Abstract:
As soon as Maximos Confessor had died on August 13th 662 due to the effects of dismemberment—his punishment, following a charge of high treason against him and his students—he was seen and revered as a martyr and saint by his followers. During their seven-year banishment, after the first trial in the year 655, those punished interpreted their deliberately accepted punishment as martyrdom, which they documented in literary works, which were later called lawsuit protocols. They modeled the texts upon early Christian martyr trials, and used many elements of the theology of martyrdom for self-identification. By doing so, the group of Palestinian monks that followed Maximos tried to defend themselves against the charges brought against them, arguing that their ecclesiastical, political, and theological enemies were like the persecutors. Because the motives of the punished are very clear, unlike those of the early Christian martyrs, it remains to be seen, whether or not the death of Maximos Confessor really is a martyrdom, especially considering the political and ecclesiastical intrigues as well as the provocative theological stubbornness of Maximos himself.
Maximos Homologetes (ca. 579–662),[1] „the greatest of Byzantine theologians“[2] sowie Confessor und Heiliger im orthodoxen und römisch-katholischen Heiligenkalender,[3] ist wegen seines Widerstandes gegen die kaiserlich geförderte sogenannte monenergetisch-monotheletische Religionspolitik[4] am 16. und 23./24. 5. 655 zusammen mit seinem Schüler und langjährigen Begleiter, Anastasios Monachos († 662),[5] einem Hochverratsprozess vor dem römischen Senat unterzogen worden. Beide wurden daraufhin in die Verbannung geschickt, wo sie getrennt voneinander ca. sieben Jahre an verschiedenen Orten Thrakiens lebten. Als alle Versuche Kaiser Konstansʼ II. (641–668)[6] und des Konstantinopler Patriarchates scheiterten, Maximos zur Wiederaufnahme der seit der Lateransynode von 649[7] auf sein Betreiben hin aufgehobenen Kirchengemeinschaft der römischen Kirche mit der Reichskirche zu bewegen, wurden er und seine beiden Schüler Anastasios Monachos und Anastasios Apokrisiarios († 666)[8] im Jahre 662 nach Konstantinopel gebracht, von einer dortigen Synode anathematisiert und von einem weltlichen Gericht wegen „Blasphemie und Hochverrats“[9] zu öffentlicher Auspeitschung, Amputation der Zunge und der rechten Hand[10] sowie endgültiger Verbannung verurteilt. Alle drei erreichten verstümmelt das Exil in Lazikē/Kaukasus am 8. 6. 662, wo sie auf verschiedene byzantinische Festungen verteilt wurden. Anastasios Monachos starb an den Folgen der Verstümmelung am 22./24. 7. 662, Maximos am 13. 8. 662. Allein Anastasios Apokrisiarios überlebte beide um mehr als vier Jahre bis zum 11. 10. 666. Unmittelbar nach dem Tode des Maximos und Anastasios Monachos entstanden Zeugnisse eines unter den Anhängern des Maximos einsetzenden Märtyrer- und Heiligenkultes. In diesem Zusammenhang taucht die Nachricht auf, Maximos habe bereits Jahre vor seinem Tode ‒ also zumindest im Zeitraum zwischen 655 und seiner endgültigen Verurteilung, wenn nicht bereits früher ‒ sein Martyrium vorausgesagt.
Im Folgenden soll dieser Spur nachgegangen werden. Dazu werden die Prozessakten des Maximosprozesses, also die sogenannte Relatio motionis (CPG 7736) und die Disputatio Bizyae (CPG 7735), daraufhin befragt, ob sich hier bereits Hinweise für ein Märtyrerbewusstsein der Angeklagten finden. Beide Texte sind bald nach 655 entstanden und wollen das Verhalten des Confessors beim Prozess sowie die Versuche, ihn im Exil zum Einlenken zu bewegen, aus maximianischer Sicht dokumentieren (Teil 2). Von daher stellt sich dann die Frage, wie die Haltung des Maximos in seinem Prozess und damit nicht zuletzt auch sein Leidensweg zu beurteilen sind (Teil 3). Am Anfang steht eine Skizze der unmittelbar nach dem 13. 8. 662 einsetzenden Märtyrer- und Heiligenverehrung des Maximos unter seinen Anhängern (Teil 1).
1 Die Märtyrerpropaganda der Schüler und Anhänger
Anastasios Apokrisiarios hat in seinem letzten Lebensjahr zwischen dem 1. 9. 665 und dem 11. 10. 666 einen Brief[11] an den aus Gangra stammenden Mönchspriester Theodosios geschrieben, der wie sein Bruder, der Mönch Theodoros, zu der Vereinigung der Σπουδαίοι der Jerusalemer Anastasis-Kirche gehörte.[12] Beide Brüder gehörten zum engsten Zirkel um Maximos. Das griechische Original des Briefes wurde erst 1955 von Robert Devreesse ediert,[13] einige Teile des Schreibens sind nur in der lateinischen Übersetzung des Anastasius Bibliothecarius erhalten.
Der Verfasser macht eingangs klar, dass er der Aufforderung von Spr 10,7 LXX: „Das Gedächtnis der Gerechten geschehe in Lobreden“ (Μνήμη δικαίων μετ᾿ ἐγκωμίων) auch „in enkomiastischer Rede“ (ἐγκωμιάσαι)[14] Folge leisten will. Wir haben es also mit einer enkomiastischen Darstellung zu tun, mit der der schwerverletzte, seinem Tod entgegengehende Autor der μνήμη der verstorbenen Gerechten dienen will. Nach der Beschreibung der Ankunft der Gruppe der Verurteilten in Lazikē schildert der Brief zuerst das weitere Schicksal des Christi Dei martyr[15] Maximos. Dieser sei vor seinem Tode einer diuina uisio gewürdigt worden, in der ihm sein Todestag[16] offenbart worden sei, was er auch anderen an seinem Verbannungsort, der Festung Σχήμαρις, mitgeteilt habe. „In Übereinstimmung mit seiner Weissagung“ (secundum diuinum eius uaticinium)[17] sei er dann an diesem Tage verstorben. Hinzugekommen sei noch ein aliud miraculum, das sich dann diuinitus am Grabe des Maximos ereignet habe und von vielen usque in praesens[18] beobachtet und weitergesagt werde und sogar die Aufmerksamkeit führender Kreise gefunden habe: „Drei Lichter erleuchten an einzelnen Nächten das hl. Grab jenes heiligen Märtyrers Maximos.“[19] Dies sei „würdig, euch Heiligen und durch euch allen, die dort heilig sind, in Briefen mitgeteilt zu werden.“ Denn dies geschehe „zum Ruhm und Lobe Gottes, der in seinen Heiligen Wunder wirkt und das Gedächtnis derer verherrlicht, die ihn rechtgläubig und aufrichtig verherrlichen (1 Kön 2,30 LXX).“[20] Indem anschließend noch Ps 67,36 LXX zitiert wird („Wunderbar ist Gott in seinen Heiligen“),[21] sind damit drei im Kontext der Heiligenverehrung vielzitierte Schriftstellen aufgerufen worden.
Nachdem Anastasios sodann sein eigenes Schicksal schildert, kommt er auf Papst Martin I. (649–653; † 655) und die Lateransynode von 649 zu sprechen, die „auf heilige Anordnung dieses heiligen Märtyrers und apostolischen und höchsten Papstes Martin im Alten Rom versammelt worden war.“[22] Er sieht sich, Martin und Maximos als Opfer einer Verfolgung, die „uns und Gott“[23] ungerechterweise gelte und die einzuordnen sei in jene Verfolgungen, Exile und Leiden, die den „heiligen Propheten, Aposteln und Lehrern“[24] seit Beginn der Verkündigung zuteilwurde.
Bei dem sogenannten Hypomnesticum Theodori Spudaei (CPG 7968)[25] handelt es sich um eine Denkschrift über das Schicksal nicht nur der nach den Prozessen von 655 und 662, sondern auch der nach dem Prozess gegen Papst Martin I. (649–653; † 655) schon 653 Verbannten.[26] Der Text wurde nach dem Eintreffen der Epistula ad Theodosium Gangrensem bei Theodosios Spudaios von diesem und seinem Bruder Theodoros Spudaios verfasst.[27] Die Autoren wenden sich eingangs an diejenigen, die „die Kopie des beigefügten heiligen Briefes des Heiligen (sc. Anastasios Apokrisiarios)“[28] gelesen haben. Die Epistula ad Theodosium Gangrensem ist also kopiert und als enzyklischer Brief dem Hypomnesticum beigefügt oder auch unabhängig davon verbreitet worden. Der inzwischen verstorbene Anastasios wird jetzt als „unser heiliger Vater und Lehrer“ und „wahrhaft großer neuer Bekenner und Märtyrer der Wahrheit“[29] bezeichnet. Seine Heiligkeit wird hauptsächlich durch die Tatsache erwiesen, dass die Epistula ad Theodosium Gangrensem „von eigener Hand“ (ἐξ αὐτῆς τῆς ἰδιογράφου αὐτοῦ [sc. ἐπιστολῆς]) geschrieben wurde, obwohl ihm diese doch amputiert worden war. Dies sei ein θαῦμα παράδοξον und bedeute, dass dieser Brief „durch den Finger Gottes geschrieben“ sei (δακτύλῳ θεοῦ γραφεῖσης).[30] Tatsächlich hatte sich Anastasios eine aus dünnen Hölzern bestehende Prothese an seinen Armstumpf gebunden, um so schreiben zu können. Die Verfasser scheuen sich nicht, die Analogie zur Beschriftung der Gesetzestafeln des Dekaloges nochmals explizit zu formulieren: diese Schriften seien geschrieben „mit dem Finger Gottes wie beim großen Mose.“[31]
Nach der Schilderung des Leidensweges des Papstes und der beiden Brüder kommt das Hypomnesticum auf den „heiligen Maximos“ zu sprechen, „ihren vielgepriesenen, unübertrefflichen, hochweisen großen Mitverteidiger und größten Mitmärtyrer.“[32] Und hier wird nun berichtet, dass Maximos „aufgrund göttlicher Offenbarung“ (ἐκ θείας ἀποκαλύψεως) nicht nur sein Entschlafen genau vorausgesagt habe, sondern ebenso „vor etlichen Jahren bereits sein heiliges Martyrium in Christus unserem Gott für die Wahrheit.“[33] Die Verfasser des Hypomnesticum, die Maximos und Anastasios Monachos auf ihrem Weg in die Verbannung begleitet hatten, berichten schließlich, dass sie dabei
einige der von ihnen während ihres Leidensweges getragenen Kleidungsstücke von ihren eigenen Händen erhalten (haben) zusammen mit den Bandagen, mit denen sie ihre amputierten Hände zur Heilung umwickelt hatten, die geheiligt und von ihrem wertvollen Blut rotgefärbt waren.[34]
Die beiden Spudaioi hätten dann entschieden, „beide zusammen zu kommemorieren, weil sie ein und dasselbe geworden sind in ihrem Kampf (ἄθλησις) für den heiligen und wahrhaft orthodoxen Glauben.“[35]
Der kurze Text Contra Constantinopolitanos[36] ist von einem anonymen Anhänger des Maximos nach 662 geschrieben worden,[37] ohne dass sich der Zeitraum näher bestimmen lässt. Ausweislich seiner Überschrift war der Verfasser Mönch und hat diese Zeilen „aus tiefer Verbitterung“ (ἐκ δριμύξεως καρδίας)[38] geschrieben. Tatsächlich handelt es sich um eine Anklageschrift von schneidender Schärfe gegen die Einwohner der Hauptstadt, die für die Verurteilung des Maximos und seiner Schüler verantwortlich gemacht werden. Gleich am Anfang werden der Kaiser und zwei der bei der Disputatio Bizyae (s. u.) Anwesenden, Bischof Theodosios von Caesarea und der Patrikios Epiphanios, mit Beleidigungen überhäuft, „weil sie dem heiligen Maximos, dem dritten Theologen, Zunge und rechte Hand abgeschnitten haben,“[39] wie auch den Anastasioi, seinen beiden Schülern. In der Schlusspassage steigert der Verfasser nochmals seine Vorwürfe gegen die Konstantinopolitaner und ihre Stadt, die nun das „siebenhügelige Babylon“ (ἑπτάλοφε Βαβυλών)[40] genannt wird, von dem „jeder Gerechte“ (πᾶς … δίκαιος)[41] verfolgt wird: „Mit dem heiligen Blut schmückst du dich, im Mordblut der Heiligen hüpfst du vor Freude!“[42] Über dieses Babylon, das die Rechte ‒ „ich meine die Wahrheit Gottes“ (θεοῦ ἀλήθειαν λέγω)[43] ‒ abschneide, werde Gottes gerechtes Gericht kommen. „Das ewige Reich Christi aber wird die Bekenner, die nichts weniger als Märtyrer sind, aufnehmen. Mögen auch wir dies erlangen – wenn ich es zu sagen wagen darf – durch ihre (Gott) wohlgefälligen Fürbitten. Amen.“[44]
Das Hypomnesticum, das zusammen mit einer Kopie der Epistula ad Theodosium Gangrensem seit Ende 668/Anfang 669 verbreitet wurde, ist von der Absicht seiner Verfasser bestimmt, das Gedächtnis der Hauptprotagonisten der dyotheletischen Opposition und ihres theologischen Werkes sowie ihres Widerstandes gegen die kaiserliche Religionspolitik nach ihrem Tod lebendig zu erhalten, um so den Kampf für die beanspruchte Wahrheit des maximianischen Dyotheletismus weiterführen zu können. Dazu werden nicht nur detaillierte Berichte über den Leidensweg der Verurteilten bis zu ihrem Tod gegeben, sondern dieser Leidensweg wird als christliches Martyrium gedeutet. Diese Martyrien seien in einer Situation der Verfolgung für den wahren Glauben erfolgt, die „heimtückischer und schwerer als alle vorhergehenden heidnischen und häretischen Verfolgungen“[45] sei. Sie gelte ungerechterweise „uns und Gott“ (τὸν Θεὸν καὶ ἡμᾶς).[46] Um die Adressaten davon zu überzeugen, dass es sich bei den beschriebenen Leiden nicht um Folgen rechtmäßiger staatlicher Strafmaßnahmen handelte, sondern die Leidenden zu einem Christi Dei martyr geworden seien, wird auf das tugendhafte Ertragen des Leidens bis zum Tode verwiesen. Im Vordergrund aber stehen die Wunder vor und nach dem Tode der Verurteilten, die hier eine zentrale Funktion der Legitimation der Personen, ihres Leidens und ihres Werkes erhalten. Das Wunder dient dem Erweis der Heiligkeit der Verurteilten und der Qualifizierung ihres Leidens als Martyrium. Dazu gehört das Wunder göttlicher Offenbarung, durch das Maximos und auch Anastasios ihre Todestage vorher bekannt gewesen seien und Maximos sogar sein Martyrium „etliche Jahre zuvor“[47] vorhergesagt habe. Die propagierte Beweiskraft der Wunder wird der Autorität der vertretenen dyotheletischen Lehre dienstbar gemacht. Das Licht am Grabe des Maximos „bringt Klarheit“ und „macht offensichtlich,“[48] wer er sei, nämlich ein wahrhafter Märtyrer Christi mit Parrhesia, den man nun auch anrufen kann. Die mit der Prothese geschriebenen Schriften des Anastasios lasse diese „mit dem Finger Gottes“ (δακτύλῳ θεοῦ)[49] geschrieben sein; dies gibt ihnen eine dem Dekalog analoge Bedeutung. In allem zeige sich so die „Vorhersehung und Mitwirkung Gottes,“ der „große Wunder tut in seinen Heiligen.“[50] So kann es auch nicht mehr überraschen, dass bei den Verfassern des Hypomnesticum und ihren Kreisen, für die die Schmähschrift Contra Constantinopolitanos ein weiteres Zeugnis ist, bereits ein lebendiger Märtyrerkult der Verurteilten praktiziert wurde. Das Hypomnesticum scheint dabei bereits liturgische Verwendung gefunden zu haben.[51]
2 Martyriumsbereitschaft als Selbstdeutung
Die wichtigsten Quellen für den Hochverratsprozess gegen Maximos und seinen Schüler Anastasios Monachos am 16. und 23./24. 5. 655 und deren anschließende Verbannung in verschiedene thrakische Orte unweit Konstantinopels sind die sogenannte Relatio motionis inter Maximum et principes (CPG 7736; BHG 1231)[52] und die sogenannten Acta in primo exsilio seu dialogus Maximi cum Theodosio episcopo Caesareae in Bithynia, wegen des Ortes der Unterredung Disputatio Bizyae (CPG 7735; BHG 1233)[53] genannt. Beide Schriften geben sich als wörtliche Protokolle. Die Relatio motionis will die im Konstantinopler Kaiserpalast vor dem römischen Senat geführten Verhandlungen und die Gespräche, die außerhalb der eigentlichen Verhandlungen geführt wurden, wiedergeben. Die Disputatio Bizyae dokumentiert Unterredungen zwischen Maximos und Bischof Theodosios von Kaisareia/Bithynien und den beiden Konsuln (Hypatoi) Paulos und Theodosios und anderen als Abgesandten des Kaisers während des Exils.[54] Trotz wichtiger Informationen über die Anklagepunkte und Themen der Gespräche handelt es sich nicht um Verbatimprotokolle, sondern um tendenziöse literarische Produkte, die ‒ ähnlich wie beim Prozess gegen Papst Martin I. im Jahre 653[55] ‒ als Dossier über den Prozess angelegt und im 9. Jahrhundert von Anastasius Bibliothecarius ins Lateinische übersetzt wurden.[56] Schon in der handschriftlichen Überlieferung schließt sich die Disputatio Bizyae an die Relatio motionis an. „Das Ziel dieser Dossiers bestand vor allem in antimonotheletischer Propaganda ‒ ein Umstand, der stets zu beachten ist.“[57] Beide Quellen sind in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den berichteten Vorgängen entstanden. Die Relatio motionis wurde vor dem 8. 9. 656 verfasst.[58] Die Unterredungen zwischen Maximos und den Delegationen um Bischof Theodosios fanden im August 656 statt, so dass die Disputatio Bizyae Ende 656 oder Anfang 657 verfasst wurde.[59] Die Autoren lassen sich nicht mehr eindeutig bestimmen; sie müssen aber zum direkten Umfeld des Confessors gehört haben. Möglich ist auch eine Gemeinschaftsarbeit mehrerer Verfasser dieses Kreises. Für unsere Fragestellung ist festzuhalten, dass beide Quellen noch zu Lebzeiten des Maximos während der siebenjährigen Verbannung zwischen 655 und 662 entstanden sind und nicht auszuschließen ist, dass Maximos selbst daran beteiligt war.[60] Wolfram Brandes hat die rechtlichen und historischen Dimensionen beider Quellen, insbesondere die Anklagepunkte, analysiert.[61] Theologische Aspekte konnten ergänzt werden.[62] Eine weitere und hier nun im Mittelpunkt der Analyse stehende Funktion dieser Texte bestand m. E. darin, dass sie nicht nur der Rechtfertigung der bisherigen Aktionen der Maximosgruppe gegen die kaiserliche Religionspolitik[63] seit dem Beginn der vierziger Jahre des 7. Jahrhunderts dienen, sondern darüber hinaus auch Zeugnisse der Selbstvergewisserung und Selbstdeutung am Ende dieses Weges darstellen. Dabei ist die Perspektive, in der sie von den unmittelbar Betroffenen verfasst wurden, bereits die des Martyriums, als das die zu erwartende Strafe schon zu diesem Zeitpunkt gedeutet wird. Mehrere Indizien machen dies deutlich:
1. Gleich zu Beginn des Prozesses im Trullos genannten Kuppelsaal des Kaiserpalastes[64] kam es ‒ nach der Relatio motionis ‒ zu einem merkwürdigen und bislang unbeachtet gebliebenen Wortwechsel zwischen dem Ankläger und Maximos, bevor der erste Anklagepunkt Hochverrat[65] thematisiert wurde. Der das Verhör leitende Sakkelarios[66] stellte nämlich unvermittelt als erstes an Maximos die Frage: „Bist du Christ?“ Auf die Bestätigung des Maximos: „Durch die Gnade Christi, des Gottes des Alls, bin ich Christ,“ bestritt der Ankläger dies mit der Begründung: „Wie das? Wenn du Christ bist, warum hasst du dann den Kaiser?“[67]
Es muss doch überraschen, dass dieser Prozess, der von staatlicher Seite unter Vermeidung der theologischen Kontroversfrage als politischer Strafprozess geführt wurde, mit einer für den 75jährigen Mönch eher absurden Frage eröffnet worden sein soll, die überdies in engste Verbindung zur Stellung und Autorität des Kaisers gebracht wurde. Es legt sich m. E. vielmehr die Vermutung nahe, dass der/die Verfasser dieses Protokolls gleich anfangs ein klares Zeichen setzen wollten, worum es ihres Erachtens trotz aller im Folgenden vorgebrachten hochpolitischen Vorwürfe eigentlich geht. Nämlich um den Nachweis, dass wahre christliche Existenz unter dieser sich zwar christlich nennenden römischen Herrschaft, die jedoch durch Gesetze[68] den christlichen Glauben zerstört habe, grundsätzlich unmöglich sei. Alle im Weiteren dann von kaiserlicher Seite vorgebrachten Anklagepunkte werden so unter das Vorzeichen des christlichen Bekennens gestellt, das eine Befolgung dieser Gesetze angeblich für wahre Christen ausschließe. Damit ergibt sich in der Perspektive der ihren Prozess deutenden Angeklagten eine Situation, die jener der christlichen Bekenner und Märtyrer der ersten Jahrhunderte gleicht. Bekanntlich ist die bis zu dreimal wiederholte Frage „Bist du Christ?“ seit dem Briefwechsel zwischen Plinius d. J. und Kaiser Trajan zwischen 111 und 113 die Standardfrage in Christenprozessen gewesen.[69] Damit verbunden war die Forderung nach Anerkennung der kaiserlichen Autorität.[70]
Für die beiden palästinischen Mönche,[71] die der Überzeugung waren, dass ihnen wegen ihres Glaubensbekenntnisses der Prozess gemacht wurde, war diese Frage allerdings keine der Märtyrerakten vergangener Jahrhunderte. Denn am Anfang des Jahrhunderts, in den Jahren der persischen Herrschaft über Syrien und Palästina (611/612–628) mit dramatischen Folgen für das Mönchtum[72] im Heiligen Land nach der Eroberung Jerusalems am 20. 5. 614 war die Verbindung des christlichen Fundamentalbekenntnisses mit dem Verlust des Lebens erneut zu einer aktuellen Realität geworden. Im Schicksal des persischen Konvertiten, sabaïtischen Mönchs und christlichen Märtyrers Anastasios hatte diese Realität ihre exemplarische Gestalt gewonnen. Bernard Flusin hat auf der Grundlage der Edition der Acta Martyris Anastasii Persae (BHG 84) und der damit verbundenen Quellen die Geschichte Palästinas dieser Jahre detailliert zur Darstellung gebracht.[73] Die Vita und Passio des Persers Anastasios ist noch während der persischen Herrschaft entstanden.[74] Dieses Werk sabaïtischer Hagiographie hatte seit den dreißiger Jahren des Jahrhunderts zu seiner kultischen Verehrung geführt, die bis nach Rom und Konstantinopel verbreitet wurde.[75] Zur hagiographischen Deutung dieses im palästinischen Mönchtum hochverehrten palästinischen Märtyrers gehört es, dass Anastasios seinen Weg vom Sohn eines persischen Magiers zum christlichen Mönch über die Bewunderung des Lebens und Zeugnisses christlicher Märtyrer fand, deren Darstellungen er in Kirchen in Hierapolis erblickte.[76] Als Mönch vertiefte er sich in privater Lektüre zu Tränen gerührt in Viten und Passiones christlicher Märtyrer und suchte ihre fürbittende Hilfe.[77] Bei seinem Prozess in Caesarea/Palästina war laut seiner Passio seine Antwort „dans la meilleure tradition des Actes des martyrs“: „Ἐγὼ χριστιανὸς ἀληθινός εἰμι.“[78]
Auf dem Hintergrund dieser Aktualisierung frühchristlicher Verfolgungs- und Martyriumssituationen wird durch die Relatio Motionis gleich eingangs ein Szenario eröffnet, das eine Analogie zu den Prozessen der vorkonstantinischen Christenverfolgungen insinuiert. Hier wie dort ‒ so die Botschaft ‒ ging und geht es um die Alternative: Loyalität gegenüber dem Kaiser oder standhaftes Bekenntnis.
2. Nach dieser Ouvertüre verwundert es nicht, dass die Relatio motionis nun auch das Verhör zu den Hochverratsvorwürfen in einer Diskussion über die kaiserliche Autorität in der Kirche kulminieren lässt. Maximos wurde unter Beibringung von Zeugen vorgeworfen, seine anerkannte geistliche Autorität zweimal in hochverräterischer Weise gegen den Kaiser eingesetzt zu haben. So soll er dem Magister militum von Numidien, Petros Illustrios, der 633/634 den Befehl erhalten hatte, gegen die Araber zu ziehen, von diesem Feldzug abgeraten haben. Petros hatte ihn als heiligen Mann vorher um Rat gefragt[79] und Maximos habe brieflich geraten: „Tue das nicht, denn Gott gefällt es nicht, dem Römischen Staat unter der Herrschaft des Herakleios und seines Geschlechtes beizustehen.“[80] Petros Illustrios hatte daraufhin tatsächlich den Gehorsam verweigert und war nicht gegen die Araber gezogen. Dies brachte Maximos jetzt die Anklage ein: „Du allein hast Ägypten, Alexandrien, die Pentapolis, Tripolis und ganz Africa an die Sarazenen verraten!“[81] Weiterhin wurde er angeklagt, den Usurpationsversuch des Exarchen von Africa, Gregorios, im Jahre 645/646 unterstützt zu haben.[82] Der griechische Papst Theodorus I. (642–649)[83] habe einen Traum des Maximos an den Usurpator Gregorios weitergegeben, der eine Aktualisierung des Zentralereignisses der byzantinischen Kaiserideologie, nämlich der Vision Kaiser Konstantins des Großen 312 an der Milvischen Brücke, zum Inhalt hatte.[84] Maximos habe im Traum am Himmel zwei Engelschöre gesehen. Der eine – im Osten – habe gesungen: Constantine Auguste, tu uincas![85] Der andere aber im Westen, der den östlichen laut übertönte, habe gesungen: Gregorie Auguste, tu uincas![86] Brandes hat unter Hinweis auf die hervorgehobene Bedeutung divinatorischer Träume heiliger Männer für die byzantinische religiöse Mentalität die erhebliche politische Relevanz dieses Traumes deutlich gemacht. Die Umdeutung der Konstantin-Vision sei „ein Versuch massiver Manipulation eines wesentlichen Elements der byzantinischen Kaiserideologie“[87] gewesen. Kaiser Konstans II. (641–668), der hier mit dem Constantine Auguste, tu uincas! gemeint war, wird die Weitergabe dieses Traumes sehr ernst genommen haben.
Der letzte Anklagepunkt gibt Maximos nun Raum für ausführliche Darlegungen zum kaiserlichen Amt. Ein Zeuge berichtet, im kaiserlichen Auftrag Papst Theodorus und Maximos im Jahre 648/649 in Rom besucht zu haben. Er hatte den Befehl (κέλευσις) überbracht, der Papst solle wieder die Kirchengemeinschaft mit Konstantinopel aufnehmen,[88] schließlich „sei der Kaiser auch Priester.“[89] Anastasios Monachos habe dem jedoch mit den Worten widersprochen: „Der Kaiser ist nicht würdig, auch Priester zu sein.“[90] Nach der Relatio motionis stellt Maximos die Aussage des Zeugen zunächst in Frage, indem er zuerst gegen den Typos polemisiert und die kaiserliche Absicht einer Oikonomia-Regelung in der theologischen Streitfrage prinzipiell ablehnt,[91] um sodann jede kaiserliche Zuständigkeit in Lehrfragen in Abrede zu stellen und schließlich doch einzuräumen, dass er auf die Frage: „Ist denn nicht jeder christliche Kaiser auch Priester?“ mit „Nein!“[92] geantwortet habe. Er begründet dies sodann mit den liturgischen Funktionen und Insignien des bischöflichen Amtes, die dem Kaiser nicht zukommen.[93] Auf die Nachfrage: „Und warum sagt die Schrift, dass Melchisedek König und Priester sei?,“[94] gab Maximos folgende Antwort:
Melchisedek war nur Typos des Einen, der von Natur Gottkönig des Alls ist und um unseres Heils willen von Natur Hohepriester geworden ist. Wenn du aber noch einen anderen König und Priester „nach der Ordnung Melchisedeks“ (Ps 110,4; Hebr 7,17) nennen willst, dann wage auch das andere zu sagen: „dass er ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum ist, weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens hat“ (Hebr 7,3). Und sieh zu, welches Übel daraus erwächst! Denn es wird sich ein anderer menschgewordener Gott „nach der Ordnung Melchisedeks“ finden, der aber nicht nach der Ordnung Aarons unser Heil wirkt. Und was wollen wir mit großem Abstand noch hinzufügen? Bei der heiligen Anaphora am heiligen Altartisch werden die Kaiser zusammen mit den Laien nach den Bischöfen, Priestern und Diakonen kommemoriert, wenn der Diakon sagt: „Und der in Christus entschlafenen Laien, Konstantin, Konstans und der übrigen (sc. lasset uns gedenken).“ Und so kommemoriert er auch die lebenden Kaiser nach dem gesamten Klerus.[95]
Darauf wurde Maximos angeschrien: „Damit hast du die Kirche gespalten!“ (Ταῦτα λέγων ἔσχισας τὴν ἐκκλησίαν).[96] Diese Passage der Relatio motionis hat verständlicherweise bereits schon länger das Interesse der Forschung auf sich gezogen[97] und ist zuletzt von Gilbert Dagron umfassend analysiert worden.[98] Denn tatsächlich ist mit diesen Bemerkungen die Autorität des christlichen Kaisertums, wie sie seit Konstantin bis zu Herakleios Gestalt gewonnen hatte, in Frage gestellt worden. Man habe hierin nach Dagron geradezu den eigentlichen Kern des Konfliktes zu erblicken, der hinter der dogmatischen Streitfrage stand. „The conflict … would never have achieved such an intensity if imperial power had not been in the line of fire, embarrassed under Herakleios, persecuting and stubborn under Constans II and contradicting itself under Constantine IV.“[99] Wegen der grundsätzlichen Bedeutung für das Selbstverständnis des Maximos im Prozess sind die wesentlichen Dimensionen dieser Frage kurz in Erinnerung zu rufen.
Die Gestalt des Priesterkönigs von Salem (Gen 14,18–20) hat durch Hebr 7,1–17 mit Rückgriff auf Ps 110,1–4 bekanntlich für die frühchristliche Entfaltung der Christologie beträchtliche Bedeutung als typologische Präfiguration des hohepriesterlichen Amtes Jesu Christi gewonnen.[100] Seit frühbyzantinischer Zeit aber wurde die Melchisedektypologie zunehmend auch zur theologischen Verankerung des christlichen Kaisertums im alttestamentlichen Königtum herangezogen.[101] Gleichzeitig konnte auf diesem Weg auch ein christlicher Überlegenheitsanspruch begründet werden, war das davididische Königtum doch damit als ein historisches Zwischenspiel gekennzeichnet. Wie für Melchisedek galt auch für das christliche Kaisertum seit Konstantin trotz aller ebenso gesuchten typologischen Bezüge zum davididischen Königtum, dass es direkt aus dem Heidentum sein Herkommen habe und ohne dynastische Genealogie durch Gottes Gnade und Erwählung je und je seine Kontinuität gewahrt sei. Das mit Melchisedek gleichzeitig in Anspruch genommene Priestertum war allerdings nicht das nach der Ordnung Aarons, nicht gebunden an die Zugehörigkeit zum Stamm Levi oder zum christlichen Klerus. Was ihm jedoch zukam, war „an indelible character, conferred directly by God on the ‚just king‘ for a great historical mission. The emperor was not an specialist in sacred things, or of the clergy but he was invested with a superior priesthood.“[102] Insofern läuft die Polemik des Maximos eigentlich ins Leere, denn die von ihm als Beweis angeführten liturgischen Funktionen des kirchlichen Amtes, die dem Kaiser tatsächlich nicht zukamen, waren kein Bestandteil des in Anspruch genommenen Priestertums nach der Ordnung Melchisedeks. Auch der Hinweis auf die Diptychen der Lebenden und Verstorbenen im Kontext der Anaphora, mit dem Maximos seine Argumentation beschließt, ist nicht wirklich treffend. Denn dass die Kaiser nicht zusammen mit dem Klerus kommemoriert werden, war selbstverständlich und stand nicht im Widerspruch zum kaiserlichen Selbstverständnis. Dennoch wurden die Kaiser auch bei den Diptychen aus den Laien hervorgehoben, indem ihrer nicht nur an der ersten Stelle gedacht wurde, sondern nur sie namentlich und laut hörbar genannt wurden.[103]
In der typologischen Bezugnahme des kaiserlichen Amtes auf Melchisedek ‒ dann auch auf David und Salomon ‒ war der Gedanke kaiserlicher auctoritas in der charismatischen Bevollmächtigung besonderer Erwähltheit verankert. In dieser Gottesunmittelbarkeit war auch die Zuständigkeit für alle Belange des Volkes Gottes begründet, die im Typos Melchisedek auch kaiserliche Rechte in kirchlichen Angelegenheiten mit einschloss. Dazu gehörte bekanntlich die kaiserliche Synodalgewalt, das Recht, den Konstantinopler Patriarchen zu bestimmen, Grenzen und Zuständigkeiten von Bistümern festzulegen, die Ernennung von Metropoliten zu bestätigen, überhaupt kirchliche Angelegenheiten durch staatliche Gesetze zu regeln und so auch auf dogmatische Streitfragen Einfluss zu nehmen, um die Einheit der Religion und des Bekenntnisses im Reich möglichst zu wahren oder wieder herzustellen. Diese Aufeinanderbezogenheit von sacerdotium und imperium als den „beiden größten Gaben Gottes für die Menschheit“[104] war bekanntlich seit dem Jahre 535 im staatlichen Recht verankert. Sie hat dann bei Gottesdiensten in der Hagia Sophia im Zeremoniell auch liturgisch Gestalt gewonnen.[105] Dabei war der gemeinsame Εἴσοδος von Kaiser und Patriarch „the key moment in the ceremonial.“[106] Bei klarer Unterscheidung der Funktionen von kirchlichem und kaiserlichem Amt kamen dem Kaiser gleichwohl auch hier nicht unbedeutende Privilegien zu. Gemeinsam mit dem Patriarchen zog er in die Kirche ein und betrat nach dreimaliger Prostration vor den Heiligen Türen der Altarschranken ebenfalls gemeinsam mit ihm den Altarraum. Nach dem Küssen des Altartuches, der Verehrung der Heiligen Geräte und der Übergabe seiner Opfergaben gingen beide in Prozession hinter den Altar, wo der Kaiser das Kreuz verehrte und selber inzensierte!
Maximos und sein Kreis haben in Wort und Tat diese Autorität des Kaisers als höchste institutionelle Verkörperung der christlich-römischen πολιτεία prinzipiell in Frage gestellt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Maximos sogar mit politischem Kalkül an einer Destabilisierung der Herrschaft des Herakleios und Konstans II. beteiligt gewesen.[107] Die Relatio motionis aber hat auch in dieser Hinsicht den Prozess des Maximos nach dem Muster eines Märtyrerprozesses gestaltet. „The defenders of the ‚two wills‘ … sincerely believed that the age of the martyrs whose Acts they had read had returned.“[108] Eine dritte Beobachtung wird dies eindeutig machen.
3. Am Abend des ersten Prozesstages kamen der Patrikios und Stadtpräfekt von Konstantinopel Troïlos[109] und der hohe Hofbeamte Sergios Eukratas[110] zu Maximos in die Gefängniszelle, um ihn zu mehreren Themen zu befragen und zum Einlenken zu bewegen. Das Gespräch konzentrierte sich schnell darauf, dass und warum Maximos die sakramentale Communio mit dem Stuhl von Konstantinopel aufgekündigt habe. Als Gründe nennt Maximos die theologischen Entscheidungen der Konstantinopler Religionspolitik: die alexandrinische Union von 633,[111] die Ekthesis von 638[112] und den Typos von 648,[113] wodurch die vier (!) Ökumenischen Konzile verworfen worden seien. Die Lateransynode von 649 habe deren Urheber, also die Konstantinopler Patriarchen Sergios, Pyrrhos und Paulos von Konstantinopel und Kyros von Alexandrien, die sich bereits selbst das Urteil gesprochen hätten, zu Recht abgesetzt.[114] Maximos lässt dies in folgender Aussage gipfeln: „Was für eine Mystagogie vollziehen sie denn (noch); oder was für ein Geist ist denn bei der Konsekration gegenwärtig, wenn diese die Liturgie vollziehen?“[115] Der Confessor macht mit dieser Frage deutlich, dass nach seiner Überzeugung die in der Hauptstadt gefeierte eucharistische Liturgie[116] gegenwärtig ein geistloser und damit entleerter und wirkungsloser liturgischer Ritus sei. Denn die hier als ἐπιφοίτησις[117] bezeichnete Konsekration vollzieht sich nach östlichem Verständnis in der Epiklese des Heiligen Geistes als zentralem Akt der eucharistischen Anaphora.[118] Das ist aber für Maximos offensichtlich nicht mehr der Fall. Und dies deshalb, weil während der Anaphora bei den sogenannten Diptychen auch die genannten verstorbenen Konstantinopler Patriarchen, die durch die Lateransynode 649 als Häretiker verurteilt wurden, in jeder Liturgie weiterhin namentlich genannt werden.[119] Bei der Disputatio Bizyae wird dies dann ausdrücklich gesagt. Denn auch bei dieser Unterredung bestand das Anliegen der Gesandtschaft darin, Maximos dazu zu bewegen, die Communio mit der Kirche von Konstantinopel wieder aufzunehmen.[120] Auch hier breiten die Verfasser des Textes zunächst umfangreiche Erklärungen aus zur Ekthesis, zum Typos und zur Lateransynode, zum Dyotheletismus, zur Oikonomia und zum Väterbeweis,[121] an die sich drei eigentlich unerfüllbare Forderungen des Maximos, die er zur Bedingung der Wiederaufnahme der Communio macht, anschließen: Der Kaiser solle ein Bittgesuch (κέλευσιν παρακλητικήν) und der Patriarch zusammen mit seiner Synode ein synodales Bittschreiben (συνοδικὴν δέησιν) an den Papst schicken, in denen sie das korrekte Glaubensbekenntnis (τὴν ὀρθὴν ὁμολογίαν τῆς πίστεως)[122] formulieren, sich also zum Dyotheletismus bekennen. Man werde dann in Rom einen Weg finden, die Einheit wieder herzustellen. Aber damit nicht genug: „Selbst wenn dies geschehen ist, werde ich nicht kommunizieren, solange die Anathematisierten bei der Hl. Anaphora erwähnt werden.“[123]
Maximos forderte also die Streichung der verstorbenen Patriarchen aus den Diptychen, die bei jeder Göttlichen Liturgie in den Kirchen des Patriarchates Konstantinopel namentlich erwähnt werden. Er und seine Gruppe sind damit der Überzeugung, dass Gott den Gottesdiensten aller Kirchen, die in Gemeinschaft mit Konstantinopel stehen, seine Gegenwart entzogen habe, solange die von der Lateransynode Anathematisierten dort noch kommemoriert werden. Auf die verständlicherweise entsetzte Frage seiner Gesprächspartner: „Wie kannst du das sagen? Wirst du denn als einziger gerettet, und alle anderen gehen verloren?“[124] formuliert die Relatio motionis nun eine Antwort, die einer eingehenderen Analyse bedarf. Maximos sagt:
Die drei Jünglinge (im Feuerofen) haben niemanden verurteilt, als sie das (Götzen-)Bild nicht anbeteten, vor dem doch alle anderen niedergefallen sind. Sie haben nämlich nicht darauf geachtet, was die anderen tun, sondern darauf geschaut, wie sie nicht von der wahren Frömmigkeit abfallen. So hat auch Daniel, als er in die Löwengrube geworfen wurde, niemanden verurteilt, der nach dem Gebot des Darius Gott nicht anbetete, sondern er hat auf sein eigenes Verhalten geachtet. Und er nahm es auf sich zu sterben und nicht von Gott abzufallen und vom eigenen Gewissen wegen des Vergehens gegen das natürliche Herkommen gezüchtigt zu werden. Und so gebe auch mir nun Gott, niemanden zu verurteilen oder zu sagen, dass ich allein gerettet werde. Soviel an mir liegt, nehme ich es eher auf mich zu sterben, als das Erschrecken über die Einsicht zu ertragen, dass ich vom Glauben an Gott auf irgendeine Weise abgefallen bin.[125]
Maximos ruft damit in seiner Antwort unvermittelt zwei Erzählungen aus dem Buch Daniel auf, die das Schicksal des aus Jerusalem in die Babylonische Gefangenschaft entführten Daniel (Dan 6) und seiner drei Freunde Ananias, Azaria und Misael (Dan 3) schildern, die lieber sterben wollten, als sich dem Verbot der Gottesverehrung oder dem Gebot der Anbetung des Götzenbildes zu fügen. Er zieht damit nicht nur eine Parallele zu seinem eigenen Verhalten, sondern setzt auch seine Situation und die seiner Freunde mit der jener nach Babylon Entführten gleich. Die Alternative, vor der er stehe ‒ so die Botschaft ‒, sei dieselbe wie die, vor der Daniel und seine Freunde standen: Apostasie oder Bereitschaft des Lebensopfers. Die Überzeugung des Maximoskreises, dass die Kirche im Byzantinischen Reich sich unter der monotheletischen Herrschaft in einer „Babylonischen Gefangenschaft“ befinde, wobei Konstantinopel, das „siebenhügelige Babylon“ (ἑπτάλοφε Βαβυλών)[126] sei, nimmt hier ihren Ausgang.
Das Buch Daniel stand in diesen Jahrzehnten im Fokus aller apokalyptischen Deutungen der Gegenwart. Denn angesichts des Siegeszuges der Araber, die zwischen 634 und 638 Palästina und schließlich Jerusalem erobert hatten, war schon für den Lehrer des Maximos, den späteren Jerusalemer Patriarchen Sophronios (ca. 550–639),[127] klar, dass dies die von Christus angekündigten „Gräuel der Verwüstung“ (Mk 13,14; Mt 24,15) seien, zu denen auch die falschen Propheten gehören, die dem Kommen des Menschensohnes vorausgehen.[128] Maximos hatte diese Gegenwartsanalyse noch verschärft, insofern er diese Inbesitznahme des „göttlichen Erbes“ (τῆς θείας κληρονομίας)[129] und „Ausbreitung des Bösen“ (τῆς ἐνδημίας τοῦ πονηροῦ) als „Parusie des Antichrists“ (τοῦ Ἀντιχρίστου τὴν παρουσίαν)[130] und Widersachers (1 Joh 2,18.22; 4,3; 2 Thess 2,4) deutete und mit dem Untergang des römischen „Kulturstaates“ (τὴν ἥμερον πολιτείαν)[131] rechnete, in dem nach allgemeiner Überzeugung der κατέχων von 2 Thess 2,6–8 erblickt wurde. In weiten Kreisen war in dieser Zeit die Überzeugung gewachsen, dass das 4. Weltreich von Dan 2 und 7, das traditionell mit dem Römischen Reich identifiziert wurde, verloren sei und das Ende der Geschichte mit dem Gericht Gottes bevorstehe.[132] Tatsächlich sollte die seitens der Araber von langer Hand geplante vollständige Vernichtung des christlichen Imperiums mit der langjährigen Belagerung Konstantinopels erst für die Jahre 674–678[133] anstehen.
Die Gründe, die die Autoren der Relatio motionis dazu gebracht haben, bei ihrer Begründung des von ihnen initiierten und bis zuletzt aufrechterhaltenen Schismas auf die Erzählungen von den drei Männern im Ofen und von Daniel in der Löwengrube zu verweisen, haben auf diesem allgemeinen Hintergrund aber noch eine weitere Spitze: Sie haben eine martyrologische Dimension. Dazu ist zuerst daran zu erinnern, dass beide Erzählungen seit frühchristlicher Zeit als alttestamentliche Vorbilder zum Kernbestand der Entfaltung eines christlichen Verständnisses des Martyriums gehören, das auch in den ältesten Motiven christlicher Kunst seinen Niederschlag gefunden hat.[134] Weiterhin gehören die sogenannten Daniel-Zusätze, also das Gebet des Azaria (Dan 3,26–45 LXX) und der Lobgesang der drei Männer im Ofen (Dan 3,52–88 LXX) in der LXX zu den sogenannten biblischen Oden (Cantica) des Alten und Neuen Testamentes.[135] Bereits die LXX versammelt sie zusätzlich unabhängig von ihrem eigentlichen Ort im Schriftenkorpus als gesonderten Anhang zu den Psalmen und bietet 9+5=14 biblische Oden. Diese Cantica haben bekanntlich früh ihren Platz im klösterlichen Stundengebet gefunden. Dan 3,52–88 LXX ist bereits seit dem 3. Jahrhundert als Bestandteil der Ostervigil bezeugt und wandert im Osten ab dem 4. Jahrhundert in den Morgengottesdienst (Orthros) ein.[136] Zusammen mit Dan 3,26–45 LXX gehört der Lobgesang der drei Männer im Ofen zur sogenannten Vierzehn-Oden-Reihe, die ihre endgültige Gestalt im 6./7. Jahrhundert gewonnen und den Orthos in Konstantinopel geformt hat.[137] Auch beim Übergang zu der aus Jerusalem stammenden Neun-Oden-Reihe ab dem 7. Jahrhundert bleiben beide Cantica integraler Bestandteil des Stundengebetes.[138] Im klösterlichen Bereich scheinen alle Oden „den morgendlichen Schluss der nächtlichen Psalmodie“[139] gebildet zu haben. Im städtischen Kontext, insbesondere in Konstantinopel, hat sich ein System der Verteilung aller Oden auf die Wochentage durchgesetzt, bei dem das Gebet Azarias am Samstag und der Lobgesang der drei Männer im Ofen am Sonntag zu stehen kamen.[140] Aus dieser liturgiegeschichtlichen Entwicklung kann geschlossen werden, dass dem Mönch Maximos durch das jahrzehntelange regelmäßige Gebet beide Texte aus Dan 3 LXX innigst vertraut gewesen sind; er sollte sie sogar auswendig beherrscht haben. Überdies hat das in der Relatio motionis erwähnte Gespräch an einem Samstag stattgefunden,[141] so dass man sogar davon ausgehen kann, dass Maximos Dan 3,26–45 LXX am selben Tag gebetet hat. Es lohnt sich m. E., einen näheren Blick auf diesen Text zu werfen.
Das Gebet Azarias (Dan 3,26–45 LXX) gehört zur „Gattung nachexilischer Volksklagelieder“ und ist wahrscheinlich zur „Zeit der Religionsverfolgung durch Antiochus IV. Epiphanes und des Makkabäeraufstandes“[142] entstanden, also zwischen den Jahren 168–164 v. Chr. Uns interessiert hier jedoch nicht der Entstehungskontext dieses Canticum, sondern seine Bedeutung für die literarische Konstruktion der Relatio motionis. Dazu soll versucht werden, die aktuelle Bedeutung dieses Textes für den Beter Maximos und seine Gruppe im Jahre 655 und den Jahren davor deutlich zu machen, die auf dem Hintergrund der Überzeugung zu erwarten ist, dass die prophetischen Weissagungen Daniels vor ihrer unmittelbaren Erfüllung stehen. Dazu müssen einige Verse aus Dan 3,26–45 LXX näher in Betracht gezogen werden.
26 Gepriesen bist du, Herr, Gott unserer Väter …
27 Denn du bist gerecht in allem, was du an uns getan hast, …
und alle deine Urteile (κρίσεις) sind wahr.
28 … bei allem, was du über uns gebracht hast
und über die heilige Stadt, die (Stadt) unserer Väter, Jerusalem,
denn mit Wahrheit und Urteilsspruch (κρίσει) hast du dieses alles über (uns)
gebracht wegen unserer Sünden.
29 Denn wir haben gesündigt und gesetzwidrig gehandelt,
indem wir von dir abgefallen sind (ἀποστῆναι ἀπό σου),
und wir haben uns in allem versündigt (ἐξημάρτομεν ἐν πᾶσιν),
und auf deine Gebote haben wir nicht gehört …
32 und du hast uns in die Hände von Feinden ausgeliefert,
von gesetzlosen ganz feindseligen Abtrünnigen (ἀποστανῶν),
und einem ungerechten König, dem bösesten auf der ganzen Erde (βασιλεῖ ἀδίκῳ καὶ πονηροτάτῳ) …
38 Und es gibt in dieser Zeit keinen Herrscher und Propheten und Anführer (ἄρχων καὶ προφήτης καὶ ἡγούμενος),
weder Ganzopfer (ὁλοκαύτωσις) noch Brandopfer (θυσία)
noch Opfergaben (προσφορά) noch Räucheropfer (θυμίαμα),
keinen Ort, Früchte vor dir darzubringen und Barmherzigkeit zu finden (οὐ τόπος τοῦ καρπῶσαι ἐνώπιόν σου καὶ εὑρεῖν ἔλεος) …
39 Aber mit zerbrochener Seele und niedergeschlagenem Geist mögen wir angenommen werden!
40 Wie bei Ganzopferdarbringungen von Widdern und Stieren
und wie bei Zehntausenden von fetten Lämmern,
so geschehe unser Brandopfer heute vor dir (οὕτως γενέσθω ἡ θυσία ἡμῶν ἐνώπιόν σου σήμερον)
und möge hinter dir (die Annahme) vollenden …
44 Und alle mögen zuschanden werden, die gegenüber deinen Knechten Schlimmes tun,
und sie mögen von jeder Macht und Herrschaft beschämt werden,
und ihre Stärke möge zerbrochen werden!
Die Verse 27–29 thematisieren die allumfassende Sünde (ἐν πᾶσιν) des Volkes Gottes und dessen Abfall sowie das gerechte Gericht über das Volk und die Stadt Jerusalem. Diese Aussage entspricht völlig der Deutung der politischen und kirchenpolitischen Ereignisse, die Maximos seit der Eroberung Jerusalems durch die Araber im Jahre 638 und deren dramatischem Siegeszug im Osten mit der Eroberung und Verwüstung weiter Teile des Imperiums vorgenommen hat. Er wird diese Verse im Bewusstsein ihrer unmittelbaren Aktualität gesprochen haben.
Vers 32 bedeutet eine Steigerung, insofern die Feinde, in deren Hände das Volk Gottes ausgeliefert ist, hier Apostaten sind, zu denen der βασιλεύς gehört, dessen Bosheit nicht mehr zu übertreffen sei. Auch hier ist m. E. mit einer direkten Aktualisierung durch die Maximos-Gruppe zu rechnen. Dazu passt, dass der Titel βασιλεύς seit dem endgültigen Sieg des Herakleios über die Perser im Jahr 628 zum Haupttitel des römisch-byzantinischen Kaisers geworden war.[143] In dieser Tradition hat das Pamphlet Contra Constantinopolitanos den römischen Basileus, also Konstans II., zu denen gezählt, „die die Lüge umarmen“ (τὸ ψεῦδος δήπουθεν).[144] Er wird an erster Stelle für das Martyrium des Maximos verantwortlich gemacht und als „äußerst vernunftwidrig, unklug und dumm“[145] bezeichnet.
Vers 38 beklagt den völligen Ausfall von Führung im Volk und jeder Möglichkeit der Opferdarbringung. Der griechische Text enthält außer ὁλοκαύτωσις vier Opfertermini, die mit transformierten Inhalten wichtige liturgische Termini des griechischen Ostens geblieben sind: θυσία,[146] προσφορά,[147] θυμίαμα[148] und καρπόω.[149] Die zentrale Aussage des Verses, dass es keinen Ort mehr gebe (οὐ τόπος), an dem der Opferkult noch vollzogen werden könne, entspricht genau der von Maximos zuvor gemachten Aussage, dass es in den Kirchen des Byzantinischen Reiches keinen fruchtbringenden Gottesdienst mehr gebe (s. o.).
Die Verse 39 und 40 bedeuten Wende und Höhepunkt des Gebetes, das von der Klage zur Bitte übergeht. Als Alternative zur gegenwärtigen kultischen Notlage bietet der Beter sich und seine Gefährten Gott als „Ganzopfer“ (ὁλοκαύτωμα)[150] an. „Hier wird vermutlich zum ersten Mal (zeitlich nach Jes 53, darauf aufbauend?) der Gedanke eines stellvertretenden Sühnetodes von Menschen laut.“[151] Er begegnet im frühen Judentum bekanntlich weiterhin in 2 Makk 7,32.37 und 4 Makk 17,22 und wird im Neuen Testament zu einem Interpretament des universalen eschatologischen Heilswerkes Jesu Christi.[152] Darüber hinaus aber hat „die Theologie des Martyriums des Buches Daniel … eine große Wirkung auf die folgende Zeit ausgeübt.“[153] Besteht das wesentliche Merkmal der frühchristlichen Märtyrer darin, als Nachfolger Jesu Christi auch zu einem Nachahmer (μιμητής) von dessen Leiden und Tod zu werden, so gehört von Anfang an auch der Opfergedanke zur Theologie des Martyriums. Besonders auffällig ist die Opferterminologie bei Ignatios von Antiochien,[154] genauso begegnet sie dann aber auch in frühchristlichen Märtyrerakten.[155] Bei Origenes wird die Opferidee auch in der neu entstandenen Mischgattung Exhortatio ad Martyrium aufgenommen.[156] Auch er nimmt Bezug auf Dan 3 und fordert dazu auf, die drei Männer im Ofen nachzuahmen.[157] In der Deutung des Martyriums setzt er
das Opfer der Märtyrer in Parallele … zu dem Opfer Christi, das sie in Anknüpfung an Kol 1,24 aktualisieren und fortsetzen. Auf diese Weise erlangen sie Anteil an der Erlösung für sich selbst und für andere. Wie nämlich die blutige Taufe Jesu zur Sühne für die Welt geworden ist, so werden viele Menschen durch den Dienst der Märtyrer, die Taufe ihres blutigen Martyriums, von den Sünden gereinigt.[158]
Auch in der griechischen Theologie des 4. Jahrhunderts bleibt dieses Opferverständnis lebendiger Bestandteil der Theologie des Martyriums.[159]
Anscheinend ist es in Palästina unter der Perserherrschaft und der erneuten Erfahrung des Martyriums zu einer Aktualisierung aller Dimensionen der frühchristlichen Martyriumstheologie gekommen. Man muss gar nicht die Frage stellen, ob dort die Exhortatio ad Martyrium des Origenes gelesen wurde, was sich wohl nicht mehr feststellen lassen wird,[160] um doch sagen zu können, dass dem Maximos-Kreis alle skizzierten Dimensionen des Martyriums präsent gewesen sind. So bezeugen also diese von den dann Verurteilten (mit)verfassten Texte bereits zu Lebzeiten eine Deutung ihrer bewusst in Kauf genommenen Strafen als Martyrium. Denn in der literarischen Konstruktion der Relatio motionis wird in inhaltlicher und formaler Hinsicht die Analogie zu frühchristlichen Märtyrerprozessen gesucht. Die Autorität des Kaisers als höchster Repräsentant des christlichen Staates wird in dieser Perspektive mit der kategorischen Ablehnung der Melchisedek-Typologie und jeder Zuständigkeit in kirchlichen Angelegenheiten prinzipiell in Frage gestellt. Die Kirche befinde sich wie zur Zeit Daniels in einer Babylonischen Gefangenschaft mit einem vom Glauben abgefallenen βασιλεύς, ohne Führung und ohne einen kultisch wirksamen Ort göttlicher Gegenwart. Nur noch das Opfer einiger Weniger könne durch stellvertretende Sühne Reinigung von den Sünden bewirken, die die Herakleios-Dynastie und ihre kirchlichen Parteigänger über das Volk gebracht hätten.
Die zwischen 655 und 662 entstandenen sog. Prozessakten des Maximos-Prozesses haben eine Opferbereitschaft deutlich gemacht, die sich in der literarischen Gestaltung der berichteten Vorgänge als Martyriumsbereitschaft selbst deutet und damit in irritierender Selbstsicherheit das Urteil über den als unvermeidbar dargestellten Leidensweg vorwegnimmt. Dazu gehört auch das befremdliche Verhalten der Verurteilten, die bereits zu Lebzeiten Kontaktreliquien von sich selbst verteilen, welche der zukünftigen Märtyrerverehrung dienen sollen. Diese Gruppe palästinischer sabaïtischer Mönche um Maximos hat offensichtlich versucht, ihre kirchlichen, theologischen und politischen Gegner in die Rolle von Christenverfolgern zu drängen und die eigene Verurteilung im Strafprozess einschließlich der schweren Körperstrafen der Nachwelt als Martyrium zu überliefern.
3 Martyrium?
Angesichts der bisher gemachten Beobachtungen stellen sich abschließend drei Fragen.
Wie sind die das Martyrium des Maximos dokumentierenden Texte literarisch einzuordnen?
Wie ist der Prozess gegen Maximos und seine Anhänger zu beurteilen? Schließlich:
Wie ist das Leiden der Verurteilten zu bewerten?
1. Die in den Blick genommenen fünf Texte, die zwischen 656 und 668/669 ‒ Contra Constantinopolitanos vielleicht etwas später ‒ entstanden sind, gehören zusammen mit einem weiteren Brief des Maximos an Anastasios Monachos und einem Brief des Anastasios Monachos[161] zu einer Gruppe von sieben Texten, die von ihren Herausgeberinnen Pauline Allen und Bronwen Neil als „Documenta biographica“[162] bezeichnet wurden. Beide erblicken die Hauptbedeutung dieser Quellen darin, dass diese „seven largely biographical documents shed light on the imperial reaction against those, who resisted monothelitism.“[163] Die vorstehende Analyse hat deutlich gemacht, dass mit dieser Beschreibung bestenfalls ein Aspekt dieser Texte benannt ist. Denn darüber hinaus werfen sie ein helles Licht auf das Selbstverständnis ihrer Autoren und das der Angeklagten. Ihr Zweck bestand auch nicht nur in „antimonotheletischer Propaganda,“[164] wie Brandes meint. Vielmehr ging es den nach 662 verfassten Texten primär um die Propagierung des Leidensweges der Verurteilten als Martyrium mit dem Ziel der Verbreitung eines neuen Märtyrer- und Heiligenkultes. Dieser Kult wurde bereits in diesem Zeitraum von einer Gruppe von Maximianern in Jerusalem/Palästina praktiziert. Bei der Epistula ad Theodosium Gangrensem handelt es sich nach der Bekundung ihres Verfassers[165] um ein Enkomion, näherhin um ein hagiographisches Enkomion[166] in einem enzyklischen Brief. Das Hypomnesticum ist eine enkomiatisch-hagiographische Propagandaschrift, gewissermaßen ein Heiligsprechungsplädoyer. Die vor 662 verfassten Texte, die Relatio motionis und die Disputatio Bizyae, zeigen bereits eine Vielzahl von literarischen Formen, die Merkmale altkirchlicher Märtyrerakten sind.[167] Ungeachtet ihres tatsächlichen historischen Informationswertes[168] handelt es sich damit um literarische Produkte, die nach dem Vorbild altkirchlicher Märtyrerakten gestaltet wurden.
2. James D. Howard-Johnston hat die beiden Prozesse gegen Papst Martin I.[169] und Maximos im Zusammenhang seiner quellenmäßigen Einordnung ihrer Texte jüngst als „two show-trials in Constantinople in the 650s“[170] bezeichnet. M. E. ist die hier gesuchte Analogie nicht nur anachronistisch, sondern auch sachlich verfehlt. Bekanntlich geht der Begriff „Schauprozess“ auf die Moskauer Prozesse der Sowjetmacht vor allem der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts und entsprechende NS-Prozesse zurück, die unter dem Anschein von Rechtsstaatlichkeit zur Verfolgung politischer Gegner bei Fehlen tatsächlicher Delikte und bereits vorher feststehendem Urteil zu propagandistischen Zwecken durchgeführt wurden. Damit setzen sie zum einen rechtsstaatliche Verhältnisse der Moderne voraus, die dem Anschein nach zu propagandistischen Zwecken imitiert werden, zum anderen ist die intendierte abschreckende Wirkung an eine existierende mediale Öffentlichkeit gebunden. Von beidem kann im Byzantinischen Reich des 7. Jahrhunderts keine Rede sein. Vor allen Dingen aber stand das Ergebnis des Prozesses gegen Maximos weder von vornherein fest, noch ist die eigentlich zu erwartende Todesstrafe umgehend wie in einem Schauprozess vollzogen worden. Mit der Bezeichnung „Schauprozess“ wird überdies auch der Charakter dieser Quellen verzeichnet. Denn es handelt sich dabei eben nicht um Propagandaliteratur der anklagenden Staatsbehörde zur Rechtfertigung einer ‒ hier noch gar nicht feststehenden ‒ Strafe und Abschreckung eventueller Anhänger, sondern genau im Gegenteil um Propagandaschriften der Angeklagten, die die völlige theologische Unterwerfung unter maximianische Theologumena fordernd ihre Deutung der Ereignisse im Sinne eines beabsichtigten Selbstopfers verbreiten wollten.
Das gegen Maximos und seinen Schüler im ersten Hochverratsprozess von 655 erlassene Urteil der Verbannung muss demgegenüber als ausgesprochen milde und nachsichtig beurteilt werden. Beide wurden nur an verschiedene Orte Thrakiens unweit der Hauptstadt verbannt und hatten anscheinend untereinander Kontakt. Maximos konnte in Bizye und dann Perberis ungehindert seine Aktivitäten in literarischer Hinsicht fortsetzen. In diesen Jahren sind dort die Relatio motionis und die Disputatio Bizyae entstanden und wahrscheinlich auch die sogenannte Disputatio cum Pyrrho (CPG 7698).[171]
Howard-Johnston hat die von ihm gezogene Parallele dadurch zu verstärken versucht, dass er die Relatio motionis als „analogous to the journal of current events disseminated in samizdat form in the later decades of the Soviet phase of Russian history“[172] bezeichnet. Auch dieser Vergleich ist m. E. unzulässig, weil die als Samizdat (Selbstverlag) in der UdSSR seit den 1950er Jahren bezeichnete systemkritische Literatur, die durch Abschreiben mit der Hand, der Schreibmaschine oder durch Fotokopie vervielfältigt wurde, ein staatlich kontrolliertes Verlagswesen und ein staatliches Zensursystem voraussetzt. Samizdat ist deshalb der Inbegriff unzensierter Literatur. Keines dieser Merkmale trifft auf die Situation der von 655–662 Verbannten zu. Im Gegenteil ist zu betonen, dass sie ungehindert literarisch tätig werden und ihre Sicht der Dinge propagandistisch verbreiten konnten. Die Reichsregierung hat überdies in dieser Zeit mehrfach durch die Entsendung hochrangiger Delegationen Versuche unternommen, mit Maximos zu einer theologischen Verständigung zu gelangen (s. u.). John F. Haldon ist zuzustimmen: „from the earliest days of the conflict in 645/6 through to the final execution of Maximusʼ punishment, the government and Constans were eager to come to a peaceful compromise.“[173]
Auf der Basis der gezogenen Analogie hat Howard-Johnston schließlich auch noch die Hochverratsanklagepunkte gegen Maximos für „flimsy“ und „easily rebutted“[174] erklärt. Er fällt damit in eine von den Quellen selbst propagierte und im Rahmen der Heiligenverehrung des Maximos in späterer Zeit sich durchsetzende unkritische Sicht[175] zurück, die angesichts der kritischen Analysen von Brandes, Christian Boudignon, Phil Booth u. a.[176] nicht mehr haltbar ist. Es handelt sich beim Prozess gegen Maximos um einen nach damaligem Recht nicht unbegründeten Hochverratsprozess, bei dem die Anklage berechtigterweise die theologische Kontroverse in den Hintergrund gedrängt hat.
3. Die seit der alexandrinischen Union von 633[177] zwischen dem dortigen chalcedonensischen Patriarchen Kyros (631–642)[178] und den ägyptischen Severianern (sog. Theodosianern) ausgebrochene theologische Kontroverse unter den Anhängern des christologischen Dogmas der Synode von Chalcedon (451) bezog sich auf die Frage, ob das Wirken Christi und dann auch sein Wille und Wollen an die Person bzw. Hypostase oder an die jeweilige Natur gebunden sind. Das Problem war, dass allgemein bis zum Ausbruch des Streites menschlicher Wille nur als im Widerspruch zu Gott stehend gedacht wurde und deshalb bei Jesus ausgeschlossen war. Ebenso wurde jede Eigendynamik und Selbstmächtigkeit von Jesu Menschheit wenn nicht unwirklich, so doch unwirksam gedacht, um das Zerreißen der Einheit der Person in zwei Handlungsträger auszuschließen ‒ eine Gefahr, die man mit Nestorianismus identifizierte. Maximos hatte seit Anfang der vierziger Jahre herausgearbeitet, dass Handlungsfähigkeit, Eigendynamik und Wille zur menschlichen Natur gehören. In einer Fülle luzider Distinktionen konnte er klären, dass das Wollen in verschiedene Willensakte zu differenzieren ist. So müsse grundlegend unterschieden werden zwischen einem natürlichen Streben nach dem, was der Natur entspricht, und einer auf Entscheidung hindrängenden Disposition des Menschen, die in ihrem Trachten alle Willensakte beeinflusst. Maximos nannte dies bekanntlich den „gnomischen Willen“ (γνώμη).[179] Während dieser das Moment der Entscheidung notwendig einschließende Willensvollzug mit dem Schwanken zwischen Bösem und Gutem und der je und je erfolgenden Entscheidung für das Böse ein Kennzeichen des der Sünde unterworfenen Menschen sei, schloss Maximos dieses „gnomische Wollen“ freilich für Christus aus, in dem keine Ambivalenz und Veränderlichkeit des Wollens war, weil sein Wollen sich Gott nicht widersetzte. Nichts anderes aber als diese dem Christus-Bild der Evangelien ganz entsprechende Aussage ist das Anliegen der sogenannten Monotheleten gewesen.[180] Maximos aber beharrte darauf, dass diejenigen Theologen, die nur von einem einheitlichen Wirken und Wollen Jesu reden wollten, mit der einen ἐνέργεια nur die göttliche Wirksamkeit und mit dem einen θέλημα nur einen göttlichen Willen Jesu lehren, was nachweislich nicht zutrifft.[181] Darüber hinaus aber hat er zusammen mit einer Gruppe von aus Palästina geflohenen Mönchen und in Kooperation mit dem aus Jerusalem stammenden griechischen Papst Theodorus I. (642–649)[182] die Lateransynode von 649 vorbereitet und bewusst den Weg äußerster kirchlicher Konfrontation mit der Kirche von Konstantinopel gesucht. Denn die nach dem Tode Theodorus’ dann unter dem Vorsitz von Papst Martin I. vom 5.–31. 10. 649 tagende Synode hat am Ende in ihrem 18. Anathema alle bisherigen Konstantinopler Patriarchen des 7. Jahrhunderts, Sergios, Phyrrhos und den regierenden Paulos, zusammen mit Theodoros von Pharan, Kyros von Alexandrien samt allen ihren Anhängern, anathematisiert und diese in eine Reihe mit den Häresiarchen Sabellius, Arius, Nestorius, Eutyches u. a. gestellt.[183] Nach den Forschungen von Rudolf Riedinger[184] ist davon auszugehen, dass der gesamte Aktenbestand[185] dieser Synode ‒ einschließlich der Reden der Bischöfe! ‒ von griechischen Mönchen um Maximos in Rom zuvor kompiliert und komponiert worden war.[186] Dieses Mönchskollektiv, eine kirchenpolitisch agierende Gemeinschaft (κοινόν),[187] die durch palästinische Herkunft, kompromisslose Verdammung des Monophysitismus, griechische Sprache und Kampf gegen die Konstantinopler Kirchenpolitik verbunden war, hat sich auf der Lateransynode unter der Leitung des Abtes des palästinischen Sabas-Klosters, Johannes, durch die vorbereitete Verlesung einer eigenständigen dogmatischen Stellungnahme[188] und die damit verbundene Petition einer Anathematisierung der Konstantinopler Patriarchen zum Motor der dogmatischen Positionierung der Synode und ihrer radikalen konfrontativen Haltung gemacht. Nach Boudignon handelt es sich hierbei um eine Machtergreifung der Palästinenser unter Zustimmung des römischen Klerus als entscheidendem Schachzug einer internationalen Strategie. Damit wurde das palästinische Mönchtum um Maximos „symboliquement l’Église véridique dans sa prétention à définir le dogma, elle devient une sorte d’Église pure qui devance l’Église institutionelle.“[189] Diese Mönche „bedienten sich gleichsam des römischen Primatsanspruchs, um ihren theologischen Einsichten als Dogmata eines ‚6. Allgemeinen Konzils‘ Geltung zu verschaffen.“[190] Diese Synode mit ihrem ökumenischen Anspruch ist eine reichsrechtlich illegale Veranstaltung gewesen,[191] die Karikatur einer kirchlichen Synode, die deswegen auch in den Akten des 6. Ökumenischen Konzils (680/681) keine Rolle spielt. Aber seit dem Oktober 649 war nicht nur die Kirchengemeinschaft zwischen der römischen und der konstantinopolitanischen Kirche aufgehoben, sondern die letztere kollektiv unter das Anathema des Lateranense gestellt worden mit der Folge, dass Maximos und seine Kreise auch in Konstantinopel selbst jede communicatio in sacris ablehnten, wenn nicht die Beschlüsse dieser Synode vorher anerkannt würden.
Weiterhin hat Maximos noch im Exil nichts unversucht gelassen, jeden Versuch einer Überwindung des Schismas und einer theologischen Verständigung zu unterlaufen. Am 19. 5. 658 erreichte ihn ‒ er und Anastasios Monachos befanden sich inzwischen im thrakischen Perberis im Exil ‒ eine Gesandtschaft des Patriarchen Petros I. von Konstantinopel (654–666),[192] die ihm die Nachricht überbrachte, dass alle fünf Kirchen von Konstantinopel, Rom, Antiochien, Alexandrien und Jerusalem sich in der theologischen Kontroversfrage geeinigt hätten. Maximos berichtet davon in dem bereits erwähnten Brief an Anastasios Monachos.[193] Die theologische Grundlage, auf der die Einigung möglich geworden sei, wird von Maximos mit folgenden Worten wiedergegeben: „Wir bekennen zwei Wirksamkeiten wegen des Unterschieds (sc. der beiden Naturen) und eine Wirksamkeit wegen der Einigung (sc. beider Naturen).“[194] Und die Boten fügten hinzu: „Der Kaiser und der Patriarch haben, entsprechend der Entscheidung des römischen Papstes (διὰ πραικέπτου), beschlossen, dich zu anathematisieren, wenn du nicht gehorchst, und dass du den dir von ihnen bestimmten Tod erleiden wirst.“[195] Tatsächlich hat Papst Vitalian (657–672)[196] gegenüber Konstantinopel eine Versöhnungspolitik betrieben, die zur seiner Anerkennung durch den Kaiser und Patriarchen Petros geführt hat. Die von Maximos wiedergegebene Einigungsformel wird durch einen in den Akten des 6. Ökumenischen Konzils (680/681) erhaltenen Brief des Patriarchen an den Papst bestätigt.[197] Auch wenn die Formel auf den ersten Blick einen dürftigen Eindruck macht ‒ der originale Wortlaut ist unbekannt, sind doch alle monotheletischen Zeugnisse nach 681 vernichtet worden ‒, so ist doch bedeutsam, dass hier das berechtigte maximianische Anliegen eines der menschlichen Natur wesensmäßig eignenden Wollens und Wirkens anerkannt wird. Damit war auch die Aussage eines zwiefachen Wirkens und Wollens unvermeidbar geworden und de facto der Typos preisgegeben worden. Es ist aber bezeichnend, dass Maximos diese Einigungsformel rundweg ablehnt und sofort der Lächerlichkeit preisgibt. Damit nicht genug, hat er nun aber auch umgehend versucht, diese Einigung zu hintertreiben, indem er sofort nach Abreise der Delegation eben jenen Brief an Anastasios Monachos schrieb und ihn aufforderte, diese Informationen weiterzugeben. Anastasios wandte sich daraufhin an die Maximianer unter den Mönchen im sardinischen Cagliari[198] ‒ bemerkenswerterweise gibt es anscheinend keine direkt ansprechbaren Sympathisanten in Rom mehr! Auch er zieht die Formel ins Lächerliche, indem er unterstellt, damit würden in Christus drei Willen und Wirkweisen gelehrt werden, und fordert die Mönche auf, in Rom Einfluss zu nehmen,[199] um die Verständigung rückgängig zu machen. Dieses Unternehmen war allerdings nicht von Erfolg gekrönt.
Noch in Bizyae war Maximos durch eine kaiserliche Gesandtschaft schon in Aussicht gestellt worden, den Typos zu annullieren, wenn er wieder in die communio eintreten würde,[200] und bereits auch die Anerkennung eines differenzierten Dyotheletismus zugestanden worden.[201] Schließlich bot der Kaiser sogar an, Maximos öffentlich zu seinem geistlichen Vater zu ernennen und ihm damit entscheidenden Einfluss auf die weitere Kirchenpolitik einzuräumen. Einzige Bedingung war, dass zuvor durch die gemeinsame öffentliche Kommunion die Kirchengemeinschaft wieder hergestellt werde.[202]
Maximos aber hat allen Bemühungen der konstantinopolitanischen Religionspolitik, in den Jahren nach 655 in der theologischen Kontroversfrage zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen und dabei die zutreffenden Erkenntnisse des Maximos zu berücksichtigen, eine Abfuhr erteilt. Auf die Frage der Delegation in Perberis, zu welcher katholischen Kirche er denn gehöre, wenn alle sich geeinigt hätten, antwortete er unter Inanspruchnahme von Mt 16,18, Gott habe kundgetan, dass „die katholische Kirche das korrekte und rettende Glaubensbekenntnis an ihn sei.“[203] Diese Lieblingsformulierung des Maximos implizierte für ihn allerdings, dass dieses „korrekte und rettende Glaubensbekenntnis“[204] in einem maximalistischen Sinne die vollständige Rezeption seiner Theologumena beinhalten müsse, wie ihm dies auf der Lateransynode gelungen war ‒ einschließlich der dortigen personenbezogenen Anathematismen.
Wie ist diese provozierende Starrheit und zelotische Unbeweglichkeit nun in Hinsicht auf den Leidensweg der Verurteilten zu bewerten?
Maximos lebte spätestens seit der arabischen Eroberung Jerusalems im Jahre 638 in Erwartung des Untergangs des Imperiums und des bevorstehenden Endgerichts. Er hat die ihm verhasste Herakleios-Dynastie und deren Religionspolitik gegenüber den „Monophysiten“ dafür verantwortlich gemacht und war in politische Machenschaften verstrickt, mit denen die Hoffnung auf eine politische und kirchenpolitische Wende verbunden gewesen ist. Dies brachte ihm nicht zu Unrecht den Vorwurf des Hochverrates ein. Der „Confessor“ hat weiterhin die Autorität des christlichen Kaisertums in dessen Selbstverständnis prinzipiell in Frage gestellt und ihm jede Zuständigkeit in kirchlichen Angelegenheiten abgesprochen, jedoch selbst den Anspruch erhoben, das Dogma in ökumenischer Verbindlichkeit formulieren zu können und dafür das Institut der Synode und das Papsttum instrumentalisiert. Ab 658 befand sich Maximos in jeder Hinsicht in einer isolierten und ausweglosen Situation. Das Imperium bestand immer noch, die Herakleios-Dynastie regierte, und die römische Kirche suchte die Verständigung mit Konstantinopel. In diesen Jahren entstand bei den inzwischen Exilierten die Deutung ihrer Situation als Martyrium und als mit den frühchristlichen Christenverfolgungen identisch. Das durch die Ablehnung jeder Verständigung selbst provozierte und in Kauf genommene, aber noch ausstehende Leiden wurde bereits im Voraus in Aufnahme zentraler martyrologischer Theologumena von ihnen gedeutet ‒ bis hin zum freiwillig vollzogenen stellvertretenen Sühnopfer. Eine sich darin äußernde Selbststilisierung und Selbstüberhebung ist kaum zu übersehen. Angesichts der völlig andersartigen politischen Bedingungen und konkreten Herausforderungen verbietet sich eigentlich jeder Vergleich mit frühchristlichen Martyrien. Dies betrifft auch die in jener Zeit geführten intensiven Diskussionen über legitime und verwerfliche Motive von Märtyrern.[205] Dennoch bleibt festzuhalten, dass zumindest in der vorkonstantinischen Zeit der bewussten Provokation und dem gewollt-provozierten Martyrium mit Ablehnung begegnet wurde. Die Grenzlinie lag zwischen lobenswerter Martyriumsbereitschaft und einem in Martyriumssucht gesuchten und provozierten Martyrium.[206] Wenn bei den frühchristlichen Martyrien tatsächlich gilt, dass „die letzten Motive der Märtyrer verborgen bleiben und daß erst nach vollendetem Martyrium von anderen rekonstruiert wurde, was zum Martyrium führte,“[207] so trifft dies im Fall des Maximos gewiss nicht zu. Denn die Motive seines Handelns sind zureichend deutlich. Und sie sind auch nicht von anderen nachträglich rekonstruiert worden, sondern bereits vor dem Leidensweg von den unmittelbar Betroffenen formuliert worden. Von der Kirche von Konstantinopel wurden sie jedenfalls als bewusst gesuchte Provokation wahrgenommen.[208]
Es kann deswegen auch nicht verwundern, dass mit der endgültigen kirchenpolitischen Kehrtwende unter Konstantin IV. (668–685)[209] und der kirchlichen Rezeption zentraler Theologumena des maximianischen Dyotheletismus durch das 6. Ökumenische Konzil (680/681) keineswegs eine persönliche Rehabilitierung des Maximos und seiner Schüler einhergegangen ist. In den Konzilsakten wird sein Name nicht ein einziges Mal erwähnt. Es sollte noch bald 300 Jahre dauern, bis sich die Kirche von Konstantinopel zu einer offiziellen Anerkennung dieses schillernden Theologen als Bekenner und Heiliger durchgerungen hat.[210]
© De Gruyter 2016
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Artikel
- “We Have the Prophets”: Inspiration and the Prophets in Athenagoras of Athens
- Saying of the desert fathers, Sayings of the rabbinic fathers: Avot deRabbi Natan and the Apophthegmata Patrum
- Κανών and Scripture according to the Letter of Peter to James
- Anfänge der julianistischen Hierarchien
- Maximos Homologetes († 662): Martyrium, Märtyrerbewusstsein, „Martyriumssucht“?
- Rezensionen
- Christoph Schubert: Minucius Felix, Octavius, Kommentar zu frühchristlichen Apologeten 12
- Ismo Dunderberg: Gnostic Morality Revisited, Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 347
- Sébastien Morlet, Olivier Munnich und Bernhard Pouderon, Hgg.: Les Dialogues Adversus Iudaeos. Permanences et mutations d’une tradition polémique. Actes du colloque international organisé les 7 et 8 décembre 2011 à l’Université de Paris-Sorbonne
- Averil Cameron: Dialog und Debatte in der Spätantike
- Christian Back: Die Witwen in der frühen Kirche
- Andreas Heiser: Die Paulusinszenierung des Johannes Chrysostomus: Epitheta und ihre Vorgeschichte, Studien und Texte zu Antike und Christentum 70
- Matthew R. Crawford: Cyril of Alexandria’s Trinitarian Theology of Scripture
- Adam Ployd: Augustine, the Trinity and the Church. A Reading of the Anti-Donatist Sermons
- Isabelle Bochet und Michel Fédou, Hgg.: L’exégèse patristique de l’Épître aux Galates
- Andrea Villani: Lire les pères de l’église entre la Renaissance et la Réforme. Six contributions éditées par Andrea Villani avec une préface de Bernard Pouderon
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