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Ende zweier Ungleichheiten? Die Aufstiegschancen von Ostdeutschen und die Notwendigkeit zur Unterscheidung von Eliten- und Führungspositionen

  • Lars Vogel

    Lars Vogel, geb. 1981 in Reichenbach. Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie in Jena und Budapest. Promotion 2006. 2006–2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter SFB 580 und Universität Jena. Seit 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter Leiter des Arbeitsbereichs Empirische Methoden und Politische Soziologe, Institut für Politikwissenschaft, Universität Leipzig.

    Forschungsschwerpunkte: Eliten; Repräsentation; Politische Kultur; Europa.

    Wichtigste Publikationen: Ferne Eliten. Die Unterrepräsentation von Ostdeutschen und Menschen mit Migrationshintergrund. Springer 2024 (Hrsg. mit R. Kollmorgen & S. Zajak); The Contested Status of Political Elites. At the Crossroads. London: Routledge 2018 (Hrsg. mit R. Gebauer & A. Salheiser); Ostdeutschland: Identität, Lebenswelt oder politische Erfindung? Wiesbaden: Springer 2024 (Hrsg. mit A. Lorenz & R. Pates).

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Published/Copyright: April 29, 2025
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Zusammenfassung

Der Beitrag vergleicht die Aufstiegschancen von Ostdeutschen in Führungs- und Elitenpositionen. Ausgangspunkt sind die geringeren Aufstiegschancen Ostdeutscher in Führungspositionen, die sich aber in jüngeren Geburtskohorten an die der Westdeutschen angleichen. Theoretisch-konzeptionelle Überlegungen zum Unterschied von Führungs- und Elitenpositionen sowie empirische Ergebnisse auf Basis des SOEP und des Forschungsprojekts Elitenmonitor zeigen, dass dieser Befund nicht auf die Aufstiegschancen in die deutschen Eliten übertragbar ist. Zudem können die angeglichenen Aufstiegschancen in jüngeren Geburtskohorten neben einem Kohorteneffekt auch durch einen Lebenszykluseffekt erzeugt werden, weil mit fortschreitender Karrieredauer die Hierarchieebene der eingenommenen Positionen steigt. Die persistierende Unterrepräsentation der Ostdeutschen in Elitenpositionen ist daher nicht allein auf den Personaltransfer ab 1990 zurückzuführen und wird nicht durch Generationswechsel automatisch vergehen, sondern erfordert gesellschaftspolitische Gegenmaßnahmen.

Abstract

This article compares the promotion prospects of East Germans in leadership and elite positions. It starts from the observation that East Germans have lower chances of reaching leadership positions, although these have converged with those of West Germans in younger birth cohorts. Theoretical considerations on the distinction between leadership and elite positions, along with empirical findings based on SOEP data and the Elitenmonitor research project, show that this trend does not extend to elite positions in Germany. Moreover, the aligned promotion prospects in younger cohorts may result not from a cohort effect but rather from a life-cycle effect, because the hierarchy level of the positions held increases as the career progresses. The persistent underrepresentation of East Germans in elite positions is therefore not solely due to personnel transfers after 1990 and will not disappear automatically through generational change, but requires sociopolitical countermeasures.

1 Einleitung

In seinem im Februar 2024 in dieser Zeitschrift erschienenen Aufsatz zeigt Jörg Hartmann mit Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP), dass Ostdeutsche zwischen 1990 und 2020 stets geringere Chancen hatten, in Führungspositionen aufzusteigen. Er bettet diesen Befund in die Elitenforschung ein, indem er diese geringeren Aufstiegschancen der Ostdeutschen zur Ursache für ihre andernorts (u. a. Kollmorgen 2015; Schönherr et al. 2022; Vogel 2024) konstatierte personelle Unterrepräsentation in Elitenpositionen erklärt (J. Hartmann 2024: 1 f). In jüngeren Geburtskohorten hingegen gleichen sich die Aufstiegschancen ost- und westdeutscher Männer (und Frauen) an – auch wenn das nicht für den Aufstieg in höhere Führungspositionen gilt (ebd. 14). Er interpretiert diesen Befund als Kohorteneffekt mit der Implikation, dass die geringeren Aufstiegschancen der Ostdeutschen als zeitlich kontingente Folge des Personalimports aus Westdeutschland im Zuge der Wiedervereinigung angesehen werden (ebd. 1 & 15). Entsprechend würde mit deren gegenwärtig stattfindenden Ausscheiden aus dem Berufsleben und dem Nachrücken jüngerer Geburtskohorten gleichfalls die personelle Unterrepräsentation der Ostdeutschen in den Eliten enden (ebd. 15). Im Zeitverlauf ohne Kohortendifferenzierung ist jedoch momentan noch kein Trend zur Angleichung zu erkennen (ebd. 9).

Wir sehen in diesen Befunden einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um die zwischen Ost- und Westdeutschen ungleich verteilten Aufstiegschancen, weil er deren Ausmaß auf der breiten Datenbasis des SOEPs zeigt und Hypothesen zu deren Ursachen erstmals longitudinal und multivariat prüft. Gleichzeitig weisen wir jedoch die Generalisierung der Befunde auf die Eliten zurück. Auch wenn Hartmann an einigen Stellen seines Beitrags zurückhaltende Schlüsse von seinen Befunden auf die Ursachen und die Entwicklung der personellen Unterrepräsentation Ostdeutscher in den Eliten zieht, so wird aber durch die Rahmung in der Einleitung des Beitrags (ebd. 1) und die Betonung des Elitentransfers (z. B. ebd. 14 f) die Forschung zu den Aufstiegschancen der Ostdeutschen in Führungspositionen mit der Diskussion um ihre Unterrepräsentation in den Eliten gleichgesetzt, obwohl bedeutende Unterschiede zwischen beiden zwar verwandten, aber doch unterschiedlichen Analyseperspektiven bestehen. Damit kann der Eindruck entstehen, dass das Ende der personellen Unterrepräsentation der Ostdeutschen in den Eliten durch Generationswechsel unmittelbar bevorsteht.

Wir hingegen vergleichen in diesem Beitrag Führungs- und Elitenpositionen, um zu zeigen, dass relevante Unterschiede zwischen beiden Arten von Positionen bestehen. Damit ist die externe Validität von Hartmanns Befunden einschränkt und eine eigenständige Analyse der Aufstiegschancen der Ostdeutschen in die Eliten notwendig. Wir zeigen die eingeschränkte Generalisierbarkeit auf Basis von drei empirisch unterlegten Argumenten: erstens lassen aktuelle Daten der empirischen Elitenforschung keine Anhaltspunkte für einen massiven Abbau personeller Unterrepräsentation der Ostdeutschen in den Eliten erkennen. Zweitens sind Führungspositionen nach Tätigkeitsprofil, Status und gesellschaftlicher Bedeutung nicht das Gleiche wie Elitenpositionen, womit auch unterschiedliche Rekrutierungsmechanismen und -prozesse zu erwarten sind. Drittens erlauben die Daten von Hartmann aufgrund der Zusammensetzung des SOEP keine Aussagen über Elitenpositionen.

Schließlich diskutieren wir, viertens, auch die interne Validität der Befunde Hartmanns selbst, die zudem Hinweise auf ihre eingeschränkte Generalisierbarkeit liefern, insbesondere, wenn sie durch aktuelle empirische Befunde zu den Karrieremerkmalen von Eliten kontextualisiert werden. Es ist nämlich fraglich, ob die Befunde Hartmanns eine eindeutige Interpretation als Kohorteneffekt (und damit die Rückführung auf den Eliten- und Personaltransfer ab 1990) erlauben, oder ob nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen werden muss, dass sie Ausdruck des Lebenszykluseffekts von Karrieren sind, in denen einfache Führungspositionen frühzeitig, höhere Führungspositionen und insbesondere Elitenpositionen erst in fortgeschrittenem Alter übernommen werden. Trifft diese Interpretation zu, bedeuten ähnliche Aufstiegschancen in jüngeren Kohorten nicht, dass ein Abbau der Unterrepräsentation der Ostdeutschen in den Eliten durch Generationenwechsel unmittelbar bevorsteht. Vielmehr kann die Unterrepräsentation in den Eliten trotz angeglichener Aufstiegschancen in Führungspositionen persistieren.

Diese wissenschaftliche Diskussion besitzt eine politische Implikation: Wird auf Basis ähnlicher Aufstiegschancen in jüngeren Geburtskohorten der Personaltransfer ab 1990 als zeitlich kontingente Hauptursache für Unterrepräsentation betont und damit die Mechanismen nicht berücksichtigt, die einmal etablierte Ungleichheiten in der Elitenrekrutierung aufrechterhalten, steht die Notwendigkeit gesellschaftlicher und politischer Gegenmaßnahmen zu deren Abbau in Frage. Umgekehrt sind solche Gegenmaßnahmen gerechtfertigt, wenn es plausibel erscheint, dass die personelle Unterrepräsentation auch nach Generationswechsel fortbestehen wird.

2 Ähnliche Aufstiegschancen bei jüngeren Ostdeutschen, aber kein substantieller Abbau ihrer Unterrepräsentation in den Eliten

Im Zeitraum 1990 bis 2020 hatten Ostdeutsche[1] stets geringere Chancen, eine berufliche Führungsposition auszuüben als Westdeutsche (ebd. 2024, 9). Diese geringeren Chancen sind aus zwei Gründen vor allem auf die Benachteiligung älterer ostdeutscher Männer (Geburt vor 1975) zurück zu führen: Erstens sind die Chancen ostdeutscher Frauen ähnlich hoch – bzw. unter den älteren sogar höher als die westdeutscher Frauen (allerdings durchweg geringer als die der Männer in der jeweils selben Geburtskohorte) – und zweitens zeigt der Kohortenvergleich eine longitudinale Angleichung der Chancen auf Führungspositionen zwischen ost- und westdeutschen Männern. Insbesondere in der jüngsten untersuchten Kohorte, den zwischen 1985 und 1989 Geborenen, haben ost- und westdeutsche Männer gleiche Aufstiegschancen in Führungspositionen. Diese Befunde werden als Kohorteneffekt interpretiert und, unterstrichen durch die weitgehend fehlende Erklärungskraft sozialstruktureller Faktoren für die ungleichen Aufstiegschancen (ebd. 12, 14), als Indiz dafür gesehen, dass der Personaltransfer ab 1990 die Hauptursache für die geringeren Aufstiegschancen der Ostdeutschen ist. Waren Führungspositionen nach 1990 durch den Personaltransfer häufig durch Westdeutsche besetzt und damit für die älteren Ostdeutschen blockiert, so sollte sich mit deren Ausscheiden und dem Nachrücken der jüngeren Geburtskohorten auch die personelle Unterrepräsentation in Elitenpositionen abbauen. Es wird allerdings einschränkend eingeräumt, dass die Aufstiegschancen für höhere Führungspositionen in Ostdeutschland weiterhin auch für jüngere Ostdeutsche geringer sind (ebd. 14 f).

Hartmann bezieht seine Befunde explizit auf die Elitenforschung in Deutschland, die in den letzten Jahren auf die Vermessung der personellen Unterrepräsentation von sozialen Gruppen wie den Ostdeutschen aber auch Frauen oder Migrantinnen und Migranten fokussiert (Kollmorgen et al. 2024).[2] Unter Eliten werden Personen und Personengruppen verstanden, die gesamtgesellschaftliche Entscheidungen substantiell und regelmäßig beeinflussen und treffen, gleichviel worauf ihre Chance und ihre Ressourcen dazu beruhen (Dreitzel 1962; G. Lowell Field & John Higley 1980). Zur Identifikation der Eliten dominiert der Positionselitenansatz, dem zu Folge die Einflusschancen von Eliten vor allem auf ihrer Ausübung von Führungsfunktionen in zentralen Institutionen und Organisationen und damit letztendlich deren Status und Ressourcen beruhen (Hoffmann-Lange 2018).[3] Für die Positionseliten wird seit den 1990er Jahren eine personelle Unterrepräsentation der Ostdeutschen konstatiert (Welzel 1997). Die jüngsten Ergebnisse dazu beruhen auf der Elitendatenbank des Forschungsprojekts Elitenmonitor, die in Anlehnung an die Mannheimer und Potsdamer Elitenstudien (Bürklin & Rebenstorf 1997; Hoffmann-Lange 1992) eine annähernde Vollerhebung der Positionseliten in Deutschland in bisher zwei Erhebungswellen darstellt (Tab. 1).[4]

Tab. 1:

Ostdeutsche in den Positionseliten 2018/9 und 2022/3 (N und %)

1. Erhebungswelle 2018/9

2. Erhebungswelle 2022/3

1. & 2. Erhebungswelle nach Geburtskohorten

Sektor

N

Ostdt.

N

Ostdt.

bis 1959

1960–1969

ab 1970

Politik

609

19.9

598

20.7

19.5

16.3

25.2

Medien

305

7.9

326

7.9

10.5

5.0

9.1

Kultur

90

9.8

105

8.0

15.4

5.7

5.3*

Zivilgesellschaft

166

14.1

179

13.7

11.8

3.2

22.7*

Religion

64

5.5

64

7.3

9.7

6.7

-**

Wirtschaft***

424

5.1

392

4.5

7.1

3 

8.9

Verwaltung

533

9.9

576

14.1

4.1

12

21.3

Wissenschaft

162

1.6

162

8.3

3.9

7.8

9.5*

Gewerkschaften****

44

14.3

45

13.3

10.0

13.3

12.5*

Justiz

187

1.4

175

2.1

1.2

2.8

7.7*

Militär

78

0.0

70

0.0

0.0

0.0

-**

Sicherheit

101

13.3

96

10.5

12.5

16.1

12.5*

Gesamt

2763

10.9

2788

12.1

838

1213

780

Quelle: Elitenmonitor

* N in dieser Gruppe < 30; ** keine Positionseliten in dieser Geburtskohorte bekannt; *** Unternehmen, Berufs- und Arbeitgeberverbände; **** und weitere Arbeitnehmerverbände

Auf dieser Basis zeigt sich, dass der Anteil an gebürtigen Ostdeutschen in den Positionseliten zu beiden Erhebungszeitpunkten unter ihrem geschätzten Bevölkerungsanteil von 19.4 Prozent liegt (Tab. 1).[5] Zu beiden Zeitpunkten gab es erhebliche Unterschiede zwischen den untersuchten gesellschaftlichen Sektoren. So sind die Ostdeutschen allein im politischen Bereich nicht unterrepräsentiert – allerdings nur, wenn, wie hier geschehen, auch politische Eliten auf Landesebene einbezogen werden. In allen übrigen Bereichen sind sie seltener, zum Teil deutlich seltener vertreten. In Spitzenpositionen der öffentlichen Verwaltung, bei Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenvertretungen, in zivilgesellschaftlichen Gruppen und im Bereich Sicherheit ist ihr Anteil zweistellig. In den Bereichen Wirtschaft, Justiz, Militär liegt er hingegen sogar unter fünf Prozent.

Bereits diese sektorale Differenzierung legt nahe, dass unterschiedliche Aufstiegschancen und personelle Unterrepräsentation auch das Ergebnis sektorspezifischer institutioneller Rahmenbedingungen von Karrieren in Elitenpositionen sind, die sich mindestens moderierend auf den möglichen Trend eines generellen Abbaus der Unterrepräsentation auswirken. Zentrale Rahmenbedingungen sind dabei die Exklusivität und Zentralisierung der Rekrutierungsverfahren (Hazan & Rahat 2005) sowie die Offenheit der Karrierewege (Gulbrandsen 2019). Die exklusivsten Rekrutierungsverfahren sind die Kooptation durch Einzelpersonen oder Gremien, die inklusivsten sind allgemeine Wahlen. Dezentrale Rekrutierungsverfahren sind häufiger in föderalen Strukturen zu erwarten. In Sektoren mit geschlossenen Karrieren dominieren formal definierte Laufbahnen, in Sektoren mit offenen Karrieren stehen alle Positionen – auch Elitenpositionen – den Bewerbern offen, die das Qualifikationsprofil für eine vakante Position erfüllen.

Tendenziell gilt, dass es Kandidatinnen und Kandidaten aus nicht in den Eliten etablierten Gruppen, wie die Ostdeutschen, schwieriger in Sektoren mit exklusiven Rekrutierungsgremien sowie geschlossenen und zentralisierten Karrierewegen haben. Hier wirkt sich die homophile Rekrutierungslogik nach dem Prinzip „Gleich und gleich gesellt sich gern“ zu Gunsten der etablierten Eliten aus. Zudem ist der Rekrutierungspool durch die formalen Laufbahnen überschaubarer und für Quereinsteiger schwer bzw. nicht zugänglich. Das Paradebeispiel dafür ist das Militär, in dem die nachrückenden Eliten von den bestehenden kooptiert werden und es eine festgelegte and langandauernde hierarchische Karriere gibt.

Je inklusiver die Rekrutierungsverfahren und je offener und dezentraler die Karrierewege sind, umso höher die Chancen auch für Gruppen, die bisher nicht in den Eliten etabliert sind. Das Paradebeispiel dafür ist die Politik, in der Elitepositionen unmittelbar (z. B. Parlamentsmandate) und vermittelt (z. B. Ministeramt) auf Basis des Ergebnisses allgemeiner Wahlen mit dezentraler Nominierung besetzt werden und in der formale Qualifikationserfordernisse weitgehend fehlen.

Entsprechend ist der Anteil an Ostdeutschen in der Politik am höchsten, im Militär am geringsten. Auch der in 2022/23 zweithöchste Anteil an Ostdeutschen in der öffentlichen Verwaltung passt in dieses Bild, wird die Besetzung dieser Elitenpositionen doch mittelbar durch das Ergebnis allgemeiner Wahlen bestimmt. Politik, öffentliche Verwaltung und auch Arbeitnehmerverbände sind zudem föderal strukturiert. Ebenso kann der vergleichsweise hohe Anteil von Ostdeutschen in der Zivilgesellschaft mit den offenen Karrierewegen und dem flexiblen Qualifikationsprofil der Organisationen in diesem Bereich in Verbindung gebracht werden, ebenso wie ihr geringer Anteil in Justiz, Wissenschaft und Religion mit den langjährigen Laufbahnen und den formalen Qualifikationsbedingungen in diesen Sektoren zusammenhängt. Der geringe Anteil im Bereich Wirtschaft geht vor allem auf die Unternehmen zurück, in denen Hauskarrieren dominieren (M. Hartmann 2020), während im föderal strukturierten Bereich der Wirtschaftsverbände der Anteil Ostdeutscher etwas höher ist. Nur die hohen Anteile im Bereich Sicherheit, in dem Karrieren ähnlich formalisiert wie im Militär verlaufen, passt weniger in diese Interpretation, ebenso wenig wie der niedrige Anteil Ostdeutsche im Bereich Kultur, der zumindest dem Selbstverständnis nach mit offenen Karrierewegen und inklusiven Rekrutierungsverfahren assoziiert ist.

Sind aber in den Eliten Anzeichen für einen Abbau der personellen Unterrepräsentation zu erkennen? Der Vergleich zwischen den beiden Erhebungswellen 2018/9 und 2022/3 zeigt einen geringen Anstieg von 10.9 auf 12.1 Prozent, wobei in den Sektoren Wirtschaft, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, Kultur und Sicherheit der Anteil an Ostdeutschen sogar leicht zurückgegangen ist. Zwischen beiden Erhebungswellen schieden zudem ca. 57 Prozent der Positionseliten aus ihren damaligen Elitenpositionen aus, die dann in der Regel neu besetzt wurden.[6] Der leichte Anstieg des Anteils an Ostdeutschen fand also bei einer gleichzeitig stattfindenden erheblichen Personalfluktuation statt, in der mehr als die Hälfte der Positionen neu besetzt wurde. Unter den Eliten, die seit 2018/9 und damit in jüngerer Zeit eine Elitenposition übernommen haben, sind mit 14.6 Prozent etwas häufiger Ostdeutsche zu finden (o. Abb.).[7] Diese Beobachtungen beruhen jedoch auf nur zwei Erhebungswellen und können nicht als Trend verstanden werden, kann es sich doch auch um Schwankungen im Zeitverlauf handeln.

Eine ergänzende Perspektive bietet deshalb auch für die Eliten der Kohortenvergleich: sollten Ostdeutsche im Zeitverlauf zunehmend in die Eliten aufsteigen, müssten unter den jüngeren Eliten häufiger Ostdeutsche zu finden sein. Eine nach Sektoren getrennte Geburtskohortenanalyse[8] (Tab. 1) lässt allein im Sektor Verwaltung den Trend eines zunehmenden Anteils an Ostdeutschen in der Kohortenfolge sicher erkennen. Zugleich sehen wir jedoch Schwankungen (Politik, Medien, Wirtschaft) oder der Anteil der jüngsten Geburtskohorte in den übrigen Sektoren ist so gering (n<30), dass bisher noch keine validen Trendaussagen möglich sind. Der Anstieg in den Elitenpositionen der öffentlichen Verwaltung deutet daraufhin, dass hier die sektorspezifischen Rekrutierungsverfahren und Karrieremuster, also die mittelbare Besetzung nach politischen Kriterien trotz formaler Laufbahnen, den Abbau der Unterrepräsentation erleichtert haben.

Vor diesem Hintergrund und der von Hartmann gleichfalls konstatierten Persistenz der geringeren Aufstiegschancen der Ostdeutschen insgesamt – also ohne Kohortendifferenzierung – bleibt es eine offene Frage, ob die höheren Aufstiegschancen in jüngeren Kohorten zukünftig dazu führen werden, dass sich mit der Kohortenfolge die personelle Unterrepräsentation der Ostdeutschen in den Eliten reduziert.

Eine solche Möglichkeit zur Generalisierung der Befunde von Führungs- auf Elitenpositionen wäre gegeben, wenn es keine konzeptionellen und strukturellen Unterschiede zwischen beiden Arten von Positionen gäbe und damit auch die jeweiligen Zugangschancen gleich wären. Um daher das Generalisierungspotential zu bestimmen, werden im Folgenden Führungs- auf Elitenpositionen systematisch miteinander verglichen.

3 Konzeptionell-empirischer Vergleich von Führungs- und Elitenpositionen

3.1 Tätigkeitsprofil und gesellschaftlicher Einfluss

Eine Gemeinsamkeit von Eliten- und Führungspositionen besteht zwar darin, dass jede Elitenposition auch eine Führungsposition ist. Allerdings sind im Sinne des Positionselitenansatzes (s. o.) nur die Führungspositionen der wichtigsten und einflussreichsten Institutionen und Organisationen Elitenpositionen.[9] Diese Fokussierung ergibt sich aus dem Forschungsparadigma der Elitenforschung, die auf die Erklärung gesellschaftlicher und institutioneller Stabilität oder Wandels aus einer akteurzentrierten Perspektive zielt und dabei von einer massiven Asymmetrie in den gesamtgesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten zu Gunsten der kleinen Minderheit von Eliten ausgeht. Die Analyse der Inhaberinnen und Inhaber von Elitenpositionen dient daher der Analyse gesamtgesellschaftlicher Macht und Herrschaft, während bei der Analyse von Führungspositionen deren Wirkung auf die von ihnen geführten Organisationen im Vordergrund steht.[10] Die Erforschung personeller Unterrepräsentation in den Eliten ist deshalb auch nicht allein durch die Frage nach ungleichen Aufstiegschancen motiviert. Vielmehr zielt die Analyse auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen geringer Präsenz von sozialen Gruppen wie den Ostdeutschen, z. B., ob dadurch die Interessen der unterrepräsentierten Gruppe weniger vertreten werden, ob deren möglicherweise alternative Problemwahrnehmungen und -lösungsansätze ausreichend Berücksichtigung finden oder ob begrenzte Teilhabe an gesamtgesellschaftlich relevanten Entscheidungspositionen Distanz und Protest zur gesellschaftlich-politischen Ordnung unter den Angehörigen der exkludierten Gruppen hervorruft (Vogel 2023). Die Inhaberinnen und Inhaber von Elitenpositionen erbringen daher neben organisationsinternen Aufgaben Einfluss auf gesamtgesellschaftlich relevante Entscheidungen und repräsentierten die organisationsüberreifenden Interessen und Handlungslogiken des eigenen Sektors gegenüber den anderen Teileliten (Bürklin & Rebenstorf 1997; Keller 1963). Es ist daher zu erwarten, dass für den Zugang zu Elitenpositionen in viel stärkerem Maß gesamtgesellschaftliche Macht- und Repräsentationsstrukturen relevant sind. Dies zeigt sich bereits daran, dass politische Eliten in vielen anderen Sektoren Einfluss auf die Rekrutierung in Elitenpositionen ausüben, so z. B. in der öffentlichen Verwaltung (politische Beamte), Justiz (Richterwahlausschüsse), Medien (Rundfunkräte), Militär (Besetzung von Stabstellen, z. B. Generalinspekteur durch Verteidigungsminister/-in) oder Wissenschaft (Berufungen, Hochschulräte). Zugleich impliziert der Verweis auf sektorale Differenzierung, dass jede Analyse von Eliten Positionen aus den verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren einbeziehen muss.

3.2 Rekrutierung und Karrieren

Die Rekrutierung in Führungs- und Elitenpositionen hingegen kann durch ähnliche Erklärungsmodelle beschrieben werden. Die Übernahme einer Position in einer Organisation oder Institution, sei es eine Führungs- oder Elitenposition, erfolgt als Ergebnis eines Auswahlverfahrens aus einem Pool an Kandidatinnen und Kandidaten, wie auch Hartmann mit Referenz auf das Vacany-Competition Modell ausführt (J. Hartmann 2024, 3). Diese Auswahl findet jedoch nicht einmalig beim Übergang in eine Elitenposition statt, sondern ist in eine Karriere mit sequentiellen Karriereschritten eingebettet (grundlegend: Herzog 1975). Bei jedem Karriereschritt findet eine Auswahl aus einem Pool an Kandidatinnen und Kandidaten statt und die erfolgreichen unter ihnen stellen zugleich den Rekrutierungspool für die sich anschließenden Positionen dar. Solche Karrieren können, wie z. B. in Justiz, öffentlicher Verwaltung (Bach & Veit 2018) oder Militär institutionalisiert und formalisiert sein oder sich ohne Formalisierung dennoch als typische Abfolge von Positionen zeigen, wie z. B. in der Politik die sogenannte Ochsentour mit vergleichsweise später Übernahme einer höheren politischen Führungsfunktion (Gruber 2009; Herzog 1975) oder in der Wirtschaft die Hauskarriere (M. Hartmann 2020).

Weil Führungspositionen hierarchisch aufeinander aufbauen, nimmt mit jedem Karriereschritt in der Hierarchie nach oben die Anzahl an zur Verfügung stehenden Positionen ab. Zugleich steigt die Attraktivität der Positionen, denn sie sind mit größeren Entscheidungsbefugnissen, Gestaltungsspielräumen, Ressourcen und nicht zuletzt Einkommensmöglichkeiten verbunden (Borchert 2011).

Karrieren verlaufen oft, aber nicht zwingend innerhalb einzelner Organisationen und Institutionen (Edinger & Jahr 2015), sodass die Positionshierarchie nicht nur durch das intraorganisatorische Verhältnis zwischen den Positionen strukturiert ist, sondern auch durch das interorganisatorische Verhältnis zwischen den Institutionen und Organisationen selbst (Borkenhagen & Martin 2018). Führungspositionen in großen Unternehmen sind daher im geschilderten Sinne attraktiver als in kleinen Unternehmen oder politische Führungspositionen auf Bundesebene, wie Minister, sind attraktiver als vergleichbare Positionen auf Landesebene.

Zwar müssen empirische Karrieremuster nicht zwingend diesen hierarchischen Formen folgen. Im Bereich der Politik zeigen sich bspw. unterschiedliche Muster, u. a. die Möglichkeit des langen Verbleibs von Politikerinnen und Politikern in statusgleichen Positionen oder die Rückkehr in statusniedrigere Positionen oder Organisationen (Schlesinger 1966). Gleichwohl überwiegen bei Inhaberinnen und Inhabern von Führungspositionen die Aufstiegsambitionen und die Karrieren von späteren Positionseliten folgen in der Regel hierarchisch-aufsteigenden Mustern (Allen et al. 2020; Edinger & Jahr 2015; Turner-Zwinkels & Mills 2020).

Bei jedem Karriereschritt beeinflussen unterschiedliche Faktoren die Auswahl.[11] Welche negativen Auswahlfaktoren im Einzelnen die geringeren Aufstiegschancen der Ostdeutschen bewirken und wie, ist zwar nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags, generell wurde aber für Elitenpositionen wiederholt das „law of increasing disproportion“ bestätigt (Putnam 1976). Dem zu Folge gleichen sich die sozialstrukturellen Merkmale der späteren Inhaberinnen und Inhaber von Elitenpositionen mit jedem ihrer Karriereschritte immer mehr an. Diese Homogenisierung geht einher mit einer zunehmenden Unterrepräsentation der sozialen Gruppen, die bereits seltener den Einstieg in Karrieren in Führungspositionen finden, weshalb ihre Unterrepräsentation in Elitenpositionen am stärksten ausgeprägt ist. D. h., die negativen Effekte der Auswahlfaktoren, die zur Unterrepräsentation der Ostdeutschen führen, kumulieren im Verlauf von Karrieren in Elitenpositionen. Für manche Positionen ist keine schrittweise Kumulation, sondern ein glass ceiling Effekt beschrieben worden (z. B. Cotter et al. 2001). Danach sind die Aufstiegschancen für Angehörige unterrepräsentierter Gruppen, insb. Frauen, bis zu einer bestimmten hierarchischen Ebene zwar ähnlich wie die der etablierten Gruppen, insb. Männer, von da an ist ein weiterer Aufstieg aber nahezu ausgeschlossen.

Als Zwischenergebnis ist als Gemeinsamkeit festzuhalten, dass Elitenpositionen auch Führungspositionen sind, beide in hierarchisch strukturierten Karrieren erreicht werden und ihre Attraktivität mit der innerorganisatorischen Hierarchieebene und des interorganisatorischen Status zunimmt, während ihre Verfügbarkeit abnimmt. Für beide legen frühere Befunde nahe, dass die Unterrepräsentation benachteiligter sozialer Gruppen, wie der Ostdeutschen, mit steigender Hierarchieebene zunimmt oder abrupt auf höheren Hierarchieebenen auftritt.

Damit treten zugleich die Unterschiede zwischen Führungspositionen und Elitenpositionen zu Tage. Elitenpositionen sind mit gesamtgesellschaftlichem Einfluss und der Repräsentation sektoraler Interessen und Handlungslogik verbunden. Sie können deshalb als Apex der gesamten Positionshierarchie einer Gesellschaft definiert werden und sind durch die geringste Verfügbarkeit und höchste Attraktivität ausgezeichnet. Gleichzeitig wirken in ihrer Rekrutierung gesamtgesellschaftliche Macht- und Repräsentationsstrukturen. Insgesamt ist damit die stärkste Selektivität in der Rekrutierung für Elitenpositionen zu erwarten, womit die Aufstiegschancen für benachteiligte Gruppen in Elitenpositionen am geringsten sind, weil sie entweder kumulativ im Karriereverlauf sinken (law of increasing disproportion) oder abrupt auf den letzten Stufen vor Übernahme einer Elitenposition einbrechen (glass ceiling effect).

3.3 Operationalisierung: Verfügbarkeit, Stratifizierung und sektorale Differenzierung

Dieser konzeptionelle Unterschied übersetzt sich in die Operationalisierung. Quantitative empirische Untersuchungen zu den Eliten in Deutschland basieren in der Regel auf dem Positionselitenansatz, der z. B. der Potsdamer Elitestudie 1995 (Bürklin & Rebenstorf 1997), der Elitenstudie des WZB 2013 (M. Hartmann 2013) oder Studien speziell zur Unterrepräsentation sozialer Gruppen (Kollmorgen et al. 2024) zu Grunde liegt. Die jüngste derartige Studie ist der „Elitenmonitor“, der eine umfassende Bestandsaufnahme der Positionseliten in Deutschland darstellt.[12] Dessen zentrale Datenbasis ist eine prosopographische Elitendatenbank, die aus öffentlich zugänglichen Quellen die Biographien von derzeit 4.153 Inhaberinnen und Inhabern von 3.295 Elitenpositionen erhebt. Bisher wurden zwei Erhebungswellen realisiert (2018/9 und 2022/3), die longitudinale Analysen ermöglichen. Die Elitenpositionen wurden in Weiterentwicklung der Potsdamer Elitenstudie in zwölf gesellschaftlichen Sektoren erhoben (Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Verwaltung, Justiz, Militär, Sicherheit, Medien, Kultur, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und religiöse Glaubensgemeinschaften), in denen jeweils anhand sektorspezifischer Kriterien die zentralen Institutionen und Organisationen bestimmt und darin die höchsten Führungspositionen ermittelt wurden.[13]

Demgegenüber verwendet Hartmann (2024: 7) die im SOEP befragten Führungskräfte, die sich nach der KldB1992 bzw. KldB2010 durch explizite Führungsaufgaben oder eine Dominanz der Personal- und Budgetverantwortung ggü. den Fachaufgaben auszeichnen. Weiter unterscheidet er Führungskräfte und hohe Führungskräfte.

Die Übertragbarkeit auf die Elitenforschung ist aus fünf Gründen durch die Unterschiede zwischen den beiden Samples eingeschränkt.

Erstens ist das Sample der Elitendatenbank des Elitenmonitors eine bewusste Vollerhebung der Positionseliten, während sich in der randomisierten Stichprobe des SOEP die Berufsstruktur der Bevölkerung in Deutschland widerspiegelt. Bei einer Anzahl von 2.788 Personen in der zweiten Welle der Elitendatenbank von 2022/23 können sich im SOEP-Sample de facto nur sehr vereinzelt Elitenpositionsinhaberinnen und -inhaber befinden. Daher handelt es sich bei den von Hartmann untersuchten Führungspositionen mit höchster Wahrscheinlichkeit nahezu ausnahmslos nicht um Elitenpositionen in Sinne des Positionselitenansatzes.

Die Übertragbarkeit ist aber nicht nur wegen der fehlenden personellen Überschneidung schwierig, sondern auch wegen zusätzlich bestehender struktureller Unterschiede. So ist, zweitens, die Verfügbarkeit der von Hartmann untersuchten Führungspositionen deutlich höher als die von Elitenpositionen. Auf Basis der in Hartmanns Beitrag veröffentlichen Zahlen (ebd. Tab. B4 Anhang) übten 2020 sechs Prozent der Frauen, elf Prozent der westdeutschen und neun Prozent der ostdeutschen Männer (jeweils im erwerbsfähigen Alter 18–65) eine Führungsposition aus. Diese Werte liegen deutlich über dem Anteil an den in den Jahren 2022/23 untersuchen Positionseliten, der auf 0.00005 Prozent der von Hartmann untersuchen Erwerbsbevölkerung geschätzt werden kann.[14]

Drittens besitzen die Inhaberinnen und Inhaber der im SOEP erfassten Führungspositionen sehr heterogenen innerorganisatorischen und – bedingt durch die weitgehend unberücksichtigte Organisationsgröße[15] – außerorganisatorischen Einfluss. Die Spannweite reicht von Leitern und Leiterinnen von Gaststätten und Kantinen, Pilotinnen und Piloten, Aufsichtspersonen in Büro und Sekretariat über Dirigentinnen und Dirigenten bis hin zu Richtern und Geschäftsführern/Betriebsleitern aller Geschlechter. Eliten sind hingegen im Hinblick auf ihren inner- und außerorganisatorischen Einfluss viel homogener, weil sie den Apex der gesellschaftlichen Positionshierarchie bilden.

Viertens besteht ein Übergewicht wirtschaftlicher Führungspositionen. Von den 6088 von Hartmann untersuchten höheren Führungspositionen sind 4107 (67.4 Prozent) im wirtschaftlichen Bereich tätig (Geschäftsführer, Vorstände, Aufsichtsräte), aber nur 94 Personen (1.5 Prozent) in der Politik (J. Hartmann 2024, Online-Appendix, 4). In der Elitendatenbank des Elitenmonitors hingegen wurde eine Erfassung der Eliten in zwölf gesellschaftlich relevanten Sektoren sichergestellt. Auf den Sektor Wirtschaft entfallen dabei 14 Prozent der Eliten und auf den Sektor Politik 21 Prozent (Heger & Vogel 2024).

Schließlich fehlen, fünftens, durch den Fokus auf die berufliche Situation ehrenamtliche Führungsfunktionen, die als Elitenpositionen gelten, wie z. B. Parteivorsitzende, die selbst auf Bundesebene formal unentgeltlich[16] sind oder Aufsichtsratsmitglieder.

Wir gehen aus diesen fünf Gründen davon aus, dass die von Hartmann untersuchten Führungspositionen nach ihrem Status in der organisationsinternen Hierarchie und nach Größe, Ressourcen und Einflussreichweite der jeweils geführten Organisationen, Institutionen und ihren Unterabteilungen erheblich heterogener sind als die Elitenpositionen, hingegen in der sektoralen Zuordnung mit einem Schwerpunkt auf wirtschaftliche Führungspositionen homogener. Damit decken die im SOEP untersuchten Führungspositionen einen großen Abschnitt eines Kontinuums ab, dessen unterer Pol durch hohe Verfügbarkeit und geringe Attraktivität definiert ist und dessen oberer Pol durch geringe Verfügbarkeit und hohe Attraktivität. Allerdings decken sie nicht den oberen Pol selbst ab, an dem die Elitenpositionen lokalisiert sind. Die Elitenpositionen sind mithin keine Zufallsstichprobe aus allen Führungspositionen, die eine ungebrochene Generalisierung der Befunde erlauben würde, sondern ein höchst selektives Sample.

4 Der Nexus von Hierarchieebene und Karrieredauer im Lebenszyklus von Karrieren

Sie sind allerdings dadurch verbunden, dass die Elitenpositionen den Apex von Karrieren bilden, die innerhalb einer gesamtgesellschaftlichen bzw. sektoralen Positionshierarchie von hierarchisch aufeinander aufbauenden Führungspositionen eingenommen werden. Das schließt nicht aus, dass bei der Übernahme von Elitenpositionen andere Rekrutierungsmechanismen und Selektionskriterien wirksam sind, die einen glass ceiling Effekt bewirken, der letztlich Karrieren in Führungspositionen nicht ungebrochen in Elitenpositionen einmünden lässt. Dennoch verbindet die Sequentialiät von Karrieren die Hierarchieebene der Positionen mit der Dauer von individuellen Karrieren: je höher die Hierarchieebene einer Führungsposition, umso länger dauert die individuelle Karriere bis dorthin.

Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob die angeglichenen Chancen in Führungspositionen nicht nur als Kohorten-, sondern auch als Lebenszykluseffekt interpretiert werden können. Ein Hinweis darauf ist, dass sich ein genereller Anstieg der Aufstiegschancen mit abnehmendem Alter zeigt und zwar auch unter den westdeutschen Männern und Frauen (J. Hartmann 2024: 10,13). Das gilt, obwohl die Aufstiegschancen der älteren Westdeutschen ja nicht durch den Führungskräfte- und Elitenimport ab 1990 vermindert waren, sondern eher gesteigert. Möglich ist daher, dass es sich um einen Lebenszykluseffekt handelt, dergestalt, dass in jüngerem Lebensalter und damit frühen Karrierephasen mehr Führungspositionen auf niedrigerer Hierarchieebene zur Verfügung stehen und weniger Karriereschritte mit den zugehörigen Auswahlprozessen absolviert wurden. Je älter Personen werden und je mehr Karriereschritte sie durchlaufen haben, umso geringer die Anzahl an zur Verfügung stehenden Positionen und umso geringer die allgemeinen Chancen auf einen Aufstieg in Führungspositionen.

Die Betrachtung der höheren Führungspositionen getrennt nach Ost- und Westdeutschland erhärtet diese Interpretation. So kommt der Lebenszykluseffekt bei westdeutschen Männern in höheren ostdeutschen Führungspositionen deshalb nicht zum Tragen (J. Hartmann 2024, 13), weil die Karrieren dieser Personengruppe durch den Sondereffekt des Elitentransfers im Zuge der Wiedervereinigung schneller verliefen und damit bereits im jüngerem Lebensalter höhere Führungspositionen erreicht werden konnten (Best & Vogel 2011; Welzel 1997).

Eine genauere Trennung zwischen Kohorten- und Lebenszykluseffekt ist mit den von Hartmann (2024) vorgeschlagenen Modellen nicht möglich, denn die Heterogenität der einbezogenen Führungspositionen im Hinblick auf Status, Attraktivität und Verfügbarkeit bedingt, dass sie in ganz unterschiedlichen Lebensaltern und Karriereabschnitten erreicht werden können. D. h., hinter den eingenommenen Führungspositionen als abhängiger Variable stehen in jüngeren biografischen Lebensaltern und Karrierephasen eher solche, die als „mittleres Management“ bezeichnet werden können, z. B. Mitglieder im Landesvorstand von Parteien, Abteilungsleiter, Redakteure etc., während höhere Führungspositionen in größeren Organisationen erst in späterem Lebensalter übernommen werden, z. B. Bundesvorsitz von Parteien, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, Chefredakteure etc.

Die Betrachtung als Lebenszykluseffekte von Karrieren in Führungspositionen – mit Elitenpositionen als Apex – eröffnet zugleich eine alternative Interpretation der zwischen Ost- und Westdeutschen angeglichenen Aufstiegschancen. Die negativen Auswahlfaktoren für die Ostdeutschen kumulieren im Verlaufe von Karrieren (law of increasing disproportion) oder wirken abrupt auf höheren Hierarchiestufen (glass ceiling effect). Dieser Lebenszykluseffekt kann auch in Hartmanns Kohortenvergleich erkannt werden, denn mit zunehmendem Lebensalter und damit fortgeschrittenen Karrieren, nimmt die Diskrepanz zwischen ost- und westdeutschen Aufstiegschancen zu (J. Hartmann 2024: 10,13). Bei der jüngsten männlichen Geburtskohorte besteht in dieser Interpretation deshalb keine Ost-West-Diskrepanz, weil die negativen Selektionseffekte für die Ostdeutschen erst in wenigen Auswahlprozessen wirksam waren und insgesamt mehr Führungspositionen zur Verfügung standen.

Die geringeren Chancen der älteren ostdeutschen Männer sind dann nicht nur Ausdruck ihrer Kohortenzugehörigkeit, sondern auch davon, dass sie im späteren Lebensalter vor allem höhere Führungspositionen erreichen könnten, bei denen aber die negativen Selektionseffekte in immer mehr Auswahlverfahren kumulieren konnten. Diese Interpretation stützend zeigt sich bei den höheren, also erst später erreichbaren, Führungspositionen in Ostdeutschland keine Angleichung der Aufstiegschancen von ost- und westdeutschen Männern und Frauen (ebd. 13). Auch die größeren Aufstiegschancen in den jüngeren Geburtskohorten der Frauen können so verstanden werden, dass die negativen Selektionsmechanismen bei frühzeitig in den Karrieren von Frauen erreichbaren Führungspositionen weniger zum Tragen kommen als in späteren Karrierephasen. Die Unterschiede zwischen den Geburtskohorten können damit nicht nur als Angleichung der Aufstiegschancen bei den Jüngeren interpretiert werden, sondern als Kumulation der negativen Auswahlfaktoren im Verlauf von Karrieren in Führungspositionen.[17]

Gegen diese Interpretationen als Lebenszykluseffekt könnte eingewandt werden, dass Hartmann für das Lebensalter in seinen multivariaten Modellen kontrolliert, sodass der Zeiteffekt in Geburtskohorten und Lebensalter auspartialisiert sein sollte. Allerdings sind die Daten rechtszensiert in dem Sinne, dass die Angehörigen der jüngeren Geburtskohorten noch nicht in fortgeschrittenem Lebensalter bzw. Karrierephasen befragt werden konnten. So waren die ältesten Angehörigen der beiden jüngsten Kohorten (ab 1975 geboren) im Jahre 2020 gerade einmal 45 Jahre alt, d. h. in einem Alter, in dem überwiegend erst Führungsfunktionen der mittleren Ebene übernommen werden (s. auch weiter unten). Eine vollständige Auspartialisierung ist also nicht möglich, sodass insbesondere in den jüngeren Geburtskohorten keine klare Unterscheidung zw. Kohorten-und Lebenszykluseffekt möglich ist, weil sich darin nahezu ausschließlich jüngere Personen finden.[18]

Die Möglichkeit eines Lebenszykluseffekts muss insbesondere für die Analyse von Elitenpositionen berücksichtigt werden, die erst in einer fortgeschrittenen Phase der (Berufs-)Biografie und zudem in einem engen Zeitfenster übernommen werden. In der zweiten Erhebungswelle der Elitendatenbank des Elitenmonitors 2022/23 beträgt das Durchschnittsalter der Positionseliten 55.3 Jahre (Tab. 2); 77.1 Prozent der Eliten sind zwischen 45 und 65 Jahre alt, wobei sich mit 47 Prozent fast die Hälfte in der Altersgruppe zwischen 56 und 65 Jahren konzentriert. Noch deutlicher wird der Befund am durchschnittlichen Eintrittsalter von 48.5 Jahren in die erste Elitenposition (Tab. 2).[19] Dieses Eintrittsalter variiert erheblich zwischen den Eliten in den zwölf untersuchten gesellschaftlichen Sektoren (Tab. 2). Im wirtschaftlichen Bereich, der ja im Bereich der Führungspositionen bei Hartmann dominiert, ist es mit 53.6 Jahren fast am höchsten. Nur die militärischen Eliten sind mit 54.7 Jahren noch älter, bevor sie erstmals eine Elitenposition übernahmen. Im Vergleich dazu war die jüngste von Hartmann untersuchte Geburtskohorte (1985–1989) im Jahr 2020 zwischen 31 und 35 Jahre alt, die zweitjüngste (1975–79) 41 bis 45 Jahre. Sie waren damit in ihrer Karriere vom durchschnittlichen Einstiegsalter in Elitenpositionen zwischen 3.5 und 17.5 Jahren entfernt, in dem bei Hartmann (2024) dominierenden Bereich der Wirtschaft sogar zwischen 8.6 und 22.5 Jahren. Die negativen Auswahlfaktoren, die die geringeren Chancen der Ostdeutschen auf Elitenpositionen bewirken, konnten in den Karrieren der jüngeren Geburtskohorten noch nicht ihre volle (De-)Selektionswirkung entfalten. Es ist also auch auf Basis des Eintrittsalters der Eliten offen, ob sich die Befunde Hartmanns auf die Elitenpositionen generalisieren lassen.

Tab. 2:

Eintrittsalter in die Elitenposition und Alter (2022/3, artihm. Mittel)

2. Erhebungswelle 2022/3

Sektor

Eintrittsalter

Alter

Politik

43.8

50.5

Medien

48.5

54.8

Kultur

48.2

55.9

Zivilgesellschaft

51.7

57.2

Religion

49.9

60.0

Wirtschaft*

53.6

58.7

Verwaltung

48.7

54.7

Wissenschaft

49.1

58.8

Gewerkschaften**

52

56.0

Justiz

49.4

59.0

Militär

54.7

60.2

Sicherheit

51.4

57.3

Gesamt

48.5

55.3

N

2232

2320

Quelle: Elitenmonitor

* Unternehmen, Berufs- und Arbeitgeberverbände; ** und weitere Arbeitnehmerverbände

5 Zusammenfassung und gesellschaftspolitische Folgen

Der vorliegende Beitrag diskutierte ausgehend von Hartmanns (2024) Befunden die Aufstiegschancen von Ost- und Westdeutschen in Führungspositionen und ihre Bedeutung für die Diskussion um die personelle Unterrepräsentation von Ostdeutschen in Elitenpositionen. Hartmanns Analyse auf Basis des SOEP zeigte, dass die Aufstiegschancen der Ostdeutschen in Führungspositionen zwischen 1990 und 2020 stets geringer sind als die der Westdeutschen, womit die personelle Unterrepräsentation der Ostdeutschen auch für Führungspositionen gezeigt wird. In der Kohortenfolge ist jedoch eine Angleichung der Aufstiegschancen bei den jüngeren Geburtskohorten erkennbar und sozialstrukturelle Merkmale tragen kaum zur Erklärung der geringeren Aufstiegschancen der Ostdeutschen bei. Eine Interpretation dieser Ergebnisse als Kohorteneffekt impliziert, dass es im Zeitverlauf ohne weitere Interventionen zu einem Abbau der personellen Unterrepräsentation der Ostdeutschen in Führungspositionen kommen wird.

Die Übertragbarkeit dieses Befundes auf die Elitenforschung und ein damit implizierter automatischer Abbau der personellen Unterrepräsentation der Ostdeutschen in den Eliten wurde jedoch aus vier Gründen in Frage gestellt, wobei die ersten drei Gründe die externe Validität der Ergebnisse betreffen und der vierte Grund ihre interne Validität.

1) Bei Elitenpositionen besteht die personelle Unterrepräsentation der Ostdeutschen im selben Zeitraum im Wesentlichen fort. Auch wenn sich auf Basis des Elitenmonitors seit 2018 ein leichter Zuwachs zeigt, kann auf Basis von zwei Erhebungswellen noch nicht festgestellt werden, ob es sich dabei um einen Trend handelt; auch die sektorale Differenzierung und die Kohortenanalyse liefern keine Anzeichen dafür. Vielmehr deuten sich eher sektoral sehr unterschiedliche Entwicklungen an, die eine stärkere Berücksichtigung sektorspezifischer Rekrutierungsstrukturen und -normen erfordern und die Annahme eines generellen Trends fraglich erscheinen lassen. Es ist daher offen, ob der Aufstieg jüngerer Geburtskohorten in Elitenpositionen einen generellen Abbau der personellen Unterrepräsentation der Ostdeutschen bewirken wird.

2) Führungs- und Elitenposition ähneln sich zwar im Hinblick auf ihre organisationsintere Führungstätigkeit, aber nur Eliten wirken regelmäßig und substantiell an gesamtgesellschaftlich relevanten Entscheidungen mit, weil sie die Führungspositionen in den zentralen Institutionen und wichtigsten Organisationen einer Gesellschaft innehaben. Weiter werden zwar beide Arten von Positionen durch Karrieren mit ähnlichen Rekrutierungsmechanismen erreicht, dennoch konstituieren Elitenpositionen im Hinblick auf ihre Attraktivität den Apex der Führungspositionshierarchie und ihre zahlenmäßige Verfügbarkeit ist zugleich am geringsten. Beide Eigenschaften zusammen legen nahe, dass die Selektivität zu Ungunsten benachteiligter Gruppen in Elitenpositionen am stärksten ausgeprägt ist bzw. ansteigt, je weiter Personen in ihren individuellen Karrieren in die Nähe dieser Positionen gelangen. Das unterstreichen Befunde aus der Elitenforschung die zeigen, dass Elitenpositionen durchschnittlich erst nach langen Karrieren eingenommen werden, die mit sich kumulierenden negativen Selektionseffekten zu Ungunsten von bestimmten sozialen Gruppen, wie z. B. Ostdeutschen, einhergehen.

3) Diese Unterschiede spiegeln sich auch in der Operationalisierung wider. So sind die von Hartmann untersuchten Führungspositionen nach ihrem organisationsinternen Status und der Bedeutung der von ihnen geführten Organisationen viel heterogener als Elitenpositionen. Sie umfassen sowohl Positionen, die sehr frühzeitig im Lebenslauf übernommen werden, als auch solche, die erst spät nach einer langjährigen Karriere übernommen werden. Dagegen werden Elitenpositionen insgesamt erst sehr spät und in einem engen biografischen Zeitfenster übernommen. In Hartmanns Sample mit seinem Schwerpunkt auf Führungspositionen in der Wirtschaft werden zudem weitere wichtige gesellschaftliche Sektoren und ihre Eliten nicht oder nur unzureichend abgedeckt, insb. Politik, aber auch öffentliche Verwaltung, Militär oder Zivilgesellschaft. Elitenpositionen sind also keine Zufallsstichprobe aus allen Führungspositionen, wodurch die Generalisierung der Befunde zu Führungspositionen weiter erschwert ist.

4) Schließlich wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht eine alternative Interpretation der in der Kohortenfolge angeglichenen Aufstiegschancen bereits die Möglichkeit eines Abbaus der personellen Unterrepräsentation als unwahrscheinlich erscheinen lässt. Denn die Angleichung der Aufstiegschancen in den jüngeren, insb. der jüngsten untersuchten Geburtskohorte kann auch als Lebenszykluseffekt verstanden werden, insbesondere weil die von Hartmann untersuchten Führungspositionen sehr heterogenen Status besitzen: Während zu Beginn von Karrieren viele, aber weniger attraktive Führungspositionen zur Verfügung stehen, sinkt mit fortschreitendem Lebens- und Karrierealter deren Verfügbarkeit, während ihre Attraktivität und ihr Status in der Positionshierarchie ansteigen. Die zwischen Ost- und Westdeutschen ähnlicheren Aufstiegschancen in jüngeren Kohorten können daher auch so verstanden werden, dass die negativen Auswahlfaktoren, die die geringeren Chancen der Ostdeutschen hervorrufen, zu frühen Karrierezeitpunkten schlicht noch nicht ihre volle (De-)Selektionswirkung entfalten konnten, sondern erst mit fortschreitender Karrieredauer bzw. Lebensalter wirksam werden. Diese Interpretation als Lebenszykluseffekt wird unterstrichen durch zwei Befunde Hartmanns selbst: 1) die Aufstiegschancen sind generell bzw. auch unter Westdeutschen höher, je jünger eine Geburtskohorte ist und 2) ist in höheren Führungspositionen keine Angleichung erkennbar. Aufgrund der rechtszensierten Daten kann daher die Möglichkeit eines Lebenszykluseffekts momentan nicht ausgeschlossen werden und sollte in Betracht gezogen werden. Dann ist es weiterhin offen, wie sich die Aufstiegschancen in Führungspositionen der jüngeren Kohorten zu späteren biografischen Zeitpunkten entwickeln und ob sich die personelle Unterrepräsentation der Ostdeutschen in Elitenpositionen durch Generationswechsel abbaut.

Die Frage nach der Übertragbarkeit der Befunde auf die Elitenforschung und ihre zumindest ergänzende Deutung als Lebenszykluseffekt besitzt gesellschaftspolitische Implikationen. Findet nämlich tatsächlich eine Angleichung in den jüngeren Kohorten statt, können die ungleichen Aufstiegschancen als Folge des historisch kontingenten Personaltransfers nach Ostdeutschland angesehen werden, dem gegenüber andere Ursachen, wie sozialstrukturelle Ost-West-Unterschiede („Kompositionsunterschiede“ ebd. 14) oder „Netzwerkeffekte“ (ebd. 15) keine Rolle spielen bzw. ihre Wirkung offen ist (z. B. Homophilie/Diskriminierung oder „Selbstselektionsmechanismen“, ebd.). Zwar schwächt Hartmann diese Betonung des Elitentransfers gelegentlich etwas ab, wenn er z. B. schlussfolgert, dass „(…) eine angemessene Repräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen zumindest für jüngere Kohorten durchaus gelingt, wenn auch nicht in höheren Führungspositionen“ (ebd. 15). Dennoch überwiegt der Tenor, dass die ähnlicheren Aufstiegschancen unter den jüngeren Geburtskohorten zeige, dass „(…) der Elitentransfer Anfang der 1990er Jahre als Ursache der Benachteiligung ostdeutscher Männer beim Zugang zu Führungspositionen (…) anzusehen ist (ebd. 1). Folglich hängt auch deren Abbau „(…) nicht unwesentlich vom anstehenden Generationswechsel (…) [ab])“ (ebd. 15).

Eine solche Betonung des Personaltransfers ist geeignet, die These des „nachholenden Aufstiegs“ (kritisch dazu: Vogel 2024) zu unterstützen, der zu Folge die Unterrepräsentation der Ostdeutschen allein Ergebnis des Anfangs der 1990er Jahre notwendigen Personaltransfers war, weil mit der importierten Institutionenordnung vertraute, formal qualifizierte und politisch unbelastete Ostdeutsche in diesen Jahren nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung standen. Folglich würden sich die Aufstiegschancen der nachfolgenden Generation der Ostdeutschen durch die Sozialisation in der gesamtdeutschen Institutionenordnung und den zunehmenden Erwerb der erforderlichen formalen Qualifizierungen (insb. Studien- und Berufsabschlüsse) erhöhen, womit sie nach und nach in Führungs- und Elitenpositionen nachrücken. Die Entwicklung und Implementation von Gegenmaßnahmen sei daher nicht notwendig.

Die Möglichkeit, dass mindestens zusätzlich zu Kohorten- auch Lebenszykluseffekte die ähnlicheren Aufstiegschancen bei jüngeren Geburtskohorten erzeugen, setzt jedoch ein Fragezeichen hinter die dominante Bedeutung des Personaltransfers als zentrale Voraussetzung dieser These und schärft den Blick für die Mechanismen, die einmal etablierte Ungleichheiten perpetuieren. Das gilt umso mehr für Elitenpositionen, die sich, wie gezeigt wurde, nach gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, Tätigkeitsprofil, Attraktivität und Verfügbarkeit deutlich von Führungspositionen unterscheiden, für die nach dem law of increasing disproportion und dem glass ceiling effect, die höchste soziale Selektivität zu erwarten ist und für die daher ein Abbau der personellen Unterrepräsentation durch Generationswechsel sich selbst dann nicht zwingend ergibt, wenn er für Führungspositionen zweifelsfrei gezeigt werden könnte.

Die personelle Unterrepräsentation der Ostdeutschen in Elitenpositionen bedeutet nicht allein eine eingeschränkte Chancengleichheit und damit eine Herausforderung der meritokratischen Legitimitätsnorm, sondern kann auch zu funktionaler Ineffizienz, sowie unzureichender substantieller und symbolischer Repräsentation der Ostdeutschen führen und damit zu deren sozialer und politischer Entfremdung beitragen. Vor diesem Hintergrund betont der vorliegende Beitrag, dass die weitere Entwicklung der personellen Unterrepräsentation der Ostdeutschen in Elitenpositionen – und vmtl. auch in Führungspositionen – mindestens offen ist und die These ihres autogenen Abbaus in Frage steht. Folglich sollte ihre Entwicklung weiter beobachtet und die Bedingungen ihres Abbaus bzw. ihrer Aufrechterhaltung weiter analysiert werden, um darauf basierend gesellschaftspolitische Handlungsoptionen zu entwickeln und zu implementieren.

6 Data Note

Die hier verwendete Elitendatenbank ist Bestandteil des Forschungsprojekts Elitenmonitor, das durch den Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland in den Jahren 2022–2025 gefördert wird. Das Vorgängerprojekt „Soziale Integration ohne Eliten?“, in dem die erste Erhebungswelle durchgeführt wurde, förderte das BMFSFJ in den Jahren 2018–2021.

Der Rückgriff auf das SOEP erfolgt allein auf Basis der von Hartmann 2024 publizierten Befunde.

Die Daten des Elitenmonitors sind momentan noch nicht für eine Nachnutzung zugänglich, die Möglichkeit dazu ist aber nach Abschluss des Forschungsprojekts geplant. Dafür werden derzeit die datenschutzrechtlichen Bedingungen geprüft. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Spezialpopulation der Positionseliten, die sich aufgrund der Bekanntheit der erfassten Positionen (Minister, CEOs etc.) nicht anonymisieren lassen, ohne relevante Informationen von der Nachnutzung auszuschließen, z. B. lässt sich De-Anonymisierung bei vielen Positionen bereits durch eine Kombination zwischen Alter, Geschlecht, Sektor und Eintrittsjahr erreichen. Ein ausführlicher Methodenbericht inkl. Dokumentation für die erste Welle findet sich in (Heger & Vogel 2024), für die zweite Welle unter https://research.uni-leipzig.de/elitenmonitor/.

Über den Autor / die Autorin

Lars Vogel

Lars Vogel, geb. 1981 in Reichenbach. Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie in Jena und Budapest. Promotion 2006. 2006–2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter SFB 580 und Universität Jena. Seit 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter Leiter des Arbeitsbereichs Empirische Methoden und Politische Soziologe, Institut für Politikwissenschaft, Universität Leipzig.

Forschungsschwerpunkte: Eliten; Repräsentation; Politische Kultur; Europa.

Wichtigste Publikationen: Ferne Eliten. Die Unterrepräsentation von Ostdeutschen und Menschen mit Migrationshintergrund. Springer 2024 (Hrsg. mit R. Kollmorgen & S. Zajak); The Contested Status of Political Elites. At the Crossroads. London: Routledge 2018 (Hrsg. mit R. Gebauer & A. Salheiser); Ostdeutschland: Identität, Lebenswelt oder politische Erfindung? Wiesbaden: Springer 2024 (Hrsg. mit A. Lorenz & R. Pates).

Danksagung

Für hilfreiche Diskussionen über den vorliegenden Beitrag danke ich Heinrich Best, Astrid Lorenz, Volker Brandy, Caroll Haak, Justus Junkermann und Alexander Hentschel.

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Online erschienen: 2025-04-29
Erschienen im Druck: 2025-06-03

© 2025 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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