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Scintilla de libro legum. Römisches Vulgarrecht unter den Merowingern. Die Fuldaer Epitome der Lex Romana Visigothorum, rekonstruiert, übersetzt und kommentiert von Detlef Liebs mit einem Beitrag von Gerhard Schmitz

  • Sebastian Scholz
Veröffentlicht/Copyright: 30. Juni 2023

Reviewed Publication:

Scintilla de libro legum. Römisches Vulgarrecht unter den Merowingern. Die Fuldaer Epitome der Lex Romana Visigothorum, rekonstruiert, übersetzt und kommentiert von Liebs Detlef mit einem Beitrag von Schmitz Gerhard (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen NF 82). Duncker & Humbold, Berlin 2022. 468 S., ISBN 978-3-428-18335-7, e-book: ISBN 978-3-428-58335-5


In der Hochschul- und Landesbibliothek Fulda befindet sich eine Handschrift (D 1) aus dem späten 8. Jahrhundert, welche Epitome der Lex Romana Visigothorum (Breviar) sowie die Formeln von Angers enthält. Sie stellt sicher nicht das Original der Sammlung dar, wie Gerhard Schmitz in seinem Beitrag (Kapitel II der Einleitung mit Ausnahme der beiden letzten Absätze) überzeugend darlegt. Auffällig sind die wohl auf Hörfehler zurückgehenden vielen Verschreibungen in den Rubriken sowie im Text, die zum Teil wohl schon in der Vorlage standen, und somit einen gewissen zeitlichen Abstand vom ursprünglichen Breviar nahelegen. Liebs datiert die Sammlung deshalb auf die Zeit zwischen dem späten 6. und dem späten 7. Jahrhundert. Sie richtet sich bei ihrer Auswahl nach den interpretationes zur Lex Romana Visigothorum, bezieht die Grundtexte aber doch gelegentlich mit ein. Da die interpretationes zum Teil aber nur unter Beiziehung des Grundtextes verständlich sind, ergeben sich manchmal kaum mehr nachvollziehbare Anweisungen. Diese Schwierigkeit ist auch aus anderen Breviarepitomen bekannt. In der hier vorliegenden Sammlung folgen nach dem Breviar nicht direkt die Novellen, sondern erst die Paulussentenzen und dann die Novellen. Aufgrund der zahlreichen Fehler stellte sich für den Editor die schwierige Frage, wie er einen verständlichen Text herstellen soll. Eine reine Wiedergabe der Handschrift macht wenig Sinn, da der Text oft kaum mehr zu verstehen ist. Liebs hat sich deshalb dafür entschieden, eine Rekonstruktion der ursprünglichen Vorlage zu wagen. Erklärtes Ziel ist es, einen sinnvollen, lesbaren und übersetzbaren Text herzustellen. Unproblematische Abweichungen, die sich aus Schreibgepflogenheiten des frühen Mittelalters ergeben, werden beibehalten. Da die Handschrift online einsehbar ist (https://fuldig.hs-fulda.de/viewer/image/PPN397372442/273/), können sich die Benutzer der Edition durchaus auch ein eigenes Bild von der handschriftlichen Version machen.

Die von Detlef Liebs vorgenommenen Textkorrekturen sind meiner Ansicht nach durchaus vertretbar und garantieren einen verständlichen Text. Dazu trägt auch der Kommentar bei, der die Vorlagen benennt und sie inhaltlich einordnet. In einzelnen Fällen hätten diese etwas ausführlicher ausfallen können, wie etwa bei der Novelle 33 Valentinians III. (31. Januar 451, in der Lex Romana Visigothorum Nr. XI). Aus dem auf der sehr knappen interpretatio beruhenden Text wird der eigentliche Sinn der Novelle kaum ersichtlich, was im Kommentar aber nur durch einen Literaturhinweis aufgefangen wird (S. 386).

Die vorgelegten Übersetzungen sind trotz der oft schwierigen Vorlage insgesamt sehr gelungen und gut verständlich. An wenigen Stellen möchte ich vorschlagen, noch näher am Text zu bleiben. Ich gebe Beispiele:

S. 34: I Quecumque leges sine die et consule fuerint prolate, non valebunt /„Gesetze, die ohne Tages- und Jahresangabe vorgebracht werden, werden nicht anerkannt“: Vielleicht wäre ‚Alle Gesetze, die ohne Tag und Konsulnennung veröffentlicht werden, werden keinen Bestand haben‘ präziser.

S. 36: VI … sed apertis domus suae ianuis intromissus/„[…] sondern bei offenen Türen seines Gerichtsaals (jedermann) eingelassen“: mein Vorschlag:,... sondern es soll durch die offenen Türen seines Gerichtsaals jeder eingelassen werden’.

S. 151: XXIII: Qui novas et usu vel racione incognitas relegiones inducunt … honesciores deportantur, humiliores capite puniuntur /„Wer neue und nach Ausübung und Lehre unbekannte Kulte einführt [...] wird, wenn höher gestellt, deportiert, einfache Leute mit dem Tode bestraft“: Mein Vorschlag wäre: ‚Diejenigen, die neue und nach Ausübung und Lehre unbekannte Kulte einführen ... werden, wenn sie höher gestellt sind, deportiert, wenn sie einfachere Leute sind, mit dem Tode bestraft.‘

Auf S. 40 ist in I wohl ein ‚sollen‘ verloren gegangen: „Alle, die in den Provinzen als Richter eingesetzt sind, [sollen] [...] die freie Befugnis haben, [...].“

Aber dies sind letztlich Stilfragen. Der hohe Wert von Edition und Übersetzung steht außer Frage. Das Buch schließt mit einer sehr anschaulichen Zusammenfassung. Liebs geht auf die Arbeitsweise des Epitomators ein, zeigt den Umgang mit römischem Recht und wie dieser sich verändert, wo Bestimmungen abgemildert oder verschärft wurden und inwieweit die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen eine Rolle spielten. Liebs bejaht meines Erachtens zu Recht die fortdauernde Geltung des Römischen Rechts, das auch im Karolingerreich noch eine wichtige Rolle spielte.

Published Online: 2023-06-30
Published in Print: 2023-06-27

© 2023 Sebastian Scholz, publiziert von De Gruyter

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Aufsätze
  3. I. L’irripetibilità del processo criminale nell’esperienza giuridica romana
  4. II. Il testamentum militis alla luce delle epigrafi funerarie
  5. III. The actio utilis in case of pignus nominis
  6. IV. Nascitur ex contumelia: What did contumelia in the actio iniuriarum really mean?
  7. De principis salute consulere: Zur Praxis der hochverräterischen Erforschung der Lebenserwartung des Kaisers oder des Namens seines Nachfolgers
  8. VI. Zur Legitimität gentiler Fürsten bei ihren römischen Bürgern
  9. VII. Berechtigende Verträge zugunsten Dritter im griechischen Recht?
  10. VIII. La versión griega de la constitución Imperatoriam en el manuscrito Parisinus gr. 1366
  11. Miszellen
  12. Zur Textkritik von D. 2,14,37 (Papir. 2 const.)
  13. Der praetor, der iudex und die Solidarobligationen
  14. Bekanntes und Neues zum römischen Vereinsrecht
  15. Pro Calatoria Themide
  16. Die Autobiographie Gustav Hänels in einer Handschrift der Leipziger Universitätsbibliothek – Edition und Kommentar
  17. Klaus Hallof und die Berliner Inscriptiones Graecae
  18. Literatur
  19. Gregor Albers, Perpetuatio obligationis. Leistungspflicht trotz Unmöglichkeit im klassischen Recht (= Forschungen zum römischen Recht 61)
  20. Raffaele d’Alessio, „Quasi sine tempore“. La dimensione atemporale nel diritto privato romano
  21. Laura D’Amati, Dis Manibus (Sacrum). La sepoltura nel diritto della Roma pagana
  22. Pamela Barmash, The Laws of Hammurabi. At the Confluence of Royal and Scribal Traditions
  23. René Brouwer, Law and philosophy in the late Roman republic
  24. Capital, Investment, and Innovation in the Roman World, hg. von Paul Erdkamp/ Koenraad Verboven/Arjan Zuiderhoek
  25. Massimo Brutti, Iulius Paulus. Decretorum libri tres. Imperialium sententiarum in cognitionibus prolatarum libri sex (= Scriptores Iuris Romani 6)
  26. Philipp Deeg, Der Kaiser und die Katastrophe. Untersuchungen zum politischen Umgang mit Umweltkatastrophen im Prinzipat
  27. Il diritto alla sepoltura nel Mediterraneo antico
  28. Konstantinos Kapparis, Women in the Law Courts of Classical Athens
  29. Legal engagement – The reception of Roman law and tribunals by Jews and other inhabitants of the empire
  30. Scintilla de libro legum. Römisches Vulgarrecht unter den Merowingern. Die Fuldaer Epitome der Lex Romana Visigothorum, rekonstruiert, übersetzt und kommentiert von Detlef Liebs mit einem Beitrag von Gerhard Schmitz
  31. Die Staatsverträge des Altertums. Vierter Band: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von ca. 200
  32. The Oxford Handbook of Latin Palaeography
  33. Leonardo Costantini, Apuleius Madaurensis, Metamorphoses, Book III: Text, Introduction, Translation, and Commentary
  34. Sven Gunkel, §§ 1149, 1229 BGB als Ausgangspunkt [sic] für ein allgemeines Rechtsprinzip des Verfallverbots – Eine rechtshistorische, dogmatische und ökonomische Analyse der lex commissoria
  35. Maria Miceli/Laura Solidoro, In tema di proprietà: Il modello romano nella tradizione giuridica
  36. Edoardo Volterra, Senatus Consulta. A cura di Pierangelo Buongiorno/ Annarosa Gallo/Salvatore Marino
  37. Eingelangte Schriften und Neuerscheinungen
  38. In memoriam
  39. Tycho Q. Mrsich (15. September 1925-22. August 2022)
  40. Chronik
  41. CEDANT: XV Collegio di Diritto Romano: Agere per formulas – Forme e dinamiche della giustizia civile in Roma antica, The Forms and Dynamics of Civil Justice in the Roman World, Collegio Ghislieri, Pavia, im Januar 2022
  42. Zum Tode von Marko Petrak († 17.1.2022)
  43. Tagungsbericht: Ausnahme und Vielfalt im römischen Recht (Münster, 7.–9. Juli 2022)
  44. Zum 43. Rechtshistorikertag in Zürich
  45. Giuristi classici di origine ebraica nella scienza giuridica tedesca del XIX e della prima metà del XX secolo, 6–7 ottobre 2022, Facoltà di Giurisprudenza, Università degli Studi di Trento
  46. XVI. Jahrestreffen der Jungen Romanisten 12.–13. Mai 2022, Macerata
  47. Quellenverzeichnis zu Band 140 erstellt von den Herausgebern
Heruntergeladen am 19.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zrgr-2023-0026/html
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