Volume 18, Issue 3

Zusammenfassung Wie die Bewegungsrichtung von Objekten bereits im Auge, der ersten Station im visuellen System von Wirbeltieren, berechnet wird, ist eine spannende und intensiv untersuchte Frage. Die ersten richtungsselektiven Ganglienzellen in der Netzhaut (Retina) wurden bereits in den 1960er Jahren beschrieben und stehen seitdem im Mittelpunkt vieler wissenschaftlicher Studien. Dennoch erstaunen die Komplexität der neuronalen Schaltkreise und Verarbeitungsmechanismen, die retinaler Richtungsselektivität zugrunde liegen, die Forscher immer wieder aufs Neue. Die Retina kann vergleichsweise leicht isoliert und in einer Petrischale untersucht werden, indem man Lichtreize präsentiert und unter dem Mikroskop die Aktivität verschiedener Zelltypen in den retinalen Schaltkreisen aufzeichnet. In Kombination mit dem umfassenden anatomischen, molekularen und physiologischen Wissen über diesen Teil des Gehirns bietet die Retina eine einmalige Gelegenheit, diesen faszinierenden Schaltkreis im Detail zu untersuchen. Im vorliegenden Artikel geben wir zunächst einen kurzen Überblick über die Geschichte der Erforschung retinaler Richtungsselektivität, konzentrieren uns dann aber auf die Fortschritte der letzten zehn Jahre, die vor allem durch Fortschritte bei der Methodik, wie z.B. bei den funktionellen bildgebenden Verfahren (z.B. „Ca 2+ imaging“), in der Molekulargenetik und bei der systematischen Rekonstruktion von Neuronen und ihren Verbindungen anhand von umfangeichen elektronenmikroskopischen Datensätzen („connectomics“) ermöglicht wurden. Dabei zeigte es sich, dass retinale Richtungsselektivität auf einer Reihe von komplexen, sich ergänzenden Berechnungen beruht, die sowohl intrinsische Mechanismen in den Dendriten, als auch verschiedene Netzwerkinteraktionen umfassen und denen hochselektive, wahrscheinlich genetisch determinierte synaptische Verbindungen zugrunde liegen. Außerdem stellte es sich heraus, dass es mehr Typen von richtungsselektiven Ganglienzellen gibt, als man bisher dachte; diese unterscheiden sich nicht nur durch ihrer Vorzugsrichtung und Antwortpolarität, sondern auch in ihrer Physiologie, dendritischen Morphologie, den zugrunde liegenden Mechanismen der Richtungsberechnung und interessanterweise in der Zielregion ihrer axonalen Projektion ins Gehirn.

Zusammenfassung Visuelle, auf dem optischen Fluss basierende Kurskontrolle wurde sowohl an stationären als auch an frei fliegenden Fliegen ausgiebig studiert. Für die neuronale Kontrolle dieses Verhaltens scheinen die Tangentialzellen der Lobulaplatte eine große Rolle zu spielen. Diese Zellen sind bewegungsempfindlich, haben große rezeptive Felder, und die räumliche Verteilung ihrer Vorzugsrichtungen entspricht dem optischen Fluss, wie er bei bestimmten Flugmanövern auftritt. Der präsynaptische Schaltkreis, der die lokalen Bewegungsrichtungen berechnet und die Tangentialzellen überhaupt erst empfindlich für visuelle Bewegung macht, lag jedoch lange Zeit aufgrund der geringen Größe der entsprechenden Neurone im Dunkeln. Erste Erfolge erbrachte hier die Kombination von elektrophysiologischen Ableitungen der Tangentialzellen bei Drosophila mit genetischer Blockade einzelner Kandidaten-Neurone. Mit diesem Ansatz wurden die Lamina-Neurone L1 und L2 als Eingangselemente zu zwei parallelen Bewegungsdetektionssystemen identifiziert, die selektiv auf die Bewegung von Dunkel-Hell (L1, ON-System) bzw. Hell-Dunkel (L2, Off-System) -Übergängen reagieren.

Zusammenfassung Für soziale Interaktionen ist das Erkennen von Bewegungen und Handlungen anderer Personen von großer Bedeutung. Das visuelle Abbild, das beim Betrachten von Handlungen anderer auf die Netzhaut projiziert wird, nennt man biologische Bewegung. Aufgrund der vielen Freiheitsgrade des Körpers ist biologische Bewegung ein ziemlich kompliziertes Bewegungsmuster, das wesentlich variabler ist als z.B. optischer Fluss oder eine Objektbewegung. Die Regelmäßigkeiten biologischer Bewegung liegen in ihrer Beziehung zum Körper, d.h. in den Einschränkungen, die die Gelenkung der Extremitäten der Bewegung der Körperteile auferlegt. Daher beinhalten neuronale Mechanismen zur Erkennung biologischer Bewegung Information über die Körperform. Ich beschreibe hier ein Modell für die Wahrnehmung biologischer Bewegung, das mit einer Repräsentation von Körperform und - haltung beginnt und biologische Bewegung als Veränderung der Körperhaltung über die Zeit ableitet. Kurz gesagt schlägt dieses Modell einen ventralen Pfad für Bewegungswahrnehmung vor, der sich von anderen Verarbeitungswegen für Bewegungswahrnehmung im dorsalen Pfad unterscheidet und spezifisch für biologische Bewegung ist.

Zusammenfassung Im visuellen System repräsentieren rezeptive Felder die räumliche Selektivität von Neuronen für die Reize, welche sie potenziell kodieren. Die Invarianz der rezeptiven Felder gewährleistet eine sichere Dekodierung ihrer Signale durch eine verlässliche Zuordnung jedes Neurons zu einem bestimmten Bereich des visuellen Feldes (labeled line code), die wahrscheinlich durch eine fest verschaltete Eingangskonfiguration erzeugt wird. Andererseits können veränderliche rezeptive Felder dem visuellen System die Flexibilität geben, zusätzliche Verarbeitungsressourcen für bestimmte Bereiche des visuellen Inputs bereitzustellen. Die Zuweisung räumlicher Aufmerksamkeit, oft auch als Scheinwerfer der Aufmerksamkeit bezeichnet, ist das Verhaltensäquivalent der Flexibilität visueller rezeptiver Felder. Sie moduliert die räumliche Empfindlichkeit für visuelle Information dynamisch als eine Funktion des augenblicklichen Aufmerksamkeitsfokus des Betrachters. Am Beispiel des neuronalen Systems für die Verarbeitung visueller Bewegung stellen wir aktuelle Befunde vor, die die Dynamik und die Interaktion von räumlicher Aufmerksamkeit mit den rezeptiven Feldern im visuellen Kortex von Primaten belegen. Dieses System verkörpert eine sorgfältige Balance zwischen den Vorteilen von Invarianz und den Vorteilen einer flexiblen Informationsverarbeitungsarchitektur, die an die augenblicklichen Bedürfnisse angepasst werden kann.

How direction of image motion is detected as early as at the level of the vertebrate eye has been intensively studied in retina research. Although the first direction-selective (DS) ret­inal ganglion cells were already described in the 1960s and have since then been in the fo­cus of many studies, scientists are still puz­zled by the intricacy of the neuronal circuits and computational mechanisms underlying retinal direction selectivity. The fact that the retina can be easily isolated and studied in a Petri dish-by presenting light stimuli while recording from the various cell types in the retinal circuits-in combination with the ex­tensive anatomical, molecular and physiolog­ical knowledge about this part of the brain presents a unique opportunity for studying this intriguing visual circuit in detail. This ar­ticle provides a brief overview of the histo­ry of research on retinal direction selectivi­ty, but then focuses on the past decade and the progress achieved, in particular driven by methodological advances in optical record­ing techniques, molecular genetics approach­es and large-scale ultrastructural reconstruc­tions. As it turns out, retinal direction selec­tivity is a complex, multi-tiered computation, involving dendrite-intrinsic mechanisms as well as several types of network interactions on the basis of highly selective, likely genet­ically predetermined synaptic connectivi­ty. Moreover, DS ganglion cell types appear to be more diverse than previously thought, differing not only in their preferred direction and response polarity, but also in physiology, DS mechanism, dendritic morphology and, importantly, the target area of their projec­tions in the brain.

Optic flow-based navigation has been stud­ied extensively in flies, both in tethered as well as in freely flying animals. As neural con­trol elements, the tangential cells of the lobu­la plate seem to play a key role: they are sen­sitive to visual motion, have large receptive fields, and, with their spatial distribution of preferred directions, match the optic flow as elicited during certain types of flight maneu­vers. However, the neural circuit presynaptic to the tangential cells responsible for extract­ing the direction of motion locally has long escaped investigation, due to the small size of the participating neurons. Recent prog­ress was made here by combining genetic si­lencing of candidate neurons with whole-cell patch recording from tangential cells in Dro­sophila. This approach led to the identifica­tion of lamina neurons L1 and L2 providing the input signals to two parallel motion de­tection circuits, specialized for brightness in­crements (L1, ON-pathway) and decrements (L2, OFF-pathway), respectively.

The recognition of the movements and ac­tions of others is of great importance for social interaction. The visual motion pat­tern projected on the retina when watching somebody else act is called biological mo­tion. Because of the many degrees of free­dom of the body, biological motion is a rel­atively complicated motion pattern, much more variable, for example, than optic flow or object motion. The regularities of biolog­ical motion are contained in its relationship to the body, i.e. in the constraints imposed by the articulation of the limbs on the move­ment of the body parts. The neural mecha­nisms of biological motion perception, there­fore, take body form information into ac­count. I describe a model of biological mo­tion perception that starts from a representa­tion of body form and posture and retrieves biological motion as the transformation of the body posture over time. Essentially, this proposes a ventral pathway to motion per­ception that is distinct from the other motion pathways in the dorsal stream, and special­ized for body motion.

In the visual system receptive fields repre­sent the spatial selectivity of neurons for a given set of visual inputs. Their invariance is thought to be caused by a hardwired in­put configuration, which ensures a stable ‘la­beled line’ code for the spatial position of vi­sual stimuli. On the other hand, changeable receptive fields can provide the visual system with flexibility for allocating processing re­sources in space. The allocation of spatial at­tention, often referred to as the spotlight of attention, is a behavioral equivalent of visu­al receptive fields. It dynamically modulates the spatial sensitivity to visual information as a function of the current attentional focus of the organism. Here we focus on the brain sys­tem for encoding visual motion information and review recent findings documenting in­teractions between spatial attention and re­ceptive fields in the visual cortex of primates. Such interactions create a careful balance be­tween the benefits of invariance with those derived from the attentional modulation of information processing according to the cur­rent behavioral goals.