Volume 23, Issue 2

Daß den als ‚Kanon‘ etablierten Werken der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts ein riesiger Unterstrom mehr oder minder gelehrter, humanistisch geprägter, an Mustern der antiken Tradition orientierter Gelegenheitsdichtung bürgerlichen und höfischen Ursprungs zugrunde liegt, ohne dessen Kenntnis jene Werke oft nicht angemessen zu verstehen sind, ist der Frühe-Neuzeit-Forschung seit längerem geläufig. Doch konnte solchem Wissen für interpretatorisches und historiographisches Arbeiten bisher nur punktuell, mit vereinzelten Fallstudien, entsprochen werden. Mit Aussicht auf Solidität und Repräsentanz war kaum zu arbeiten, weil niemand wußte, was wirklich an Casualliteratur vorhanden und wo es zu finden sei. Eine Ausnahme bildeten allein die bibliographisch seit langem gut erschlossenen Leichpredigt-Sammlungen. Mit den hier vorzustellenden Teilen eines großen, im Entstehen begriffenen bibliographischen und bibliotheksgeschichtlichen Werkes ist ein Riesenschritt zur Ermöglichung qualitativ neuartigen Arbeitens im weitesten Bereich der literatur- und kulturwissenschaftlichen Frühe-Neuzeit-Forschung getan worden: die detaillierte Dokumentation des personalen Gelegenheitsschrifttums von den Anfängen im 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Bibliotheken und Archiven im östlichen Teil des alten deutschen Sprach- und Kulturraums in Mitteleuropa.

„Heimgekehrt von Reisen/Ins Metaphysische“: Diesen (aus einem ganz anderen Kontext stammende) Vers von Ernst Stadler könnte man als Leitmotiv über den opulenten Sammelband setzen, der nach Jahrzehnten der Dominanz ideologisch geprägter Strömungen in der Literaturwissenschaft und nach dem Einbruch der Postmoderne in die Geisteswissenschaften ein neues Forschungsparadigma zu etablieren helfen will: „Bio-Poetik der Literatur“ (S. 8) nennen die Herausgeber Rüdiger Zymner und Manfred Engel jene in Deutschland vornehmlich von Karl Eibl vertretene literaturwissenschaftliche Richtung, in der es um die Untersuchung jener „Verfahren, Praktiken und Handlungsfelder“ geht, „die traditionell als innerstes Eigentum von Literatur und Kunst gelten“, sowie um „proto-ästhetische bzw. proto-poetische Verfahren“, die zahlreiche weitere kulturelle Bereiche durchdringen (ebd.).

Für mehr Ambivalenz, weniger Dichotomien: Dieser Gedanke zieht sich durch viele der von Matthias Lorenz versammelten Beiträge über die kulturelle und mediale Verarbeitung des Anschlags auf das World Trade Center vom 11. September 2001, die aus zwei Symposien im Sommer 2003 und 2004 hervorgingen. Schon nach historischen Ereignissen vom Ausmaß der Weltkriege oder des Holocaust sei, so Lorenz' steile Einstiegsthese, die „jeweilige Verarbeitungsleistung […] vor allem von Intellektuellen, Kultur- und Medienschaffenden erbracht“ (S. 7) worden; aus diesem Blickwinkel werde nun die Behandlung von 9/11 betrachtet. Absehen will der Herausgeber von Vorstellungen wie denen Schlingensiefs oder Schwerfels, die 9/11 als Aufforderung an oder gar Chance für die Kunst auffassen; der Band soll sich – wogegen einige Beiträge produktiv verstoßen – nicht mit der Gestalt beschäftigen, die die Kunst nach dem 11. September annimmt, sondern mit den Gestalten, in denen der 11. September in seinen verschiedenen medialen Repräsentationen und Bearbeitungen wiederkehrt. (S. 9) Dadurch fungiert der Band zugleich als Schaukasten aktueller Medienwissenschaft und demonstriert am überaus prominenten Fallbeispiel Möglichkeiten und vielfache Desiderate der zur Verfügung stehenden Methoden.

Als 1997 Christian Kiening den Forschungsbericht „Anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur“ vorlegte, skizzierte er zugleich ein umfassendes Programm. Mit dem jetzt vorgelegten Sammelband, der sieben bereits veröffentlichte und sechs bislang unveröffentlichte Artikel umfaßt, werden die Dimensionen dieses Programms in ihrem ganzen Umfang erkennbar. Denn obschon es sich um Einzelstudien handelt, organisieren sich die Beiträge um leitende Fragestellungen – daß sie diese aber nicht monographisch abhandeln, sondern im Wechselspiel von theoretischer Vergewisserung und historischer Sondierung profilieren, macht den Sammelband zum herausragenden Beispiel einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Literaturwissenschaft. Grundlegende Fragen nach dem Literaturbegriff, nach der Möglichkeit von Literaturgeschichte oder nach den Bedingungen des Verstehens werden nicht nur mitgeführt, sondern erhalten schon in der Gestalt des Bandes eine erste Antwort. Das Partikulare ist Programm und zugleich Reflex jener kulturwissenschaftlichen Pluralität, die sich dem Systemzwang von Literaturgeschichten widersetzt. Das Buch verkörpert also die Spannung zwischen literarhistorischer Modellierung und dichter Einzellektüre und ebnet damit in bewundernswerter Präzision neue „Zugänge zur mittelalterlichen Literatur“.

Dem Status geistlicher Spiele zwischen religiösem Kult und theatraler Aufführung gilt in der germanistischen Forschung seit einiger Zeit verstärktes Interesse. Dabei hat sich das Augenmerk erkennbar von einer entwicklungs- zu einer funktionsgeschichtlichen Perspektive verschoben, so daß nun weniger die Frage der Entstehung der Spiele im Vordergrund steht, als vielmehr jene ihrer spezifischen Relation zu anderen körper- und aufführungsbezogenen Formen mittelalterlicher Frömmigkeitspraxis. Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch eine erneute Auseinandersetzung mit den Thesen Rainer Warnings angestoßen, der 1974 in seiner kontrovers aufgenommenen Untersuchung zu „Funktion und Struktur“ geistlicher Spiele postulierte, daß in den Spielen quasirituelle Funktionselemente analog zu Opfer- und Sündenbockritualen etabliert und dadurch Tendenzen der ‚Re-Mythisierung‘ wirksam werden.

Wenn ein Buch innerhalb kurzer Zeit eine zweite Auflage erlebt, bedeutet das gewöhnlich entweder, daß der Gegenstand besonders interessant oder aber gut dargestellt ist. Für das hier anzuzeigende Buch trifft beides zu: Mystik ist nicht nur ein bevorzugter Gegenstand der Forschung, sondern trifft auch auf beachtliches öffentliches Interesse. Im letzteren Fall – und der gilt auch für Studienanfänger – sind freilich die Vorstellungen von Mystik oft eher vage. Hier nun bietet die Einführung eine relativ kurze, aber doch Wesentliches vermittelnde Informationsmöglichkeit.

Tempus tacendi, et tempus loquendi : Daß eine literaturwissenschaftliche Thematik, die vor gut 30 Jahren in den Blickpunkt der Mediävistik trat, mit dem Abstand einer Generation erneut intensiv aufgegriffen wird, braucht nicht zu verwundern, zumal wenn es sich um ein ebenso facettenreiches wie riskantes Thema wie die Rolle des Schweigens in literarischen Verständigungsprozessen handelt. Die Wiederaufnahme dokumentiert, daß die damals zur Diskussion gestellten Überlegungen und Ergebnisse nicht ad acta gelegt, vielmehr vor dem Horizont veränderter, in der neueren Forschung aufgeworfener Fragestellungen überprüft und erweitert werden sollen.

Die thematische Eingrenzung ergibt sich aus einem dreifachen Bezug: auf das Paradigma ‚Wahrnehmung‘, auf Wolframs Dichtungen, vor allem auf den Parzival (neun Beiträge), und außerdem auf das ein Jahr vor dem Kolloquium von Porto erschienene Buch Joachim Bumkes, Die Blutstropfen im Schnee. Wahrnehmung und Erkenntnis im ‚Parzival‘ (Tübingen 2001). Letzteres war bei der Ausschreibung des Kolloquiums wohl mehr eine Empfehlung als eine Vorgabe – immerhin setzen sich fünf Beiträge auf die eine oder andere Weise mit Bumkes Arbeit auseinander. Die Vorteile dieser quasi trigonometrischen Definition des Untersuchungsfeldes liegen auf der Hand. ‚Brandrodungs‘-Effekte werden vermieden. Das sorgsame Ausschneiden des Diskussionsgegenstandes sorgt vielmehr gleichsam für wissenschaftliche Nachhaltigkeit; das gilt insbesondere für den einleitenden, programmatischen Beitrag von Ingrid Kasten, der von einer philosophischen Totale (Unmittelbarkeit und Konstruiertheit im Phänomen ‚Wahrnehmung‘) auf die ästhetische Frage der Inszenierung von Wahrnehmung ‚zoomt‘, wobei der so eingeengte Rahmen noch Platz genug bietet für die Erforschung von Einzelaspekten (also für allfällige Nachfolgekolloquien) und für vergleichende Studien.

Sandra Linden praktiziert in Zeiten einer fortschreitenden Destabilisierung wissenschaftlicher Fächergrenzen eine Form kulturwissenschaftlicher Altgermanistik, die mit der Aufnahme ganz unterschiedlicher kommunikationstheoretischer und sozialpsychologischer Modelle fachfernes hermeneutisches Instrumentarium für die Textarbeit heranzieht, um die kommunikative Vielschichtigkeit des Frauendienstes und seine textuelle Heterogenität aus kommunikationstheoretischer Perspektive zu analysieren (S. 37). Sie formuliert dabei dezidiert, daß es ihr darum zu tun sei, „systematisch und präzise überhistorische Konstanten“ (S. 25) der Kommunikation herauszuarbeiten. Diesem ahistorischen Vorgehen entsprechen mitunter anachronistische sozialpsychologische Formulierungen (vgl. etwa S. 102), die dem literarischen Entwurf des historischen Textes nicht ausreichend gerecht werden können. Den möglichen Vorwurf der Beliebigkeit und des Eklektizismus ihres Vorgehens nimmt Linden vorweg und setzt dagegen, daß einzig eine „Pluralität der Sichtweisen“ (S. 32) der Komplexität des Frauendienstes gerecht werden kann.

Das heutige Bild der germanistischen Mediävistik wird wohl weit eher von Buchtiteln wie Körperbilder im Mittelalter , Autorschaft und Geschlechterrolle , Poetik des Rituals , Kunst und Erinnerung , Literarische Kommunikation und soziale Interaktion , Text und Kultur , Natur und Kultur geprägt als von der Literaturgeschichtsschreibung. Eine Zeitlang schien diese im vorigen Jahrhundert sogar gänzlich obsolet geworden zu sein, bis Karl Bertau 1973 ihr wieder neues Leben einhauchte. Sogar ihre frühere Einschätzung als „Königsweg der Philologie“ wagte man wieder zu zitieren. Neue literarhistorische Reihen wurden begründet, als deren wichtigste zweifellos die Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit , herausgegeben von Joachim Heinzle, gelten kann (erster Band erschienen 1984). Aber Furore machen gleichwohl eher neue theoretische Ansätze, wie sie in den zitierten und vergleichbaren Buchtiteln zum Ausdruck kommen, stellen sie doch offenbar die aktuellen Fragen an die alten Texte, während diese in den Literaturgeschichten nur archiviert erscheinen, wenn sie nicht einer radikalen Neuordnung oder Umwertung aus soziologischer, strukturalistischer, dekonstruktivistischer etc. Sicht unterworfen werden. Das Ergebnis halten denn auch viele für antiquiert, wozu das meist fortgeschrittene Alter der Literaturgeschichtsschreiber ja gut paßt.

Fritz Peter Knapp hat mit seinem zweiteiligen Spätmittelalterband ein magistrales Werk vorgelegt, das für die regionale wie überregionale Literaturgeschichtsschreibung von herausragender Bedeutung ist. Es kann mit der nunmehr möglichen Fixierung auf Länder noch deutlicher als der erste Band, der aus pragmatischen Gründen nach Bistümern gegliedert war, die Leistungsfähigkeit einer von Nationalideologie freien regionalen Literaturgeschichtsschreibung unter Beweis stellen; und es ist eine substantielle Ergänzung der neueren überregionalen Darstellungen deutschsprachiger Literatur im Mittelalter, für die inzwischen genauere Überblicke bis zum Ende des 14. Jahrhunderts vorliegen. Vermag doch der regionale Teilausschnitt in größerem Umfange auch die nach wie vor führende lateinische Literatur wie ungedruckte Quellen einzubeziehen, was den übergreifenden Werken aus Gründen der quantitativen wie qualitativen Leistungsfähigkeit ihrer Autoren verwehrt bleiben muß. Allerdings setzt dieses Surplus der regionalen Beschränkung eine philologische Kompetenz in der mittellateinischen und in der spätmittelalterlichen deutschsprachigen Literatur voraus, über die neben Knapp nur wenige verfügen dürften. Ich kann zwar in der Unterfütterung der notgedrungen grobmaschigeren Gesamtdarstellungen durch erheblich dichter gewebte regionale Literaturgeschichten keinen „Paradigmenwechsel“ in der historiographischen Arbeit erkennen, da beide Darstellungsmuster aufeinander angewiesen sind, aber die Befürchtung einer „Provinzposse“ halte ich angesichts der beiden vorliegenden Bände schlicht für gegenstandslos.

Eine „nicht-normative Gattungspoetik des Schwankromans“ (S. 11) ist das Ziel der hier anzuzeigenden Druckfassung einer Duisburger Dissertation von 2002, und dieses versucht sie in fünf Schritten zu erreichen. Das erste Kapitel („Probleme und Perspektiven der Forschung“, S. 13–46) beginnt bei einigen Problemen der Ulenspiegel -Interpretation und schließt hieran systematische Bemerkungen zum ‚Schwank‘ auf der Grundlage des – ich meine: offensichtlich gescheiterten – Handbuchartikels von G. Bebermeyer sowie eine Kommentierung neuerer Arbeiten zum Schwankroman an. Es folgt ein Versuch, diesen Gattungsbegriff gegen M. Curschmanns Kritik auch unter Aspekten seiner terminologischen Brauchbarkeit zu verteidigen. Curschmann hatte es wegen inhaltlicher, formaler und handlungsstruktureller Unterschiedlichkeiten für „schlechterdings unmöglich“ gehalten, die Textgruppe von Strickers Amis bis zum Claus Narr „auf einen spezifisch narratologischen gemeinsamen Nenner zu bringen“. Melters zieht sich demgegenüber auf einen „modifizierten Gattungsbegriff[]“ zurück, für welchen das „zum Teil sehr heterogene Erzählgut zumindest ebenso bezeichnend – wenn nicht sogar noch zentraler – ist als [!] die romanhafte oder strukturelle, erzählerische Einheit stiftende Komponente […]“ (S. 46). Dieser Ansatz hält sich freilich in eben jenem kategorialen Rahmen, in welchem auch bisher schon die Aporien gattungssystematischer Bemühungen um komisch-schwankhaftes Erzählen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit unüberwindbar geblieben waren.

Obgleich Johann Fischarts umfangreichem Œuvre in der deutschen Literatur des 16. Jahrhunderts zweifellos eine herausragende Rolle zukommt, sind seine Texte bis heute in der Forschung in vielfacher Hinsicht noch unerschlossen. An dieser Stelle sei nur auf die elementaren Defizite im Bereich der Editorik und Materialerschließung verwiesen: Es fehlen gut kommentierte Ausgaben, welche Lektüren und Forschungen wesentlich erleichtern und befördern könnten. Ein besonderes Desiderat stellt ein Kommentar zur Geschichtklitterung dar, welcher hohen Forschungsaufwand und viel Grundlagenarbeit erfordern würde und daher wohl nicht zuletzt aus arbeitsökonomischen Gründen bislang unterblieben ist. So sind die älteren Arbeiten insbesondere Hauffens zur Quellen- und Entstehungsgeschichte der Texte trotz ihrer inadäquaten ästhetischen und moralischen Bewertungsmuster bis in die jüngste Zeit hinein noch immer grundlegend.

Daß sich „mit der Entstehung der Ästhetik als einer selbständigen philosophischen Disziplin“ im 18. Jahrhundert „ein ästhetischer Diskurs etabliert, der auch die Sinnlichkeit der Kunst zum Gegenstand hat“ (S. 1), ist ohne Frage ein Gemeinplatz. Nach Lothar van Laak hat dieser Diskurs seine Konturen vor allem in der Weimarer Autonomieästhetik, und zwar am Gegenstand der bildenden Kunst, gewonnen. In Abgrenzung dazu möchte er nun nicht nach der bildenden Kunst, sondern nach dem spezifisch ‚Sinnlichen‘ von Literatur fragen, wie es sich unter den Bedingungen von Schriftlichkeit ausgebildet hat. Unter Sinnlichkeit versteht Lothar van Laak zunächst sinnliche Merkmale des literalen Textes sowie seine unmittelbare Wirkung auf die Sinne des Rezipienten. In dieser Hinsicht war Literatur freilich immer schon sinnlich. Das spezifisch Sinnliche an der modernen Literatur entfalte sich jedoch erst unter den Bedingungen von Schriftlichkeit, das heißt konkret im Akt des Lesens. Dieser erlaube, nach Belieben die verschiedenen Sinnmöglichkeiten zu aktualisieren, die das an sich vieldeutige Werk anbiete. Unter Sinnlichkeit versteht Lothar van Laak also auch eine ästhetische Erkenntnisform, die sich im 18. Jahrhundert ausgebildet habe (S. 10).

Um es vorweg zu nehmen: Die vorliegende umfang- und materialreiche Studie von Ana Maria Martins Pinhão Ramalheira (Universität Aveiro) stellt insofern einen Glücksfall für eine ‚auslandsgermanistische‘ Qualifikationsschrift dar, als sich die Verfasserin nicht durch eine modische Globalisierung der literaturwissenschaftlichen Diskurse von der minutiösen Abhandlung eines Themas abhalten ließ, welches nicht zuletzt von einem spezifisch portugiesischen Blick auf die deutsche Literatur getragen wird. Daß diese Studie in portugiesischer Sprache erschien, folgt wohl auch dem Wunsch, sich aus portugiesisch-germanistischer Sicht in die akademischen Diskussionen in Portugal einzuschreiben; die Rezeption in Deutschland wird dieser Umstand ebenso behindern wie die Ausrichtung auf ein eher portugiesisches akademisches Publikum. Die Ausführungen zu ‚Türkengefahr‘, Reformation und Konfessionalismus als Rezeptionshintergrund in Deutschland sind eher auf portugiesische Leser berechnet, wobei das Bemühen der Verfasserin hervorzuheben ist, durch seriöse Zusammenfassungen des jeweiligen Forschungsstandes, den auch die sehr breite Forschungsbibliographie repräsentiert, über mitteleuropäische Verhältnisse zu informieren.

In five chapters Brancaforte maps out new territory concerning the German Baroque polymath, Adam Olearius, and his travels to Persia and concomitant publications. Olearius, a leading intellectual figure at the court of Gottorf, was the first to provide an accurate, eye-witness account of the geography and ethnography of Persia to seventeenth-century Europe, and Brancaforte reads Olearius's texts and images in fresh, new ways. His careful readings provide innovative models for studying Olearius and his oeuvre, demonstrating a particularly fruitful employment of Anglo-American interdisciplinarity when analyzing the images and words of these publications.

Zu besprechen ist eine umfangreiche Studie zu den Komödien des Andreas Gryphius, und zwar, wie die in drei Sprachen gebotene Zusammenfassung erläutert, „unter dem Gesichtspunkt des ‚Grotesken‘“, das „als bildhaft-paradoxe Unterart des Komischen, als Komik des Ungestalten und Nicht-Darstellbaren aufgefasst“ werde (S. V). Die Titelrede von den „Komödien“ weckt eine Erwartung, die allerdings nicht eingelöst wird: daß nämlich Gryphius' komische Gesamtproduktion einmal einer systematischen Untersuchung unterzogen würde und nicht nur die drei stets aufs neue verhandelten Lustspiele Absurda Comica. Oder Herr Peter Squentz , Horribilicribrifax Teutsch und Verlibtes Gespenste/Die gelibte Dornrose . Dieses Forschungsdesiderat besteht auch weiterhin, denn gleich zu Beginn erfährt man, daß im Horizont des Grotesken nur die „comédies facétieuses“ von Interesse seien (S. 15), eben jene drei gewissermaßen ‚kanonischen‘ Dramen, wobei hinsichtlich des letzten, der aktweise ineinandergeschlungenen Doppelkomödie Verlibtes Gespenste/Die gelibte Dornrose , noch feiner unterschieden wird. Im eigentlichen Sinne als „comédie facétieuse“ sei nur Die gelibte Dornrose zu bezeichnen, während das Verlibte Gespenste – wiewohl damit „indissolublement liée“ – zu den „comédies romanesques“ rechne (ebd.). Eine Begründung für diese apodiktisch vorgenommene „division générique“ (ebd.) wird nicht gegeben, ein wenig drängt sich der Verdacht eines Zirkelschlusses auf: „facétieuses“ werden die Komödien genannt, in welchen die Kategorie des Grotesken greift, und unter dieser Perspektive werden von vornherein nur die „comédies facétieuses“ untersucht. Denn böte nicht etwa auch das „Freuden-Spiel“ Majuma Angriffsflächen für eine Lektüre im Zeichen des Grotesken?

Auch wenn Karl Morgenstern den Begriff des Bildungsromans erfunden und Hegel ihm die transzendentalphilosophische Begründung aufgesetzt hat – für die Literaturwissenschaft hat ihn erst Wilhelm Dilthey hoffähig und wirksam gemacht. Wer Bildungsromane lese, so konstatierte Wilhelm Dilthey 1906, „dem kommt aus diesen alten Blättern der Hauch der Vergangenheit entgegen“. Damit war der Bildungsroman endgültig nicht mehr als gegenwärtiger Roman zu verstehen, sondern als historisch gewordene Textsorte in die Literaturgeschichte abgeschoben. Zugleich mit dieser Historisierung erhob Dilthey den Bildungsroman zum Selbstvergewisserungsmedium und zum Reflexionsprodukt der bürgerlichen Gesellschaft. Das Leben der Bildungsromanhelden durchlaufe, so Dilthey, eine „gesetzmäßige Entwicklung“ nach einem zielgerichteten Stufenmodell: „jede dieser Stufen hat einen Eigenwert und ist zugleich Grundlage einer höheren Stufe.“

Regionale Literaturgeschichtsschreibung hat es in Deutschland nicht leicht gehabt. Ältere Untersuchungen neigten zu Regionalpatriotismus, die Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften des österreichischen Literaturwissenschaftlers Joseph Nadler in der vierten Auflage (1938–1941) sogar zu nationalsozialistischer Färbung, und der Mythos Weimar mit seiner Kanonisierung literarischer Größen trug ein übriges dazu bei, daß regionale Literatur zumeist im Schatten der germanistischen Literaturwissenschaft oder im Ruch der Belanglosigkeit stand. Erst seit zwanzig Jahren hat die Literaturforschung zu einigen Regionen ambitioniertere Studien vorgelegt, die eine „Öffnung der Literaturwissenschaft zu einer sozialgeschichtlichen, historisch-funktionalen Betrachtungsweise von Literatur“ zur Folge hatten.

In der deutschsprachigen Forschungslandschaft scheint die Zeit der großen säkularisationstheoretischen Entwürfe vorbei zu sein. Unter Philosophen und Soziologen dominieren strukturale und funktionalistische Betrachtungsweisen gesellschaftlicher Ausdifferenzierungsprozesse, die die Frage nach dem Herkommen und nach unserem Verhältnis zu diesem Herkommen sorgfältig vermeiden. Das ist wohl kein Zufall, sondern dürfte in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen der sicherste Weg sein, jedem Positionsbezug auszuweichen, denn wer weiß, ob nicht der für die Mittelvergabe zuständige Ministerialdirigent oder Stiftungsrat den Glauben hegt, die heutigen okzidentalen Werte hätten im Kern christlich oder aber antichristlich zu sein.

Es sind nun bereits über vier Jahrzehnte ins Land gegangen, seitdem im Umkreis des mittleren Strukturalismus der Tod des Autors ausgerufen wurde. In der Literaturwissenschaft hat die Dezentrierung des Autors bekanntermaßen und berechtigterweise bis heute eine große Resonanz gehabt. Die auf ein kaufendes und lesendes Publikum setzenden Verlage, die gelegentlich noch literaturwissenschaftliche Bücher ohne Druckkostenzuschüsse publizieren, haben sich davon nicht beeindrucken lassen. Wenn bei Rowohlt, Fischer oder Insel ein Buch mit literaturwissenschaftlichem Inhalt erscheint, dann muß es im Titel als Biographie ausgeflaggt sein. Zumindest das Wort „Leben“ muß neben dem Namen des Autors auftauchen, will es eine Chance beim Publikum haben.

Die anzuzeigende Studie ist eine Bielefelder historische Habilitationsschrift, die innerhalb des DFG-Schwerpunktprogrammes „Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit – Ansätze zu einer neuen ‚Geistesgeschichte‘“ entstand. Daß sie innerhalb einer literaturwissenschaftlichen Reihe dem Publikum vorgestellt wird, führt zu der Frage, ob wir hier Geschichtswissenschaft und Literaturwissenschaft in neu eröffnetem Gespräch erleben, wohl gar unter dem Stichwort ‚Geistesgeschichte‘?

Die vorliegende theaterwissenschaftliche Dissertation will die metaphorischen Ursprünge wissenschaftlicher Terminologien aufdecken und die „vergessenen Zusammenhänge zwischen Wissenschaftssprache und Theaterdiskurs“ (S. 2) erhellen. Um 1900 dringen verstärkt Theatermetaphern in die Wissenschaftssprache ein: ein Phänomen, das nicht nur mit dem terminologischen Neuerungsbedarf der jungen Disziplinen, sondern auch mit der Affinität ihrer Vertreter zur Kunst, mit der Durchsetzung geisteswissenschaftlicher Erklärungsmodelle generell und eventuell gar mit einer „umfassenden Ästhetisierung von Wirklichkeit“ (S. 252) zu erklären ist.

Max Webers Rede von der ‚Entzauberung der Welt‘ ist nach wie vor integraler Bestandteil gängiger Moderne-Konzepte. Sie rekonstruieren eine Moderne, die in ihrem Kern mit Begriffen wie Industrialisierung und Technisierung, mit Positivismus, Rationalismus und Säkularisierung gleichzusetzen ist. Wissensbereiche wie Okkultismus, Mystik und Esoterik, die um 1900 in Europa eine Hochkonjunktur erlebten und bis in die späten 1920er Jahre das kulturelle Leben mitbestimmten, wurden in solchen Konzepten – wenn überhaupt – als randständiges und regressives Phänomen einer weitgehend rationalisierten und aufgeklärten modernen Wirklichkeit beschrieben.

Die vorliegende Arbeit geht objekttheoretisch von der ‚Modernitätsthese‘ aus, daß „die Gestaltung von Emotionen in modernen lyrischen Texten keinen Platz mehr“ hat (S. 17), die sie zumindest in bezug auf Lyrik in Frage stellt und der sie eine ‚Kontinuitätsthese‘ entgegensetzt, nämlich „daß es sich bei der lyrischen Gestaltung der Emotionen um […] Kontinuitäten handelt, die nicht in den Blick innovationsorientierter Literarhistoriker kommen“ (S. 24). Als entscheidender Zeitraum wird – entsprechend der Modernitätsthese – die Jahrhundertwende (zum 20. Jahrhundert) angesetzt, für deren Lyrik folglich im Hinblick auf die Thematisierung und Gestaltung von Emotionen die Frage nach „Kontinuität oder Differenz“ (S. 421) zu stellen ist.

Helmuth Kiesels Geschichte der literarischen Moderne gehört zu einer beliebten Gattung. Mit Walter Fähnders' Geschichte von Avantgarde und Moderne (1998), mit der Literaturgeschichte der Wilhelminischen Epoche von Peter Sprengel (1998/2004), mit den von York-Gothart Mix sowie Bernhard Weyergraf herausgegebenen Bänden zu Naturalismus. Fin de siècle. Expressionismus (2000) und zur Literatur der Weimarer Republik (1995) oder mit Harro Segebergs Geschichte der Literatur im Medienzeitalter (2003) liegt eine ansehnliche Anzahl an entsprechenden Überblicksdarstellungen vor. Worin also besteht die Besonderheit von Kiesels Geschichte der literarischen Moderne ?

Der Band versammelt mit seinen 14 Beiträgen die Vorträge eines deutschfranzösischen Kolloquiums in Paris 2002, dessen Gegenstand das im Titel des Bandes repräsentierte Spektrum nicht-wirklichkeitsabbildender Weltentwürfe war.

Die in Amherst in Massachusetts lehrende und jetzt emeritierte Germanistin Sigrid Bauschinger tritt seit Jahrzehnten mit einschlägigen Untersuchungen zu Leben und Werk der Dichterin Else Lasker-Schüler hervor. Die große Biographie, die sie nun veröffentlicht, darf als der krönende Abschluß ihrer Forschungsarbeit gelten.

Dies ist ein anregendes Buch: anders als die Motivuntersuchungen, Quellenstudien oder auch biographischen Darstellungen, die man meistens in der Literatur über Thomas Mann findet, geht es Elsaghe „um den Versuch, Thomas Manns Erzählwerk einer ideologiekritischen Relektüre zu unterziehen“ (S. 1). Wer nun befürchtet, er werde, um mehr als drei Jahrzehnte zurückversetzt, einen basisbezogen oder sozioökonomisch verkürzten Autor kennenlernen, darf beruhigt sein. Der Verfasser ist nicht am seinerzeit modischen Vulgärmarxismus interessiert, sondern an der Psychoanalyse. Ihm geht es um die geheimen, dem Dichter vielleicht selbst kaum bewußten Vorurteile, an denen er und sein gesellschaftliches Umfeld teilhatten und die er erst spät unter dem Eindruck geschichtlicher Erfahrungen – vor allem der Nazidiktatur und des Zweiten Weltkrieges – überwand.

To demythologize a work from the canon of German literature demands research in depth and a clear critical aim. Dirk Jürgens displays these in this dissertation in 2003 for Münster University. 690 notes on 70 pages underpin the main argument and prove his wide and detailed reading from Plato to postmodernist theory. He interprets Hesse's novel as a failed attempt to face up to the cultural barbarism of the Third Reich, insists on the ‘catastrophe of bourgeois subjectivism’, and that National Socialism was a product of modernism, mirrored in novels that offer an escape from reality alongside awareness of a new age. Hesse dreams of a new pedagogical province free from historical events and a classless society, but recreates the opposite. Das Glasperlenspiel thus emerges as an example of inner emigration rather than of exile literature, a reaction to Wilhelmine imperialism and Weimar democracy before Nazi dictatorship.

Elias Canetti, der als Spaniole, „deutscher Dichter“ und „Dichter im Exil“ im Schatten einer barbarischen Zeit den kulturellen Reichtum Alt-Europas zu bewahren suchte, galt der Literaturgeschichtsschreibung lange als Außenseiter und monolithischer Autor. In der Forschung der letzten Jahre konstatiert man indessen eine verstärkte Tendenz, Canettis zwischen fiction und non-fiction angesiedeltes Werk mit der Literatur- und Kulturgeschichte insbesondere der Moderne zu vermitteln und somit seinem eigenen dichterischen Anspruch – Widerstand gegen die Zeit und Zeitzeugenschaft – gerecht zu werden.

Rudolf Hirsch war der „Hauptdrahtzieher“ (S. 338) der gegen ihn gerichteten Plagiatsvorwürfe, so sagte Paul Celan im Jahre 1962. Sie gingen als die aus heutiger Sicht grotesk anmutende Goll-Affäre in die Geschichte der deutschen Nachkriegsliteratur ein. Der Beschuldigte, Cheflektor und Geschäftsführer des S.-Fischer-Verlages, schrieb zehn Jahre lang (1954–1964) Briefe an seinen Autor – neun Jahre lang erhielt er Antwort. Wie wichtig Celan für ihn war, sagt er direkt: „Meine Gedanken sind oft bei Ihnen und besonders dann, wenn ich persönliche wie man es nennt private Sorgen habe. Sie sind mir der einzige lebende Dichter, um dessentwillen sich das tägliche Spiel lohnt“ (S. 93). Er bewirkt die Verleihung des Bremer Literaturpreises an Celan, hilft in geschäftlichen Angelegenheiten, er setzt Celan als erster von Claire Golls Vorwürfen in Kenntnis; er nimmt zum Druck an, was Celan ihm schickt, und veröffentlicht rascher, als das Verlagsgeschäft es zulassen will. Er verschafft Celan Übersetzungsaufträge und bittet ihn um Rat, was russische Literatur betrifft. Nur an einer Stelle hätte er noch etwas mehr Gespür haben können: Bei einem Tagesbesuch in Paris 1961, als Celan immer mehr antisemitische Untertöne hören muß, besucht er seinen Autor nicht. Celan fühlt sich verraten (S. 158 und noch 202). Celan ist nicht einfach. Er ist verletzlich, in seinen Reaktionen nicht voraussehbar. Seinem Lektor ist er freundschaftlich verbunden, und doch ist er unduldsam.

Within the context of an ever-expanding body of scholarship on the literary phenomenon that is W. G. Sebald, J. J. Long's and Anne Whitehead's Critical Companion ranks as an excellent contribution. Consisting of an incisive introduction, a poetic tribute and thirteen further essays, the Companion is structured around four central and intersecting themes of Sebald's work: landscape and nature, travel and walking, intertextuality and intermediality, haunting, trauma and memory. One of the most pleasing aspects of the Companion is the manner in which these four areas interconnect so clearly in and across the scholarly contributions. While this arrangement of articles communicates the richness and variety of Sebald's interests, it also testifies to good editorial insight and imagination. The end result is a collection of high quality essays, each delivering a specific analysis of an aspect of Sebald's œuvre. At the same time, a dialogic framework for interpretation of and debate around the wider Sebaldian issues is established through the intuitive ordering of the contributions.