Jan-Hendrik Herbst, Die politische Dimension des Religionsunterrichts. Religionspädagogische Reflexionen, interdisziplinäre Impulse und praktische Perspektiven. Paderborn: Brill/Schöningh 2022, 641 S., € 118.00
Reviewed Publications:
Herbst Jan-Hendrik Die politische Dimension des Religionsunterrichts. Religionspädagogische Reflexionen, interdisziplinäre Impulse und praktische Perspektiven Paderborn Brill/Schöningh 2022 € 118.00 1 641
Gärtner Claudia Herbst Jan-Hendrik Kritisch-emanzipatorische Religionspädagogik. Diskurse zwischen Theologie, Pädagogik und Politischer Bildung Wiesbaden Springer 2019 € 79.99 1 649
Die Frage der politischen Relevanz des schulischen Religionsunterrichts stellt seit rund fünfzehn Jahren ein deutliches Schwerpunktthema religionspädagogischer Theoriereflexion, Didaktik und in jüngerer Zeit aktueller Praxisentwürfe sowie empirischer Sondierungen dar – und dies erfreulicherweise sowohl auf Seiten der evangelischen wie der katholischen Religionspädagogik. Man geht nicht fehl in der Annahme, dass sich hier die konstruktive Ökumenizität der Disziplin in besonders intensiver Weise zeigt. In diese Entwicklung zeichnet sich zum einen die hier zu besprechende Studie von Jan-Hendrik Herbst ein, zum anderen der nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich vorauslaufende, von Claudia Gärtner und ebenfalls Jan-Hendrik Herbst herausgegebene Band zur kritisch-emanzipatorischen Religionspädagogik. Die im Rahmen dieser Besprechung vorgenommene doppelte Auswahl des „Besonderen Buches“ legt sich nahe, weil beide Bände nicht nur berufsbiographisch, sondern vor allem thematisch eng miteinander verbunden sind. In ihrem Miteinander stellen sie zwei bedeutsame Beiträge zum „state of the art“ der gegenwärtigen Fachdebatte dar und führen diese zugleich in profilierter Weise weiter.
Zeichnen sich hier womöglich spezifische Weiterführungen dessen ab, was Bernhard Grümme in seiner Dissertation aus dem Jahr 2009 als „Perspektiven für eine politische Dimension des Religionsunterrichts“ benannt hat – nun aber vielleicht viel eindeutiger, wenn jetzt in den Titeln von der politischen Dimension des Faches gesprochen wird und die Religionspädagogik kritisch-emanzipatorisch signiert wird? Aber laufen womöglich beide Bände in die Problematik hinein, dass der Religionsunterricht durch eine allzu eindeutige politische Positionierung bzw. eine Form instrumentalisierender Politisierung religiöser Bildung die Theorieentwürfe und Unterrichtskonzepte insbesondere der 1970er und 1980er Jahre gleichsam unter der Hand überwältigend revitalisieren könnte?
Um mit der von Jan-Hendrik Herbst (im Folgenden: Vf.) vorgelegten Dissertation zu beginnen, die an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum im Jahr 2022 angenommen worden ist: Der programmatische Anspruch wird bereits in der Ouvertüre deutlich, wenn der Vf. im Blick auf den „political turn“ (9) der Disziplin und einen inzwischen fast selbstverständlich politisch sensibel ausgerichteten Religionsunterricht sein Anliegen „noch stärker inhaltlich zu profilieren“ (XIV) gedenkt und „für eine kritisch-konstruktive Aufarbeitung politischer Ansätze“ (XI) plädiert.
In sechs Teilen wird in disziplintheoretischer, didaktischer, historischer, interdisziplinärer, exemplarischer und resümierender Hinsicht entfaltet, was hinsichtlich der Zielsetzung und Relevanz des Religionsunterrichts zur Debatte steht. Der Argumentationsgang der Studie ist nicht nur klar strukturiert, sondern treibt sozusagen das Lesen durch die im Lauf der Entfaltungen sukzessive vertieften Erwägungen mit einem unübersehbaren Impetus und mit der dem Autor eigenen Verve voran. Spricht man im belletristischen Zusammenhang von einen „page turner“, so kommt der Vf. mit seiner akademischem Qualifikationsschrift diesem Ideal durchaus nahe.
Teil A stellt als inhaltlicher Auftakt grundlegende Vorüberlegungen an (5–77), die das Ausgangsproblem, Desiderate und offene Fragestellungen benennen. Notiert wird, dass die vorgelegte Arbeit „Adornos Denken verpflichtet“ (3) sei. Damit wird von Beginn an nicht nur die Selbstpositionierung des Autors transparent, sondern sogleich ein wesentliches, später entfaltetes didaktisches Grundprinzip quasi implizit vom Autor selbst eingeführt – und dies mit der wiederum an Adorno geschulten dialektisch gewonnenen Einsicht, „dass Prozesse der Emanzipation ein rückläufiges Moment besitzen, das den eigenen Emanzipationsanspruch nicht nur unterläuft, sondern ins Gegenteil verkehrt“. (16)
So lautet die zentrale Fragestellung der Arbeit: „Welche konzeptionellen Leitlinien und Vorstellungen (1), didaktischen Gründe (2) und konkreten Praxisorientierungen (3) lassen sich für einen politischen Religionsunterricht auf der Höhe der Zeit anführen, wenn sowohl die Probleme, Defizite und Aporien als auch die Potenziale und Perspektiven der politisch orientierten Konzeptionen der religionspädagogischen Reformdekade um 1968 im Spiegel der gegenwärtigen Debatte um eine neue politische Religionspädagogik angemessen beachtet werden?“ (17)
Dass sich der Vf. forschungspragmatisch auf den konfessionellen bzw. katholischen Religionsunterricht „im deutschsprachigen Raum“ (20) – faktisch aber auf den deutschen Raum! – konzentriert, macht angesichts der international bzw. kontextuell sehr unterschiedlichen Gemengelage viel Sinn. Zugleich kommt damit von Beginn an mindestens indirekt auch die Frage nach der (zukünftigen) Plausibilisierung und Leistungskraft des konfessionellen Religionsunterrichts mit ins Spiel.
Nach Überlegungen zum Gegenstand und Forschungsstand, zum Verständnis von „Dimension“ (in Unterscheidung von „Konzeption“ oder „Ansatz“, vgl. 26–30) sowie einer kundig gestalteten Auflistung zentraler thematischer Publikationen erfolgt die wissenschaftstheoretische Grundlegung. Dabei wird der „theologische Glutkern kritisch-emanzipatorischer Religionspädagogik“ in deutlicher Aufnahme Kritischer Theorie (und mit M. Theunissen, deren „Theologieförmigkeit“, 44) sowie „im Rahmen einer „ideologiekritischen Methodik und Erkenntnisperspektive“ (mit J. Heger, 43) entfaltet. Von diesem Ausgangspunkt aus kommen die wesentlichen und den weiteren Argumentationsgang bestimmenden Spannungsfelder von „partikularer Kritik und universaler Vernunft“ (49 ff.), „Determinismus und Praxisoptimismus“ (51–54) sowie „Autonomie und Fremdbestimmung“ (54 f.) in den Blick.
Dies bereitet im Sinn eines methodologischen Pluralismus die Berücksichtigung hermeneutischer, handlungstheoretischer, historischer und empirischer Perspektiven vor, was deutlich macht, dass sich der Vf. einer problematischen politisch gefärbten Einseitigkeit seines Ansatzes nicht nur bewusst ist, sondern diese auch auf differenzierende Weise zu vermeiden sucht. Dies ist durch den Band hindurch mitzulesen, selbst wenn der Vf. recht bestimmt zwischenbilanziert: „Ein politischer Religionsunterricht [ist] auf der Basis der hier profilierten Religionspädagogik herrschaftskritisch, theopolitisch und messianisch“ (71). Entlang dieser drei Begriffe bündelt der Vf. seine wissenschaftstheoretischen Prämissen und spitzt diese zugleich religionsdidaktisch zu. Damit ist tatsächlich das weite Bezugsfeld eröffnet und, eben in Orientierung an Adorno, ein durchaus klangmächtiger Auftakt gemacht.
In Teil B sortiert der Vf. unter der Überschrift „Bruchlinien der Gegenwart: Kontroverse Diskussionspunkte in der aktuellen Debatte um eine politische Dimension des Religionsunterrichts“ (77–210) idealtypische Positionen zur politischen Dimension des Religionsunterrichts und benennt drei zentrale religionsdidaktische Herausforderungen für einen solchen politischen Religionsunterricht. Da diese von besonderer Tragweite für die gesamte Studie (sowohl in Inhalt wie in Struktur) sind, sollen diese hier in ihrem Fragecharakter benannt werden: „Inwiefern reproduziert der Religionsunterricht gesellschaftspolitische Herrschaftsverhältnisse?“, „Inwiefern kann das Politische eine durchgängige Grundperspektive religiöser Bildung darstellen?“ und „Inwiefern sollte Religionsunterricht politisch positioniert und wirksam sein?“ (vgl. einführend dazu 129). Der religionspädagogische Aufgabenkatalog liegt folglich in dieser Trias aus (gesellschafts-)politisch wachsamer Selbstreflexion, einer inhaltlich profilierten Theorie religiöser Bildung sowie einer politisch relevanten und sachgemäßen Erkennbarkeit des Schulfaches inmitten der gegenwärtigen Verhältnisse – sowohl am Ort der Schule wie weit darüber hinaus!
Der Vf. setzt sich in historischer Absicht in Teil C unter dem Stichwort „Bezugspunkte der Gegenwart“ mit den politischen Ansätzen der religionspädagogischen Reformdekade seit „1968“ (als Chiffre für eine „Reformdekade“) auseinander (215–297) und diskutiert hier insbesondere die entsprechenden religionspädagogischen bzw. politisch-religionspädagogischen Reformansätze (seit) dieser Zeit. Hier greift er konsequenterweise auf Einsichten zurück, die im Zusammenhang des erwähnten Sammelbandes, von dem noch ausführlicher die Rede sein wird, erarbeitet wurden. Diskutiert werden in einem höchst aufschlussreichen Übergangsteil zum einen die Potenziale dieser historischen Impulse. Zum anderen werden deren Defizite hinsichtlich des seinerzeitigen „Auswahlproblem[s] von Gesellschaftstheorien, die Gefahr eines gesellschaftstheoretischen Objektivismus sowie die unausgewiesene Normativität“ (293) identifiziert. Dies macht der Vf. konsistent für die weitere Bearbeitung der oben genannten drei zentralen Fragestellungen fruchtbar, die in einem wiederum weiterführenden Abschnitt (239–297) unter Kennzeichnung wesentlicher Spannungsfelder vorbereitet wird.
An diese Annäherungen an die drei genannten Grundfragen schließen sich in Teil D unter der Überschrift „Fluchtlinien in die Zukunft: Rekonstruktion und Fortschreibung von Impulsen aus exemplarischen Debatten verwandter Disziplinen“ (303–396) weiter vertiefte Überlegungen an. Zur ersten Frage der möglichen Reproduktion gesellschaftspolitischer Herrschaftsverhältnisse erfolgt im Horizont eines „integralen Konzepts politischer Religionsdidaktik“ der Rekurs auf sozialtheoretisch und empirisch fundierte herrschaftskritische Analysen und dies mit Hilfe der sekundärliterarischen Rezeption postkolonialer Theoriekonzepte, Bourdieus Ungleichheitssoziologie oder auch Foucaults Gouvernementalitätstheorie (310 ff.).
Im Blick auf die Frage des Politischen als einer möglichen durchgängigen Grundperspektive religiöser Bildung argumentiert der Vf. von seiner Überzeugung der „Familienverwandtschaft von theologischer Perspektive und Kritischer Theorie“ (329) aus für einen situationsspezifischen Vorrang und spielt dies anhand eines von ihm so benannten multidimensionalen Verflechtungsmodells durch. Dafür führt der Vf. die – etwas schillernde Figur einer „partiell hierarchischen Ordnungsstruktur“ ein (295). Diese sei dann legitim, wenn sie sich „im Horizont einer kontextsensiblen Kriteriologie“ (395) begründen lasse, d. h. mit anderen Worten, „wenn bestimmte sachliche, kommunikative, wertebezogene, gesellschaftliche und soziale Gründe“ (343) genau für eine solche Akzentuierung namhaft gemacht werden können (eine entsprechende Liste stärkerer und schwächerer Kriterien findet sich 344–348).
Hinsichtlich der inhaltlichen Profilierung und Wirksamkeit des Faches ist aus seiner Sicht grundsätzlich jegliche Dominanzbehauptung des politischen Religionsunterrichts zu vermeiden. Das ist angesichts der bisherigen thematischen Debatten eine keineswegs neue Einsicht. Aber vom Vf. wird dies in der Hinsicht weitergeführt, dass ethisch-politische, existenziell-philosophische, kulturhermeneutisch-ästhetische und spirituell-liturgische Aspekte allesamt Berücksichtigung finden sollen. Denn zu beachten sei, dass „religiöse Inhaltsfelder – aufgrund der politischen Implikationen und Verstrickungen von Religion – immer auch politische Aspekte besitzen“ (333). In Hinsicht auf diese dritte Frage der politischen Positionierung und „Wirksamkeitshoffnung“ des Faches müsse der eigene Anspruch zugleich adäquat begrenzt werden. Alle unterrichtliche Rede von notwendigen Veränderungsperspektiven dürfe nicht einfach ungebrochen erfolgen, auch um „personale Überwältigung im Religionsunterricht“ (296) zu vermeiden. Konsequent plädiert der Vf. für eine Didaktik der Unterbrechung sowie eine „politische Positionalität ohne personale Überwältigung“ (349). Dafür werden geradezu plastisch verschiedene didaktische „Überwältigungsblocker“ (390–393) benannt. Die theologische und demokratietheoretische fundierte „Bestimmung und Begründung von materialer Positionalität“ (395) bzw. einer „positionierten Kontroversität“ (396) wird betont, um den Gegensatz einerseits zu problematischen Anmaßungen einer „direktiven Positionalität“ und andererseits zu einer „pluralen Kontroversität der differenziert-dialektischen Position“ (396), die „zur mangelnden Normativität ihrer eigenen Positionalität“ (379) neige, herauszustellen.
„Konkretisierungen für die Unterrichtspraxis“ im Sinn praktischer Perspektiven für einen politischen Religionsunterricht (401–502) werden in Teil E präsentiert. Hier spielt der Vf. sein „integrales Konzept politische Religionsdidaktik“ durch, indem er die religionsdidaktisch relevanten Kategorien der Bedingungen, Implikationen, Lernzielen, Lerninhalten, Lernformen sowie der politischen Rolle der Lehrkräfte zum Ausgangspunkt exemplarischer Fallanalysen macht. Die insgesamt sieben Analysen werden – jeweils mit einem Fokus auf eine der genannten Kategorien – für den Religionsunterricht angestellt. Sie umfassen etwa den Umgang mit populistischen und menschenfeindlichen Äußerungen von Schülerinnen und Schülern, die Planung, ein mögliches Fridays-for-Future-Engagement, die Durchführung und Reflexion eines politischen Schulgottesdienstes oder auch interessante religionsdidaktische Überlegungen zur Thematisierung von Paulus und der Christologie als „politikaffiner theologischer Themen“ (vgl. 474–481; 487–500). Durch diese im Einzelnen höchst anschaulichen Fallanalysen werden die bis dahin grundgelegten theoretischen Überlegungen anhand der drei durchlaufenden Grundfragen überzeugend mit den Herausforderungen eines solchen politischen Religionsunterrichts verknüpft. Exemplarisch für die Essenz dieser allesamt lesenswerten Teilstücke kann gelten, was der Vf. am Beispiel der Auseinandersetzung mit Paulus als mögliche Kontrasterfahrung herausstellt: Diese durchkreuze „gängige Annahmen und Vorstellungen von Individualisierung und Ich-Zentrierung, Erfolgsorientierung, sozialen Hierarchien und jugendlichem Personenkult“ (478). Zugleich weist er bei diesen Konkretisierungen immer wieder auf die notwendige selbstkritische Perspektive der Lehrkräfte sowie die adäquate Analyse der sozialen Lerngruppen-Struktur hin, damit nicht durch deren faktisch gegebene privilegierte Stellung subkutan hegemonial bedingte Ausschlussprozesse etwa von Schülerinnen und Schülern mit sehr viel schlechteren Lebensbedingungen stattfinden (vgl. etwa 473). Teil F schliesst wiederum in musikanalogem Sinn mit einem „Ausklang“, in dem der Vf. sowohl sein Resümee und einen Rückblick vornimmt, wie auch Desiderate und Grenzen benennt (507–522).
Die Studie nimmt in zeitgemäßer, oder wohl besser formuliert, in zeitgerechter Hinsicht die gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatten und die damit verbundenen Exklusions- und Ungerechtigkeitserfahrungen von Kindern und Jugendlichen auf kundige und engagierte Weise auf und kommt von dort aus zu einer differenzierten und in vielerlei Hinsicht plausiblen Aufgabenbestimmung für den Religionsunterricht. Dabei gelingt es dem Vf., durch zahlreiche Warnsignale gegenüber einem eindimensionalen Verständnis politischer Dimensionierung, die Fallstricke etwa einer allzu selbstverständlichen Fundamentalismusprophylaxe oder einer mit paternalistischen Stereotypen arbeitenden Fachdidaktik nicht nur zu identifizieren, sondern dieser auch eine klar konturierte, abwägende und zugleich profilierte Neugestalt zu geben. Tatsächlich kann nicht deutlich genug betont und dafür sensibilisiert werden, dass der Religionsunterricht, respektive die ihn verantwortenden Akteurinnen und Akteure, selbst grundsätzlich und immer wieder in bestimmte Herrschaftsmuster verstrickt sind. In postkolonialer Hinsicht mag man zwar dem Urteil des Vf. erst einmal zustimmen, wonach „Orientierung an Gemeinwohl und Konsens“ aus einer emanzipatorischen Perspektive als „ideologieanfällig“ erscheinen, „insofern die realen Konfliktlinien möglicherweise ausgeblendet werden“ (121). Aber stellt dies nicht eine allzu schroffe Einschätzung dieser demokratischen Grundprinzipien und der Idee von „Maß und Mitte“ (191) dar – und was wäre dazu eigentlich eine bessere diskursiv-demokratische Alternative?
Das vom Vf. charakterisierte theopolitische Selbstverständnis des Religionsunterrichts, das dadurch begründet wird, dass die christliche Tradition „einen politischen Anspruch in Form von religiös motivierter Weltgestaltung und Machtkritik“ (509) bereithalte, ist gleichwohl zumindest dazu geeignet, andere Dimensionen christlicher Tradition und auch andere didaktische Zugänge tendenziell unterbestimmt sein zu lassen. Das vom Vf. stark gemachte didaktische Muster „partieller Ordnungshierarchie“ wird zwar insofern für die Aufgaben der Lehrkräfte überzeugend durchbuchstabiert, insofern diese „situativ und themenspezifisch entscheiden müssten, wann sie die politische Dimension religiöser Bildung in den Fokus rücken“ (510). Und doch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, als ob durch diese Querschnittsperspektive dann eben doch andere Themen und Zugänge erst und überhaupt nur in diesem Licht zu leuchten beginnen – insofern mag die eigene „Affinität zur pointiert-politischen Position“ (207) manchmal allzu schnelle Eindeutigkeiten produzieren. Darum wären solche exemplarischen Fallanalysen interessant gewesen, in denen sich die vom Vf. benannte Politikaffinität vielleicht weniger aufgedrängt hätte – man denke hier an die Psalmen, das Hohelied der Liebe oder die Kreuzigungs- und Auferstehungsszenerien der Evangelien.
Zu Recht markiert der Vf. eine theologische Lehrstelle, was ein „emanzipatorisches Erkenntnisinteresse aus theologischer Perspektive“ (517) angeht. Insofern wäre es spannend, von dieser dezidiert politisch ausgerichteten Didaktik aus nochmals weiter nach der Leistungskraft unterschiedlicher Theologien zu fragen – auch über die in dieser Studie präferierte politische bzw. befreiungstheologische Dimensionierung hinaus. Im Licht der anfangs erwähnten konstruktiven Ökumenizität ist zudem zu fragen, wie sich denn eigentlich theologisch durchaus unterschiedliche Traditionen und auch Institutionen- und Partizipationsverständnisse im Blick auf eine solche politische Dimensionierung niederschlagen.
Dass sich die Frage des inhaltlich und didaktisch verantworteten Umgangs mit der Spannung von Positionalität und Offenheit nicht leicht lösen lässt, wird durch die in nuce vorgenommenen Ausführungen klar herausgestellt. Ob dabei allerdings die Signatur des politischen Religionsunterrichts als „messianisch“ nicht doch insbesondere von bildungspolitisch-säkularen Stakeholdern mindestens als erhebliche Irritation, wenn nicht sogar als Beleg für das ohnehin schon vorurteilsbeladene Urteil über bestimmte Exklusivitätsansprüche des konfessionellen Religionsunterrichts verstanden werden könnte, muss mindestens gefragt werden. Und wie Lehrkräfte gerade vor dem Hintergrund der aufgezeigten Fallanalysen mit diesem Komplexitäts- und Positionierungsanspruch faktisch umgehen (sollen und auch können), bedarf weiterer intensiver Forschung. Dass leider die massiv digital befeuerten Politisierungs-, Indoktrinierungs- und Fundamentalisierungsdynamiken kein Gegenstand der näheren Reflexion dieser Studie sind, mag man vielleicht eben jener hohen Dynamik der letzten Jahre ankreiden. Gleichwohl hätten die mit dieser machtvollen Medialität verbundenen absehbaren thematischen und didaktischen Herausforderungen mindestens angesprochen werden können. Beispielsweise hätten von dort aus die benannten didaktischen „Überwältigungsblocker“ wie Reflexivität, Transparenz oder Räume der „kritischen Reflexion“ (393) für eine hermeneutisch transformative Problemorientierung und Performanz digitaler Kommunikations- und Lernprozesse deutlich konkreter bestimmt werden können.
Etwas verwundert ist man, nicht zuletzt angesichts der öffentlich geführten Debatten, über das Verhältnis von Politik und Kirche bzw. Staat und Religion sowie des damit einhergehenden Reputationsverlustes der Großinstitutionen, dass das Faktum problematischer politischer Haltungen der Kirchen und die Infragestellung deren öffentlicher Relevanz doch in dieser Studie eher wenig Aufmerksamkeit finden. Es sind eben nicht nur die Verstrickungen in bestimmte gesellschaftsbezogene Herrschafts- und Machtmechanismen, die die Wahrnehmung von Kirche im öffentlichen und im schulischen Kontext mitbestimmen. Sondern zugleich kann davon ausgegangen werden, dass ein bestimmter kirchlich-politischer Konservatismus nicht einfach nur als Vorurteil besteht, sondern dieser tatsächlich ein höchst einflussreiches Selbstverständnis jedenfalls eines Teils von Kirche zum Vorschein bringt – die vielfachen positiven Referenzen des Vf. auf Aussagen von Papst Franziskus oder dann auch auf R. M. Woelki (vgl. etwa 356 ff.) erschließen vermutlich nicht das ganze Bild. Insofern wäre es interessant gewesen, wenn unter dem Stichwort der „Wirkmächtigkeit systemischer Übergriffe“ (134, 408 u. ö.) und in den exemplarischen Fallstudien die Auseinandersetzung mit der eigenen Referenzinstitution und deren institutionell eingehegten Macht- und Herrschaftslogiken deutlicher und vielleicht auch mutiger in den Fokus gerückt worden wäre.
Dass recht erwartbar Leerstellen hinsichtlich der Ausbildung von Lehrkräften oder das Desiderat empirischer Arbeiten markiert werden, ist so konsequent wie erwartbar. Eindrücklich ist aber, dass und wie der Vf. – bei allen kritischen Einwänden – die Grenzen dessen markiert, was als politischer Religionsunterricht inmitten postkonfessioneller Dynamiken in Erscheinung treten kann. Seiner eigenen kritischen Grundhaltung wird er damit sozusagen auf überzeugende selbstkritische Weise gerecht. Insofern könnte man dem Vf. schließlich in konstruktivem Sinne widersprechen, wenn er als eine prinzipielle didaktiklogische Grenze benennt, dass sich Bildung im emphatischen Sinn nicht planen oder machen lässt, „sondern auf einer existenziellen Entscheidung für Freiheit, die jede Person selbst treffen muss“ (521), beruht. Gerade im Gesamtblick auf die hier vorgelegte höchst anregende und weiterführende Studie mag man diese Grenzmarkierung auch gegenteilig lesen: als eine wesentliche Ermutigung und Ermöglichung für einen politischen Religionsunterricht „in aller Freiheit“ im hier überzeugend entfalteten Sinn.
Wie schon oben angedeutet, versteht sich auch der von Claudia Gärtner und Jan-Hendrik Herbst (im Folgenden: Hg.) herausgegebene Sammelband als eine Weiterentwicklung der jüngeren Fachdebatten zur Thematik. Ein Großteil der hier versammelten Beiträge entstammt einer interdisziplinär ausgerichteten Tagung an der Katholischen Akademie Schwerte im Jahr 2019, die Teilnehmenden aus Religionspädagogik, Politikdidaktik, Pädagogik und Theologie zusammenführte. In wiederum sechs Teilen (aber dies wird wohl Zufall sein) finden sich 29 Beiträge (teilweise auch in Gestalt von „Responses“) zur Historischen Selbstvergewisserung (I, 21–124), Religionspädagogische Reflexionen (II, 125–232), Politisch-theologische Reflexionen (III, 233–330), Kritisch-pädagogische Reflexionen (IV, 331–419), Exemplarische Praxisfelder (V, 421–609) sowie ein Abschluss und Ausblick (VI, 611–649). Die fünf materialen Teile beginnen jeweils mit einer instruktiven Hinführung der Herausgebenden. Im VI. Teil werden in zwei gemeinsam verantworteten Schlussbeiträgen der Hg. ein Rückblick und eine Zusammenfassung der Beiträge angestellt (613–623), offene Fragen notiert und ein programmatischer Ausblick vorgenommen (633–649).
Angesichts der interdisziplinären Fülle und aufgrund der inhaltlichen Substanz der allermeisten Beiträge ist es schlechterdings nicht möglich, diesen Perspektivenreichtum in toto abzubilden. Daher macht es mehr Sinn zu betrachten, inwiefern das Anliegen der Hg., nämlich die Begriffe von „Kritik“ und „Emanzipation“ bei gleichzeitigem Rekurs auf die politischen und religionspädagogischen Debatten in der Folge von „1968“ für ein „kritisch-emanzipatorisches Bildungsverständnis“ (7) erneut fruchtbar zu machen, durch die hier versammelten Beiträge aufgenommen und konstruktiv eingelöst wird.
Für die Intention des Bandes und zugleich als inhaltliche Grundorientierung konstatieren die Hg. unter der Frage eines „Zurück in die Zukunft?“: „Insofern der kritische Vergangenheitsbezug auf zukünftige Befreiungsprozesse [kursiv, Hg.] zielt und damit über bloße Nostalgie hinausreicht, lässt er sich auch als emanzipatorisch begreifen“ (12). Im Sinn einer „Wiederaneignung“ (kursiv, Hg.) gehe es folglich darum, die Vergangenheit zu befragen, „um die Gegenwart zukunftsorientiert gestalten zu können“ (15). Die Absicht der Hg. liegt folglich im aktuell zu konstatierenden Interesse der politischen Bildung an den beiden konzeptionellen Zentralbegriffen von „Kritik“ und „Emanzipation“, wie es sich insbesondere in der sogenannten „Frankfurter Erklärung für eine kritisch-emanzipatorische politische Bildung“ (2015) manifestiert, für die eigene Fachdisziplin aufzunehmen, theoretisch von den eigenen fachspezifischen Voraussetzungen her zu durchdenken und zu konkretisieren (vgl. 15).
Im I. Teil „Historische Selbstvergewisserung“ sind über die konstruktiven programmatischen Beiträge von Bernhard Grümme und Thorsten Knauth hinaus insbesondere zwei dokumentierte Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der Reformdekade um 1968 lesenswert: Für die evangelische Seite werden Jürgen Heumann, Margot Rickers, Fulbert Steffensky und Siegfried Vierzig interviewt, für die katholische Seite Hubertus Assig, Otto Betz, Kuno Füssel, Hubertus Halbfas, Norbert Mette und Hermann Steinkamp. Diese „Blicke in den Rückspiegel“ sind insofern eindrücklich, als die Gesprächspartner und -partnerinnen sich nicht nur zu den Vorträgen von Grümme und Knauth verhalten, sondern zugleich die eigenen Erinnerungen an ihr damaliges Engagement mit scharfen und klaren Wahrnehmungen der gegenwärtigen Herausforderungen verbinden. Besonders prägnant formuliert etwa Steffensky im Rückblick auf den Anspruch der Politischen Nachtgebete und zugleich gegenwartsanalytisch im Blick auf die aktuelle Kritik an den Linken: „Faulpelze geraten nicht in die Gefahr des Größenwahns“ (87). Auch mit Kritik an der Kirche wird in diesem Zusammenhang nicht gespart, wenn etwa Heumann bemerkt: „Problemorientierung und Ideologiekritik selbst Instrumentalisierung vorzuwerfen, ist kirchlicher Polemik geschuldet und zeigt mangelnde Sensibilität gegenüber einer pädagogisch begründeten religiösen Bildung.“ (92) In lebendiger Weise erinnert Füssel zurück „an einen mutigen RU, der sich auf die messianischen Ursprünge des Christentums zurück besann und ein klares antimilitaristisches und antifaschistisches Profil“ (116) entwickelt habe.
In den religionspädagogischen Reflexionen des Teils II nehmen Andrea Lehner-Hartmann, Norbert Mette und Judith Könemann in programmatischer Hinsicht die Begriffe von Emanzipation und Kritik auf. Ganz zu Recht verweist Lehner-Hartmann darauf, dass sich Emanzipationsbestrebungen „nicht gegen Traditionen per se [richten], sondern gegen den ihnen eingeschriebenen Ungerechtigkeiten oder Herrschaftspraktiken. Und dann sind sie es wert, verändert zu werden.“ (155, Fn 37) Mette benennt als „Hausaufgaben“ für die Religionspädagogik die „jeweils zu aktualisierende Kontextualisierung“, die notwendige theologische Fundierung in Orientierung an den Begriffen „Befreiung“ und „Freiheit“ sowie ein „Exposure“ im Sinn des „sich aussetzen“ – und zwar „vorrangig dort, wo Menschen nah und/oder fern benachteiligt, unterdrückt und exkludiert werden und wo sie sich im gemeinsamen Engagement dagegen zu Wehr setzen“ (179). Könemann weist mit Recht auf den engen Zusammenhang und die Gemeinsamkeit von Mündigkeits- und Emanzipationsbegriff als „Entwicklungs- und Prozessbegriff“ (208) hin. Sie erinnert dabei – wie andere Autoren und Autorinnen in diesem Band – an Paulo Freires Zielsetzung der „Bewusstseinsbildung“ und seiner Absicht, mit Menschen an existenziellen Themen zu arbeiten, „dabei hegemoniale Verstrickungen aufzudecken sowie Empowermentprozesse zu initiieren“ (212). In ihrer Response auf Könemanns Beitrag nimmt Viera Pirker die Emanzipationsfrage für die Beleuchtung der aktuellen Machtfrage der katholischen Kirche auf und legt angesichts der Missbrauchsfälle fragend den Finger in die Wunde: „Spricht Religionspädagogik nur für das Recht auf religiöse Bildung, oder sorgt sie sich auch um das Recht auf gewaltfreie religiöse Bildung?“ (228)
Die in Teil III versammelten politisch-theologischen Reflexionen greifen über das Feld der Religionspädagogik hinaus, indem aus systematisch-theologischer Perspektive neuere Entwicklungen und Kontroversen der sogenannten Politischen Theologie verhandelt werden. Hier stellen der Rekurs auf J. B. Metz’ Vision der Zukunft „aus dem Gedächtnis des Leidens“ und die biblisch begründete Rede von „Compassion“ mit entrechteten und ausgeschlossenen Menschen wesentliche rote Fäden dar. Dies gewinnt Gestalt erstens in einem theologischen Kommentar zur bereits erwähnten Frankfurter Erklärung durch Ulrich Engel, in dem dieser von Foucaults’ Pastoralmachtanalyse und dem Rekurs auf Metz aus auf die gemeinsame Vision von Kritik und Emanzipation in Politischer Bildung und Politischer Theologie hinweist (271). Ansgar Kreutzer entfaltet in seinem Beitrag das Emanzipationspotenzial von Dorothee Sölles politisch-mystischer Theologie und der Metzschüler Jürgen Kroth hält differenztheoretisch fest, dass politische Theologie „nicht dadurch politisch [ist], weil es ihr um Politik, sondern um Gott geht“ (302). Schön bringt es in seiner Response Andreas Hellgermann auf den Punkt, wenn er davon spricht, dass „Emanzipation und Transzendenz korrespondierende Begriffe sein können“ (324).
Der interdisziplinäre Charakter des Bandes zeigt sich noch einmal von anderer Seite her im IV. Teil und den dort angestellten bildungstheoretischen Reflexionen. In der Perspektive der Kritischen Erziehungswissenschaft verorten sich die Beiträge von Carsten Bünger (als schön strukturierte religionspädagogische Response Lucas Ricken) und Bettina Lösch (als Response Dominik Gautier mit wichtigen Ausführungen zur religionspädagogischen Rassismuskritik). U. a. in der Rezeption Heinz-Joachim Heydorns und Rolf Schmiederers rücken die Autoren und Autorinnen die „mit dem Bildungsbegriff aufgeworfene Frage nach den Möglichkeitsräumen zur Überschreitung von überkommenen Zuschreibungs- und Zugehörigkeitslogiken in den Vordergrund“ (349) und stellen zugleich die Frage nach den Herrschafts- und Machtverhältnissen sehr viel offensiver als dies etwa im Beutelsbacher Konsens zu konstatieren sei (vgl. 393).
Die in Teil V in zehn Beiträgen versammelten exemplarischen Praxisfelder sind allesamt des näheren Studiums wert, weil sie anschaulich kritisch-emanzipatorisch ausgerichtete Beispiele für die schulische und außerschulische (und auch die zwischen beidem verzahnte!) Praxis darstellen. Der Auftrag der Hg. an die Autoren und Autorinnen lautete, „ihre eigene religionspädagogische Praxis im Horizont von Theorien kritischer Pädagogik zu erörtern“ und sich dabei dezidiert auf die „Frankfurter Erklärung“ zu beziehen (so Claudia Gärtner in ihrer Hinführung auf diese Beiträge, 425). Dies führt zu aufschlussreichen Theorie-Praxis-Erschließungen etwa im Kontext kirchlicher Begabtenförderung (Clara Debour), der religionspädagogischen Ausbildung angehender Seelsorgender (Klaus-Gerd Eich), für ästhetisch-politische Lernprozesse (Claudia Gärtner) die Bildung der Christlichen Arbeiterjugend (Christoph Holbein-Muske) oder die Freiwilligenarbeit (Judith Wüllhorst). In allen Beispielen wird deutlich, wieviel Potenzial theologisch grundierter Hoffnung auch für Bildungskontexte über den schulischen Religionsunterricht hinaus freigesetzt werden kann, und damit „Religion nicht aus der politischen Bildung auszublenden“ (Andrea Keller und Robert Kläsner, 571) ist.
Die im ersten Teil dieser Besprechung vorgestellte Dissertation von Jan-Hendrik Herbst könnte nun in vielerlei Hinsicht nochmals darauf hin beleuchtet werden, wo sie ausdrücklich auf die Überlegungen und Referenzen dieses Sammelbandes kreativ eingegangen und diese für den eigenen Argumentationsgang aufgenommen, fruchtbar gemacht und weiterentwickelt hat. Die im Schlussteil des Sammelbandes benannten offenen Fragen sowie der programmatische Ausblick zielen deutlich auf die Ausarbeitung zur Dissertation in der weiterreichenden Perspektive einer „kritischen Theorie religiöser Bildung“ (so die Hg. mit B. Lösch, 623).
Erkennbar ist somit der enge inhaltliche und systematische Zusammenhang beider Bände, wenn nicht „aus einem Guss“, so doch in einem klar erkennbaren gemeinsamen Duktus mit vielen Bezugs- und Anknüpfungspunkten. So sei empfohlen, für das weitere Nachdenken über eine politische Religionspädagogik und einen politisch dimensionierten Religionsunterricht im besten Falle beide Studien zu Rate zu ziehen. Dies nicht zuletzt aus dem Grund, weil und wie hier bei allem internen Pluralismus der Zugänge durchgängig Subjektorientierung einerseits und die wachsame Wahrnehmung gesellschaftsstruktureller Systemschwächen andererseits programmatisch zusammengedacht sind. Dem liegt ein Verständnis von „Kritik“ und „Emanzipation“ als „Problembegriffe“ (Gärtner und Herbst, 627), mit dem dezidiert macht- und ideologiekritischen Ziel eines „öffnenden Krisendenkens“ (ebd., 642) zugrunde. Zugleich wird klar auf der „Eigen-Logik religiöser Bildung“ (ebd., 623) insistiert. Tatsächlich sollte von einer „Parteilichkeit“ der Religionspädagogik nicht ohne vorauslaufende kriteriologische Reflexion gesprochen werden (vgl. 643 ff.). Ob eine theologische Fundierung „besonders durch eine Rezeption der Politischen Theologie und ihrer Aktualisierungsversuche“ gelingen kann (623), wird allerdings weiter zu prüfen sein.
Bilanzierend ist zu sagen: Die in beiden Bänden vorgenommene sorgfältige und differenzierte Ausarbeitung und die darin erkennbare engagierte, kontroversitätsoffene und ermutigende Stoßrichtung rechtfertigt nicht nur die gemeinsame Besprechung als „ein“ besonderes Buch, sondern auch die Empfehlung einer intensiven, weil ertragreichen Doppellektüre. Dies gilt umso mehr, da beim „Zurück in die Zukunft“ die kritische Grundfrage von Folkert Rickers nach wie vor valide ist: Ob und wann Religionspädagogik dazu „beigetragen hat, die jeweils bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren, oder ob sie den Jugendlichen behilflich war, unbegründete Herrschaft zu durchschauen, sich ihr zu entziehen und sich auf den Weg einer demokratischen, selbstbestimmten Existenz zu machen“ (so als Zitat im Beitrag von Ricken, ebd., 380). Schon allein diese brennende Frage ist es wert, sie in die Aktualität gegenwärtiger demokratischer Verhältnisse, einer sich darin positionierenden Religionspädagogik und eines (post-!?)konfessionellen Religionsunterrichts zu transferieren. Die beiden angezeigten Bände liefern dafür bedeutsame Orientierungen.
About the author
Professur für Praktische Theologie
© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Articles in the same Issue
- Titelseiten
- Editorial
- Beiträge
- Künstliche Intelligenz (KI) und die Frage nach dem Menschen
- Theologische Positionen zu Transhumanismus und KI – ein Überblick
- Maschinenlernen und Menschenhandeln
- Bildungsbeziehungen in der Ankunftszeit des Metaversums – eine religionspädagogische Sensibilisierung
- Virtuelle Realitäten, ambivalente Narrative und fiktive Entscheidungssituationen. Konturen einer digitalen Didaktik der Multiperspektivität
- Künstliche Intelligenz und die Algorithmen des Antisemitismus
- (Un)Doing School in der Konfirmandenarbeit
- Das besondere Buch
- Jan-Hendrik Herbst, Die politische Dimension des Religionsunterrichts. Religionspädagogische Reflexionen, interdisziplinäre Impulse und praktische Perspektiven. Paderborn: Brill/Schöningh 2022, 641 S., € 118.00
- Rezensionen
- Johannes Lähnemann (in Zusammenarbeit mit Manfred L. Pirner und Werner Haußmann): Interreligiöse Verständigung und Bildung 1980–2020. Eine Bilanz im Spiegel der Nürnberger Foren zur Kulturbegegnung (Pädagogische Beiträge zur Kulturbegegnung 34). EB-Verlag Dr. Brandt. Berlin 2021, 252 S., € 24,80.
- Ulrich Riegel und Mirjam Zimmermann: Studium und Religionsunterricht. Eine bundesweite empirische Untersuchung unter Studierenden der Theologie (Religionspädagogik innovativ 47), Stuttgart: Kohlhammer 2022, 170 S., € 39.00
- Konstantin Lindner/Mirjam Zimmermann (Hg.): Handbuch ethische Bildung. Religionspädagogische Fokussierungen, Tübingen: Mohr Siebeck 2021, VIII, 388 S., 29,90 €
Articles in the same Issue
- Titelseiten
- Editorial
- Beiträge
- Künstliche Intelligenz (KI) und die Frage nach dem Menschen
- Theologische Positionen zu Transhumanismus und KI – ein Überblick
- Maschinenlernen und Menschenhandeln
- Bildungsbeziehungen in der Ankunftszeit des Metaversums – eine religionspädagogische Sensibilisierung
- Virtuelle Realitäten, ambivalente Narrative und fiktive Entscheidungssituationen. Konturen einer digitalen Didaktik der Multiperspektivität
- Künstliche Intelligenz und die Algorithmen des Antisemitismus
- (Un)Doing School in der Konfirmandenarbeit
- Das besondere Buch
- Jan-Hendrik Herbst, Die politische Dimension des Religionsunterrichts. Religionspädagogische Reflexionen, interdisziplinäre Impulse und praktische Perspektiven. Paderborn: Brill/Schöningh 2022, 641 S., € 118.00
- Rezensionen
- Johannes Lähnemann (in Zusammenarbeit mit Manfred L. Pirner und Werner Haußmann): Interreligiöse Verständigung und Bildung 1980–2020. Eine Bilanz im Spiegel der Nürnberger Foren zur Kulturbegegnung (Pädagogische Beiträge zur Kulturbegegnung 34). EB-Verlag Dr. Brandt. Berlin 2021, 252 S., € 24,80.
- Ulrich Riegel und Mirjam Zimmermann: Studium und Religionsunterricht. Eine bundesweite empirische Untersuchung unter Studierenden der Theologie (Religionspädagogik innovativ 47), Stuttgart: Kohlhammer 2022, 170 S., € 39.00
- Konstantin Lindner/Mirjam Zimmermann (Hg.): Handbuch ethische Bildung. Religionspädagogische Fokussierungen, Tübingen: Mohr Siebeck 2021, VIII, 388 S., 29,90 €