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ASIST Annual Meeting in Kopenhagen

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Published/Copyright: February 8, 2017
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Vom 16. bis 18. Oktober 2016 fand das von der Association for Information Science and Technology (ASIST) veranstaltete 79. Annual Meeting (AM 2016) statt. Das Leitthema lautete „Creating Knowledge, Enhancing Lives through Information & Technology“. An den beiden vorausgehenden Tagen konnten die Besucher darüber hinaus aus einem relativ großen Angebot an meist kostenpflichtigen Seminaren und Workshops wählen.

Abbildung 1: Pre-Conference Workshop (Thoery Development) (Bild: Diane Sonnenwald).
Abbildung 1:

Pre-Conference Workshop (Thoery Development) (Bild: Diane Sonnenwald).

Mit Kopenhagen fand die Tagung das erste Mal in Europa statt. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Umbenennung der „American Association for Information Science and Technology“ in „Association for Information Science and Technology“ nicht bloß ein „Lippenbekenntnis“ ist, tatsächlich entwickelt sich ASIST zunehmend zu einer weltweiten informationswissenschaftlichen Gesellschaft. Dies kommt auch durch die intensive Einbindung von Kollegen aus Europa am AM 2016 zum Ausdruck. Beispielsweise waren die beiden „Panel Co-Chairs“ – Isabella Peters (ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft) und Barbara Endler-Jobst (Hoffmann-La Roche AG) – aus Europa. Auch der Verfasser dieses Betrags war als „Paper Co-Chair“ tätig. Wesentlichen Anteil daran, dass die Tagung das erste Mal in Europa stattfand, hatte Diane Sonnenwald, die auch den Tagungsvorsitz innehatte. Umso erfreulicher war es daher, dass diese Bemühungen dadurch belohnt wurden, dass viele Kollegen aus Europa (zirka ein Drittel) am AM 2016 teilnahmen und die Tagung damit mehr Besucher als im Vorjahr zählte. Insgesamt nahmen am AM 2016 über 400 Teilnehmer aus mehr als 37 Ländern teil. Das Annual Meeting ist damit eine der größten informationswissenschaftlichen Tagungen.

Im Vergleich zum Vorjahr stieg nicht nur die Teilnehmerzahl, es wurden auch mehr wissenschaftliche Beiträge und Panel-Beiträge eingereicht. Dementsprechend „kompetitiv“ war das Auswahlverfahren insbesondere für wissenschaftliche Aufsätze, bei denen die Annahmequote bei 40 Prozent lag. Die entsprechenden Werte lagen bei den Poster- und Panel-Einreichungen mit 53 Prozent und 65 Prozent etwas höher. Eine weitere Tagungsinnovation bestand darin, dass erstmals ein „Paper Mentoring Service“ angeboten wurden. Dadurch sollten Nachwuchsforscher bei der Erstellung ihrer wissenschaftlichen Beiträge von erfahrenen Wissenschaftlern unterstützt werden.

Das sehr umfangreiche Tagungsprogramm ermöglichte, dass man mit Ausnahme der eingeladenen Vorträge immer aus fünf parallelen Tracks wählen konnte. Die Podiumsdiskussionen, teilweise von den „Special Interest Groups“ (SIGs) der ASIST organisiert, und die wissenschaftlichen Vorträge deckten die gesamte Breite der informationswissenschaftlichen Forschung ab: von Informationsverhalten über Wissensorganisation, Information Retrieval, Big Data, Bibliometrie und Wissenschaftskommunikation bis hin zu Digital Humanities und sozialer Informatik. Da sich der Verfasser dieses Beitrags nicht „fünfteilen“ konnte, ist die nachfolgende Auswahl der vorgestellten Vorträge und Podiumsdiskussionen dementsprechend subjektiv.

Die Tagung wurde von den beiden Tagungsvorsitzenden Diane Sonnenwald und Lauren Harrison eröffnet. Greg Welch hielt den Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Bridging the Telepresence Valley“, in dem die Potenziale der Telepräsenz-Technologie im Gesundheitsbereich aufgezeigt wurden. Die Telepräsenz-Technologie ermöglicht Patienten ein Gefühl der Anwesenheit in entfernten Umgebungen, indem diese durch einen Teleoperator vertreten werden, der einerseits ihre Bewegungen wiedergibt und andererseits die Kamerabilder an sie übermittelt. Der Patient bekommt dadurch den Eindruck, mitten im Geschehen zu sein.

Eine eigene Sektion war mit „Information und Fachgesellschaften“ betitelt. Auch für die Deutsche Gesellschaft für Information und Wissen e. V. (DGI) ist die Frage relevant, ob bzw. wie der Spagat zwischen Wissenschaft und Berufspraxis geschafft werden kann. Die ASIST versucht diesem Anspruch gerecht zu werden, indem sie wissenschaftliche Beiträge im Journal of the Association for Information Science & Technology (JASIST) und in den ASIST Proceedings veröffentlicht. Praxisorientierte Beiträge werden im Bulletin publiziert. Im Vortrag berichtete Rong Tang stellvertretend für die restlichen neun Ko-Autoren von einer groß angelegten schriftlichen Befragung (210 Respondenten aus 26 Ländern), in der die Nutzer dieser drei Publikationen befragt wurden. Die Ergebnisse bestätigen, dass JASIST und die Tagungsbände primär für die Forschung relevant sind. Hingegen wird der Bulletin von der Hälfte der Leser aus persönlichem Interesse gelesen. Relativ viele Respondenten bedauern die Einstellung von ARIST (Annual Review of Information Science & Technolgy), in der anerkannte Autoren Überblicksartikel zu unterschiedlichen Forschungsgebieten verfasst haben. Der zweite Vortrag von Agarwal und Islam hatte eine für alle wissenschaftlichen Gesellschaften relevante Fragestellung zum Gegenstand, nämlich wie sie die künftigen Anforderungen ihrer Mitglieder möglichst gut erfüllen können. Als Lösung schlagen die Autoren die Anwendung von bewährten Wissensmanagement-Konzepten vor. Der dritte Vortrag in dieser Sektion hatte wieder einen Bezug zur ASIST. In ihm berichtete eine Kollegin aus Brasilien über Watson Davis, den Gründer des ASIST-Vorläufers – das American Documentation Institute (ADI) – und über seine für die damalige Zeit bahnbrechenden Ideen.

Insbesondere für Nachwuchsforscher interessant war die Podiumsdiskussion „Publish or Perish: Meet the Editors“. An dieser nahmen die Herausgeber bzw. deren Stellvertreter folgender informationswissenschaftlicher Top-Zeitschriften teil: Journal of the Association for Information Science & Technology, Information Processing & Management, Journal of Documentation, Information Research, Aslib Journal of Information Management, Library Hi Tech sowie Education for Information. In einer ersten Runde stellten die Diskussionsteilnehmer ihre Zeitschriften kurz vor. Dabei gingen sie insbesondere auf ihre Erwartungen an eingereichte Beiträge ein. In einem zweiten Durchgang beantworteten sie die Fragen aus dem Publikum. Als ein kritischer Punkt erwies sich dabei, dass alle Zeitschriften eine relativ breite Ausrichtung haben. Ein weiterer Kritikpunkt betraf den Umstand, dass mit „Information Research“ nur eine Zeitschrift kostenfrei zugänglich ist. Gerade von der Informationswissenschaft würde man sich in Hinblick auf Open Access mehr erwarten.

Der nächste logische Schritt nach Open Access wäre „Open Peer Review“. Auch dazu gab es eine sehr interessante Podiumsdiskussion mit dem Titel „The Last Frontier in Open Science: Will Open Peer Review Transform Scientific and Scholarly Publishing?“, an der die Teilnahme auch dadurch „offener“ war, weil neben den Panelisten weiteren Teilnehmern die Möglichkeit geboten wurde, per Videokonferenz teilzunehmen. Das Panel begann mit einer Abstimmung. Dabei wurden die Anwesenden gefragt, ob sie es als Leser nützlich fänden, wenn zusätzlich zu einem Artikel auch noch die Kommentare der Gutachter öffentlich verfügbar wären. Zwei weitere Fragen bezogen sich darauf, ob sie als Gutachter bereit wären, ihre Identität und ihr Gutachten publik zu machen bzw. ob sie die als Autor erhaltenen Gutachten öffentlich stellen würden. Der Umstand, dass die Abstimmung vor allem bei den beiden letzten Fragen nicht ganz so eindeutig ausfiel, verdeutlicht, warum sich Open Peer Review bis jetzt noch nicht wirklich durchsetzen konnte. Eine Zwischenlösung könnte darin bestehen, den Gutachtern und Autoren eine Wahlmöglichkeit zu bieten.

Während der Großteil der Vorträge und Podiumsdiskussionen von Wissenschaftlern „gestellt“ wurde, hatte der zweite eingeladene Vortrag mit dem Titel „Text and Data Mining Meets Pharmaceutical Research“ einen konkreten Praxisbezug. In ihm berichtete Markus Bundschus von der Firma Roche Diagnostics, dass Text und Data Mining in der pharmazeutischen Industrie mittlerweile geschäftskritische Bedeutung erlangt haben. Dies zeigt sich auch an der großen Breite von teilweise sehr unterschiedlichen Anwendungen. Konkret ging er in seinem Vortrag auch darauf ein, wie Text Mining-Projekte in einem herausfordernden Geschäftsumfeld erfolgreich umgesetzt werden können.

Das Tolle bei einer so breit angelegten Tagung ist, dass sich sogenannte Serendipitätseffekte einstellen können. Beispielsweise verirrte sich der Verfasser dieses Beitrags irrtümlicherweise in eine Sektion mit Vorträgen aus der Informationsverhaltensforschung, die er sehr „spannend“ fand. Um den Lesern dieses Tagungsberichts ebenfalls derartige „Überraschungseffekte“ zu ermöglichen, soll die Besprechung der Beiträge an dieser Stelle enden. Stattdessen wird das Lesen des elektronischen, frei verfügbaren Tagungsbandes empfohlen. In ihm sind alle angenommenen Aufsätze, Podiumsdiskussionen und Poster im pdf-Format enthalten. Auf die einzelnen Beiträge kann chronologisch (über das Tagungsprogramm) und über ein detailliertes Indexregister zugegriffen werden. Darüber hinaus ist auch der elektronische ASIST Thesaurus (in Version 4 und in der sich noch in Bearbeitung befindlichen Version 5) im Tagungsband enthalten.

Die Tagung bot mit dem „Crown Plaza Copenhagen Towers“-Hotel einen sehr schönen Rahmen. Dieser hatte aber auch seinen Preis, was mich zum aus meiner Sicht einzigen Kritikpunkt an der Tagung bringt: die relativ hohe Tagungsgebühr. Diese belief sich regulär für ASIST-Mitglieder auf 705 US-Dollar, Nicht-Mitglieder mussten immerhin 870 US-Dollar auf den Tisch legen. Für Frühbucher gab es eine Ermäßigung um 50 US-Dollar. Fairerweise muss jedoch erwähnt werden, dass die gesamte Verpflegung während der Tagung, darunter ein mehrgängiges Mittagessen, und bei den drei Abendempfängen in der Tagungsgebühr inkludiert war. Studierende und Ruheständler erhielten deutliche Nachlässe, erstmals an der Tagung Teilnehmende wurden mit einer einjährigen Schnuppermitgliedschaft beschenkt.

Zum 80. Jubiläum wird die Tagung in Washington D.C. stattfinden. Es wäre schön, wenn die europäische informationswissenschaftliche Community wieder ein ähnlich starkes Lebenszeichen von sich geben würde.

Deskriptoren: Tagung, ASIST, Zeitschrift, Körperschaft

Literatur

Andrew Grove, Diane H. Sonnenwald, Lauren Harrison, Catherine Blake, Christian Schlögl, Isabella Peters, Barbara Endler-Jobst, Colleen Cool, Yin-Leng Theng (Hrsg.): Creating Knowledge, Enhancing Lives through Information & Technology, Proceedings of the 79th ASIS&T Annual Meeting, Volume 53, 2016, URL: https://www.asist.org/files/meetings/am16/proceedings/index.html [30. 11. 2016].Search in Google Scholar

Christian Schlögl (Jahrgang 1961) ist a. o. Univ.-Prof. für Informationswissenschaft und Wirtschaftsinformatik. Er ist seit 1990 am gleichnamigen Institut der Karl-Franzens-Universität Graz beschäftigt. In den Jahren 1996 und 1997 baute er den FH-Studiengang Informationsberufe in Eisenstadt auf. Seit 2005 ist er stellvertretender wissenschaftlicher Leiter des an den Universitäten Wien, Innsbruck und Graz eingerichteten interuniversitären Universitätslehrgangs „Master of Science (MSc) in Library and Information Studies“. Aktuelle Forschungsgebiete sind Bibliometrie und Szientometrie, Informationskompetenz sowie Informations- und Wissensmanagement.

Online erschienen: 2017-2-8
Erschienen im Druck: 2017-2-1

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 25.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/iwp-2017-0015/html?lang=en
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