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Veröffentlicht/Copyright: 8. Februar 2017
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Rezensierte Publikation:

Herb Ulrich Open Science in der Soziologie. Eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme zur offenen Wissenschaft und eine Untersuchung ihrer Verbreitung in der Soziologie 2015 vwh Verlag Werner Hülsbusch Glückstadt


Open Science in der Soziologie. Eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme zur offenen Wissenschaft und eine Untersuchung ihrer Verbreitung in der SoziologieUlrich Herb. – Glückstadt: vwh Verlag Werner Hülsbusch, 2015. [Schriften zur Informationswissenschaft; ISSN 0938-8710; Bd. 67. Zugleich: Diss., Univ. des Saarlandes, 2015].491 Seiten. ISBN 978-3-86488-083-4, 36,80 Euro, DOI: 10.5281/zenodo.31234.

Ulrich Herb fasst in einem breit angelegten Literaturbericht den gegenwärtigen Stand der Open Science-Bewegung zusammen. Sie wird in Open Access, Open Data, Peer Review, Alternative Metrics und Verfügbarkeit von Programmcode unterteilt. Besonderes Augenmerk gilt der Entwicklung dieser Bereiche innerhalb der deutschsprachigen Soziologie. Die Studien zu Open Access belegen mehrheitlich, dass dieses Programm (auch im deutschen Sprachraum) gut angenommen wird. In den übrigen Untersuchungsfeldern erweist sich die Umsetzung stellenweise als schwierig und die Akzeptanz als entsprechend gering.

1 Anknüpfungspunkte

Die Budapester (2002) und Berliner (2003) Erklärungen über Open Access zu wissenschaftlichen Publikationen kombinieren den Hinweis auf traditionelle akademische Praktiken mit aktuellen Erfahrungen der Softwareentwicklung und Telekommunikation. Die ungehinderte Bereitstellung des Quellcodes für Computerprogramme und ein komplettes Betriebssystem (GNU/Linux) hatten sich als praktikable Alternative zu Firmenangeboten erwiesen. Parallelen zum oftmals ökonomisch desinteressierten Austausch von Forschungsergebnissen lagen auf der Hand. Dieser wurde als Motor der Informationsgesellschaft gepriesen. Mit utopischem Schwung versprachen die Deklarationen intensivierten Wissenstransfer und Abbau des „digital divide“ als Resultat konsequenter Öffnung der einschlägigen Distributionskanäle. Ein gutes Jahrzehnt später ist (Eigenbeobachtung) bei Lehrenden wie Studierenden Ernüchterung festzustellen. Was ist geschehen?

In einer ersten Annäherung fällt auf, dass die Vokabel „offen“ den disruptiven Charme verloren hat, der ihr im Zusammenhang mit „open source“ anhaftete. „Offene Grenzen“ sind, das steht aktuell vor Augen, ein gemischter Segen. Einerseits hat sich aus der Initialzündung eine reiche Sammlung wissenschaftlicher Projekte und digitaler Ressourcen entwickelt. Sie steht im Kontrast zum ehemaligen Status Quo und transformiert ihn stellenweise nach den neuen Prozeduren. Andererseits konnte die Blauäugigkeit, mit welcher die Budapester Erklärung jede Erwähnung des Verlagswesens vermieden hatte, auf Dauer nicht befriedigen. Auch „interessenlose“ Wahrheitssuche bedarf institutioneller und ökonomischer Absicherungen. Sie schwebt nicht, wie es akademischen Kreisen bisweilen scheint, im freien Raum. Appelle an Offenheit sind bestenfalls ein Anfang.

Das Ansteckungspotenzial der beiden erwähnten Erklärungen hat neben Open Access weitere im Wissenschaftsbetrieb unentbehrliche Praktiken erfasst: den Zugang zu Daten (Open Data), die Begutachtungsverfahren (Open Review), die Rezeption der Arbeiten im Fachdiskurs (Open Metrics) und den geteilten Gebrauch von Open Research Software. Ulrich Herbs Monografie (zugleich eine Dissertation an der Universität des Saarlandes) spannt einen breiten Bogen über das gesamte Spektrum. Sie verfolgt, nach einem Kapitel zur Begriffsklärung, im ersten Hauptteil alle Erscheinungsweisen offener Wissenschaft, international und quer durch die Disziplinen (S. 31–248). Im zweiten Hauptteil konzentriert sich die Studie auf Open Science in der Soziologie und den Sozialwissenschaften (S. 251–416). Spezielle Aufmerksamkeit gilt dabei der Situation im deutschsprachigen Raum, dem auch „Eigene Erhebungen und Befunde“ (S. 320–391) gewidmet sind.

2 Bestandsaufnahme

Das Buch ist ein Mehrzweckinstrument; es erfüllt verschiedene Aufgaben. Der Autor selbst nennt Begriffsklärung, Literaturstudie, Gradmessung der „Offenheit“ der Disziplin, Positionsbestimmung der Sozialwissenschaften und explorative Datenerhebung (S. 7 f.). Er legt einen penibel belegten Querschnitt durch die bibliometrische Fachliteratur vor. So gesehen ist die Arbeit ein Kompendium der verfügbaren Studien zur offenen Wissenschaft weltweit. Dabei werden nicht bloß Ergebnisse rubriziert, sondern auch die Forschungsdesigns umrissen und (bisweilen) kommentiert. Für Open Access-Sympathisantinnen, die sich in der Regel an skizzenhafte Darstellungen des Programms in der eigenen Disziplin halten, ist der Inhaltsreichtum dieser Abschnitte eine Fundgrube. Die Regeln einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit sind tadellos erfüllt.

2.1 Texte

Herb bietet aber nicht nur ein Kompendium. Seine Arbeit dient auch einer kritischen Einführung in das Thema. Sie stellt seine begrifflichen Instrumente vor und orientiert über Entwicklungen, die aus dem Versprechen von 2002 eine Erfolgsgeschichte und ein umstrittenes Unternehmen gemacht haben. „Offen“ ist ein vielfach verwendetes Allerweltsadjektiv mit evokativem Effekt. Begriffliche Präzision ist eine andere Sache. Der Begriff werde „diffus benutzt“ (S. 14). „Eine exakte Definition des Open Access zu Textpublikationen sucht man vergebens“ (S. 23). Beim Versuch, ihn schärfer zu fassen, unterscheidet Herb zwei Aspekte. Einmal die Verfügbarkeit wissenschaftlicher Texte, und dann die Transparenz von Tätigkeiten, in die solche Resultate eingebettet sind und die sie produzieren. Dazu gehören Datenerhebung, sowie die Erfassung der Wirkungen, die von einer Publikation ausgehen. Im Terminus „open science“ sind diese beiden Verständnisvarianten zusammengelegt.

Wissenschaftliche Veröffentlichungen können als verkäufliches Gut angeboten werden. Beim Gegenteil ist zu differenzieren. Herb nennt die Optionen „entgeltfrei“ respektive „restriktionsfrei (S. 10, 15, 32). Im ersten Fall muss man für das Produkt nicht zahlen, besitzt aber an ihm auch keine Rechte. Die „Creative Commons Lizenzen“ bieten ein modularisiertes juridisches Angebot von Benutzungsbedingungen: Weitergabe, Veränderung und kommerzielle Verwendung der Inhalte (S. 17 ff.). Solche Erlaubnisse heben Restriktionen des gebräuchlichen akademischen Betriebs auf. Im Fachjargon wird von „libre Open Access“ gegen „gratis Open Access“ gesprochen. Damit ist Offenheit im Rahmen von Urheber- und Eigentumsrechten spezifiziert, es fehlt allerdings eine wichtige Zusatzannahme, über die Herb zufolge „prinzipiell Einigkeit“ besteht, nämlich das Erfordernis, nur „in Verlagen oder auf vertrauenswürdigen Open Access Servern“ (S. 33) zu publizieren. Darauf wird nicht weiter eingegangen, aber es handelt sich um einen erheblichen Unsicherheitsfaktor.

„Das Internet“, dem häufig eine befreiende Funktion zugeschrieben wurde, destabilisiert andererseits vertrauenswürdige Verhältnisse. Solange man sich im abgemessenen Bezugsfeld des etablierten Wissenschaftsbetriebs bewegt, fällt es nicht auf, doch sobald ein Journalbeitrag auf der Homepage des Autors bzw. der Autorin oder in einem Wissenschaftsportal im Internet zugänglich gemacht wird, tauchen Fragen auf. Zählt das als Open Access? Wer besitzt den Maßstab für Vertrauenswürdigkeit? Jenseits des Elfenbeinturms liegt Google und dieses Territorium entzieht sich auf weite Strecken der akademischen Reglementierung. Was dort bereitliegt, kann wissenschaftlich solide sein – oder auch nicht. Hier liegt ein wunder Punkt der proklamierten Offenheiten. „Open Access“ ist (ähnlich wie „Bio“ oder „Turbo“) kein Markenname und kann für sehr unterschiedliche Zwecke verwendet werden. Auf die Folgen dieses Umstands komme ich abschließend zu sprechen.

2.2 Daten, Peer Review, Impact

Der begriffliche Klärungsbedarf im zweiten genannten Anwendungsbereich (Transparenz von Tätigkeiten) trifft auf andere Probleme. Daten sind in der Regel Übergangsprodukte in wissenschaftlichen Untersuchungen, deren Gewinnung von vielfältigen lokalen und methodologischen Umständen abhängt, die Herb detailliert beschreibt (S. 122–169, 268–296). Peer Review ist ein Qualitätssicherungsverfahren zum Zweck der Beurteilung der Publikationswürdigkeit (S. 169–195, 297–302) – ähnlich die Messung der Resonanz wissenschaftlicher Tätigkeiten (S. 195–223, 303–320). Erhoben wird die Wirkung vorliegender Produkte. Offenheit bezieht sich in diesen Fällen nicht auf Werke im klassischen Sinn, sondern auf Vorarbeiten und begleitende Steuerungsmechanismen. Der verhandelte Begriff wird von einer Qualifikation für Endergebnisse zu Stationen eines umfassenden Prozesses ausgeweitet. Herb zeichnet ein Bild der Bedeutungsnuancen von „Offenheit“ in den erwähnten Kontexten.

Der umfangreichste Abschnitt des Buches befasst sich mit dem „Zugang zu Textpublikationen und Open Access“ (S. 31–122). Hier sind die richtungweisenden Entwicklungen für Open Source zu beobachten. Die Darstellung der Problemlage könnte als kompakte Einzelstudie für sich stehen. Behandelt werden die unerlässlichen Standardthemen: die Zeitschriftenkrise und Strategien zu ihrer Eindämmung, Typologien des freien Forschungsaustausches, Fragen der Finanzierung, des Urheberrechtes und natürlich auch ein Punkt, um den es der Open Access-Initiative vorrangig geht, die Erfolgsaussichten eines neuen Distributionsmodells. Die Exposition führt in divergente Richtungen. Die Querschnittsmaterie umfasst bibliometrische, ökonomische, juridische und wissenschaftspolitische Befunde. Herb geht sie nicht bloß summarisch durch, sondern untermauert seine Analyse mit Kurzvorstellungen zahlreicher quantitativer und qualitativer Studien.

Ein roter Faden durch die umfangreich dokumentierte Materie könnte wie folgt aussehen: Die einflussreichsten, in der Hand weniger Firmen konzentrierten, Journale für Naturwissenschaft, Technik und Medizin unterliegen einer Preisspirale und überfordern damit die Bibliotheksbudgets. Open Access-Strategien („grün“: Selbstarchivierung, „gold“: frei zugängliche Online-Publikation) antworteten mit neuen Formen zur Archivierung und Distribution wissenschaftlicher Inhalte sowie innovativen Finanzierungsmodellen. Als folgenschwer erwies sich die Idee, anstelle der Subskribentinnen Autorinnen und ihre Förderinstitutionen für die Bereitstellung der Forschungsliteratur zahlen zu lassen („APC“: article processing charges). Diesem Modell folgen inzwischen zahlreiche kommerzielle, aber auch nicht gewinnorientierte, „golden open access“-Publikationen.

Die ursprüngliche Absicht der Budapester Erklärung, möglichst viele Wissenschaftlerinnen zur Teilnahme an diesem Austausch zu bewegen, erwies sich als unrealistisch. Vornehmlich Verlage und Universitäten befördern das Angebot (S. 83). Ein „Zitationsvorteil“ unter Open Access erschienener Arbeiten gegenüber der kommerziellen Konkurrenz ist – quer durch die Disziplinen – zu beobachten: Die Soziologie und die Sozialwissenschaften allgemein werden nicht im selben Maß, wie die naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen von Journalbeiträgen dominiert (S. 251 ff.). Sammelbände und Monografien spielen eine gewichtige Rolle. Dort ist die Open Access-Idee nicht stark ausgebildet. Davon abgesehen scheint ihre Akzeptanz im sozialwissenschaftlichen Zeitschriftenbereich jedoch nicht weniger verbreitet als im internationalen Durchschnitt (S. 260 ff.).

Die ungehinderte Bereitstellung empirischer Daten, auf welchen Forschungsvorhaben aufbauen, wirft eine Reihe zusätzlicher Fragen auf. Das Material ist inhomogener. Es ist teils aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, teils wegen urheberrechtlicher Regelungen nur beschränkt publizierbar, zudem fehlt es an der standardisierten digitalen Infrastruktur, die sich rund um das herkömmliche Publikationswesen aufgebaut hat (S. 122 ff.). Artikel, zu denen die ausgewerteten Daten verfügbar sind, werden häufiger zitiert (S. 154 ff.), doch der Beitrag dieses Materials zur wissenschaftlichen Respektabilität der veröffentlichten Resultate ist generell problematisch. Daten werden meist nur zeitlich beschränkt in Evidenz gehalten (S. 130 f.), ganz abgesehen davon, dass sich die auf sie gegründeten Ergebnisse oft als unreproduzierbar erweisen. Ein Peer Review von Artikeln inklusive Daten ist vergleichsweise beschwerlich und langwierig (S. 160 f.). Die Situation kompliziert sich in den Sozialwissenschaften durch den Unterschied zwischen quantitativen und qualitativen Daten (S. 269 ff.).

Es zeigt sich, dass Open Science ein vielgestaltiges Gebilde mit unterschiedlichen Anforderungen an Offenheit darstellt. Daten kommen anders zustande als Journalpublikationen, und dementsprechend variieren die Erwartungen an ihre freie Zugänglichkeit. Am Peer Review-Verfahren, das sich zunehmend als Standard der Inhaltskontrolle wissenschaftlicher Arbeit durchsetzt, ist dieser Umstand besonders deutlich abzulesen. Die Pointe von Open Review ist gerade nicht die Bewertung jener Texte, die in diesem Rahmen produziert werden. Es geht um die Zugänglichkeit der Begutachtung der eingereichten Unterlagen.

Herbs Ausführungen zum Peer Review sind up-to-date durch Ergebnisse von Forschungsprojekten belegt (S. 169–195). Die herrschende Selbstzufriedenheit der Scientific Community gerät durch peinliche Fehlleistungen ins Zwielicht (S. 174–185). Für eine Studie reichten 1982 Douglas P. Peters und Stephen J. Ceci bei zwölf psychologischen Fachjournalen Artikel ein, die eben diese Journale 18 bis 32 Monate zuvor bereits publiziert hatten. Nur einer wurde akzeptiert, acht von neun zuvor angenommenen Artikeln abgelehnt (S. 181). Das ist schon eine Weile her, doch ein Bericht aus dem Jahr 2014 zeigt die Aktualität des Problems.

Renommierte Verlage mit vorgeblich sorgfältigem Review-Verfahren mussten 120 Beiträge in Konferenzbänden zurückziehen. Es handelte sich bei näherer Betrachtung um maschinell erzeugten Unsinn (Van Noorden 2014). Anscheinend sprechen also gute Gründe dafür, die Begutachtungspraxis einer öffentlich-kritischen Prüfung zu unterziehen. Doch ähnlich der Forderung nach frei verfügbaren Daten erweist sich dieses Anliegen oft als unpraktikabel. Starke Widerstände gegen das Ansinnen, die Begutachtenden persönlich zu nennen, sind ein Faktor. Es wird befürchtet, dass die Personalisierung unerwünschte Folgen hat. Die Auswirkungen können individuelle Feindschaften, aber auch karrierefördernde Freundschaftsanbahnungen sein. Abgesehen davon sei in der deutschsprachigen Sozialwissenschaft „Qualitätssicherung z. B. in Form der Peer Review [...] eher eine Ausnahme“ (S. 299). Inwiefern er überhaupt ein verlässliches Mittel zu diesem vielberufenen Zweck ist, bleibt in dieser Einschätzung offen.

Post festum wird versucht, den wissenschaftlichen Wert von Veröffentlichungen durch Impakt-Metriken zu bestimmen. Die dabei eingesetzten konventionellen Praktiken sind weit von Offenheit entfernt. Das Oligopol bestehend aus Thomson Scientific, Elsevier und Google Scholar errechnet nach firmenspezifischen Voraussetzungen, auf unterschiedlicher Datengrundlage, Zitierhäufigkeiten mit Präferenz auf englischsprachigen Journalbeiträgen. Die Ergebnisse sind, trotz verbreitet geäußerter Kritik (S. 198), in technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen als Gradmesser für Qualität anerkannt. Nicht anglophone Humanwissenschaften sind in diesen generalisierten Metriken schwach vertreten und ihren Ergebnissen gegenüber entsprechend skeptisch. Herb verweist auf Richard Münchs passend benanntes Buch „Akademischer Kapitalismus“, das einen Vergleich zweier US-amerikanischer mit zwei deutschen Journalen anstellt (S. 308). Das „American Journal of Sociology“ (AJS) und der „American Sociological Review“ (ASR) werden der „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“ (KZSS) und der „Zeitschrift für Soziologie“ (ZfS) gegenübergestellt. 2006 erreichte AJS 6.730 und ASR 7.927 Zitierungen, verglichen mit 288 (KZSS) und 180 (ZfS). Wie immer es um die Qualität der Beiträge steht, offensichtlich wird hier zusätzlich der Gebrauch der englischen Sprache gewertet. Deutschsprachige Autorinnen zitieren AJS und ASR, was in der Regel umgekehrt für ihre englischsprachigen Kolleginnen bezüglich KZSS und ZfS nicht zutrifft.

2.3 Eigenrecherche

Die Studie beschließen „Eigene Erhebungen und Befunde“. Herb ist nicht bloß ein Rapporteur vorliegender Untersuchungen, er formuliert auch selbst Hypothesen und prüft sie am vorhandenen Datenmaterial (S. 320–391). Die bibliometrische Recherche folgt den Regeln der Kunst: Hypothesen – Forschungsfragen – Datenerhebung – Analyse – Befunde. Als problematisch erweist sich die teilweise unzureichende Information. Speziell in der Dokumentation des Bestands des „Directory of Open Access Journals“ (DOAJ) finden sich bedeutende Lücken (S. 342, 344). Zusammenfassend kommt Herb zum Ergebnis, dass die Akzeptanz von Open Access in soziologischen Journalen nicht, wie bisweilen vermutet wird, schwach ausgebildet ist. Der Buchsektor ist von dieser Entwicklung allerdings kaum erfasst und auch die übrigen Anwendungsgebiete – im Spektrum von Open Science – sind nur im Ansatz zu finden. Zur Impact-Messung ist zu bemerken, dass alternative Metriken für die Soziologie bessere Resultate bringen als die marktbeherrschenden Zitationsdatenbanken (S. 415–419).

Dieser Open-Science-Literaturbericht, zusammen mit einem Eigenprojekt, lenkt den Blick auf eine methodische Auffälligkeit. Im Detail stößt Herb im DOAJ auf fehlerhafte Angaben zu Publikationsgebühren. Er korrigiert sie „in Handarbeit“ aus anderen verfügbaren Quellen. Diverse Falschmeldungen sind auch im Rahmen der zahlreichen referierten Projekte zu vermuten. Wie werden sie dort kompensiert? Das kann nicht Thema einer breit angelegten Metastudie sein, dennoch bleibt ein Unbehagen hinsichtlich der Tragfähigkeit eines derartigen Forschungsberichtes. Als Orientierung über den vorliegenden Problemhorizont ist Herbs Projekt jedenfalls wertvoll. Ob sich aus dem Ergebnis mehr als vorübergehende Schlüsse ziehen lassen, ist nicht so sicher. Charakteristisch ist die vorsichtige Formulierung eines Hauptpunktes der Arbeit: „Open Access zu Journalartikeln [...] scheint in der Soziologie ein keinesfalls unterdurchschnittlich verbreitetes Phänomen zu sein, dies gilt vor allem für den deutschsprachigen Bereich“ (S. 417). Für eine komprehensive Dissertation mit knapp unter 500 Seiten ein zögerliches Resultat.

3 Die offene Wissenschaft und ihre Feinde

Die Vorsicht Herbs im Umgang mit seinem Material ist angebracht. Die „offene Wissenschaft“, so seine abschließenden Worte, habe die Soziologie noch kaum erreicht,

„obwohl eine umfangreiche Beschreibung der Open-Science-Bereiche Open Access zu Textpublikationen, Open Access zu Forschungsdaten, Open Review, Open Metrics und Open Access zu Forschungssoftware im Hinblick auf die Verfassung der Soziologie stark vermuten lässt, dass auch diese von den Verheißungen der offenen Wissenschaft profitieren könnte: Transparenz, Effizienz und Innovation.“ (S. 412)

Das ist eine Vermutung über Verheißungen, die in Gestalt von Schlagworten auftreten. Nehmen wir das Beispiel der 120 entlarvten, oben erwähnten, Pseudo-Publikationen. Natürlich sind hier Transparenz und Innovation gefragt: „ ... most of the fake papers have authors with Chinese affiliations“ (Van Noorden 2014). Hier muss Aufklärungsarbeit ansetzen. Dummerweise hat John Bohannon (2013) demonstriert, dass Open-Access-Journale, wenn man es darauf anlegt, vergleichbare Fehlleistungen enthalten. Dazu kommt eine Entwicklung, die den „good will“ gegenüber Open Access zu unterminieren droht. Sie hat damit zu tun, dass Open Access und Peer Review operativ ungeschützte Begriffe sind, deren sich „unerwünschte“ Akteure sanktionslos bedienen können. Das führt zu Zeitschriften, die wissenschaftliche Publikationsmöglichkeiten nach gebräuchlichen Standards versprechen, de facto aber nur zum Abkassieren dienen.

Abschließend ein Beispiel. Hinter dem Acronym „IJCSE“ stehen drei verschiedene Journale. Das „International Journal of Computer Science Engineering“ (ISSN 2319-7323), das „International Journal on Computer Science and Engineering“ (ISSN 0975-3397) und das „ Indian Journal of Computer Science and Engineering“ (ISSN 0976-5166). Alle drei verfügen über einen wissenschaftlichen Beirat, Peer-Review-Verfahren und bieten Open Access. Eine Anzahl beteiligter Personen besetzt in den Veröffentlichungen wechselnde Positionen. Der Peer Review ist, wie man im Einzelfall nachweisen kann, entweder unqualifiziert oder inexistent (Quatsch Weblog 2014). Aber es handelt sich, daran besteht kein Zweifel, um Open Access. Und diese Qualifikation reichte auch – was schwerer wiegt – zwei dieser Zeitschriften (ISSN 0975-3397 und ISSN 0976-9166) in das DOAJ aufzunehmen. Von dort gelangen sie in offizielle universitäre Bibliothekskataloge und werden über Suchabfragen als legitime Beiträge „weißgewaschen“. Kein Wunder, dass den eingangs erwähnten Studierenden nach der Lektüre dieser Produkte Zweifel am Programm des offenen Zugangs kommen.

Die Open Access Bewegung hat in eineinhalb Jahrzehnten viel erreicht. Jetzt ist sie einer doppelten Gefahr ausgesetzt. Es drohen eine drastische Uminterpretation der Ausgangsformel und ein Etikettenschwindel. Van Noorden (2014) erläutert den Terminus in Nature folgendermaßen: „... open access publishers – which charge fees to publish manuscripts – ...“ (Van Noorden 2014). Dieser Be­griffsgebrauch in einem tonangebenden Journal für Naturwissenschaften lässt Böses befürchten. Ihm zufolge sind die IJCSE-Implementierungen umstandslos Beispiele für Open Access. Herb hat die ganze Komplexität des Themenfeldes entwickelt. Wir wollen hoffen, dass es zukünftig nicht zu einer Geldangelegenheit schrumpft.

Literatur

Berliner Erklärung über offenen Zugang zuwissenschaftlichem Wissen. Verfügbar unter: http://openaccess.mpg.de/68053/Berliner_Erklaerung_dt_Version_07-2006.pdf [19.10.2016].Suche in Google Scholar

Bohannon, John (2013): Who’s Afraid of Peer Review? Science, doi: 10.1126/science.342.6154.60. Verfügbar unter: http://science.sciencemag.org/content/342/6154/60 [19.10.2016].10.1126/science.342.6154.60Suche in Google Scholar

Budapest Open Access Initiative. Verfügbar unter: http://www.budapestopenaccessinitiative.org/translations/german-translation [19.10.2016].Suche in Google Scholar

Quatsch Weblog (2014). IJCSE. Verfügbar unter: http://phaidon.philo.at/qu/?p=1466 [19.10.2016].Suche in Google Scholar

Van Noorden, Richard (2014): Publishers withdraw more than 120 Gibberish Papers. Nature, doi:10.1038/nature.2014.14763. Verfügbar unter: http://www.nature.com/news/publishers-withdraw-more-than-120-gibberish-papers-1.14763 [19.10.2016].10.1038/nature.2014.14763Suche in Google Scholar

The Non-trivia! Effects of Trivial Errors in Scientific Communication and EvaluationTerje Tüür-Fröhlich. – Glückstadt: vwh Verlag Werner Hülsbusch, 2016. [Schriften zur Informationswissenschaft, ISSN: 0938-8710, Bd. 69. Zugleich: Diss., Johannes Kepler Universität Linz, 2014] [Text englisch] 162 S., Hardcover ISBN 978-3-86488-104-6, ca. 24,80 Euro

Rückhaltlose Kritik und das Lernen aus Fehlern ist nach Karl Popper ein Bestandteil des wissenschaftlichen Diskurses, der erforderlich ist um wissenschaftlichen Fortschritt zu gewährleisten. Der Trend zur automatisierten Datenanalyse scheint dieser Forderung Rechnung zu tragen.

Wie aber sind die Ergebnisse von Analysen, wenn sie auf automatisierter Datenerfassung beruhen, die mit trivialen Fehlern gespickt ist? Dieser Frage geht Terje Tüür-Fröhlich in ihrer Dissertation nach, die nun in der vom Hochschulverband für Informationswissenschaft (HI) herausgegebenen Reihe „Schriften zur Informationswissenschaft“ erschienen ist.

Auf Basis sorgfältiger, systematischer Literaturrecherche dokumentiert Tüür-Fröhlich den Stand der Forschung, in einem eigenen Kapitel ihres Werks gibt sie zudem einen wertvollen Einblick in die Genese des Citation Indexing auf Basis einer Inhaltsanalyse des Briefwechsels von Joshua Lederberg mit Eugene Garfield.

Anhand von Fallbeispielen zeigt die Autorin Auswirkungen von „not deleted, not publicly eliminated or retracted errors“ auf, die nicht nur die Karrieren von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mitbestimmen, sondern auch die Wissenschaftskommunikation und somit den Prozess des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns beeinflussen.

Für diese Untersuchung, die den Hauptteil des hier besprochenen Werks ausmacht, fokussiert die Autorin auf den Social Sciences Citation Index (SSCI) des Datenbankanbieters Thomson Reuters. Sie muss diese Einschränkung (die inhaltlich ebenfalls bestens begründet ist) auch deshalb vornehmen, weil es an ihrer Universität keine Lizenzen für weitere Indexe, die für die Sozialwissenschaften bedeutsam sind (A&HCI, Scopus), gibt – ein Umstand, der bereits eine bedeutende Aussage über Forschungsprozesse beinhaltet: Der Zugang zu Forschungsdaten ist aus dieser Perspektive stärker denn je von der Zugehörigkeit zu einer Institution abhängig. Eine kritische Untersuchung in der vorliegenden Publikation zeigt zudem die Einflüsse der Daten von Thomson Reuters auf Universitäts-Rankings. Dabei können beispielsweise durch die falsche Kategorisierung von Publikationen (Artikel wurden als „Review“ klassifiziert etc.) massive Effekte „triviale“ Fehler entstehen.

Der Kern der Untersuchung, die ihren Ausgang bei einer Recherche nach „Pierre Bourdieu“ nimmt, basiert auf innovativen Methoden. Mit der „Ping-Pong Method“ gibt sich die Autorin die Suchstrategien vor, die sie zunächst zu „n=85 mutated name variants and missings for Pierre Bourdieu“ im SSCI führen (S. 52 f.). Auf Basis eines „Snowball sampling“ bzw. „chain referral sampling“ werden die Referenzlisten, die die Einträge „PIERRE B“ oder „PIERRI B“ (beide stehen für Pierre Bourdieu) untersucht. Die Ergebnisse werden als qualitative und quantitative Fallstudien dargestellt.

Die Fallstudien lesen sich wie ein Mix aus Kriminalroman und Science Fiction. Die Werke von einer Autorin und einem Autor, in denen „pierre b“ und „pierri b“ zitiert wurde, enthalten Fehler-Phänomene, für die Tüür-Fröhlich eine eigene Terminologie entwickelt. Beispiele sind „UBO“ für „unidentifiable bibliographic object“ oder „Zombie References“, die in einer Kapitelüberschrift so erklärt werden: „Anything Is Wrong But Something Has Been Indexed“. Phantom-Autoren begleiten uns durch die Analysen: Jean Baudrillard wird zu JEAN B oder zu JIAN B, ein US-Patent zu „Long-Sleeved Garment“, findet sich im Index des SSCI als Autor LONGSLEEVED G wieder...

Die Autorin räumt ein, dass die Fallstudien von fehlerhaften Einträgen ausgingen und fertigt daher eine dritte Fallstudie an, die auf der Suche nach „bourdieu“ als zitiertem Autor basiert. Sie verfolgt das Ergebnis zu einem „Review Essay“. Aus diesem gelangt eines der beiden besprochenen Bücher nicht in den Index des SSCI, und auch zwölf der in der Literaturliste des Essay angegebenen Quellen wurden nicht in den SSCI übernommen.

In den Schlussfolgerungen aus der Untersuchung wird nochmals deutlich festgehalten, dass all diese „trivialen“ Fehler die Zählung von Zitaten und damit den Impact Factor verfälschen – dies betrifft konsequenterweise nicht nur die Verfasserinnen und Verfasser, sondern auch deren Institutionen, Forschungsfelder und Länder. Wenngleich die Pioniere des kommerziellen Citation Indexing die Probleme mit unterschiedlichen Sprachen und Gepflogenheiten für Quellenangaben kannten, sind “severe missings / mutations / mutliations and phantom authors / works / references are due to OCR and text parsing programs [...]” offensichtlich. Fortschritte im Hinblick auf eine Reduktion der Fehler sind nicht ersichtlich.

Die Empfehlung der Autorin ist ein Hinweis auf die bekannteste Prostest-Initiative gegen quantitative Evaluation, DORA (The San Francisco Declaration on Research Assessment), weiter empfiehlt sie wissenschaftlich Schreibenden, Zitierungen ihrer eigenen Arbeiten zu beobachten, Fehler den Datenbankanbietern mitzuteilen und diese auch mithilfe unterschiedlicher Medien publik zu machen. Die Schlussbemerkung kritisiert die quantitative Evaluierung wissenschaftlicher Leistung: „To do only formal citation analysis is an error per se. Semantic citation analyses would be a valuable method to study scientific / scholarly communication and a useful way to assess research.”

Fazit: Das vorliegende Buch zeigt deutlich, wie dringend qualitative Methoden – sowohl in der Evaluierung wissenschaftlicher Leistung als auch in der Wissenschaft selbst – zumindest als Ergänzung zu quantitativen Methoden benötigt werden. Die analysierten Fehler entziehen sich zum Teil quantitativer Erforschung, die zudem die Genese der Fehler nicht berücksichtigt – und damit keinen Beitrag zur Fehlerminimierung leistet. Abgesehen von dieser Methodenkritik ist das Werk von Terje Tüür-Fröhlich ein wesentlicher Beitrag um die gängige Praxis der Evaluierung wissenschaftlicher Leistungen zu hinterfragen. Zudem ist es ein wichtiges Werkzeug für Informationsvermittlungsstellen oder Bibliotheken, da es dort Arbeitende und Recherchierende sowohl mit der Problematik von Fehlern bei der Benutzung von Datenbanken als auch mit alternativen Suchstrategien vertraut macht. Auch für Einführungen in Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens lässt sich der vorliegende Band empfehlen, weil er gute Impulse liefert, um mit angehenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Datenbankrecherchen und wissenschaftliche Erkenntnisprozesse, die auf solchen Recherchen basieren, kritisch zu hinterfragen.

Praxishandbuch Urheberrecht für Bibliotheken und InformationseinrichtungenBernd Juraschko. – Berlin; Boston: De Gruyter Saur, 2015. XII, 273 S., ISBN 978-3-11-034669-5, 99,95 Euro.

Das Urheberrecht ist eines der zentralen Rechtsgebiete in Bibliotheken und Informationseinrichtungen. Das Buch von Bernd Juraschko, dem Leiter der Hochschulbibliothek der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in München, richtet sich an alle interessierten Bibliothekare, Informationswissenschaftler und Juristen, die sich mit urheberrechtlichen Fragen im Bibliotheks- und Informationswesen auseinandersetzen. Dieses Praxishandbuch soll helfen, einen sicheren Weg durch das aktuelle und teils sehr anspruchsvolle Urheberrecht zu finden. Die Auswahl und Schwerpunktsetzung der einzelnen Themen erfolgte im Hinblick auf die für Bibliotheken und Informationseinrichtungen relevanten Anwendungen.

Das Buch mit insgesamt 273 Seiten gliedert sich in zwei Teile. Der erste behandelt die Grundlagen des Urheberrechts, der zweite typische Anwendungsfelder und Themenkomplexe in Bibliotheken und Informationseinrichtungen.

Vorangestellt ist den beiden Bereichen eine Beschreibung der Zielsetzung, der Arbeitsmittel und Sachverhaltsproblematik. Dazu werden die wichtigsten Begrifflichkeiten in diesem Kontext erklärt und der rechtliche Zusammenhang, in den das Urheberrecht eingebettet ist, erörtert. Als zentraler Punkt der Zusammenarbeit von Bibliothekaren und Informationswissenschaftlern mit Juristen wird die Erfassung und Darstellung des Sachverhaltes hervorgehoben, ohne die eine juristische Bearbeitung der diversen Aufgaben nicht möglich ist. Denn ein unterschiedliches Verständnis bedingt unterschiedliche Rechtsfolgen. Diese einführende Beschreibung ist ein sehr nützliches Hilfsmittel, um die darauffolgenden Inhalte besser verstehen und einordnen zu können.

Der sich anschließende erste Teil befasst sich auf 140 Seiten mit den Grundlagen des Urheberrechts und besteht aus 13 Kapiteln. Die ersten elf geben, angereichert durch Fallbeispiele, einen gut verständlichen und trotz der schwierigen Thematik recht leicht zu lesenden Überblick über die Situation in Deutschland. In den Kapiteln 12 und 13 wird ein kurzer Blick über den Tellerrand auf die Rechtslage in der Schweiz und in Österreich gewagt.

Zu Beginn werden erst einmal Intentionen, Ziele und Verortung des Urheberrechts beschrieben, denn das Urheberrecht gilt, als ein von der Rechtsordnung geschaffenes Recht für jedermann und nicht nur innerhalb einer besonderen Beziehung. Es ist ein Schutzrecht gegen rechtswidrige Verletzungen und hat die Aufgabe zahlreiche und unterschiedliche Interessen zu gewichten und zu einem Ausgleich zu bringen. Außerdem wird das Urheberrecht als Teil des Immaterialgüterrechts, als ein Recht beschrieben, das sich im Spannungsfeld zu anderen Rechten wie dem Eigentumsrecht, dem Kulturrecht, dem Wirtschaftsrecht und dem Urheberpersönlichkeitsrecht bewegt.

Daran anschließend steht der Schutzgegenstand des Urheberrechts, nämlich der Werkbegriff, im Vordergrund, denn nur ein Werk genießt urheberrechtlichen Schutz. Andere Leistungen können nur im Rahmen der verwandten Schutzrechte geschützt werden. Mit Hilfe von Fallbeispielen wird diese Thematik immer in Bezug zu den entsprechenden Paragraphen des Urheberrechtsgesetzes anschaulich erläutert.

Zur Unterstützung der Bedeutungsfindung bei z. B. Einzelfragen stellt sich bei Ansprüchen und Rechtspositionen die Frage nach der ranghöchsten, rechtlichen Grundlage. Diese ist für das Urheberrecht das Grundgesetz. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen selbst finden sich in den beiden Säulen Schutz der Urheberpersönlichkeit und der Eigentumsgarantie. Auch diese Thematik wird mit Hilfe von einem Fallbeispiel näher beleuchtet und die Einbettung in den rechtlichen Kontext erklärt.

Nun wendet sich Juraschko wieder dem klassischen Gegenstand des Urheberrechts, dem Sprachwerk zu. In Urheberwerke geht er darauf ein, welche Werke oder Teile desselben urheberrechtlich geschützt sind. Das ist immer wieder ein spannendes Thema.

In Leistungsschutzrechte erfahren wir dann wie lange ein Werk urheberrechtlich geschützt ist und inwieweit ein solches Werk auch über die Grenze von 70 Jahren hinaus auf Grund von anderen Schutzrechten, wie z. B. dem Leistungsschutzrecht, einen verlängerten Schutz genießen kann.

Die bisherigen Ausführungen bringen uns zu der Frage, welche Rechte habe ich als Urheber überhaupt, und wie kann ich mein Werk verwerten. Das Urheberrecht kennt den Begriff des Urheberpersönlichkeitsrechts, der den Verwertungsrechten vorangestellt ist. Die Urheberrechtspersönlichkeitsrechte sind die Rechte des Urhebers, die nur ihm zustehen und nicht übertragbar sind. Durch diverse Beispiele werden uns zwar die Rechte des Urhebers nahegebracht wie z. B. seinen Anspruch auf Anerkennung seiner Urheberschaft sowie der Schutz vor der Entstellung seines Werks, aber nicht abschließend besprochen.

Was die Verwertung angeht, so müssen wir uns dem Kapitel Verwertungsrechte zuwenden. Angereichert durch Fallbeispiele und Graphiken werden hier die Verwertungsmöglichkeiten durch den Urheber aufgezeigt, die allerdings immer wieder für Probleme und Diskussionen sorgen. Dabei sind die Verwertungsrechte grundsätzlich nicht übertragbar. Allerdings leiten sich aus den Verwertungsrechten die Nutzungsrechte ab, die der Erwerber über eine Lizenz erhält. Zum Thema Lizenzverträge findet sich ein Schwerpunkt im zweiten Teil des Buches.

Nun kann das Urheberrecht aber nicht isoliert von anderen Rechtsgebieten beurteilt werden. Deshalb werden im Kapitel Beziehung des Urheberrechts zu anderen Rechtsgebieten diese aufgezeigt und nützliche Checklisten zur Verfügung gestellt.

Auch die Urheberschaft selbst, die sehr unterschiedlich sein kann, sorgt immer wieder für Zündstoff. Sie reicht vom einzelnen Urheber über mehrere Urheber zur Arbeitnehmerurheberschaft in Betrieben, Hochschulen und in der Forschung oder auch in der Rechtsnachfolge, um nur einige zu nennen.

Im Kapitel Rechte des Urhebers werden aus der Vielzahl der Rechtspositionen und Rechte des Urhebers insbesondere jene herausgegriffen, die das Bibliotheks- und Informationswesen besonders berühren.

Den Abschluss der Reise durch die Grundlagen des Urheberrechts bildet die Thematik Schranken und Grenze der Rechte. Das Urheberrecht ist zeitlichen, inhaltlichen und räumlichen Beschränkungen unterworfen, wobei die inhaltliche Beschränkung am stärksten diskutiert wird. Aber auch weitere Einschränkungen der urheberrechtlichen Position, mögliche Rechtfertigungsgründe sowie die Definition ab wann das Urheberrecht überhaupt anwendbar ist, werden besprochen. Nützliche Checklisten runden das Kapitel ab.

Wenden wir uns nun dem zweiten Teil des Praxishandbuchs zu: Er fokussiert sich auf 107 Seiten in 16 Kapiteln auf typische urheberrechtliche Anwendungsfelder und Themenkomplexe in Bibliotheken und Informationseinrichtungen. Besonderen Wert legt Juraschko auf die Themen Recherche nach den Rechteinhabern, Lizenzverträge sowie die Rechtedurchsetzung.

Der Praxisteil startet mit dem Thema WebseitengestaltungundE-Learning, denn in der heutigen Zeit sind Bibliotheken und Informationseinrichtungen regelmäßig mit eigenen Webseiten im Internet präsent. Dazu kommt die für die Bibliotheksnutzer vermehrte Bereitstellung von E-Learning-Kursen und PC-Arbeitsplätzen. Dies alles wirft Fragen und Probleme auf, die hier angesprochen werden.

Juraschkos zweites Thema betrifft Dokumente mit persönlichem Inhalt, die durch Nachlässe an die Bibliotheken kommen. Diese Problematik wird eher selten diskutiert, wirft aber auf Grund des oft persönlichen Inhaltes, wie Tagebüchern, durchaus urheberrechtliche Fragen auf.

Auch das Handling von Datenbanken und Sammelwerken sowie Metasuchmaschinen stellt Bibliotheken und Informationseinrichtungen vor große Herausforderungen.

Durch Negativmeldungen in der Presse ist der Themenkomplex Wissenschaftliches Arbeiten, Zitierung und Plagiate, der nicht nur an Hochschulen von Bedeutung ist, in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Zielsetzung von wissenschaftlichem Arbeiten liegt im Erkenntnisgewinn. Dazu werden zumeist erstmal vorhandene Forschungsergebnisse durchgesehen, um eine Meinung über den Sachverhalt zu entwickeln. Um die so erhaltenen Resultate darstellen zu können, müssen diese kenntlich gemacht werden, also mit der Quellenangabe zitiert werden. Damit wird klargestellt wessen Inhalte übernommen wurden. Unterlässt man dies, kommt der Begriff des Plagiats ins Spiel, eine Formulierung, die das Urheberrechtsgesetz interessanterweise nicht kennt.

Im Weiteren werden diverse Themen gestreift, wie Geräteabgabe und Bibliotheksgroschen, Versanddienste von Kopien, Vergütungsansprüche des Urhebers bei Leihe, Vermieten und Betreiberabgabe, Digitalisierung für Elektronische Lesearbeitsplätze und Semesterapparate, Open Access und Open Source, das Zweitverwertungsrecht, Verwaiste und vergriffene Werke und die Rechtesituation bei Bibliothekskatalogen. Sogar die Raumgestaltung in Bibliotheken und Informationseinrichtungen wird angesprochen, denn auch hier könnte z. B. der Bau an sich urheberrechtlich geschützt sein.

Der erste Schwerpunkt in diesem zweiten Teil betrifft die Recherche nach dem Rechteinhaber. Auf Grund der Registerfreiheit des Urheberrechts ist es in Deutschland schwierig den Nachweis über die Urheberschaft zu führen und später diesen zu benennen. Bei der Planung von Projekten, die urheberrechtlich geschützte Materialien verwenden, ist es aber essentiell, zuvor die Berechtigungen zu klären. Beispiele helfen bei der Annäherung an dieses Thema und auch hier werden nützliche Checklisten zur Verfügung gestellt.

Ein weiterer Schwerpunkt sind die Lizenzverträge und ihre Gestaltung im Urhebervertragsrecht. Der Zielsetzung des Buches folgend, wird insbesondere der Rechteerwerb aus Sicht einer Bibliothek oder Informationseinrichtung berücksichtigt. Das bedeutet, dass der Lizenzgeber mit dem verhandelt wird, in der Regel die Rechte am eigenen Werk nicht durch seine eigene Schöpfung erworben hat, sondern dass sie ihm selbst vorab übertragen worden sind. Dies führt dazu, dass der Lizenzgeber möglichst einheitliche Vertragswerke bevorzugt, weil er ja an diversen Vertragsabschlüssen interessiert ist. Für die Bibliotheken wiederum geht es darum, für sie ungünstige Regelungen selbst oder mit juristischer Unterstützung erkennen und bewerten zu können. Zudem sollten sie in der Lage sein, einfache Vertragsentwürfe selbstständig zu erstellen oder umfangreichere Verträge mit juristischer Hilfe zu entwerfen. Auch hier sind Beispiele, anschauliche Tabellen und nützliche Checklisten wichtige Bestandteile für das Verständnis der Thematik.

Der letzte Punkt im Praxisteil befasst sich mit Rechtedurchsetzung, Prozessrecht und Sanktionen. Die Einhaltung des Urheberrechts gehört zu den Pflichtaufgaben von Bibliotheken und Informationseinrichtungen. Zudem können die Bibliothekskunden erwarten, dass sie inhaltlich verständlich und fachlich korrekt über die urheberrechtlich bedingten Folgen des bibliothekarischen Leistungsangebots informiert werden. Dennoch werden Bibliotheken und Informationseinrichtungen, zumeist in einem außergerichtlichen Verfahren, bisweilen in einen urheberrechtlichen Streit verwickelt. Hier ist es sinnvoll, Verfahren zu kennen, die man einsetzen kann, um gegebenenfalls eine Klage zu verhindern. Ein wichtiger Punkt ist auch die enge Zusammenarbeit von Bibliothekaren und Juristen. Mit Hilfe von Beispielen wird diese Thematik, immer in Bezug zu den entsprechenden Paragraphen des Urheberrechtsgesetzes, anschaulich erläutert.

Insgesamt ist dieses Praxishandbuch sehr empfehlenswert, auch wenn es sich um keine leichte Kost handelt. Es ist im Großen und Ganzen verständlich geschrieben, liest sich aber nicht nebenbei. Dabei arbeitet Herr Juraschko mit Fallbeispielen, Beispielen sowie vielen Graphiken und Tabellen, die es leichter machen sich in die Urheberrechtsthematik einzuarbeiten bzw. sich damit auseinanderzusetzen. Nützliche Checklisten runden das Bild ab, denn sie geben Hilfestellung für den Fall der Fälle. Die gewissenhafte Aufarbeitung der Grundlagen des Urheberrechts ermöglicht es Anfängern, sich in die Urheberrechts-Thematik einzuarbeiten. Aber auch Kenner der Materie finden auf Grund der vielfältigen Fallbeispiele immer neue Anregungen. Besonders hervorzuheben ist der Praxisteil, der den doch recht abstrakten Gesetzestext sehr viel verständlicher macht. Allerdings ist es, auf Grund der regelmäßigen Bezüge auf Paragraphen des Urheberrechtsgesetzes, durchaus sinnvoll den Gesetzestext parat zu haben, um sich den genauen Wortlaut des jeweiligen Paragraphen vor Augen zu führen.

Danksagung

Ein großes Dankeschön an Herr Juraschko, der sich die Mühe gemacht hat, speziell für den Bereich der Bibliotheken und Informationseinrichtungen, dieses Praxishandbuch zu verfassen.

Online erschienen: 2017-2-8
Erschienen im Druck: 2017-2-1

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Heruntergeladen am 23.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/iwp-2017-0005/html
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