Zusammenfassung
Der Aufsatz thematisiert die spezifischen Strategien Öffentlicher Bibliotheken bei der Lizenzierung digitaler Inhalte vor dem Hintergrund einer fehlenden Konsortialinfrastruktur für Öffentliche Bibliotheken.
Abstract
The paper discusses public libraries‘ strategies for licensing digital content against the background that a consortium infrastructure for public libraries is still lacking.
Mitte März 2021 wurden wegen der COVID-19-Pandemie öffentliche Einrichtungen von heute auf morgen geschlossen. Die betraf alle Bereiche des öffentlichen Lebens, Institutionen ebenso wie Wirtschaftsbetriebe. Die Basis vieler menschlicher Beziehungen, dass Menschen zu den Orten mit den Dienstleistungs- oder Warenangeboten kommen, um diese in Anspruch zu nehmen, war weggebrochen. Dies betraf auch alle Bibliothekssparten, wissenschaftliche Universalbibliotheken, Universitätsbibliotheken, Spezialbibliotheken und Öffentliche Bibliotheken. Der Schock wich sehr bald der Erkenntnis, dass zunächst allein digitale Wege verbleiben, um Bibliotheksdienste weiter anbieten zu können.
Digitale Angebote in Bibliotheken sind vielfältig, sie umfassen rezeptive Medienangebote wie auch interaktive Möglichkeiten wie Web 2.0-Features. Im Folgenden liegt die Konzentration auf den Medienangeboten. Konkret wird betrachtet, wie digitale Angebote in Öffentlichen Bibliotheken lizenziert werden. Dazu werden die Besonderheiten Öffentlicher Bibliotheken ebenso thematisiert werden müssen wie deren spezifisch strukturellen Probleme, die aus der überwiegend kommunalen Trägerschaft resultieren.
Herausforderungen durch gesellschaftliche und technologische Transformationen haben Bibliotheken aller Trägerschaften und Zielgruppen gemeinsam, die Ausgestaltung der Lösungsstrategien bemisst sich aber dann an der spezifischen Konstellation der Bibliotheksarten.
Im Unterschied zu vielen wissenschaftlichen Bibliotheken ist die Nutzerschaft Öffentlicher Bibliotheken nicht homogen. Es sind nicht nur Forschende, Lehrende und Studierende wie z. B. in einer Hochschulbibliothek, sondern Kinder mit Eltern, Schülerinnen und Schüler, Jugendliche, junge Erwachsene vor, in oder nach ihrer Ausbildung, Erwachsene in oder nach ihrer Erwerbstätigkeitsphase, Menschen mit unterschiedlichen Kenntnissen der deutschen Sprache, kurz: Menschen aller Alters-, Interessens- und Herkunftsgruppen der Stadtgesellschaft. Orientieren sich die digitalen Angebote bei wissenschaftlichen Bibliotheken an den wissenschaftlichen Interessen der sie tragenden Institution, haben Menschen einer Stadtgesellschaft mannigfaltige Interessen, deren Erfüllung sie an die für sie zuständige Öffentliche Bibliothek herantragen.
Wissenschaftliche Bibliotheken sind umgeben und eingebettet in eine wissenschaftsaffine IT-Struktur. Das ist nicht immer problemfrei, aber ein Grundverständnis für die Bedürfnisse der wissenschaftlichen Nutzung ist in allen Bereichen stets vorhanden durch Teilnahme der jeweiligen Institution am Deutschen Forschungsnetz – DFN oder die Teilnahme der Bibliotheken an Bibliotheksverbünden. Schnittstellen zur berechtigten Nutzung digitaler Angebote sind ebenso selbstverständlich wie VPN-Tunnel. Öffentliche Bibliotheken sind Teil der kommunalen Verwaltung, die IT-Struktur ist auf die Bedürfnisse der jeweiligen kommunalen Verwaltung abgestimmt. Dies inkludiert ausdrücklich auch die Berücksichtigung bürgerschaftlicher Interessen im Zusammenhang kommunaler Verwaltungsaufgaben. Schnittstellen zur Integration der Angebote anderer Anbieter – und sei dies nur zur digitalen Bezahlung staatlicher Gebühren – sind aber keineswegs selbstverständlich, sondern eher die Ausnahme.
Die Transformation der Bibliotheken in hybride Bibliotheken mit physischen und digitalen Angeboten ist ein andauernder Prozess, in dem viele Erfahrungen gewonnen werden konnten. Erfahrungen wissenschaftlicher Bibliotheken beruhen auf jahrzehntelanger Erfahrungen in Konsortien zur Lizenzierung digitaler Angebote der Bibliotheksverbünde wie z. B. der DigiBib beim hbz. Trotz teilweiser Öffnung dieser Konsortien ist es aber bislang nicht gelungen, Öffentliche Bibliotheken als gleichberechtigte Partner in diese konsortialen Lösungen einzubinden. Paradigmatisch hierfür ist die Situation bei den Nationallizenzen. Das Ziel der Nationallizenzen besteht darin, „Wissenschaftlern, Studierenden und wissenschaftlich interessierten Privatpersonen den Zugang zu Datenbanken, digitalen Textsammlungen, elektronischen Zeitschriften und E-Books zu ermöglichen“[1]. Öffentliche Bibliotheken sind nicht genannt, so dass zwar Privatpersonen, die von der Existenz der Nationallizenzen Kenntnis haben, sich für die Nutzung der sie interessierenden Datenquelle registrieren lassen können, Öffentliche Bibliotheken als Institution hierauf aber der Zugriff verwehrt ist.
Was also tun?
Öffentliche Bibliotheken nutzen digitale Angebote, wie z. B. die onleihe oder OverDrive. Sie partizipieren an Bibliotheksverbünden, z. B. über DigiBib. Sie haben sich selbst in regionalen Verbünden wie z. B. in Hessen zusammengeschlossen. Digitale Angebote über Aggregatoren wie onleihe oder OverDrive ermöglichen wie in einem Online-Shop die Pick-and-Choose-Auswahl digitaler Formate, wie z. B. eAudio oder eBook. Hinzu kommen nicht kuratierte Paketangebote wie eLeaningformate (onleihe) oder Zeitschriften (OverDrive). Gemeinsam ist eine eindeutige Preiszuordnung zum digitalen Produkt. Ein Rahmenvertrag regelt die hierfür erforderlichen rechtlichen Beziehungen.
Neben diesen Aggregatoren gibt es digitale Angebote wie Streamingdienste für Musik und Filme, Presseportale oder Datenbanken, die für Nutzende der Öffentliche Bibliotheken interessant sind. Zunächst muss geklärt werden, ob diese digitalen Angebote auch für Öffentliche Bibliotheken zugänglich sind. Es gibt weltbekannte Streamingdienste, die kein Interesse haben, Verträge mit Öffentlichen Bibliotheken abzuschließen. Besteht aber eine grundsätzliche Bereitschaft, so stellt sich die Frage, zu welchem Preis ein Vertrag abgeschlossen werden kann. Preis meint hierbei nicht nur die finanzielle Seite, sondern auch die übrigen Vertragskonditionen sowohl juristischer wie auch technischer Art.
Die Komplexität der Vertragsanbahnung beginnt im Vorfeld der Erkundung von interessanten digitalen Angeboten für Öffentliche Bibliotheken. In der Kontaktaufnahme mit dem Anbieter wird meistens sehr schnell deutlich, ob der Anbieter überhaupt Interesse hat, dass das Angebot über Öffentliche Bibliotheken offeriert werden kann. Ein Angebot mit wesentlichen vertraglichen Details – dem Lizenzpreis und Nutzungskonditionen – kommt in der Regel schnell an.
Jedes Medienangebot in Öffentlichen Bibliotheken soll genutzt werden, dies gilt sowohl für haptische wie auch für digitale Medien. Insoweit ist jedes Medienangebot eine Wette, dass das Medium x-mal genutzt wird. Bei physischen Medien kann hierbei auf langjährige Erfahrungen mit etablierten Methoden der Qualitätssicherung rekurriert werden, die trotz des Medien- und Nutzungswandels verlässliche Beurteilungskriterien liefern. Bei der Nutzung digitaler Medien gibt es zwar auch eine mittlerweile über zwanzigjährige Tradition – der inhaltliche und besonders der technologische Wandel machen es erforderlich – die bei physischen Medien vielfach nur impliziten Kriterien explizit zu machen.
Wie bei jedem Medienangebot stellt sich die Frage nach der erwarteten Nutzung. Besonders in diesem Punkt differieren häufig die Erwartungen des Anbieters mit den bisherigen Erfahrungen der Bibliothek. So wissen alle Öffentlichen Bibliotheken, dass der Anteil der Nutzenden an den eingeführten digitalen Medienangeboten wie der onleihe stetig wächst – in der Schließungszeit während der Coronapandemie auch sehr stark – dass aber die Anzahl der Bibliotheksnutzenden, die diese digitalen Angebote noch nicht entdeckt hat und nicht nutzt, noch bei Weitem in der Mehrzahl ist. So ist die Annahme einiger Anbieter, dass 50 Prozent der Lesenden auch digitale Angebote nutzen, nicht von den Erfahrungen in den Bibliotheken gedeckt. Die realistische Einschätzung einer möglichen Nutzung eines neuen digitalen Angebots beruht auf den teils jahrelangen Erfahrungen mit der Nutzung anderer digitaler Angebote. Zu diesem Erfahrungsschatz gehört auch, dass die Vermittlung digitaler Angebote Ausdauer und Einsatz erfordern. Digitale Angebote sind keine Selbstläufer, sondern bedürfen über einen längeren Zeitraum intensiver Begleitung. Intensive Begleitung nicht nur in der digitalen Sphäre, sondern auch und vor allem im realen Leben durch direkte Kontakte mit den Menschen in der Bibliothek. Das Digitale als das Unsichtbare muss sichtbar gemacht werden, um wahrgenommen und genutzt werden zu können. Eine direkte Ansprache wie durch Roadshow, in denen digitalen Angebote präsentiert werden, ist dabei unerlässlich.
Die preislichen Vorstellungen des Anbieters müssen vor diesem Hintergrund der voraussichtlichen Nutzung bewertet werden. Ist die Kosten-Nutzen-Relation angemessen? Ist dieser Preis auch aus übergeordneten Bibliothekszielen angemessen? Eng damit verbunden ist die Klärung der Messung der Nutzung, der Statistik. Die Statistik sollte mindestens einmal im Monat erstellt werden und sowohl die Messung der Nutzenden wie auch die Messung der aufgerufenen digitalen Inhalte umfassen.
Die Verhandlungen über einen angemessenen Preis betrifft einen wichtigen Aspekt in den Vertragsverhandlungen, andere Aspekte betreffen die technische Umsetzung und die rechtliche Gestaltung des Vertrags.
Schon vor der Schließungserfahrung durch die Pandemie zeichneten sich digitale Bibliotheksangebote durch die große Zugänglichkeit aus. An allen Tagen des Jahres rund um die Uhr konnte ein inhaltliches Informations- und Medienangebot zugänglich gemacht werden, sofern das digitale Angebot im Remotezugriff zugänglich gemacht werden konnte. Mit der Klärung der Frage, ob das digitale Angebot im Remotezugriff zugänglich ist, stellt sich die Frage nach der Technik der Authentifizierung. Es gibt im Unterschied zu Hochschulbibliotheken keinen Standard der Authentifizierung, der in allen Öffentlichen Bibliotheken verfügbar ist. Diese Frage ist somit nicht trivial, sondern mitunter entscheidend, ob ein digitales Angebot lizenziert werden kann oder es an der verfügbaren Technik scheitert.
Einige interessante digitale Anbieter haben ihren Firmensitz nicht in Deutschland, so dass zusätzliche Abwägungen erfolgen müssen. Ist es akzeptabel, dass ein Vertrag nicht in deutscher Sprache formuliert ist? Welches Rechtssystem wird zugrunde gelegt? Wo befindet sich der Gerichtsort? Fragen, die angesprochen werden sollten und die geklärt werden müssen, da dies Auswirkungen auch auf den Datenschutz der Nutzenden hat. Ist der Datenschutz rechtskonform mit den Regelungen in Deutschland bzw. der EU? Sind davon auch freiwillige Angaben der Nutzenden betroffen? Müssen solche Angaben erfolgen, um das Angebot überhaupt nutzen zu können? In der Praxis müssen Öffentliche Bibliotheken, sofern sie nicht eigenständige Rechtsformen haben, den Vorgaben ihrer Gebietskörperschaften, ihrer Kommunen folgen, wobei deren Interpretationsspielräume von großzügig bis sehr strikt sein können. So gibt es Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft, die zwingend Verträge in deutscher Sprache mit deutschem Rechtssystem und Gerichtsstand in der betroffenen Kommune abschließen müssen, in anderen Kommunen wird die eine oder andere Bestimmung nicht als Ausschlusskriterium bewertet.
Für die Nutzung entscheidend ist die Sichtbarmachung des digitalen Angebots. Bietet der Anbieter Metadaten an und was oft noch entscheidender ist: Können diese in das Datenumfeld der Bibliothek eingebunden werden?
Öffentlichen Bibliotheken fehlt die organisatorische Verankerung in Verbundzentralen und damit an die dort organisierten Konsortien. Sie sind daher in der Rolle von Einzelkämpfern, da auch die Fachstellen der Bundesländer die Aufgabe der Bildung von Konsortien nicht wahrnehmen. Es bleiben daher Ansätze kollegialer Verständigungen und Absprachen im Rahmen bestehender Sektionen des dbv. Bei den Vertragsgesprächen sollte dies daher auch thematisiert werden. Ist der Anbieter offen für die Weitergabe von Informationen an andere interessierte Öffentliche Bibliotheken? Gerade bei Anbietern aus anderen Ländern kann dies genutzt werden, um an das Eigeninteresse des Anbieters zu appellieren, da dies ein Weg wäre, um höhere Umsätze zu generieren. Solange es noch keine Konsortialstellen auch für Öffentliche Bibliotheken gibt, wäre auf diese Weise ein „Konsortium light“ möglich, bei dem die Verhandlungsführenden nicht nur das Interesse ihrer eigenen Bibliothek, sondern die sicher vielfältige Interessenslage Öffentlicher Bibliotheken in Deutschland mit im Blick haben.
Die Problemlage der Lizenzierung digitaler Inhalte in Öffentlichen Bibliotheken ist daher wegen der fehlenden institutionellen Infrastruktur komplexer als in anderen Bibliothekssparten – durch die Pandemie hat sich hieran wenig verändert. Zwar können digitale Videotools genutzt werden, um Abstimmungsgespräche zu führen, aber auch hier zwingt die Vielzahl der kommunal eingesetzten und erlaubten Tools zu kreativen Lösungen, um das Ziel zu erreichen, die Menschen auch in Pandemiezeiten mit erweiterten digitalen Angeboten Öffentlicher Bibliotheken zu versorgen.
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Klaus Peter Hommes
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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