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Diglossie versus Kontinuum? Der Einfluss von Dialektverlust

Veröffentlicht/Copyright: 1. Oktober 2015

SOCIOLINGUISTICA 22/2008Roland Willemyns/ Wim Vandenbussche Diglossie versus Kontinuum? Der Einfluss von Dialektverlust 1. Einführung Angesichts der Standardisierung sind in polyzentrischen Sprachräumen wie dem Niederländischen drei unterschiedliche Gebiete zu betrachten: das Kerngebiet, die interne und die externe Peripherie (Bister-Broosen/Willemyns 1988: 417). Für uns ist das insofern interessant, als in der Peripherie das Sprachkontinuum anders gestaltet ist als im Kerngebiet: Meistens sind mehrere Sprachvarietäten anwesend, sie haben eine andere Funktion, und sie werden in anderen Domänen- und Sozialverteilungen verwendet. Somit hat der Dialekt z. B. im extern-peripheren Ost-Flandern eine andere Funktion und einen anderen Status als im intern-peripheren Groningen und wieder einen anderen als in Südholland, das zum Kerngebiet gehört (Willemyns 2003: 303). Er wird auch von anderen Sozialschichten und Altersstufen verwendet, wird anders bewertet und ruft andere Attitüden hervor. Kurzum: Die soziolinguistischen Kriterien, die den Sprachgebrauch und die Variantenwahl bestimmen, sind im Kerngebiet und in der (vor allem externen) Peripherie sehr unterschiedlich. Das heißt aber nicht, dass die externe Peripherie (d. h. in dem vorliegenden Fall Flandern) in dieser Hinsicht einheitlich wäre. Es gibt im Gegenteil gravierende Unterschiede. Wie in Willemyns (1997) geschildert wird, ist im zentralen Bereich der Dialektverlust am weitesten fortgeschritten, während er in West-Flandern erst angefangen hat. Auch in Limburg hat sich der Verlustprozess in den letzten Jahrzehnten sehr beschleunigt. Ost-Flandern nimmt eine Zwischenposition zwischen West-Flandern und Brabant ein, entwickelt sich aber zunehmend auf brabantische Weise. Im Allgemeinen wird die Verwendung der Mundart, bei denen, die sie noch beherrschen, immer mehr auf solidarische und sonstige informale Kommunikationsvorgänge reduziert und tendiert auch immer mehr zum Merkmal [+unterschichtlich]. Die Verwendung wird aber vor allem dadurch reduziert, dass immer weniger Leute noch einen Dialekt beherrschen. Festzustellen ist weiter, dass Dialektverlust, wie sich auch in Deutschland gezeigt hat (Mattheier 2003: 237-241), nicht unbedingt oder wenigstens nicht unmittelbar zu beträchtlich höherem Gebrauch der Standardsprache führt. Auch in Flandern hat sich herausgestellt, dass der Dialektverlust in manchen Domänen zunächst zu einer Steigerung der Verwendung der Umgangssprache oder einer regionalen Standardsprache führt. Diese Ergebnisse sind an erster Stelle als Symptome einer Übergangsphase, eines Umwand-lungsprozesses vom Dialekt auf eine von sozialen und regionalen Faktoren bedingte Hochsprache (Willemyns 2005) zu betrachten.
Published Online: 2015-10-1
Published in Print: 2008-12-19

© 2015 by Walter de Gruyter Berlin/Boston

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