Home Die Seele der österreichischen Philosophie?
Article Open Access

Die Seele der österreichischen Philosophie?

  • Martin Kusch
Published/Copyright: March 14, 2024

Reviewed Publication:

Textor Mark: The Disappearance of the Soul and the Turn against Metaphysics. Austrian Philosophy 1874–1918. Oxford: Oxford University Press, 2021, 386 S.


Das Programm von Mark Textors Buch ist eine „problemorientierte Darstellung der österreichischen Philosophie und ihrer Rolle in der Herausbildung der analytischen Philosophie und des logischen Empirismus“ (1). Ich beginne mit einer kurzen Zusammenfassung.

Der erste Teil des Buches thematisiert die Kritik in der deutschsprachigen Philosophie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an den Begriffen „Seele“ und „Substanz“. In J. F. Herbarts eleatischer „metaphysischer Psychologie“ hat jede Seelensubstanz jeweils genau eine Vorstellung. Diese Einfachheit der Seele soll unter anderem plausibel machen, warum das Bewusstsein einheitlich ist. Hermann Lotze verwirft Herbarts Theorie. Lotze zufolge hat jede Substanz ihre charakteristische „Leistung“: Im Falle der Seele sei dies die Einheit des Bewusstseins. Textor liest diese Position als eine frühe Alternative zur Idee der Seelensubstanz. Noch Moritz Schlick wird hieran anknüpfen.

Die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts herausbildende „Psychologie ohne Seele“ (Lange) geht vor allem auf David Hume und G. C. Lichtenberg zurück. Für Franz Brentano sind nicht Seelen, sondern „psychische Phänomene“ für die Psychologie konstitutiv. Diese Phänomene sollen sich mittels Selbstwahrnehmung und episodischem Gedächtnis zum Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung machen lassen. Wilhelm Wundt fasst die psychologisch relevanten Phänomene erkenntnistheoretisch: als „in innerer Erfahrung gegeben“. Der „neutrale Monismus“ (z. B. Ernst Mach) geht noch weiter und verneint die Existenz eines intrinsischen Unterschieds zwischen psychischen und physischen „Elementen“. Elemente bedürften keines „Trägers“ und könnten „Komplexe“ bilden. Seien solche Komplexe durch Lust und Unlust geformt, handele es sich um Egos. Egos seien „praktische“, keine „realen“ Einheiten.

Mach und Gustav Fechner glauben, die Rede von Substanzen werde durch die Entdeckung von Naturgesetzen überflüssig. Richard Avenarius geht davon aus, dass die Postulierung von Substanzen nur vorwissenschaftliche, praktische Gründe hat. Mach greift auch die Unterscheidung von Erscheinung und Wirklichkeit an. Eine Wahrnehmungserfahrung repräsentiere nichts. Von Arthur Schopenhauer beeinflusst behauptet Mach, Begriffe seien Instrumente, um den Willen zu befriedigen. Die von ihm postulierten „Elemente“ seien nicht mit Empfindungen gleichzusetzen. Objekte seien Komplexe von Elementen, und ein und dasselbe Element könne in mehr als einem Komplex auftreten.

Der zweite Teil des Buches behandelt verschiedene philosophische Positionen, die ohne die Annahme einer Seele auszukommen suchen. Zunächst geht dabei es um den „neutralen Monismus“. Seine Kernthese lautet: „Der Unterschied zwischen dem Psychischen und dem Physischen besteht allein im Unterschied zwischen (unreduzierbaren) relationalen Eigenschaften“ (119). Fechner ist der Pionier dieser These. Für Mach sind Elemente dann Empfindungen, wenn wir sie als Entitäten betrachten, die unseren eigenen Körper bewegen. Wundt spricht von Phänomenen, die sich entweder aus dem psychologischen oder dem naturwissenschaftlichen Standpunkt auffassen lassen. Alois Riehl formuliert einen neukantianischen neutralen Monismus, der allerdings in einer Herausforderung gipfelt: Wie kann der neutrale Monismus Intentionalität erklären?

Brentano und seine Schüler gehen von einem intrinsischen Unterschied zwischen psychischen und physischen Phänomenen aus: Nur die ersteren seien intentional. Diese Einsicht soll sich einer Abstraktion auf der Basis von Selbstbeobachtung und episodischem Gedächtnis verdanken. Die Brentano-Schule vertritt einen „aristotelisch-scholastischen Ansatz“. Besonders wichtig in diesem Ansatz ist die Unterscheidung von „Akt“, „immanentem Inhalt“ und „Gegenstand“: Der gehörte Ton ist nicht gleich dem Akt oder der Ursache des Hörens. Diese Position sieht sich in der Folge immer wieder dem Einwand der „Wahrnehmungsflüchtigkeit“ oder „Diaphanie“ ausgesetzt: In der Wahrnehmung eines Gegenstandes seien wir uns des Aktes der Wahrnehmung nicht bewusst.

Brentano und seine Schüler entwickeln wichtige Vorbehalte gegenüber dem neutralen Monismus. Zum Beispiel: Psychische Phänomene unterscheiden sich intrinsisch von physischen Phänomenen, denn nur psychische Phänomene sind lokalisierbar. Oder: In der Annäherung an einen Gegenstand modifizieren wir nicht unsere Überzeugung hinsichtlich seiner Größe, obwohl er uns eigentlich – aufgrund unserer Empfindungen – zunehmend größer erscheint. Mach vertritt eine „Bildtheorie“ von Urteil und Erkenntnis. Bestandteile der Bilder und der zugehörigen Tatsachen sind neutrale Elemente. Mach behauptet sogar, dass das, was repräsentiert, und das, was repräsentiert wird, numerisch gleich seien. Brentano findet dies unplausibel. Ein Argument lautet, die Bildrelation sei symmetrisch, die Beziehung von Urteil und beurteilter Tatsache hingegen nicht.

Der dritte Teil des Buches erforscht die Einflüsse der österreichischen auf die britische Philosophie im Zeitraum 1886 bis 1918. James Ward sucht zwischen Lotze und Brentano zu vermitteln. Er verwirft zwar die Seelensubstanz, betrachtet aber das „Subjekt“ als unabkömmlich. Das Subjekt ist ihm „die funktionale Rolle“, die darin bestehe, dass ein bestimmtes Objekt in einem psychischen Zustand auf bestimmte Weise präsentiert werde. Ward unterscheidet nicht zwischen Inhalt und Gegenstand. Hierin wird ihm von G. F. Stout widersprochen: Jeder psychische Akt verlange als Vehikel ein „Quasi-Bild“ in uns. Den Diaphanie-Einwand beantwortet Stout mit der Bemerkung, es sei die Gewohnheit, die es uns schwer mache, den Unterschied von Empfinden und empfundenem Gegenstand zu erfahren.

Zwischen 1911 und 1913 unternimmt Bertrand Russell mehrere Anläufe, das Subjekt gegen die neutralen Monisten zu verteidigen. Unter anderem erklärt er, wir könnten das Subjekt zwar nicht unmittelbar kennen, wohl aber mittels einer Beschreibung. 1913 stellt Russell eine andere Idee in den Mittelpunkt: Wenn wir von X eine direkte Kenntnis haben und wenn zugleich wir eine direkte Kenntnis von Y haben, dann gewinnen wir auch direkte Kenntnis davon, dass es ein Ich gibt, welches diese Kenntnisse von X und Y hat. 1918 ändert Russell seine Position erneut: Jetzt versucht er das Subjekt als ein unwissenschaftliches Element zu erweisen.

Brentano verteidigt die Unterscheidung von Akt, Inhalt und Objekt; Russell und G. E. Moore glauben, ohne Inhalt auskommen zu können; Mach und Riehl halten weder Inhalt noch Akt für unverzichtbar. Russell und Moore verfechten ihre Position gegenüber Brentano vor allem mit dem Diaphanie-Einwand. Die Unterscheidung von Akt und Gegenstand ist zentral in Moores Angriff auf den britischen Idealismus, für den alles Wirkliche geistig ist. Moore bekämpft vor allem die Prämisse des Idealismus, wonach „esse“ gleich „percipi“ sei. Moore beharrt darauf, dass sich Akt und Gegenstand in introspektiver Erfahrung trennen lassen.

Im vierten und letzten Teil geht es um „Intuitionen, Metaphysik und die Grenzen des Wissens“. Ausgangspunkt ist hierbei der „deutsche Pragmatismus“ beziehungsweise der „Voluntarismus“ von Schopenhauer, Mach und Wilhelm Jerusalem. Für Voluntaristen steht menschliches Erkennen ursprünglich im Dienst des Überlebens und Strebens. Wie Schopenhauer, so vertritt auch Mach, dass Menschen den Willen letztendlich überwinden könnten – allerdings durch Wissenschaft statt (wie bei Schopenhauer) durch Kunst. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem die Debatte um die Frage, ob jedes Urteil „zweigliedrig“ sei, das heißt, eine Prädikation involviere. Brentano verneint diese Frage. Er verteidigt den Gedanken, dass wir urteilen können, ohne auszusagen, dass es sich mit etwas auf eine bestimmte Weise verhalte. Brentano verweist hier unter anderem auf die Introspektion: Wenn ein Kleinkind sich bewusst sei, dass es den Ton F höre, so schreibe es dem Hören selbst keine Existenz zu. Ferner argumentiert Brentano mit dem Wahrnehmen: Alles Wahrnehmen sei Urteilen. Aber Wahrnehmen sei nicht prädikativ. Und schließlich zeigten Urteile wie „Gott existiert“ oder „Es regnet“, dass ein Urteil keine Prädikation enthalten müsse. Mach und Jerusalem plädieren dagegen für die Zweigliedrigkeit der Urteile. Für Mach beruht das elementarste Urteilen auf Vergleichen. Wir sehen vertraute Dinge in den unvertrauten. Daher müsse jedes Urteil zweiteilig sein. Jerusalem zufolge involviert das Urteilen Vorstellung, Gefühl und Wille. Deshalb sei jedes Urteil komplex und daher notwendig prädikativ. Textors Sympathien liegen auf Seiten Brentanos, und er zeigt wiederholt Lücken in den Argumenten der Gegner auf.

In den letzten drei Kapiteln rückt Schlick ins Zentrum des Interesses. Von Avenarius übernimmt Schlick den Gedanken, dass Urteile zweigliedrig seien: „Zum Erkennen gehören zwei Glieder: etwas, das erkannt wird, und dasjenige, als was es erkannt wird“ (301). Im Falle der wissenschaftlichen Erkenntnis gehe es um theoretische Reduktion: Wir versuchten mit einem Minimum von atomistischen Begriffen das Maximum von Gesetzen zu formulieren. Schlick verallgemeinert ferner David Hilberts Konzeption von „impliziten Definitionen“. Und er unternimmt es, Argumente gegen die eingliedrigen Urteile Brentanos zu entwickeln – nach Textor allerdings erfolglos. Will sich die Metaphysik von Wissenschaft unterscheiden, dann muss sie nach Schlick (und Riehl) auch ihre eigene Wissensquelle haben; der plausibelste Kandidat sei dabei die Intuition. Gegen Henri Bergson, Schopenhauer, Brentano, Lotze und Husserl gewendet, argumentiert Schlick, dass Intuition kein Wissen liefern könne. Intuition sei eingliedrig, Wissen hingegen zweigliedrig: Es setze den Vergleich zwischen alten und neuen Vorstellungen voraus. Die Zweigliedrigkeit des Wissens soll zugleich erklären, wie Wissen die Grundlage von Vorhersagen sein kann. Auch hier stellt sich Textor auf die Gegenseite: Es gebe auch Wissen, dass keine Vorhersagen erlaubt. Wenngleich die Intuition für Schlick auch kein metaphysisches Wissen ermöglicht, so hat sie doch eine wichtige Funktion im Leben: Sie liefere nicht-begriffliche, evaluative Inhalte. Damit ermögliche sie Werte und Lebensfreude. Das Maximum dieser Lebensfreude liege vor, wenn wir uns in einer sinnlichen Wahrnehmung – etwa des blauen Himmels – verlören. Diese Gedanken findet Textor interessant. Gleichwohl bleibt er bei seiner allgemeinen Einschätzung, wonach es Schlick und anderen Voluntaristen nicht gelungen sei, die wesentliche Zweigliedrigkeit unserer Urteile und unseres Erkennens zu erweisen.

The Disappearance of the Soul and the Turn against Metaphysics ist ein gelehrtes, anspruchsvolles und tiefschürfendes Buch, das eine ganze Reihe von Forschungslücken in der Sekundärliteratur zur Philosophie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts schließt. Textor gelingt es zu zeigen, dass und wie die folgenden wichtigen Debatten zusammenhängen: die Kontroverse um die Seele und das Selbst in der Psychologie, der Disput um die Unterscheidung von psychischen und physischen Phänomenen, die Auseinandersetzung um die Ein- oder Zweigliedrigkeit der Urteile oder der Streit um die Intuition. Hierzu kann man dem Autor nur bewundernd gratulieren. Textors Buch wird fraglos für die nächsten Jahrzehnte eine obligatorische Lektüre in der Philosophie- und Psychologiegeschichte der Jahrzehnte zwischen 1860 und 1930 sein. Es ist keine Zurücknahme dieser insgesamt positiven Einschätzung, wenn ich im Folgenden versuche darzulegen, wo ich nicht ganz mit Textor mitzugehen vermag.

Da ist zunächst die Abgrenzung der „österreichischen Philosophie“. Ihre Hauptvertreter im Buch sind Brentano, Mach, Riehl und Schlick. Aber Brentano war ein Deutscher, der weniger als ein Viertel seines Lebens in Österreich verbrachte. Das gleiche gilt für Schlick. Die Allgemeine Erkenntnislehre, Schlicks Hauptwerk, erschien 1918, als Schlick noch Professor in Rostock war. Riehl war Österreicher, aber machte in Deutschland Karriere: erst (ab 1882) als Wilhelm Windelbands Nachfolger in Freiburg, später (ab 1905) als Wilhelm Diltheys Nachfolger in Berlin. Mach wurde in der Nähe von Brno (im heutigen Tschechien) geboren und verbrachte das Gros seines akademischen Lebens in Prag. Alle vier waren im engen Austausch mit anderen deutschsprachigen Philosophen, waren von diesen beeinflusst und beeinflussten sie. Vielleicht kann man Brentano, Mach, Riehl und Schlick aufgrund von intellektuellen Familienähnlichkeiten unter einen Begriff bringen; aber die geographisch-staatliche Grenze eignet sich dazu nicht.

Textor nennt seine Arbeit eine „problemorientierte“ Darstellung. Die Problemorientierung soll dazu dienen „das Wichtige vom Unwichtigen, das philosophisch Interessante vom philosophisch Uninteressanten zu trennen“ (1). Die Notwendigkeit einer solchen Trennung sei zugestanden. Gleichwohl befremdet es, dass in einer Geschichte der „Österreichischen Philosophie 1874–1918“ Machs einflussreiche Wissenschaftsphilosophie, Heinrich Gomperz’ Weltanschauungslehre, Jerusalems Interventionen in den „Psychologismus-Streit“ oder Friedrich Jodls naturalistische Ethik nicht – und sei es auch nur beiläufig – besprochen werden. Stattdessen gehen vier von vierzehn Kapiteln auf den Einfluss Brentanos und Lotzes in England ein. So interessant diese Kapitel auch sind, ich finde Textors Auswahl des behandelten Materials nicht ganz nachvollziehbar.

Es ist ferner ungewöhnlich, dass ein philosophiehistorisches Werk von 386 Seiten für eine Rechtfertigung des eigenen historiographischen Ansatzes nur 24 Zeilen aufbietet. Das abschließende Credo lautet: „Die Aufgabe dieses Buches ist es, klarzumachen, von was diese Philosophen ausgehen [where these philosophers are coming from] und – wenn dies einmal geschehen ist – herauszufinden, was von ihnen zu lernen ist“ (14). Hierzu ist einiges zu sagen.

Die existierenden Arten des Umgangs mit der Philosophiegeschichte lassen sich auf einer Linie anordnen, deren beiden Endpunkte sich beispielhaft mit Saul Kripkes Wittgenstein-Interpretation und Klaus Köhnkes Buch zum Neukantianismus erläutern lassen. [1] Kripke kümmert sich nicht um Wittgensteins Biographie und Kontexte, sondern sucht aus den Philosophischen Untersuchungen [2] eine Position herauszudestillieren, die für die heutige Philosophie eine Provokation darstellt. Mit anderen Worten, Kripke unternimmt eine „rationale Rekonstruktion“ des Wittgenstein’schen Privatsprachenarguments. Köhnke hat ganz andere Ziele. Er will nicht die Gegenwartsphilosophie ändern, sondern die intellektuellen, sozialen, politischen und biographischen Kontexte identifizieren, ohne die sich die Herausbildung des Neukantianismus im deutschen Sprachraum des 19. Jahrhunderts nicht verstehen lässt.

Textors Historiographie ist derjenigen Köhnkes insofern verwandt, als er wissen will, „where these philosophers are coming from“. Anders als bei Köhnke kommen bei Textor aber nur die philosophischen Hintergründe vor und selbst diese nur in einer kleinen Auswahl. So erfahren wir an keiner Stelle des Buches, dass und wie die Diskussion um die Seele und um die psychischen Phänomene mit zeitgleichen Kontroversen wie dem „Psychologismus-Streit“, dem „Streit um die Denkpsychologie“ oder den Debatten um die „Lebensphilosophie“ zusammenhängen. [3] Im Psychologismus-Streit ging es unter anderem um die logische und erkenntnistheoretische Funktion von Urteilen und das Verhältnis von Psychologie, Logik und Erkenntnistheorie; im Streit um die Denkpsychologie waren die Grenzen der Introspektion sowie die Struktur und Phänomenologie des Denkens wichtige Themen; in Debatten um die Lebensphilosophie wurden die relativen Rollen des Willens und des Intellekts verhandelt. Alle Hauptfiguren in Textors Buch spielen in wenigstens einem dieser „Streite“ eine zentrale Rolle. Ist es da nicht geboten, die Frage nach den Zusammenhängen zu stellen? Nicht zu vergessen, dass der Psychologismus-Streit und der Streit um die Denkpsychologie eng mit politischen und konfessionellen Auseinandersetzungen zusammenhingen, die z. B. die Karriere von Brentano nachhaltig beeinflussten.

Wie Kripke, so will auch Textor von den Philosophen der Vergangenheit lernen, beziehungsweise sie für die Gegenwartsphilosophie fruchtbar machen. Er tut dies vor allem dadurch, dass er hier und da die Positionen seiner historischen Akteure in Begriffen der Gegenwartsphilosophie wiedergibt: Um z. B. Lotzes Ansichten plausibel zu machen, werden Ideen von Galen und Peter Strawson, Sidney Shoemaker, Gottlob Frege und Christopher Peacocke herangezogen; oder um Ward zu verteidigen, wird die Mengenlehre bemüht. Textor geht hierbei aber nicht wirklich konsequent vor. Die Verweise auf die Gegenwartsphilosophie sind eher oberflächlich und es wird tatsächlich kein einziger heutiger philosophischer Forschungsstand systematisch herausgefordert. Textors Bewertungen betreffen vor allem die relative Stärke der historischen Positionen im Vergleich zueinander.

Zuletzt ist noch zu erwähnen, dass das Buch eigentlich keine übergreifende historische oder philosophische These formuliert. Dies macht es schwer zu entscheiden, ob es seinem eigenen Anspruch gerecht wird. Inwiefern hat Textor unsere Gesamtsicht auf die deutschsprachige Philosophie zwischen 1874 und 1918 verändert? Und was sollten wir von Brentano, Mach, Riehl und Schlick heute noch systematisch lernen? Um diese wichtigen Fragen zu beantworten, müssen wir mit Textor über Textor hinausgehen.

Published Online: 2024-03-14
Published in Print: 2024-03-25

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License.

Downloaded on 22.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/dzph-2023-0072/html
Scroll to top button