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IV. Erzählen vor Gericht: Die Basler Zeugenverhörprotokolle der Jahre 1475–1480

  • Gabriela Signori
Published/Copyright: June 28, 2023

Summary

Since the 13th century, the interrogation of witnesses has been firmly anchored in medieval finding of justice. Theory and practice are in a reciprocal relationship with society, which recurs to testimonies in order to find justice. The level of reflection in the law books is high. Particular attention is paid to the question of who must be excluded from the witness stand, whereas the question of who is suitable is of secondary interest. On the one hand, the law books identify groups of people who are to be excluded, on the other hand, they discuss time-specific forms of social solidarities and hostilities from which bias results. In legal practice, the relationship between law and society presents itself as a tense one. As in Marseille (14th century), the balance can be favoured by the procedure (catalogue of questions) in favour of society, and social solidarities can homogenise the witness depositions. But the same procedure can also individualise them in the sense of the law, as in Aragón in the 15th and 16th century. In the late medieval Rhine metropolis of Basel, on which this contribution focusses, the balance also turns out in favour of the law, though the individual testimony does not follow a fixed grid of questions.

Zusammenfassung

Seit dem 13. Jahrhundert ist das Zeugenverhör fest in Theorie und Praxis der mittelalterlichen Rechtsfindung verankert. Theorie und Praxis stehen dabei in einem wechselseitigen Austauschverhältnis mit der Gesellschaft, die auf Zeugen rekurriert, um Recht zu finden. Das Reflexionsniveau der Rechtsbücher ist hoch. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, wer vom Zeugenstand ausgeschlossen werden muss; die Frage, wer sich dafür eignet, ist hingegen von untergeordnetem Interesse. Zum anderen werden zeitspezifische Formen des gesellschaftlichen Mit- und Gegeneinanders diskutiert, aus denen Befangenheit resultiert. In der Rechtspraxis präsentiert sich der Bezug zwischen Recht und Gesellschaft als spannungsreich. Das Kräftemessen kann, durch das Verfahren begünstigt (Fragenkatalog), zugunsten der Gesellschaft ausfallen und gesellschaftliche Solidaritäten die Aussagen homogenisieren (wie in Marseille, 14. Jahrhundert), es kann dasselbe Verfahren aber auch die Zeugenaussage im Sinne des Beweisrechts individualisieren (wie in Aragon, 15. und 16. Jahrhundert). Auch in der spätmittelalterlichen Rheinmetropole Basel, die hier im Blickpunkt der Aufmerksamkeit steht, fällt das Kräftemessen zugunsten des Rechts aus; die Zeugenaussage folgt hier aber keinem Fragenkatalog.

Inhalt: I. Einleitung. – II. Forschungsstand, S. 178. – III. Die Basler Kundschaftsbücher, S. 180, 1. Die Quelle, 2. Gumbrechts ‚Alltagserzählung‘, 3. Das Formular, 4. Der Eid, 5. Unus testis nullus testis?, 6. Mägde, Knechte, Verwandte und andere ‚Abhängigkeitsverhältnisse‘, 7. Und Frauen?, 8. Das gesprochene Wort, 9. Geld und Schrift. – IV. Fazit, S. 206

Published Online: 2023-06-28
Published in Print: 2023-06-27

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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  6. IV. Erzählen vor Gericht: Die Basler Zeugenverhörprotokolle der Jahre 1475–1480
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