Jahrhundert – anders als viele deutsche Beobachter in der Zwischenkriegszeit argumentierten – ebenfalls keine Ausnahme darstellten. Die Art und Weise, wie die Zwangsanleihe zwischen 1919 und 1922 ausgehandelt und gestaltet wurde, zeigte vielmehr Charakteristika dessen, was in der neueren Staatstheorie als Staatlichkeit unter den Bedingungen weltwirtschaftlicher Interdependenz beschrieben worden ist. Was Klaus Schlichte mit Blick auf afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Staaten konstatiert hat, gilt in gewisser Weise wohl auch für das deutsche Beispiel der Weimarer Republik: Es waren „nicht allein die Vorstellungen nationaler Eliten oder Bevölkerungen, sondern Machtkonstellationen im politischen System der Weltgesellschaft“, die über die Legitimität staatlicher Zugriffe auf private Ressourcen und deren Effekte bestimmten. [83]

Dies bestätigt sich, wenn man einen Blick auf die Diskussion um Zwangsanleihen in der Finanzierung kolonialer beziehungsweise postkolonialer Staaten des 20. Jahrhunderts wirft. So werden in einem IMF-Paper des britischen Ökonomen Alan Prest von 1969 Zwangsanleihen nicht als Verzweiflungstat oder „discreditible gimmick“ der Finanzpolitik scheiternder Staaten verstanden, sondern als Avantgardetechnik der Staatsfinanzierung präsentiert, um in Entwicklungs- und Schwellenländern ein breiteres Publikum mit den „Institutionen des Kapitalmarktes vertraut zu machen“. Zwangsanleihen waren in Prests Deutung zwar Instrumentarien, die ursprünglich aus einem staatlichen Not- oder Kriegszustand geboren wurden. Nun aber sollten sie im Rahmen einer globalen Entwicklungspolitik neu gedacht werden, als Mittel der Erziehung breiter Schichten zum Markthandeln. Sie waren damit als Instrumente der Finanzierung von Staaten gedacht, die zwar dezidiert Prinzipien und Bedürfnisse des Marktes berücksichtigten (anders als die nationalsozialistische Diktatur), aber diese zugleich zu steuern verstanden. Hierfür verwies Prest auf eine ganze Reihe unterschiedlich ausgestatteter Zwangsanleihen, die in den 1950er und 1960er Jahren vor allem von Staaten des globalen Südens aufgelegt worden waren (Abb. 3). [84] Zu seinen Beispielen zählte unter anderem Israel, das in den 1960er Jahren mehrfach zu Zwangsanleihen gegriffen hatte, um Phasen der Rezession zu überwinden, Kriegskosten aufzubringen und die Kaufkraft der Bevölkerung zu lenken. Dabei wurden entsprechende Abgaben, anders als im Deutschen Reich Anfang der 1920er Jahre, nicht nur von den besonders Reichen erhoben, sondern von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, und dies im Wege des direkten Quellenabzugs. Die Anleihen waren verzinst und an den Börsen handelbar. [85]

Abb. 3 Ausstattungsmerkmale der Zwangsanleihen unterschiedlicher Staaten nach 1945 (Prest, Compulsory Lending Schemes, S. 50; vgl. für eine leicht erweiterte Aufstellung auch Räth, Zwangsanleihe, S. 347).
Abb. 3

Ausstattungsmerkmale der Zwangsanleihen unterschiedlicher Staaten nach 1945 (Prest, Compulsory Lending Schemes, S. 50; vgl. für eine leicht erweiterte Aufstellung auch Räth, Zwangsanleihe, S. 347).

Die bewusste Popularisierung und Vermarktlichung des Staatskredits hatten ebenso wie die gezielte Beeinflussung des Kauf- und Konsumverhaltens der Bevölkerung für die Aushandlung der Weimarer Zwangsanleihe hingegen keine größere Rolle gespielt. Das eigentlich akzeptable Arsenal und der genuine Ausdruck staatlicher Souveränität lagen für die damalige Öffentlichkeit stattdessen in scharfen Maßnahmen der Fiskalpolitik: Drosselung der Staatsausgaben, Steuererhöhungen, Preiskontrollen. Prest hingegen wies ein solches Vorgehen als politisch verheerend und daher letztlich unerfüllbar zurück und las gerade deswegen die Zwangsanleihen der 1950er und 1960er Jahre keineswegs als Ausweis staatlicher Schwäche und mangelnder Tatkraft der politischen Führung. Dies ging allerdings mit einer veränderten Konzeption von Staatlichkeit einher, in der die breite Bevölkerung als Aktivum des volkswirtschaftlichen Ganzen gedacht wurde, das nicht nur über Abgabepflichten, sondern zugleich über Marktmechanismen wie Zinseinkommen am Schicksal des Staates unmittelbar beteiligt sein sollte.

6 Fazit

Die Konfliktgeschichte der Weimarer Zwangsanleihe verweist nicht nur auf die finanztechnische Uneindeutigkeit dieses Instruments zwischen Kredit und Steuer, sondern sie zeigt auch die Ambivalenzen von Innen- und Außenpolitik, von nationaler Souveränität und internationaler Verflechtung in der Staatsfinanzierung auf. Argumentationsfiguren der akuten Not spielten für die Durchsetzung der deutschen Zwangsanleihe von 1922 eine hervorgehobene Rolle, doch gingen ihre Zielsetzungen nicht darin auf. Vielmehr legitimierte sie zugleich einen längerfristig angelegten Steuerkompromiss sowie strategische Entscheidungen der deutschen Regierung in der Reparationspolitik. Fiskalisch verpuffte dieser Eingriff aufgrund der fortschreitenden Inflation und unzureichender Erhebungsmethoden zwar weitgehend, dennoch zeigte er politische Wirkungen. Die Anleihe diente weniger dem gezielten Zugriff auf privates Vermögen als der zeitweiligen Befriedung innerer wie äußerer Konflikte. Sie war daher kein Akt der Ohnmacht, auch wenn sie von manchen Zeitgenossen als solcher beschrieben wurde. Angesichts der von den Gläubigern des Deutschen Reiches beständig geforderten weitreichenden Strukturreformen sowie umfassender Supervision und Kontrolle der Reichsfinanzen durch externe Sachverständige war die Zwangsanleihe Bestandteil einer interimistischen Bewältigungspolitik der Weimarer Regierung, die damit auf Zeit spielte. Aufgrund der symbolischen Mobilisierung im „Kampf gegen Versailles“ stellte die Zwangsanleihe von 1922 zudem ein einigendes Band für unterschiedliche politische Lager dar. De facto war die Ordnung der Staatsfinanzen aber keine rein nationale Angelegenheit mehr.

Am Beispiel der Weimarer Zwangsanleihe wurden daher die mehrdeutigen Abhängigkeitsverhältnisse ersichtlich, denen Entscheidungen über Staatsabgaben in den Krisen des 20. Jahrhunderts unterlagen. Welche Konflikte nach Meinung von Experten oder Politikern mittels Zwangsanleihen hervorgerufen oder gelöst werden können, war durch sich wandelnde Staatsvorstellungen und den jeweiligen Grad an Vermarktlichung des Staatskredits bedingt. Das Weimarer Beispiel ist hier besonders aufschlussreich, da es einen historischen Moment markierte, in dem Vorstellungen eines zurückhaltenden Fiskalstaates zunehmend in Frage gestellt wurden, der politische Schritt zu einem steuernden Staat und zur staatlichen Umverteilung in der Sphäre des Wirtschaftlichen aber noch zutiefst umstritten war, eben eine Ausnahme darstellte. Aufgrund der spezifischen Konstellationen und Institutionen des Reparationsregimes waren die begleitenden Debatten zudem von Imaginationen eines unpolitischen Sachverstandes geprägt, der durch regierungsexterne Gremien oder einzelne Persönlichkeiten verkörpert wurde. Diesem Regime sachlicher Vernunft wurde der politische Notstand gegenübergestellt, der aus der Schwäche des Staates resultiere. Das Projekt einer Zwangsanleihe schien hier eine Brücke zwischen den beiden Seiten zu schlagen.

In der Aushandlung der Zwangsanleihe zeigte sich also die komplexe Verschränkung internationaler Expertendiskurse, diplomatischer Kommunikation, privatwirtschaftlicher Netzwerke und nationaler Entscheidungsprozesse. An ihrem Beispiel wurde über die gegenwärtige wie die zukünftige Gestalt der Weimarer Wirtschaftsordnung diskutiert ebenso wie über die Frage, ob diese Gestalt allein aus politischer Dezision hervorzugehen hatte, getragen von der Tatkraft nationaler Führungspersönlichkeiten, oder ökonomisch legitimiert werden sollte, basierend auf den Voten internationaler Sachverständiger und Gremien. Die daraus entstehende Situation war unübersichtlich und historisch offen; sie lässt sich nicht allein aus politischem Lagerdenken oder den Konkurrenzen innerhalb der deutschen Parteienlandschaft erklären. Es war damals – anders als Wolfgang Bosbach 2008 insinuierte – zunächst gerade nicht die politische Linke, die für eine Zwangsanleihe der Besitzenden eintrat. Vielmehr wechselte diese Maßnahme in den Jahren ihrer Aushandlung die politische Couleur. Damit waren aber auch ihre Folgen unberechenbar und konnten den ursprünglichen Intentionen widersprechen.

Die spätere Normalisierung von Zwangsanleihen in Expertendiskursen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist ein Anzeichen dafür, dass die Reichweiten staatlicher Macht unterdessen anders und breiter definiert wurden. Im Kontext der Weimarer Staatsvorstellungen war eine Zwangsanleihe noch schwer zu rechtfertigen gewesen, ihre Durchsetzung daher Gegenstand hitziger Konfrontationen. Dies galt insbesondere dort, wo es um Hoffnungen ging, mittels der Zwangsanleihe tatsächlich Vermögen umzuverteilen und soziale Ungerechtigkeit zu mindern. Zudem besaßen in der Zwischenkriegszeit Fragen der Staatsfinanzierung nicht nur unter den beteiligten Experten, sondern auch in breiteren Schichten eine politische Sprengkraft, die in späteren Phasen keineswegs gleichermaßen gegeben war. Ursprünglich war die Weimarer Zwangsanleihe ein Instrument, das von konservativen und industrienahen Kreisen vorgeschlagen wurde, die dem neuen Sozialstaat ausgesprochen kritisch gegenüberstanden. Ihre Vorstellungen einer Zwangsanleihe speisten sich daher nicht aus einem Umverteilungs-, sondern aus einem Notstandsdiskurs, der auf der Folie existenzieller Kriegs- und Revolutionserfahrungen in Kombination mit privatwirtschaftlichen Interessen geführt wurde. Erst in der Folge des Zweiten Weltkriegs wurden Zwangsanleihen zu einer fortschrittlichen Maßnahme staatlicher Ordnungs- und Konjunkturpolitik erklärt, die, je nach ihrer spezifischen Ausgestaltung, auch in normalen Zeiten denkbar war.

About the author

PD Dr. Stefanie Middendorf

Stefanie Middendorf

forscht und lehrt an der Freien Universität Berlin im Bereich Neuere Geschichte und Zeitgeschichte. Sie leitet gegenwärtig das von der DFG finanzierte Forschungsnetzwerk „Doing Debt. Praxeology of Sovereign Debt in the Long Twentieth Century“ und arbeitet an einer Studie zur Gesellschaftsgeschichte des Gläubigers seit dem 19. Jahrhundert. Weitere ihrer Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte von Staatlichkeit, Finanz- und Haushaltspolitik im europäischen Vergleich, die Rolle der deutschen Regierungseliten im 20. Jahrhundert und die Kulturgeschichte des modernen Frankreichs.

Published Online: 2021-11-05
Published in Print: 2021-11-25

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License.

Downloaded on 23.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/jbwg-2021-0015/html
Scroll to top button