Zusammenfassung
Open Access (OA) für wissenschaftliche Zeitschriften stellt Bibliotheken und Verlage zunehmend vor organisatorische Herausforderungen. Sowohl die Schnittstelle zwischen Wissenschaftler*innen, Verlagen und Bibliotheken, als auch die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit in wissenschaftlichen Einrichtungen bringt neuartige Fragestellungen. Die zunehmende Digitalisierung, am Beispiel der Workflow Solution Oable, kann helfen, die Effizienz in der Zusammenarbeit zurückzugewinnen. Der Artikel benennt Voraussetzungen und Potenziale eines solchen Ansatzes.
Abstract
Open Access (OA) to scholarly journals brings organisational challenges for both libraries and publishers. The interface management between scientists, publishers and libraries, as well as cross-departmental cooperations in scientific institutions are raising new issues. Progressing digitisation, e. g. in the form of the workflow solution Oable, can help to introduce higher efficiency in cooperative processes. The article examines requirements and potentials of such an approach.
Wissenschaftliches Publizieren ist ein geordneter Markt – die großen Player dominieren die profitabelsten Märkte, für mittelgroße und kleine Anbieter ist immer noch genug Raum für auskömmliches Arbeiten. Die ersten zwei Dekaden der Digitalisierung haben viele Verlage so gut überstanden, wenngleich der Bedarf an Investitionen deutlich gewachsen und die wirtschaftlichen Reserven bei vielen geschrumpft sind – die Entwicklung von Geschäftsmodellen für die neue digitale Realität blieb hingegen übersichtlich. In dieser Situation sind Bibliotheken und Verlage gefordert, Open Access in ihre Arbeitsprozesse zu integrieren – unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Organisationsherausforderung, die noch dazu nur schwierig durch wenige Akteure zu lösen ist.
Erwerbungsverhalten von Bibliotheken: Süchtig machende Modelle
Open Access bedeutet eine deutliche Verschiebung im ökonomischen Entscheidungsprozess wissenschaftlicher Einrichtungen. Dies betrifft insbesondere Bibliotheken, die zwar auch in der Vergangenheit nicht autonom von Wissenschaftlergremien entscheiden konnten, ihren Einflüssen allerdings in organisierter Form mit relativ geringer Entscheidungsfrequenz ausgesetzt waren. Pläne zur Bestandsentwicklung wurden ausführlich entwickelt, diskutiert und über mehrere Jahre umgesetzt. Mit dem Angebot von Big Deals für Zeitschriften und E-Books durch vor allem größere Verlage wurde diesem Erwerbungsverhalten Vorschub geleistet – in Bibliotheken konnten in der Folge die Erwerbungs- und Katalogisierungsabteilungen deutlich ausgedünnt werden. Die Folge: eine relativ hohe und von Kunden meist wenig geschätzte Abhängigkeit von einem sehr effizienten Geschäftsmodell.
Verlage hingegen sind in ihren Arbeitsprozessen traditionell daran gewöhnt, hochgradig fragmentierte Zielgruppen und Inhaltequalitäten zu organisieren – durch von Wissenschaftler*innen getragene und mit Hilfe relativ effizienter Systeme abgewickelte Peer Reviews. Selbst hohen Ablehnungsquoten eingereichter Papers können sie so gut Herr werden.
Wissenschaftler*innen als neue Entscheider
Während Verlage die hohe Menge individueller Kund*innenbeziehungen also recht gut abwickeln und skalieren können, bedeutet Open Access für Bibliotheken eine neue Herausforderung: Statt auf der Ebene eines Zeitschriftenabos werden „Kaufentscheidungen“ nun häufig auf der Ebene von Artikeln getroffen. Noch dazu findet dieser Entscheidungsprozess nicht durch Profis der Informationsbeschaffung statt, sondern in der Mehrheit durch Laien in dieser Tätigkeit. Altphilolog*innen, Biolog*innen, Germanist*innen und die Vertreter*innen sämtlicher anderer Disziplinen müssen also Entscheidungen zu Wirtschaftlichkeit und Lizenzbedingungen treffen, meist ohne dafür adäquat ausgebildet und informiert zu sein. Die Folge: ein massiver Informationsbedarf, dem viele Bibliotheken in den vergangenen Jahren mit der Einrichtung von Open Access-Büros entsprochen haben. Eigene kursorische Befragungen ergeben jedoch: Zahlreiche Wissenschaftler*innen sind überfordert mit der Auswahl der für sie richtigen Publikationsform, während sie praktisch durchgängig Open Access als Konzept begrüßen und es auch in ihrer eigenen Arbeit umsetzen möchten.
Transformative Deals: die Lösung der Strukturprobleme des Open Access?
Es nimmt kaum Wunder, dass die Erfahrungen des Big Deals im Erwerb von Inhalten trotz aller Vorbehalte auch in der effizienteren Organisation von Open Access schnell eine zentrale Rolle spielten. Nicht erst seit Projekt DEAL in Deutschland und vergleichbaren Abschlüssen rund um den Globus bemühen sich die beteiligten Akteure, Abschlüsse zu machen, die Open Access ermöglichen, ohne von Wissenschaftler*innen dieselbe Informiertheit wie von Bibliothekar*innen zu verlangen.
Struktur und Wettbewerb
Es ist absehbar, dass die Probleme des Big Deals in gleicher Weise wie beim klassischen Medienerwerb auftreten werden, insbesondere, da lesender Zugriff und die Möglichkeit zum Open Access-Publizieren miteinander verbunden werden. Der Big Deal wird noch bigger.
Das an sich nachvollziehbare Bedürfnis nach Vereinfachung bringt die Strukturen des wissenschaftlichen Publizierens unter ein Brennglas: Es ist ein Spiel der Großen mit den Großen. Eine rasche Übersicht von Dufour et al. über Transformative Agreements belegt dies deutlich. Wissenschaftliche Einrichtungen schließen zunächst Verträge zu Open Access, die ein hohes Publikations- und Nutzungsvolumen zeigen. Die häufig gepriesene Bibliodiversität bleibt selbst bei dem jüngsten der vorhandenen Publikationsmodelle weitgehend auf der Strecke. Großen Verlagen mit breitem Portfolio gelingt es besser, die Umstellung des Geschäftsmodells zu bewältigen. Dies verwundert umso mehr, da Universitäten unter erheblichem Kostendruck, wie beispielsweise in Folge der COVID-Pandemie und unsicherer Studierendenzahlen etwa in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien gerade mit Hilfe von Lösungen wie Unsub.org in erheblichem Maße damit begonnen haben, den Big Deal zu zerlegen und verstärkt lieber intensiv Zeitschriften einzeln zu subskribieren.
Fehlen von Intermediären
Digitalisierung im wissenschaftlichen Publizieren ist in erster Linie eine Geschichte der Disintermediation: Zeitschriftenagenten und spezialisierte Buchhändler wurden über die letzten zwei Dekaden systematisch aus dem Erwerbungsprozess von Inhalten großer Häuser herausgeschnitten, in erster Linie blieben die komplizierten und kleinteiligen Aufgaben übrig – mit negativen ökonomischen Folgen für diese Händler. Die Vorteile für Verlage mit eigener Vertriebsmannschaft liegen auf der Hand – eine steigende Profitabilität und besserer Kundenkontakt sind die Folge.
Zur Vermeidung von Missverständnissen: Die Intermediäre sind an dieser Entwicklung nicht unbeteiligt – zu häufig hatten sie in der Vergangenheit versäumt, ihren Anteil an der Wertschöpfung zu zeigen oder weiterzuentwickeln und, wo dieser nicht vorhanden war, entsprechend ihre Kosten proaktiv zu senken.
Die Folgen für Bibliotheken und den Markt insgesamt sind gravierend: Von der politischen Agenda des Open Access der frühen Jahre, wonach das Oligopol der Großen im Interesse angemessenerer Preise und maximaler Offenheit der Forschungsinhalte gebrochen werden sollte, ist wenig geblieben. Forderte die Budapester Erklärung von 2002 eine deutliche Kostensenkung, strafen viele der aktuellen Vertragsabschlüsse eine solche Entwicklung Lügen:
„(…) experiments show that the overall costs of providing open access to this literature are far lower than the costs of traditional forms of dissemination. With such an opportunity to save money and expand the scope of dissemination at the same time, there is today a strong incentive for professional associations, universities, libraries, foundations, and others to embrace open access as a means of advancing their missions. Achieving open access will require new cost recovery models and financing mechanisms, but the significantly lower overall cost of dissemination is a reason to be confident that the goal is attainable and not merely preferable or utopian.“[1]
Wege aus der Sackgasse
Aber jenseits politischer, vielleicht gar illusionärer Ziele ist Open Access vor allem mit handfesten operativen Problemen konfrontiert. Bibliotheken stehen heute einer Vielzahl von rechtlichen Eigenheiten, Anforderungen und vor allem verlagsindividuellen Workflows gegenüber. Während einige wenige große Verlage ihren Kunden Dashboards anbieten können, auf der die Aktivitäten für diesen einen Dienstleister mehr oder weniger übersichtlich zusammengefasst sind, stellt die weit überwiegende Mehrheit Kommunikation über Publikationstätigkeit in Form von E-Mails und Excel-Listen zur Verfügung. Die gesamte administrative Last wird auf Wissenschaftler*innen und Bibliotheken übertragen mit dem Ergebnis, dass insbesondere forschungsintensive Einrichtungen über eine stark steigende administrative Belastung und ein hohes Maß an Intransparenz berichten. Große Eirichtungen haben dazu oft mehrere Planstellen schaffen müssen und können über die Open Access-Aktivitäten ihrer Einrichtung nur mit erheblichem Mehraufwand Rechenschaft ablegen. Komfortable Systeme zur Abwicklung von Standardprozessen und für das Reporting, die in anderen Bereichen bibliothekarischen Handelns längst die Regel sind, fehlen.
Vor diesem Hintergrund wurde Knowledge Unlatched (KU)[2] bereits 2019 von mehreren Bibliotheken und Wissenschaftsverlagen aus den USA, Großbritannien und Deutschland kontaktiert mit der Anfrage, ob eine zentrale Software zur Abwicklung von Open Access umsetzbar sei.
Vom Cockpit zur Software-Lösung
Der konkreten Antwort auf diese Anfragen ging ein umfangreiches Projekt für das bessere Verständnis der Anforderungen voraus. Es war schnell klar, dass der Entwicklungsprozess nur in enger Abstimmung mit Bibliothekar*innen sinnvoll sein würde – aber auch Voraussetzungen und Anforderungen von Verlagen und vor allem Wissenschaftler*innen mussten verstanden werden. Zudem sollte die Lösung weltweit einsetzbar sein und keine Spezialentwicklung für bestimmte Einrichtungen werden.
Nach etwa 50 Interviews mit Expert*innen entspann sich ein Forderungskatalog, der in einigen Bereichen die bereits oben beschriebenen strukturellen Probleme bei der breiten Umsetzung von Open Access eindrucksvoll unterstrichen: Insbesondere Wissenschaftler*innen gaben in ca. 50 Prozent der Gespräche an, über Finanzierungsmöglichkeiten und Abwicklungsmodelle von Open Access an ihrer Einrichtung so unzureichend informiert zu sein, dass sie in Entscheidungssituationen – also etwa bei der Frage, bei welcher Zeitschrift in welchem Verlag die Finanzierung von Publikationsgebühren übernommen werden – nicht sachgerecht handeln könnten.
Bibliothekarinnen und Bibliothekare zeigten unabhängig von der Größe der Einrichtung, ihrer konkreten fachlichen Ausrichtung oder ihrer geografischen Herkunft ein bemerkenswertes Maß an Übereinstimmung in ihren Anforderungen: So sollte die Lösung verlags-, medientypen- und vertragstypenübergreifend einsetzbar sein und Anwender*innen die Möglichkeit geben, ohne lange Einarbeitung Entscheidungsprozesse auszulösen und überwachen zu können. Zudem wurde gefordert, neben der prozessualen Steuerung auch die monetäre Abwicklung vereinheitlichen und vereinfachen zu können. Schließlich wünschten sich die Gesprächspartner*innen ein Maximum an Integration in bestehende Informationsflüsse, und zwar sowohl mit internen als auch mit „externen“ Systemen, beispielsweise Verwaltungssystemen wie Alma. Interoperabilität kristallisierte sich rasch als Schlüsselfaktor heraus.
Oable als spezialisierte OA-Lösung
Zur Vermeidung teurer Fehlentwicklungen wurde mit fünf beteiligten Bibliotheken ein Entwicklungsprozess vereinbart, der in zweiwöchentlichen Iterationen den Stand der Entwicklungsumsetzung anhand der Anforderungen abglich. Innerhalb von etwa sechs Monaten konnte auf diese Weise eine Lösung programmiert werden, die bereits bei sechs Kunden weltweit im täglichen Einsatz ist, weitere fünf Bibliotheken (und ein Konsortium) testen Oable unter Live-Bedingungen. In enger Zusammenarbeit mit Verlagen und Initiativen im bibliothekarischen Bereich, zum Beispiel mit OpenAPC / OpenBPC konnte damit ein Angebot für eine vitale Anforderung bei der Skalierung von Open Access geschaffen werden.
Ausblick
Ohne Frage ist die Beteiligung möglichst vieler Verlage und Bibliotheken bei der Umsetzung eines gemeinsamen Marktplatzes von zentraler Bedeutung. Wenngleich Verlage oft auf ihre Offenheit für Innovationen hinweisen, haben sie in den vergangenen Jahren geringes Interesse an Veränderungen gezeigt, wenn sie diese nicht in ihrem eigenen Einflussbereich kontrollieren konnten. Die Zusammenarbeit um Oable macht hingegen Mut: Durch eine technisch wenig komplexe Einstiegslösung können kleine wie große Verlage rasch integriert werden. Der Treiber der Entscheidung ist dabei die Bibliothek.
Open Access wird sich nur weiter dynamisch entwickeln, wenn technische Barrieren und das hohe Maß an Intransparenz aus der Zusammenarbeit zwischen Verlagen und Bibliotheken weichen. Oable ist ein Beitrag dazu, das Entstehen von Prozessen zu fördern, die über Organisationsgrenzen, Vertragsbeziehungen und Medientypen hinweg Entscheidungssicherheit schaffen und die Potenziale der Digitalisierung deutlich besser ausschöpfen als von Medienbrüchen geprägte Teilprozesse.
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Dr. Sven Fund
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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