Zusammenfassung
Um den angestrebten Wandel des wissenschaftlichen Kommunikationssystems zu Open Access herbeizuführen, haben Fördergeber, wissenschaftliche Einrichtungen und deren Bibliotheken eine breite Palette an Steuerungsmöglichkeiten, müssen aber gleichzeitig Wissenschaftler überzeugen und Verlage einbeziehen. Dieser Beitrag analysiert Vor- und Nachteile von zwei aktuell intensiv diskutierten Ansätzen, zeigt mögliche Synergien zwischen den unterschiedlichen Wegen zu Open Access auf und geht dabei auf die Bedürfnisse und Erwartungen der unterschiedlichen Stakeholder ein. Abschließend werden Herausforderungen einer Systemumstellung zu Open Access gerade auch in Hinblick auf die Rolle der Bibliotheken thematisiert.
Abstract
In order to cause the aspired change of the scientific communication system towards Open Access, patrons, scientific institutions and their libraries have a wide range of control tools at their disposal, at the same time, however, scientists have to be convinced and publishers included. This report analyses advantages and disadvantages of two approaches which are being intensively discussed at the moment, shows possible synergies between the two different paths towards Open Access and deals with the needs and expectations of the stakeholders. Finally, the challenges of a system change towards Open Access are explored, especially regarding the role of libraries.
1 Open Access – ein vermeintlich einfaches Konzept
Immer mehr Fördergeber und Institutionen beschließen Förderbedingungen, Leit- und Richtlinien, wonach wissenschaftliche Publikationen Open Access erscheinen sollen. Zuletzt wurden unter anderem in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und auf EU-Ebene Open Access Policies beschlossen; weltweit wurden in den letzten 15 Jahren zahlreiche Absichtserklärungen unterzeichnet. Die Frage ist demnach nicht mehr, ob Open Access zum Standard des wissenschaftlichen Publizierens wird, sondern wie schnell und auf welchem der zahlreichen inzwischen beschrittenen „Wege“ dies schlussendlich geschieht. Neben den „klassischen“ Varianten Gold und Green Open Access haben sich zahlreiche weitere Formen und Bezeichnungen herausgebildet, etwa Diamond, Black,[1] Bronze[2] sowie Hybrid Open Access, das eine Kombination aus traditionellen Subskriptionen und freiem Zugang bezeichnet.
Leichterer Zugang zu und bessere Wiederverwendbarkeit von Forschungsergebnissen, weltweiter freier und schneller wissenschaftlicher Austausch, Wissenstransfer in die Gesellschaft, aber auch Wettbewerbsvorteile wie erhöhte Sichtbarkeit und Zitierungen von Publikationen sowie mehr Effizienz und Kosteneinsparungen für die öffentliche Hand – all diese und noch weitere ethische, praktische und finanzielle Vorteile werden einer Transformation des wissenschaftlichen Publikationswesens zu Open Access zugeschrieben und konnten bereits in zahlreichen Studien nachgewiesen werden.[3] Mit Open Access ist dabei nicht nur der (kosten-)freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen (Gratis Open Access) gemeint, sondern darüber hinaus das Recht, Inhalte weiterzuverwenden (Libre Open Access)[4] und damit – mit möglichst wenigen Einschränkungen, jedenfalls aber unter Nennung der Urheber – auf den Vorarbeiten anderer Wissenschaftler aufbauen zu können. Als wichtiger Aspekt der Forderungen nach Open Science sowie Responsible Research and Innovation[5] soll Open Access Forschungsergebnisse sichtbarer und besser weiterverwendbar machen und damit nicht zuletzt eine bestmögliche Verwendung öffentlicher Gelder sicherstellen. Sogar für den Fall, dass Open Access keine finanziellen Einsparungen bringen sollte, ist demnach ein Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen für mehr Menschen als zuvor als Verbesserung zu betrachten.[6] Das Ziel eines freien Zugangs zu Forschungsergebnissen ist ein Aspekt der Idee eines Menschenrechts auf freien Zugang zu Wissen sowie eines globalen Ausgleichs.
Wissenschaftlern bringt Open Access neben einer größeren Sichtbarkeit, mehr Zitierungen und uneingeschränktem Zugang zu bestehender Literatur ein größeres Maß an Gestaltungsfreiheit bei der Verwertung ihrer Forschungsergebnisse: im Unterschied zur meist exklusiven Weitergabe der Verwertungsrechte an Verlage beim traditionellen Modell verbleiben bei Open Access diese Rechte üblicherweise beim Urheber. Verlage dagegen sollen durch Open Access von der Rolle der Inhaber aller Verwertungsrechte an wissenschaftlichen Beiträgen auf jene von Dienstleistern reduziert werden, die miteinander im (Preis-)Wettbewerb stehen. Dem Verlag werden somit Serviceleistungen abgegolten, was eine Gewinnmaximierung zumindest theoretisch ausschließt. (Das Ideal des Wettbewerbs zwischen Verlagen wird allerdings durch den Markenwert ihrer jeweiligen Produkte stark relativiert, da vertrauenswürdige Marken und Filter angesichts der anhaltenden Inhaltsflut immer weiter an Bedeutung gewinnen.)[7] Bisher verfügten Verlage durch die Übertragung sämtlicher Verwertungsrechte über große Gestaltungsmöglichkeiten: Wissenschaftliche Veröffentlichungen sind nicht substituierbar und können bei entsprechender Qualität und Originalität – und angesichts einer hohen Marktkonzentration – zu fast jedem Preis weiterverkauft oder auch von der weiteren Nutzung de facto ausgeschlossen werden. Erfolgreiche Verlage, die sich durch die anhaltende Marktkonzentration zu äußerst profitablen Unternehmen entwickelten, waren daher nur zögernd und unter dem Druck von Fördergebern und Autoren bereit, von ihrem bisherigen Geschäftsmodell abzugehen und Open-Access-Publikationsmöglichkeiten zu entwickeln. Inzwischen gibt es verschiedene Open-Access-Angebote von Verlagen, die diese veränderte Nachfrage erfolgreich bedienen.
Trotz zahlreicher Vorteile und der Unterstützung der Transformation durch Fördergeber und öffentliche Hand etabliert sich Open Access jedoch nur langsam. Mandate von Fördergebern zeigen zwar Wirkung, vor allem institutionelle und staatliche Open Access Policies mit empfehlendem Charakter konnten Open Access aber zumindest bisher nicht zum neuen Standard wissenschaftlichen Publizierens machen. Die Gründe dafür sind ebenfalls zahlreich: Etablierte Verlage verteidigen ihre Geschäftsmodelle und lassen sich „Zugeständnisse“ teuer bezahlen; neuen Anbietern fehlt es an Reputation; zweifelhafte und betrügerische Anbieter erschüttern das Vertrauen in neue Publikationsmöglichkeiten; Wissenschaftler fürchten angesichts neuer Publikationsvorgaben um ihre „Publikationsfreiheit“ und sind skeptisch angesichts der zögerlichen Anerkennung von Open-Access-Publikationen im Rahmen der Evaluierung, die wiederum den Absichtserklärungen (Policies) zahlreicher Institutionen zuwiderläuft; urheberrechtliche Rahmenbedingungen und neuartige Lizenzierungsmodelle sorgen für Verunsicherung.[8] Daraus entsteht der Eindruck, dass öffentlich finanzierte Stakeholder wie Gesetzgeber, Universitäten, Forschungsförderer, Bibliotheken und Wissenschaftler jeweils eigene Interessen verfolgen, was einer raschen Transformation ebenso entgegensteht wie die generelle Trägheit des Publikationsmarktes. Gegenüber den international agierenden Wissenschaftlern und (Groß-)Verlagen haben sich auch die national geprägten Strukturen von Förder- und Gesetzgebern und nationale Rechtsordnungen als hinderlich erwiesen.[9] Nicht zuletzt kommen Prognosen zur Frage der finanziellen Entwicklung von Publikationskosten bei einer Systemumstellung aufgrund der Vielzahl an Stakeholdern, Interessen und Abhängigkeiten zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Generell scheint es bei der Diskussion um Open Access aufseiten öffentlich finanzierter Stakeholder oft nicht so sehr um den erhöhten Nutzen und größere Effizienz durch die weitere Verbreitung von Forschungsergebnissen zu gehen, sondern vielmehr darum, die Kosten wissenschaftlichen Publizierens möglichst stark zu senken – mit der Gefahr, nicht das beste, sondern das günstigste Modell zu wählen.
Dieser Beitrag beschäftigt sich zunächst mit zwei der meistdiskutierten Varianten von Open Access. Er stellt den „Goldenen Weg“ der Publikation in genuin „offenen“, also für den Leser (kosten-)frei zugänglichen Medien dem Modell des Hybrid Open Access gegenüber, das auf dem Prinzip des „Freikaufens“ von Teilen kostenpflichtiger Publikationen basiert. Dabei wird untersucht, welche Vor- und Nachteile die beiden Varianten bringen und wie sie interagieren, sowie der Frage nachgegangen, welche Kombination von Maßnahmen zu welchem Zeitpunkt die Transformation des wissenschaftlichen Publikationssystems insgesamt am besten unterstützen kann. Während Argumente und Szenarien dieser Transformation oft primär auf finanzielle Aspekte abzielen, möchte dieser Beitrag mit einem breiteren Ansatz diskutieren, wie die erhoffte Verbesserung des vielfach als dysfunktional bezeichneten wissenschaftlichen Kommunikationssystems durch Open Access erreicht werden könnte.
2 Gold Open Access
Seit den Anfängen der Open-Access-Bewegung werden zwei „Wege“ zu Open Access unterschieden: Während Green Open Access frei zugängliche Zweitveröffentlichungen wissenschaftlicher Arbeiten etwa in universitären oder disziplinären Repositorien bezeichnet, wird unter Gold Open Access der sofortige freie Zugang zu wissenschaftlichen Erstveröffentlichungen[10] verstanden. Damit bietet Gold Open Access nicht nur erhöhte Sichtbarkeit und mehr Wissenstransfer in die Gesellschaft, sondern erfüllt zugleich höchste Anforderungen an Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit in Verbindung mit der „Autorität“ der Erstveröffentlichung. Diese Autorität wird unter anderem in den Faktoren Versionierung, Zitierfähigkeit sowie Renommee und Verbreitung des Publikationsorgans gesehen, die als Indikatoren für Qualität gelten.
Gold Open Access ist gewissermaßen die „reine“ Form von Open Access, die jegliche Kosten (Kauf, Subskription) für den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur abschafft und die bisherige Logik der Finanzierung von Publikationen umkehrt. Die Finanzierung setzt dabei nicht beim Käufer an, sondern erfolgt zumeist durch Article bzw. Book Processing Charges, institutionelle Finanzierung oder konsortiale Modelle.[11] Article (bzw. Book) Processing Charges bieten dabei den Vorteil, das Preisbewusstsein von Autoren zu erhöhen („informed customers“) und Anreize zum Vergleich zwischen unterschiedlichen Anbietern zu schaffen.[12]
Neben der Neugründung von Open-Access-Zeitschriften, die als Alternativen zu etablierten, meist kommerziellen Zeitschriften und Verlagen aufgebaut werden, stellt auch das „journal flipping“, die Transformation von Subskriptionszeitschriften, eine Möglichkeit der Etablierung von Gold Open Access dar.[13] Immer wieder ändern Zeitschriften ihr Geschäftsmodell oder kündigen ihre Verlagsverträge. Die Umstellung von Subskriptionszeitschriften auf Open Access gilt als erfolgversprechender Weg, Open Access als Standard wissenschaftlichen Publizierens zu etablieren, findet aber derzeit noch nicht in großem Ausmaß statt.[14]
Eines der Motive für die Forderung nach Open Access ist es, die Marktkonzentration im Bereich der wissenschaftlichen Verlage zu verringern. Auch wenn das zumindest bisher nicht gelungen ist, sind durch neue Anbieter im Bereich Gold Open Access innovative Geschäftsmodelle und neue Märkte entstanden, die das Potenzial haben, die Abhängigkeit von großen Anbietern zu verringern und das wissenschaftliche Kommunikationssystem zu verändern. Zahlreiche Universitäten und ihre Bibliotheken unterstützen dazu die Neugründung und den laufenden Betrieb von Open-Access-Zeitschriften ihrer Wissenschaftler und haben Publikationsfonds eingerichtet, um das Publizieren in (Gold) Open-Access-Zeitschriften zu fördern.
Auch für Gold Open Access gilt, dass es sich trotz zahlreicher offensichtlicher Vorteile nur langsam und unter dem Druck vor allem von Fördergebern durchsetzt. Verantwortlich dafür sind sowohl Bedenken bezüglich der Qualität und Reputation neu gegründeter Publikationsorgane als auch das Fehlen einer nachhaltigen Finanzierung für Projekte und Strukturen, die öffentlich getragen werden.[15] Zahlreiche Institutionen starten Initiativen zur Unterstützung von Open Access, die jedoch oft eine begrenzte Projektdauer aufweisen und kleinteilige, mitunter ineffiziente und im Vergleich zu etablierten Anbietern wenig konkurrenzfähige Publikationsangebote entwickeln. Benötigt würden strategische Investments für eine dauerhafte und kohärente Infrastruktur,[16] ein entsprechendes Commitment fehlt aber vielfach: eher als Infrastrukturen für Open Access werden nach wie vor Subskriptionen für Zeitschriften langfristig budgetiert.
Die Etablierung von Open-Access-Zeitschriften als valide Publikationsorgane kommt auch deswegen nur langsam voran, weil sich (Gold) Open Access aus Sicht von Wissenschaftlern zunächst als unbequemer Weg darstellt: Ihnen droht fehlende Anerkennung in der Forschungsbewertung sowie ein möglicher Verzicht auf etablierte und aus Sicht der Autoren funktionierende Angebote. Die zu erwartenden Vorteile eines zeitgemäßeren, insgesamt besser funktionierenden Systems geraten daher vielfach in den Hintergrund gegenüber individuellen Interessen, Bedenken bezüglich der Qualität neuer Angebote und dem Widerstand gegen den „Zwang“, Open Access zu publizieren.
3 Hybrid Open Access
Als Reaktion auf die Forderung nach freiem Zugang zu Forschungsergebnissen haben Verlage Angebote entwickelt, um Teile kostenpflichtiger Publikationen wie Bücher und Zeitschriften gegen Zahlung einer Gebühr Open Access zugänglich zu machen. Diese Möglichkeit wird vor allem von Fördergebern finanziell unterstützt, die Open-Access-Mandate für Publikationen aus geförderten Projekten eingeführt haben. Universitäten unterstützen diese Variante des „Freikaufens“ von Beiträgen in der Regel nicht; sie fördern meist nur Artikel in Gold-Open-Access-Zeitschriften und unterstützen Gründung und Betrieb neuer Open-Access-Zeitschriften an der eigenen Institution.
Aus der Sicht von Wissenschaftlern bietet Hybrid Open Access eine attraktive Möglichkeit, die Vorteile von Open Access zu nutzen und gleichzeitig in bereits etablierten Medien zu publizieren – schließlich hängen bibliometrische Kennzahlen, Image und Status von Wissenschaftlern unverändert auch vom gewählten Publikationsmedium ab. Im Vergleich zu „neuen“ Open-Access-Zeitschriften und Verlagen dürfte angesichts des Problems des „predatory publishing“ auch das Vertrauen in bewährte Medien höher sein.
Während mit Hybrid Open Access die „Gewöhnung“ an Open Access erleichtert und seine Vorteile aufgezeigt werden sollen, wird dieses Modell wegen des wiederholten Bezahlens für (Verlags-)Leistungen („double dipping“) gleichzeitig heftig kritisiert. Zwar bestehen verschiedene Gegenverrechnungsmodelle mit Verlagen, insgesamt jedoch ist die Bewertung von Hybrid-Kosten auf der Basis angenommener Verkaufsrückgänge und allfälliger hinzukommender oder wegfallender Administrationskosten höchst unterschiedlich und intransparent. Da in der Regel nur einzelne Teile von Publikationen „freigekauft“ werden, entfällt auch nicht das Bezahlen von Subskriptions- oder Ladenpreisen und es findet somit keine nachhaltige Umstellung auf Open Access statt. Ebenso wie bei Gold Open Access ergibt sich schließlich für Universitäten und Bibliotheken ein enormer Verwaltungsaufwand bei der Abrechnung von Publikationskosten auf Artikelebene.
Um diesen Nachteilen zu begegnen, haben inzwischen zahlreiche Institutionen sogenannte Open-Access-Abkommen mit Verlagen abgeschlossen. Dabei werden Article Processing Charges reduziert („discount“) oder rückverrechnet („offsetting“), in einer weiteren Variante wird die Lizenzierung von Zeitschriften mit einer bestimmten Anzahl von Open-Access-Publikationen kombiniert („read & publish“), wobei der Gesamtpreis eine deutliche Kostenreduktion darstellt.[17] Open-Access-Abkommen erleichtern die Verwaltung von Publikationsgebühren enorm. Sie führen in der Regel zu Kosteneinsparungen durch die Kombination verschiedener Verlagsleistungen und sollen eine breite Akzeptanz von Open Access unter Wissenschaftlern herbeiführen, die zu einem deutlich höheren Anteil von Open-Access-Publikationen führt.[18]
Die Bündelung unterschiedlicher Leistungen in einem Abkommen weist allerdings zahlreiche Merkmale des als dysfunktional geltenden Publikationssystems auf, wie etwa Artikelkontingente und Garantiesummen,[19] und verschärft das Problem der Kosten-Intransparenz.[20] Da Abkommen in der Regel zunächst mit den größten Verlagen abgeschlossen werden, große Teile der Budgets binden und intensiv beworben werden, gehen sie oft zulasten kleinerer Verlage und verstärken somit tendenziell die Marktkonzentration.[21] Im Unterschied zur Verrechnung auf Artikelebene wird weiters das Preisbewusstsein von Wissenschaftlern über Open-Access-Abkommen nicht gefördert. Open-Access-Abkommen werden daher nicht als Lösung, sondern vielmehr als Zwischenziel und als strategisches Mittel zur Systemumstellung (Transition) begriffen.[22] In weiterer Folge sollen über zukünftige Vereinbarungen die autorenseitigen Kosten für einzelne Publikationen transparent und einfach abgerechnet werden (pay as you publish),[23] während Kosten für das Lesen und Weiterverwenden wissenschaftlicher Inhalte zur Ausnahme werden und schlussendlich verschwinden sollen.
Fördergeber, Institutionen und Bibliotheken sind angesichts der Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Optionen zur Etablierung von Open Access gefordert, einen Maßnahmenmix zu erstellen, der die zahlreichen Vorteile von Open Access vermittelt, die Wertschätzung von Open-Access-Publikationen durch Wissenschaftler und in der Forschungsevaluierung steigert und schließlich zu einer Ablöse des Subskriptionssystems durch Open Access führt, wobei gleichzeitig der anhaltenden Marktkonzentration und Kostensteigerungen zumindest Einhalt geboten werden soll.
4 Open Access als Wandlungs- und Transformationsprozess
Open Access als ein großangelegter Wandlungsprozess findet im Gefüge größerer Dynamiken statt, die jeweils diesen transformativen Prozess prägend mitgestalten. Im Fokus öffentlicher Diskussion steht vor allem der marktwirtschaftliche Aspekt, gerade in Ländern, in denen wissenschaftliche Forschung und die Publikation von Forschungsergebnissen überwiegend aus öffentlicher Hand finanziert wird. In dieser Perspektive stehen sich Gold Open Access und Hybrid Open Access als sich nahezu ausschließende Gegensätze gegenüber – in Form eines grundlegenden Spannungsverhältnisses zwischen einem Ideal wissenschaftlicher Kommunikation, einem Gegenentwurf zu einem von Verlagen diktierten Publikationsmarkt in Form des Gold Open Access und der Reaktion eben dieses Marktes, im Besonderen in der Form des Hybrid Open Access. Gerade durch Open-Access-Mandate wird ein Bedarf an Möglichkeiten geschaffen, Open Access zu publizieren, auf den Verlage häufig wesentlich schneller reagieren können, als es in Form neu gegründeter Gold Open Access Zeitschriften möglich ist. Verlage bieten hierbei die größte Vielfalt in Form von Gold Open Access Journals, Hybrid Open Access und auch Bronze Open Access.
Die Studie “The State of OA: A large-scale analysis of the prevalence and impact of Open Access articles” zieht den Schluss, dass basierend auf einer groß angelegten Auswertung 45% aller im Jahr 2015 publizierten Artikel Open Access sind.[24]
![Abb. 1: Anzahl (links) und Anteil (rechts) von Artikeln mit Open-Access-Versionen, geschätzt auf Basis eines zufälligen Samples von 100.000 Artikeln mit Crossref DOIs.In: Piwowar, Heather et al.: The State of OA: A large-scale analysis of the prevalence and impact of Open Access articles (2017). https://doi.org/10.7287/peerj.preprints. 3119v1 [Zugriff: 080.9.2017].](/document/doi/10.1515/bd-2017-0115/asset/graphic/j_bd-2017-0115_fig_001.jpg)
Anzahl (links) und Anteil (rechts) von Artikeln mit Open-Access-Versionen, geschätzt auf Basis eines zufälligen Samples von 100.000 Artikeln mit Crossref DOIs.[25]
Alperin[26] macht in seinem Kommentar zu der zitierten Studie deutlich, dass dieser Wert zum einen Anlass sein kann, diesen als einen wesentlichen Meilenstein auf dem Weg zu einer Open-Access-Publikationswelt zu betrachten oder aber ganz nüchtern festzustellen, dass noch ein weiter Weg zurückzulegen ist. Die wesentlich kritischere Frage ist, ob dieser verbleibende Wegabschnitt mittels der in diesem Beitrag vorgestellten Wege beschritten werden kann, vor allem dann, wenn die prägenden Kräfte, die diesen Weg gestalten, Verlage, Fördergeber und Bibliotheken sind. Können Open-Access-Mandate einen vollständigen Umstieg forcieren, oder sind der Steuerung mittels Mandaten Grenzen gesetzt? Der durch Open-Access-Mandate geförderten Transformation liegt ein linearer Wandlungsprozess zugrunde, der durch einen sehr engen Zeitplan, wie zum Beispiel in Form von Open Access 2020, bestimmt ist. Ist aber so eine Veränderung nachhaltig? Kann sie ohne den Zwang von Open-Access-Mandaten bestehen? Dies wird nur dann möglich sein, wenn Wissenschaftler sich Open Access als Publikationsform zu eigen machen und es als die gängige Publikationspraxis in ihre wissenschaftliche Arbeit integrieren.
Zum Zeitpunkt der Tagung „Digitale Bibliothek 2017“ im März 2017 wurde in Deutschland das neue Urheberrecht diskutiert. Im Zuge der Debatten wurde auch Open Access zum Thema. In weiterer Folge zeigte sich, dass die Stakeholder eines Umstiegs auf Open Access – Wissenschaftler, Verlage, Fördergeber, wissenschaftliche Institutionen und deren Bibliotheken – sich zum Teil in ganz unterschiedlichen Diskursräumen bewegen. Aus diesem Grund wurde bei dieser Tagung die etwas provokative Frage aufgeworfen, ob vielleicht der Eindruck entstehen kann, dass vom Anfangsenthusiasmus für Open Access bei manchen Wissenschaftlern und Bibliothekaren zu schnell in eine Open-Access-Verwaltung übergegangen wurde, mittels derer eine Transformation zu einer Open-Access-Publikationswelt erfolgen soll, und dabei nur jene Stakeholder mitgenommen wurden, die entweder willig waren und sind, sich auf den Prozess einzulassen, oder aufgrund von Open-Access-Mandaten gezwungen sind, sich an diesem Veränderungsprozess zu beteiligen. Wissenschaftler als Stakeholder in einer Open-Access-Publikationswelt nicht nur in Diskussionen über Open Access mit einzubeziehen, sondern auch aktiv in die Gestaltung der weiteren Entwicklung des Open Access einzubinden, ist ein entscheidender Faktor dafür, dass ein Umstieg gelingt.
Open Access ist auch eine Transformation wissenschaftlicher Kommunikation. Die Dynamik wissenschaftlicher Forschung und der Kommunikation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse ist ebenso prägend für Open Access wie der marktwirtschaftliche Einfluss. Während in Hinblick auf den Publikationsmarkt Verlage, Fördergeber und Bibliotheken die Stakeholder sind, sind in Hinblick auf die wissenschaftliche Seite Wissenschaftler, Bibliotheken und Fördergeber die zentralen Gesprächspartner, wobei die Verlage auch in diesen Diskursraum hineinwirken. Vielleicht sind aus dieser Perspektive auch die intensiven Debatten rund um das neue Urheberrecht zu deuten, im Besonderen das Argument, dass Open Access die Freiheit der Wissenschaft gefährde.[27] Open-Access-Mandate, die nicht mit einem fortdauernden Dialog mit Wissenschaftlern als Stakeholdern verbunden sind, können als Entmündigung empfunden werden. Die Debatte Anfang des Jahres hat gezeigt, dass es neben der inhaltlichen eine stark emotionale Dimension in Hinblick auf Open Access gibt.
Für Open Access wird eine Vielzahl an Argumenten ins Feld geführt. In den folgenden zwei Abbildungen werden zunächst die Vorteile von Open Access im Kontext einer nationalen Open-Access-Strategie dargestellt und im anderen Fall Open-Access-Vorteile für Wissenschaftler aufgezeigt.
![Abb. 2: Vorteile von Open Access im Kontext einer nationalen Open-Access-Strategie.In: Arbeitsgruppe Nationale Strategie des Open Access Network Austria (OANA) & Österreichische Universitätenkonferenz (uniko): Empfehlungen für die Umsetzung von Open Access in Österreich (2015). https://doi.org/10.5281/zenodo.51799 [Zugriff: 08.09.2017].](/document/doi/10.1515/bd-2017-0115/asset/graphic/j_bd-2017-0115_fig_002.jpg)
Vorteile von Open Access im Kontext einer nationalen Open-Access-Strategie.[28]
![Abb. 3: Darstellung von Vorteilen des Open-Access-Publizierens für Wissenschaftler.Kingsley, Danny; Brown, Sarah: Benefits of Open Access. http://osc.cam.ac.uk/open-access [Zugriff: 08.09.2017].](/document/doi/10.1515/bd-2017-0115/asset/graphic/j_bd-2017-0115_fig_003.jpg)
Darstellung von Vorteilen des Open-Access-Publizierens für Wissenschaftler.[29]
All diese Argumente sind valide und wesentliche Gründe, die für Open Access sprechen, zu beachten ist aber, dass diese Sammlungen an Themen ganz unterschiedliche Perspektiven repräsentieren, wie eine marktwirtschaftliche oder eine soziale bzw. ethische. Jeder dieser Gründe hat für die einzelnen Stakeholder ganz unterschiedliche Wertigkeiten. Gerade um eine stärkere Einbindung der Wissenschaftler zu gewährleisten, wird es notwendig sein, auch in der öffentlichen Diskussion jene Argumente stärker zu präsentieren, die den Interessen der Wissenschaftler entsprechen.
Teilhabe drückt sich auch in der Präsenz der Interessen im öffentlichen Diskurs aus. Eine Diskussion, die gerade von Seiten der Fördergeber und Bibliotheken Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung als öffentliches Gut in den Fokus rückt, ist in Hinblick auf den Publikationsmarkt notwendig und berechtigt. Im Kontext wissenschaftlicher Forschung ist diese Perspektive jedoch für manche Disziplinen neu, nicht nur jenen, für die der kommerzielle Nutzen von Forschungsergebnissen wesentlich ist, und scheint dem Verständnis von Forschungsergebnissen als geistiges Eigentum entgegenzustehen. Die Veränderung wissenschaftlicher Publikationskultur ist ein Teilprozess, der ebenso ressourcenintensiv ist wie die Transformation des Publikationsmarktes. Es gelten aber ganz andere Voraussetzungen: Die Heterogenität der Publikationskulturen ist eine bleibende Herausforderung, damit verbunden sind nicht nur Unterschiede in Publikationsformen, sondern auch, dass sich grundlegende Änderungen in ganz unterschiedlichen Zeithorizonten bewegen. Ein primär linearer Veränderungsprozess kann diesen Gegebenheiten nicht gerecht werden, da der verhältnismäßigen Einfachheit eines linearen Prozesses die Komplexität der verschiedenen Publikationskulturen, ihrer Protagonisten und prägenden Faktoren entgegenwirkt.
Im Unterschied zur wirtschaftlichen Transformation kann Publikationskultur nur begrenzt von außen verändert werden, da Wandel letztendlich ein in der jeweiligen Kultur homogener Prozess sein muss. Die European University Association stellt diesbezüglich fest, dass es für das Gelingen eines Wandels hin zu Open Access wesentlich ist, wenn Wissenschaftler deutlich stärker für Open Access sensibilisiert und gewonnen werden.[30] Ein fortlaufender Dialog mit den anderen Stakeholdern in einer Open-Access-Publikationskultur sowie Anreize, Open Access zu publizieren und eine unterstützende Begleitung sind wesentliche Faktoren, die zu einer erfolgreichen Veränderung dieser Kulturen beitragen.
5 Die Rolle der Bibliotheken
Heute gehören wissenschaftliche Bibliotheken zu den Stakeholdern des Open Access. Dabei agieren sie zumeist in einem Spannungsfeld, da sie in mehrerlei Hinsicht für Open Access an Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen Sorge tragen. Durch die Verwaltung von Open-Access-Publikationsfonds, durch welche in der Regel Gold-Open-Access-Publikationen gefördert werden, und die Herausgabe von Open-Access-Zeitschriften tragen Bibliotheken zur weiteren Implementierung des Gold Open Access bei. Gleichzeitig sind Bibliotheken gefordert, auf die durch Hybrid Open Access veränderte Marktlage zu reagieren, um dem sogenannten „double dipping“ entgegenzuwirken. Eine Forderung, die besonders für von öffentlicher Hand finanzierte Universitäten wesentlich ist, da es zu vermeiden gilt, Steuergelder doppelt und dreifach an Verleger zu zahlen. Dass Bibliotheken zudem mit den ihnen zur Verfügung gestellten Literaturbudgets angesichts Preissteigerungen im Zeitschriftenmarkt nur mit großen Mühen den Literaturbedarf abdecken können, erhöht die Dringlichkeit, dieser Preisgestaltung nachhaltige Modelle entgegenzusetzen. Diese zentrale Rolle der Bibliotheken in der Umsetzung des Open Access ist auch in der Roadmap für Open Access 2020 dokumentiert, wenn es in einer Überschrift heißt, dass der Wandlungsprozess mit den Bibliotheken beginnen muss[31], wobei in der Roadmap der Fokus auf dem marktwirtschaftlichen Aspekt liegt. Die Rolle der Bibliotheken geht jedoch über das Verwalten und Implementieren von Open-Access-Kostenmodellen hinaus, da sie im Rahmen dieser Tätigkeiten direkt in Kontakt mit Wissenschaftlern stehen.
Wissenschaftler stellen auch für Bibliotheken eine äußerst heterogene Gruppe dar. Neben der Herkunft aus unterschiedlichen Publikationskulturen unterscheiden sich Wissenschaftler auch darin, wie sie bisher mit Open Access befasst waren und gegenwärtig sind: Es gibt jene, die schon früh Open Access unterstützt haben, jene, die eindeutig Open Access entgegenstehen und jene, die Open Access nur als eine Notwendigkeit aufgrund von Fördermandaten kennen. Diese unterschiedlichen Positionen finden im Kontext der verschiedenen Publikationskulturen je eigene Ausprägungen. Im Rahmen des Change-Managements hat sich gezeigt, dass es in Hinblick auf Veränderungsprozesse ein Spektrum an Haltungen gibt, die sich mit dem Voranschreiten des Wandelns ändern können. Die folgende Abbildung zeigt dieses Spektrum.
![Abb. 4: Change Management Curve bzw. Transition Curve nach Elizabeth Kübler-Ross und John Fisher.Agile Australia, The change curve in action, https://agileaustraliablog.com/2015/08/10/thechange-curve-in-action/ [Zugriff: 08.09.2017].](/document/doi/10.1515/bd-2017-0115/asset/graphic/j_bd-2017-0115_fig_004.jpg)
Change Management Curve bzw. Transition Curve nach Elizabeth Kübler-Ross und John Fisher.[32]
Bibliotheken sehen sich in der Kommunikation des Open-Access-Gedankens und der Open-Access-Publikationsmöglichkeiten an der eigenen Institution Wissenschaftlern gegenüber, die sich auf das Ganze in der Abbildung gezeigte Spektrum verteilen, was eine beachtliche Herausforderung darstellt. Dass Bibliotheken mit Wissenschaftlern im Gespräch stehen, die ganz unterschiedlich mit Open Access befasst sind und dabei eine Vielfalt an Haltungen gegenüber Open Access aufweisen, bringt sie in eine Schlüsselrolle. Wirtschaftliche Aspekte des Open Access lassen sich am effektivsten über einen Top-Down-Zugang, z. B. in Form von Open-Access-Mandaten, verfolgen. Eine Änderung der Publikationskultur benötigt aber eher einen Bottom-Up-Zugang. Bibliotheken sind in den Alltag wissenschaftlicher Arbeit eingebunden. Das heißt, dass sie mehr als andere Stakeholder in der Position sind, den Dialog mit den Wissenschaftlern als Stakeholder zu fördern und begleitend die Veränderung von Publikationskulturen zu unterstützen. Dies wiederum ermöglicht es Bibliotheken, neue Entwicklungen im Open Access sowie Synergieeffekte zwischen Wegen und Modellen des Open Access Wegen und Modellen frühzeitig wahrzunehmen und aufzugreifen.
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Christian Kaier

Christian Kaier
© 2017 by De Gruyter
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