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Variation im Kernbereich: Koordinierte Subjekte und Subjekt–Verb–Kongruenz im Deutschen

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Zwischen Kern und Peripherie
Ein Kapitel aus dem Buch Zwischen Kern und Peripherie
Variation im Kernbereich: Koordinierte Subjekte und Subjekt-Verb-Kongruenz im Deutschen*Juliana Goschler 1.Einleitung Die Diskussion um verschiedene Grammatiktheorien hat in den letzten Jahrzehnten eine neue Qualität erreicht – es existieren aktuell eine Reihe sehr unterschiedlicher Theorien, die in sich weitgehend ausgearbeitet sind. Dadurch ist es möglich geworden, nicht nur über einzelne Phänomene in Einzelsprachen und deren angemessene Modellierung zu diskutie-ren, sondern die Theorien können und sollten auch allgemeiner im Hinblick auf ihre grund-sätzlichen Parameter verglichen werden. Drei klassische Unterscheidungen, die Gramma-tiktheoretiker seit vielen Jahren begleiten, sind dabei besonders wichtig für grundsätzliche Differenzen zwischen den Theorien: die Unterscheidung von Kern und Peripherie, von Oberflächen- und Tiefenstrukturen, sowie von Kompetenz und Performanz. Klassische generative und aktuelle konstruktionsgestützte Theorien divergieren vor allem darin, ob und an welcher Stelle diese Unterscheidungen sinnvoll und nötig sind.1Die Unterscheidung von Kompetenz und Performanz (die seit Chomsky (1965: 3) in der klassischen generativen Linguistik allgemein anerkannt ist) hat die Sprachwissenschaft im letzten Jahrhundert entscheidend geprägt. Durch die begriffliche Trennung wurde es mög-lich, die Sprachfähigkeit von Menschen auf eine Weise zu beschreiben, die nicht hauptsäch-lich an tatsächlichen Sprechereignissen und deren Details orientiert ist, sondern grundlegen-deres sprachliches Wissen und dessen Erwerb in den Mittelpunkt rückt. Problematisch an diesem Ansatz ist jedoch die Tatsache, dass ein großer Teil der Daten, die Linguisten als Anhaltspunkt für die Beschreibung sprachlicher Strukturen dienen könnte, delegitimiert und als „uninteressante“ Performanzphänomene abgetan werden konnten. Einige Gramma-tiktheorien haben es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, auch Performanzdaten – mit all ihren Unregelmäßigkeiten und Idiosynkrasien – zufrieden stellend zu beschreiben (vgl. hier insbesondere das Usage-Based Model in der kognitiven Grammatik (Langacker 1987) und der Konstruktionsgrammatik (Tomasello 2003, Goldberg 2006). * Ich danke Anatol Stefanowitsch für die ausführliche Diskussion der Projektidee und Verbesse-rungsvorschläge für diesen Beitrag. 1 Natürlich ist die Unterscheidung in „klassische generative“ (d. h. chomskysche) und „konstrukti-onsgestützte“ Theorien sehr grobkörnig, da sich diese Theoriefamilien auch intern teilweise sub-stanziell unterscheiden – die kognitive Grammatik (Langacker 1987) oder die kognitive Konstruk-tionsgrammatik (Goldberg 2006) haben wenig mit der Sign-Based Construction Grammar (Mi-chaelis 2012) zu tun. Ich stütze mich hier auf ein allgemeines Verständnis der Konstruktionsgram-matik (vgl. Stefanowitsch 2011a).

Variation im Kernbereich: Koordinierte Subjekte und Subjekt-Verb-Kongruenz im Deutschen*Juliana Goschler 1.Einleitung Die Diskussion um verschiedene Grammatiktheorien hat in den letzten Jahrzehnten eine neue Qualität erreicht – es existieren aktuell eine Reihe sehr unterschiedlicher Theorien, die in sich weitgehend ausgearbeitet sind. Dadurch ist es möglich geworden, nicht nur über einzelne Phänomene in Einzelsprachen und deren angemessene Modellierung zu diskutie-ren, sondern die Theorien können und sollten auch allgemeiner im Hinblick auf ihre grund-sätzlichen Parameter verglichen werden. Drei klassische Unterscheidungen, die Gramma-tiktheoretiker seit vielen Jahren begleiten, sind dabei besonders wichtig für grundsätzliche Differenzen zwischen den Theorien: die Unterscheidung von Kern und Peripherie, von Oberflächen- und Tiefenstrukturen, sowie von Kompetenz und Performanz. Klassische generative und aktuelle konstruktionsgestützte Theorien divergieren vor allem darin, ob und an welcher Stelle diese Unterscheidungen sinnvoll und nötig sind.1Die Unterscheidung von Kompetenz und Performanz (die seit Chomsky (1965: 3) in der klassischen generativen Linguistik allgemein anerkannt ist) hat die Sprachwissenschaft im letzten Jahrhundert entscheidend geprägt. Durch die begriffliche Trennung wurde es mög-lich, die Sprachfähigkeit von Menschen auf eine Weise zu beschreiben, die nicht hauptsäch-lich an tatsächlichen Sprechereignissen und deren Details orientiert ist, sondern grundlegen-deres sprachliches Wissen und dessen Erwerb in den Mittelpunkt rückt. Problematisch an diesem Ansatz ist jedoch die Tatsache, dass ein großer Teil der Daten, die Linguisten als Anhaltspunkt für die Beschreibung sprachlicher Strukturen dienen könnte, delegitimiert und als „uninteressante“ Performanzphänomene abgetan werden konnten. Einige Gramma-tiktheorien haben es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, auch Performanzdaten – mit all ihren Unregelmäßigkeiten und Idiosynkrasien – zufrieden stellend zu beschreiben (vgl. hier insbesondere das Usage-Based Model in der kognitiven Grammatik (Langacker 1987) und der Konstruktionsgrammatik (Tomasello 2003, Goldberg 2006). * Ich danke Anatol Stefanowitsch für die ausführliche Diskussion der Projektidee und Verbesse-rungsvorschläge für diesen Beitrag. 1 Natürlich ist die Unterscheidung in „klassische generative“ (d. h. chomskysche) und „konstrukti-onsgestützte“ Theorien sehr grobkörnig, da sich diese Theoriefamilien auch intern teilweise sub-stanziell unterscheiden – die kognitive Grammatik (Langacker 1987) oder die kognitive Konstruk-tionsgrammatik (Goldberg 2006) haben wenig mit der Sign-Based Construction Grammar (Mi-chaelis 2012) zu tun. Ich stütze mich hier auf ein allgemeines Verständnis der Konstruktionsgram-matik (vgl. Stefanowitsch 2011a).
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