Editorial
Die Ecke eines Bauwerks ist der Ort, an dem sich konstruktives Konzept, gestalterische Idee und Bedeutung von Architektur durchdringen. In besonderer Weise wird dies seit der Antike an dem grundsätzlich unlösbaren Dorischen Eckkonflikt deutlich. Die unterschiedlichen Kompromisse zwischen tektonischer Systematik und menschlicher Wahrnehmung haben zu einer Fülle von ›Ecklösungen‹ geführt, über die bereits vielfach ausführlich publiziert wurde. Mit dem vorliegenden Heft wollen wir über diesen bekanntesten aller Eckkonflikte hinaus den Blick auf und in weitere Ecken der Architekturgeschichte richten.
Nach dem einleitenden Aufsatz von Kai Becker (Essen), der die grundlegenden architektonischen, an der Bauwerksecke auftretenden Konflikte, aber auch die Potenziale für die Architektur behandelt, setzt sich Yoshihiko Ito (Tokyo) mit der Verwendung antiker Spoliensäulen in den Kolonnaden frühmittelalterlicher Architektur in Spanien auseinander. Eine andere Art der Antikenrezeption, die Auseinandersetzung im Entwurf sowohl mit den antiken Vorbildern als auch mit der zeitgenössischen Architekturtheorie wird in dem Aufsatz von Renata Samperi (Ferrara) anhand der Bauten und Entwürfe von Andrea Palladio und in dem von Hubertus Günther (München) deutlich, der systematisch die Gestaltung von Innenecken in der italienischen Renaissance untersucht.
Die städtebaulichen Dimensionen des Themas beleuchten Jan Galeta (Brno) mit den beiden Wettbewerben für das Nationaltheater in Prag, Tobias Möllmer (Innsbruck) mit einem kritischen Blick auf die historistischen Ecklösungen in Deutschland und Frankreich als nationale Architektursymbole sowie Sebastian Bietenhader (Zürich) und Matthias Moroder (Wien), deren »Schwache Ecken« der Baublocks im Roten Wien sich als höchst variantenreich und räumlich spannend herausstellen.
Matthias Brunner (Zürich) macht deutlich, welche konstruktiven Konsequenzen die verglasten Ecken in den Bauten von Richard Neutra nach sich zogen, und Dietrich Neumann (Providence RI) setzt sich mit einem geradezu ›klassischen‹ architekturgeschichtlichen Thema, den Ecklösungen in den US-amerikanischen Bauten von Ludwig Mies van der Rohe, auseinander. Mit dem Aufsatz von Benjamin Zweig (Kassel), Robin Rehm und Silke Langenberg (beide Zürich) zur Entwicklung des Marburger Bausystems, die bis zu genuesischen und römischen palazzi des 16. und 17. Jahrhunderts zurückreicht, beschließen wir – vorerst – das Thema der »Ecklösungen / Eckprobleme«.
Mit diesem Heft möchten wir auch Andrea Schaller im Team begrüßen. Sie tritt als Redakteurin die Nachfolge von Elmar Kossel an, der die architectura seit 2016 betreut hat. Ihm gilt unser besonderer Dank für sein großes Engagement und seine Sorgfalt.
Barry Bergdoll, Andreas Schwarting und Klaus Tragbar
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Articles in the same Issue
- Cover
- Frontmatter
- Aufsätze / Articles
- Editorial
- Die Thematisierung der Bauwerksecke
- Old Columns, New Architecture
- Muri, colonne e angoli nell’architettura di Palladio
- Die Gestaltung interner Ecken in der italienischen Renaissance und Michelangelos Cappella Sforza von S. Maria Maggiore
- The National Theatre in Prague and the Problem of its Corner
- Historistische Ecklösungen in Deutschland und Frankreich. Symbole nationaler Baukultur
- Schwache Ecken
- Richard Neutras Eckfenster
- Complicated Simplicity
- »Vier Stützen lösen das Eckproblem.«
- Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren
- Corrigenda
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- Cover
- Frontmatter
- Aufsätze / Articles
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- Die Thematisierung der Bauwerksecke
- Old Columns, New Architecture
- Muri, colonne e angoli nell’architettura di Palladio
- Die Gestaltung interner Ecken in der italienischen Renaissance und Michelangelos Cappella Sforza von S. Maria Maggiore
- The National Theatre in Prague and the Problem of its Corner
- Historistische Ecklösungen in Deutschland und Frankreich. Symbole nationaler Baukultur
- Schwache Ecken
- Richard Neutras Eckfenster
- Complicated Simplicity
- »Vier Stützen lösen das Eckproblem.«
- Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren
- Corrigenda