Kulturtopographie des alemannischen Raums
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Herausgegeben von:
Jeffrey F. Hamburger
, Cornelia Herberichs , Stephen Mossman , Peter Rückert und Hans-Jochen Schiewer
Die Literatur-, Kunst- und Kulturgeschichte des deutschen Südwestens (definiert im Sinne des alemannischen Sprachraums) macht im Hoch- und Spätmittelalter eine rasante Entwicklung durch, so daß diese Region zu einer Kulturlandschaft europäischen Ranges wird. Maßgeblich für diese Entwicklung waren solche Erscheinungen wie die ersten deutschen Artusepen, die durch Reformklöster verbreitete Hirsauer Liturgie, die Manessische Liederhandschrift, neue Bildtypen wie die Christus- und Johannesgruppen, die mystischen Schriften Heinrich Seuses und die südwestdeutschen Schwesternbücher sowie die Handschriftenproduktion der Lauber-Werkstatt in Hagenau. Träger der Kultur waren nicht nur die klösterlichen Netzwerke der Benediktiner, Zisterzienser und Prämonstratenser, sondern seit dem 13. Jahrhundert auch und vor allem die Dominikaner, Franziskaner und ihre weiblichen Zweige, die oberrheinischen, schwäbischen und Schweizer Städte im Dreieck Straßburg‑Augsburg‑Bern und die Adelsfamilien und Stadtbürger dieser Region. Die neue Reihe möchte zur Erforschung der südwestdeutschen Kultur des Hoch- und Spätmittelalters durch die Publikation von Sammelbänden, Monographien und Editionen bisher ungedruckter Texte anregen.
Das Gebetbuch der Margaretha von Kappel aus dem Jahr 1482 ist ein bemerkenswertes Zeugnis der Bildung und Frömmigkeit einer Konstanzer Patrizierin. Der Kolophon legt nahe, dass Margaretha selbst Anteil an der Kompilation und Komposition des Gebetbuchs hatte, das kunstvoll mit 27 Federzeichnungen ausgestattet ist. Die Witwe Heinrich Ehingers, dessen Familie über 200 Jahre zu den führenden patrizischen Geschlechtern von Konstanz gehörte, ließ ihr Gebetbuch nach dem Tod ihres Mannes anlegen und als Ikone der familiären memoria und Fürbitte inszenieren. Die Auswahl der Texte und Bilder ist liturgisch motiviert. Sie zeichnen die bedeutendsten Festtage im Verlauf des Kirchenjahres in ihrer chronologischen Abfolge nach und vergegenwärtigen den Lebens- und Leidensweg Jesu, der als Teil der Heilsgeschichte in diese eingefasst ist.
Die vorliegende Studie erschließt dieses Zeugnis privater Spiritualität in Text und Bild, ordnet es in den historischen Kontext ein und analysiert die religiösen und literarischen Interessen einer spätmittelalterlichen Patrizierin. Sie arbeitet die Konzeption der Texte und Bilder und die Gesamtanlage der Handschrift heraus, ordnet sie in eine ‚culture of copy‘ ein und verbindet die Ergebnisse mit den religiösen und literarischen Interessen der Familie Ehinger in Konstanz.
Three related texts about the spiritual lives of early Dominican sisters at Colmar’s Unterlinden convent – the Vitae sororum, composed in the 14th century by prioress Katharina von Gueberschwihr, and two 15th-century revisions by her successor Elisabeth Kempf – have collectively and confusingly been known as the Unterlinden Sisterbook. The current study clarifies the relationship among, and the transmission history of, these three versions of Katharina’s text, including the role played in the 17th century by a Freiburg Carthusian in transporting Kempf’s text to Austria, where it was published 100 years later by a Melk Benedictine. The study also posits collaboration between Kempf and fellow Dominican Johannes Meyer as she edited and later translated the text into German. A critical edition of (1) Kempf’s edited translation, based on two 15th-century manuscripts, and (2) a brief supplement to her translation, composed by Meyer at the behest of Kempf, are also included. The first two versions of the Unterlinden Sisterbook have been available in print since 1930 (Vitae sororum) and 1725 (Kempf’s first revision), respectively; the current publication presents Kempf’s final revision and translation into German for the first time.
An der Figur des Teufels werden im Mittelalter Weltanschauungen und moralische Überzeugungen verhandelt: Der Teufel repräsentiert alle menschlichen Verfehlungen und steht für die Sünde und das Böse. Texte über den Teufel ermöglichen daher bei ihren Rezipient*innen eine ethische Erfahrung, die zu Selbstreflexion, Gewissenserforschung und Verhaltensänderung führen kann.
Im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen das Gewissen und seine Benennungen in der mittelalterlichen Literatur und der theologischen Auseinandersetzung. Es wird herausgearbeitet, wie das Gewissen geformt wird und welche Bedeutung es für das Individuum hat. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die im 15. Jahrhundert im Bodenseeraum entstandene Reimpaardichtung Des Teufels Netz ein. Hier ist die Konstellation eines Beichtgesprächs gleichsam invertiert: Der Teufel beichtet einem Einsiedler und gibt sein Wissen über Sünden und Gebote preis. Er gibt so Orientierung für die individuelle Gewissensbefragung.
Unter Rückgriff auf den Ansatz der narrativen Ethik wird an diesem konkreten Beispiel gezeigt, wie Literatur auf das Gewissen und die Gewissensbildung ihrer Rezipient*innen einwirken und zu einer verantwortungsvollen Reflexion des eigenen Lebenswandels beitragen kann.
Sebastian Brant, Basler Jurist und (ab 1501) Syndikus, Diplomat und Kanzler der Freien Reichsstadt Straßburg, gehört zu den einflussreichen Akteuren seiner Zeit. Gewirkt hat er als Jurist und Hrsg. zentraler Rechtstexte, als Bearbeiter von Werken der Patristik, Mitarbeiter an einer sechsbändigen Vulgata-Ausgabe, der ersten europäischen Petrarca-Edition, als engagierter Verteidiger des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis Mariens, als Dichter in lateinischer und deutscher Sprache, als Concepteur umfangreicher Holzschnittserien, als Verfasser tagesaktueller Gelegenheitsdichtungen, schließlich auch des „Narrenschiffs“, das europaweite Verbreitung bis ins 18. Jh. gefunden hat. Eine anlässlich von Brants 500. Todestag veranstaltete Tagung zielte darauf, die Tätigkeitsfelder, den intellektuellen Horizont und das Weiterwirken Brants in exemplarischen Untersuchungen zur würdigen. Aus den Perspektiven des Kanonischen und Römischen Rechts, der Kunstgeschichte und Musikwissenschaft, der Germanistik wie auch der Latinistik sowie der material- und quellenbezogenen Geschichtswissenschaft sind Werk und Wirken Brants untersucht worden von Wissenschaftler*innen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz.
Im Zentrum des Sammelbandes steht das literarische und kulturelle Leben Württembergs und seiner Umgebung vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Das kulturelle Profil der Grafschaft und des späteren Herzogtums Württemberg wird aus literaturwissenschaftlicher, handschriftenkundlicher und kulturhistorischer Perspektive beleuchtet. Es geht sowohl um literarische Produkte des Hofes, als auch um kulturelle Erzeugnisse der Männer- und Frauenklöster. In den sozialen und literarischen Verflechtungen der politischen und kulturellen Zentren Württembergs mit den benachbarten Klöstern und Reichsstädten wird die besondere Ausprägung der Kulturtopographie Württembergs profiliert. Die Beiträge widmen sich der Buchkultur und den literarischen Interessen der württembergischen Höfe und der benachbarten Klöster, vor allem der Dominikanerinnen. Sie nehmen liturgische Praktiken der Klöster ebenso auf wie chronikalische Klosterdarstellungen, zeigen Konstruktionen monastischer Identitäten neben der geistlichen Laufbahn einer württembergischen Grafentochter. Sie offenbaren Austausch und Netzwerke weltlicher und geistlicher Zentren und verbinden interdisziplinäre Kulturraumforschung mit aktuellen Diskursen um literarische Produktion, Rezeption und Tradition.
Die um 1400 entstandene deutschsprachige Chronik Jakob Twingers von Königshofen wurde bis in die Neuzeit hinein in über 125 Handschriften abgeschrieben. Ein Großteil der bekannten Textzeugen enthält dabei nicht bloße Abschriften, sondern Exzerpte, fortgesetzte Bearbeitungen und häufig weitere Texte. In der vorliegenden Studie werden die unterschiedlichen Aneignungsformen der Chronik in historischen, politischen bzw. sozialen Zusammenhängen, also handschriftenextern, aber auch im kodikologischen Kontext, also handschriftenintern, analysiert. Nicht ein abstraktes, statisches Werk, sondern die Rezeption von Geschichte aus der Stadt wird in den einzelnen Codices untersucht. Hierfür werden Ansätze aus den Forschungen zu städtischer Geschichtsschreibung, den Cultural Memory Studies, der New Philology und den Material Culture Studies herangezogen. Die Interessen der Rezipient*innen (1. Prozesse der Aneignung), die Überlieferung der Chronik im Zusammenhang mit anderen Texten (2. Prozesse der Kombination) sowie die Funktionsangebote und Funktionen der Chronik aus dem potentiellen bzw. tatsächlichen Gebrauch heraus (3. Prozesse der (Re-)Funktionalisierung) werden dabei anhand ausgewählter Codices bzw. Überlieferungsgruppen herausgearbeitet
Das Neunfelsenbuch ist eines der meistverbreiteten Werke der oberrheinischen Mystik. Zwar wird Rulman Merswin (†1382) die längere von zwei überlieferten Fassungen zugeschrieben, doch herrschen Zweifel bezüglich der Originalform. War Merswin der Autor, oder nur Bearbeiter einer früheren Vorlage? Kernstück dieser grundlegenden Studie ist der Text der oberdeutschen Kurzfassung, der hier erstmals in einer kritischen Edition vorliegt und das Neunfelsenbuch des 15. Jahrhunderts in seiner populärsten Form repräsentiert. Die textkritischen Befunde aus dem Apparat bilden die Grundlage dieser Neubewertung des Verhältnisses beider Fassungen. Neben einem Überblick über die erhaltenen Textzeugen erhellt die Studie die Überlieferungsgeschichte und beleuchtet inhaltliche Parallelen zu Werken Taulers und Seuses. Wenn letztlich die Langfassung als Urform identifiziert wird, so mindert dies nicht die Bedeutung der Kurzfassung. An ihr zeigt sich beispielhaft, wie ein Werk in seiner bearbeiteten Form eine größere Verbreitung erfuhr als das Original. Mit Merswins Autorschaft steht das Neunfelsenbuch am Anfang der literarischen Produktion aus dem Straßburger Kloster Grüner Wörth, einem damals bedeutenden Zentrum geistlicher volksprachiger Literatur.
Im Zentrum des Sammelbandes steht das literarische und kulturelle Leben Basels vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Trotz ihrer unbestrittenen kulturellen Bedeutung und trotz des außergewöhnlich reichen Handschriftenerbes ist das kulturelle Profil der Stadt in der bisherigen Forschung erst in Umrissen sichtbar. Die Beiträge widmen sich der weltlichen und der geistlichen Literatur in deutscher und lateinischer Sprache: Liedersammlungen, Erbauungsschriften, Roman, Schauspiel u.a.m. Das besondere Interesse gilt den Trägern der literarischen Kultur und ihren Netzwerken, die sie für den Austausch von Texten nutzen. Einen Schwerpunkt bilden die Klöster, in denen Texte verfasst, kopiert und illustriert, archiviert und ausgeliehen werden; von besonderer Bedeutung sind die Frauenkonvente sowie die Kartause. Im methodischen Zugriff verbindet der Band die Kulturraumforschung mit der aktuellen Diskussion um die Medialität vormoderner Kommunikation. Sichtbar wird damit auch das komplexe Zusammenspiel von Handschrift und Buchdruck im Zeitalter des Medienwandels. Das Buch richtet sich an Literaturwissenschaftler, Kunsthistoriker, Kirchenhistoriker und Historiker sowie an alle, die sich mit Kulturraum- und Medialitätsforschung befassen.
Mitte des 15. Jahrhunderts wirkte der Ordenschronist Johannes Meyer als Beichtvater im observanten Dominikanerinnenkloster St. Michael in der Insel in Bern. Sein Ziel war die Einrichtung eines vorbildlichen Reformklosters. Dafür richtete er eine Bibliothek ein, übersetzte und kommentierte die dominikanischen Verfassungstexte und Reformvorschriften für den Gebrauch in Frauenklöstern und ergänzte diese mit chronikalischen und erläuternden Werken. Diese Texte verbreiteten sich in den observanten Dominikanerinnenklöstern und wirkten massgeblich auf die innerklösterliche Umsetzung der Reform ein. Am Beispiel des Berner Regelbuches lässt sich die Förderung des geistlichen Lebens in den Frauenklöstern im Zuge der Klosterreform deutlich aufzeigen: Systematisch wurde eine Bibliothek aufgebaut, ein Skriptorium eingerichtet und der Einsatz der Bücher im klösterlichen Alltag intensiviert. Allgemein kam es zu einem verstärkten Gebrauch von Schriftlichkeit. Der Weg aus der Krise zur Erneuerung auf der Basis eines funktionalen Gebrauchs von Schrift, Buch und Bibliothek entwickelte sich jedoch keineswegs isoliert, er stand in einem engen Austauschverhältnis mit einem stark von volkssprachlicher Schriftlichkeit geprägten städtischen Umfeld.
Die Moskauer Sammelhandschrift aus dem Straßburger Reuerinnenkloster St. Magdalena (Moskau, Russische Staatsbibliothek, F. 68, Nr. 446) gehört zu den markantesten mittelalterlichen deutschen Handschriften in russischen Bibliotheken und bietet wichtige Zeugnisse weiblicher Frömmigkeit aus dem späten Mittelalter: eine Katharinenlegende, eine Barbaralegende (Schreiberin Nonne Katharina Ingolt, 1477) und die Traktate des elsässischen Dominikaners Johannes Kreutzer (um 1424 - 1468) Der geistliche Mai, Die geistliche Ernte und Herbstmost I und II, die der Unterweisung der ‚Bräute Christi' und dem Thema der mystischen Brautschaft gewidmet sind. Diese Texte sind von großem literarischem Interesse und waren bisher unediert und unerforscht. Die Edition wird durch Untersuchungen zum Befund und zur Geschichte der Handschrift eingeleitet und durch einen Kommentar und ein Glossar erschlossen. Im Anhang werden Textstellen aus den Traktaten Kreutzers nach der Parallelüberlieferung ediert. Die auf Frauen zugeschnittenen Themen der beiden Teile der Handschrift - die Legenden weiblicher Heiligen und die Traktate über die mystische Brautschaft - ergänzen einander und bieten einen wichtigen Einblick in die literarischen Interessen altgläubiger Straßburger Klosterfrauen in den Jahren vor der Reformation.
Das deutsche Prosaexempel war im Spätmittelalter relativ weit verbreitet und vielseitig einsetzbar. Diese Monografie stellt diesen Texttyp zum ersten Mal ins Zentrum einer umfassenden Untersuchung, wobei ausgehend von einer einzelnen Handschrift mit einem sehr umfangreichen Exempelkorpus – Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 863 – unterschiedliche Zugänge vorgestellt und fruchtbar gemacht werden. Das deutsche Prosaexempel wird als literarischer Text präsentiert, dessen Variabilität keineswegs allein durch Mündlichkeit erklärt werden kann, sondern in den Kontext einer spätmittelalterlichen Schreib- und Lesekultur gehört. Die Herkunft der Handschrift aus dem Straßburger Reuerinnenkloster St. Maria Magdalena ermöglicht nicht nur die Berücksichtigung eines konkreten Produktions- und Rezeptionskontextes für das untersuchte Korpus, sondern erlaubt auch vertiefte Einblicke in die literarische und religiöse Kultur in Straßburg in den 1430er Jahren. Ein Repertorium mit Zusatzinformationen zu den über 600 Texten in Ms. germ. fol. 863 stellt einen umfangreichen Materialfundus bereit.
Das Hermetschwiler Gebetbuch, das heute im Sarner Benediktinerkollegium, einem Priorat der Abtei Muri-Gries als Cod. Chart. 208 aufbewahrt wird, birgt einen bemerkenswerten, thematisch wie funktional heterogenen Textbestand: Heilsegen sind ebenso Bestandteil dieses Gebetbuches wie Andachten und Gebete. Die stark abgenutzte Handschrift, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts in der heutigen Deutschschweiz (Aargau) entstanden ist, wird hier erstmals umfassend erschlossen. Zur Edition der größtenteils unbekannten Texte tritt eine Kontextualisierung hinsichtlich ihrer Funktion. Eine bibliothekshistorische Untersuchung der vorwiegend bürgerlich geprägten Beziehungsnetze im südalemannischen Raum ermöglicht einen vertieften Einblick in den Sarner Gebetbuchbestand, einen der größten geschlossenen Gebetbuchbestände der heutigen Schweiz. Daraus ergeben sich neue Einsichten in Gebetspraxis und Alltagswissen in einem südalemannischen Frauenkloster des Spätmittelalters.
Die Untersuchungen und Textausgaben dieses Bandes setzen die hauptsächlich literaturwissenschaftlich geprägten Ansätze einer ‚Kulturtopographie des deutschsprachigen Südwestens‘ fort, die in Bd. 1 der Reihe formuliert wurden. Mit der Fokussierung auf das spätmittelalterliche Straßburg gerät eine spefizisch städtische Kultur in den Blick, die einerseits durch die Buchproduktion und Lebenspraktiken von Institutionen wie dem Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis und der Johanniterkommende zum Grünen Wörth, andererseits durch das Münster und die städtische Oberschicht geprägt war. Damit vereinigt der Band ein Interesse an der oberrheinischen Mystik unter besonderer Berücksichtung von Meister Eckhart und Tauler und städtischer Phänomene wie der Geschichtsschreibung Jakob Twingers von Königshofen und der humanistischen Leistung Sebastian Brandts. Die Themen spiegeln die Interessen einer international zusammengesetzten Gruppe von Literaturwissenschaftlern, Historikern und Kunsthistorikern wider, die seit längerer Zeit zusammenarbeiten.
„húbsch gemalt ‑ schlecht geschrieben“: so oder ähnlich lautet das Urteil von Kunsthistorikern und Germanisten, wenn sie sich mit Handschriften aus der seriellen Produktion elsässischer Werkstätten eingangs des 15. Jahrhunderts befassen. Da wir indes nicht wenige Werke der höfischen Dichtung ausschließlich aus Handschriften der Werkstatt des Hagenauer Unternehmers Diebold Lauber kennen, hat das Urteil weitreichende Folgen ‑ auch für jene Texte, die zwar anderweitig überliefert sind, doch in den Lauberhandschriften einen Text ganz eigener Prägung aufweisen. Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes fokussieren daher erstmals die textliche Qualität ausgewählter Lauberhandschriften und fragen dabei nicht zuletzt nach der redaktionellen Verantwortlichkeit des „fürsorglichen Skriptoriums“ etwa für den Genfer ‚Edelstein‘, den Wiener ‚Parzival‘, den Münchener ‚Alexander‘, den Heidelberger ‚Flore und Blanscheflur‘, für ‚Der werlt louf‘, den ‚Sleht weg zuo dem himelrich‘ und viele andere mehr.
Die Arbeit widmet sich erstmals umfassend der deutschsprachigen mystischen Lyrik des 14. und 15. Jahrhunderts. Für die Untersuchung wird ein überlieferungsgeschichtlicher Zugang gewählt, um das Korpus von über hundert Liedern vorzustellen. Die Handschriften führen an die Orte, wo die Lieder ihren „Sitz im Leben“ hatten. Vor allem Klöster des deutschsprachigen Südwestens, die für die Tradierung der Texte Meister Eckharts oder Heinrich Seuses als auch für Produktion und Rezeption der Schwesternbücher bekannt sind, erweisen sich für die mystische Lyrik als Zentren der Überlieferung. Darüber hinaus zeigen die Handschriften die verschiedenen Überlieferungsformen mystischer Lyrik, die vom Einzeltext als Teil einer Kompilation bis zur Liedersammlung reichen. Wandernde Verse und Strophen und andere Arten der Varianz verweisen auf die besondere Unfestigkeit der Texte. Inhaltlich stehen die Lieder im Spannungsfeld von spekulativer Mystik und visionärer Christusmystik. Mit dem Abdruck der bislang unveröffentlichten Texte und einem ausführlichen Repertorium, das als Nachschlagewerk Auskunft über die handschriftliche Überlieferung, über Form und Inhalt, Editionen und Sekundärliteratur gibt, wird die das mystische Lied als neues Forschungsfeld erschlossen.
Der Sammelband präsentiert in miteinander vernetzbaren Fallbeispielen erstmals die Überlegungen und ersten Ergebnisse einer aus Literaturwissenschaftlern, Handschriftenforschern, Kunsthistorikern und Historikern zusammengesetzten internationalen Forschergruppe, welche über die Anwendung eines um rezeptionsgeschichtliche und intermediale Aspekte erweiterten überlieferungsgeschichtlichen Ansatzes zum literarischen und kulturellen Relief einer Landschaft nachdenkt. Ausgegangen wird dabei primär von den überlieferten Handschriften und ihrem Leben in unterschiedlichen historischen und institutionellen Kontexten sowie ihrer Verankerung in sozialen Formationen und deren Netzwerken als Verteilersystemen. Der deutschsprachige Südwesten im 14. Jahrhundert als unbestrittene kulturelle und literarische Drehscheibe der Zeit erschien zur Erprobung des Konzeptes besonders geeignet. Mit diesem ersten Band einer ‚Kulturtopographie des alemannischen Raumes‘, die auf das spätere Mittelalter fokussiert ist, soll eine innovative Literatur- und Kulturgeschichtsschreibung angeregt werden, welche eine Kulturlandschaft in ihrer Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption, von Export und Import literarischer wie pragmatischer Texte und Kulturzeugnissen erfasst.