Home „Spiritual Care“ im Plural
Article Publicly Available

„Spiritual Care“ im Plural

  • Eckhard Frick EMAIL logo and Simon Peng-Keller
Published/Copyright: February 10, 2017
Become an author with De Gruyter Brill

„Spiritual Care“ ist ein Terminus, den es nur im Singular gibt. Das mag erklären, wieso von „Spiritual Care“ in selbstverständlicher Weise so gesprochen wird, als handle es sich dabei um ein bestimmtes theoretisches Konzept oder ein spezifisches Praxismodell. Die Vorstellung, die diese Redeweise nahelegt, ist irreführend. In Tat und Wahrheit wird der Terminus „Spiritual Care“ für sehr unterschiedliche und mitunter gegensätzliche Ansätze, Modelle und Konzepte gebraucht. Auch wenn der sprachliche Ausdruck nicht pluralisierbar ist, gibt es Spiritual Care nur in einer Vielzahl von Formen, die zudem in einer starken Wandlung begriffen sind. Den weiten Rahmen dafür bildet die Vorgabe der Weltgesundheitsorganisation, die spirituelle Dimension solle in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung berücksichtigt werden. Wie das geschehen soll, wer dafür welche Verantwortung trägt und welche Kompetenzen dazu nötig sind: all das ist der konkreten Ausgestaltung überlassen und muss mit Blick auf diese diskutiert werden.

Entsprechend der Vielzahl unterschiedlicher Gesundheitskontexte und länder- und kulturspezifischen Besonderheiten entwickelt sich gegenwärtig auch das Forschungs- und Praxisgebiet „Spiritual Care“, wie die Beiträge dieses Heftes belegen, in sehr unterschiedliche Richtungen. Um dieser Vielfalt gerecht werden zu können, ist in Diskussionen über Spiritual Care zu klären, worüber jeweils gesprochen wird. Das gilt nicht zuletzt für die engagiert geführte deutschsprachige Diskussion um das Verhältnis von Seelsorge und Spiritual Care. Wer Spiritual Care und Klinikseelsorge in ein Kontrastverhältnis bringt oder aber miteinander identifiziert, dem steht jeweils ein konkreter Ansatz vor Augen, der nicht mit „Spiritual Care“ schlechthin in eins gesetzt werden darf. Es gehört zur selbstreflexiven Entwicklung des Praxis- und Forschungsfeldes Spiritual Care, zwischen unterschiedlichen Ansätzen zu differenzieren und nach den jeweiligen Kontexten zu fragen, in denen sie entstanden sind, sowie ihre Übertragbarkeit in andere Kontexte zu überprüfen.

Die Beiträge des vorliegenden Heftes zeigen auf, dass die Diskussion um die Rolle der Klinikseelsorge im Horizont von Spiritual Care vielschichtiger ist, als oft wahrgenommen wird. In einer genaueren Analyse zeigt sich, dass sich in dieser Diskussion unterschiedliche Diskurse miteinander vermischen. In den Beiträgen von Guy Jobin und Simon Peng-Keller wird aufgezeigt, dass der Diskurs um Spiritual Care, wie er sich in den letzten Jahrzehnten auf internationaler Ebene entwickelte, historisch betrachtet in keinem direkten Zusammenhang zu den spezifischen Herausforderungen steht, vor die sich die Klinikseelsorge angesichts schwindender personeller und finanzieller Ressourcen im deutschsprachigen Raum gestellt sieht. Die von der WHO und auch kirchlichen Organisationen wie dem Ökumenischen Rat der Kirchen geförderte Sensibilisierung für die spirituelle Dimension der Gesundheitsversorgung ist weder die Ursache noch die Lösung für die Probleme, vor denen die Klinikseelsorge im deutschen Sprachraum gegenwärtig steht. Inwiefern unterschiedliche Ansätze von Spiritual Care, die sich in dem durch die WHO abgesteckten Rahmen in den letzten Jahren entwickelt haben, als Chance genutzt werden können, um die Klinikseelsorge in einem gewandelten Gesundheitswesen zukunftsorientiert zu verorten, ist eine offene Diskussion. Sie wird im vorliegenden Heft um weitere Stimmen und Aspekte bereichert. Lea Chilian und John Swinton gehen zusammen mit den bereits genannten Beiträgen von Jobin und Peng-Keller im Hinblick auf die akademische Diskussion konzeptionellen Fragen nach. Ralph Kunz und Hanspeter Schmitt greifen in ihren Beiträgen eine Frage auf, in der sich die Herausforderungen, vor der die Klinikseelsorge heute steht, exemplarisch bündeln: Ist es unter Wahrung des Seelsorgegeheimnisses möglich, sich an der klinischen Dokumentation zu beteiligen? Dass sich der Wandel im Bereich der Klinikseelsorge auch räumlich niederschlägt, zeigt Thomas Fries am Beispiel der Universitätsspitäler Lausanne und Zürich. Zwei qualitativ-empirische Arbeiten runden die wissenschaftlichen Beiträge dieser Ausgabe ab: Michael Petery analysiert den Umgang mit Krankheit, Alter und Sterben in bayerischen jüdischen Gemeinden, während Jochen Sautermeister und Kollegen den Umgang katholischer Priester mit spiritueller Trockenheit untersuchen und damit einen Beitrag zum Thema „Spiritual Self-Care“ leisten.

Die vorliegende Ausgabe enthält neben einem Interview mit Almut Göppert über die Neueröffnung von Sukhavati in Bad Saarow und einem Erfahrungsbericht einer Medizinstudentin über Spiritual Care an der Universität Zürich nicht zuletzt die Abschiedsvorlesungen von Traugott Roser, Niels-Christian Hvidt und Eckhard Frick, die von 2010 bis 2015 die Münchner Professur für Spiritual Care bekleideten. Der Spirituelle Impuls von Simon Künzler und Lydia Maidl lädt zum Achten auf den Augenblick, zum Mitlesen und Mitsingen ein.

Wir wünschen eine inspirierende Lektüre und anregende Diskussionen!

Eckhard Frick & Simon Peng-Keller

München und Zürich am Jahresbeginn 2017

Online erschienen: 2017-2-10
Erschienen im Druck: 2017-4-1

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Articles in the same Issue

  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Editorial
  4. „Spiritual Care“ im Plural
  5. Originalia
  6. Raum, Leib und Ritualität. Beobachtungen zu einigen Aspekten verleiblichter Spiritualität in Schweizer Universitätsspitälern
  7. Development of the connection between spirituality and medicine: historical and current issues in clinical contexts
  8. „Spiritual Care“ im Werden
  9. Der Care-Begriff in Spiritual Care
  10. Diskrete Spiritual Care – zwischen Dokumentationspflicht und Seelsorgegeheimnis
  11. Wenn die Sinnquelle zu versiegen droht ...
  12. Krankheit, Alter und Sterben in der Migrationsgesellschaft. Das Beispiel der bayerischen jüdischen Gemeinden
  13. Essay
  14. Dokumentation und Verletzbarkeit
  15. Spiritual Care – How does it work?
  16. Response to Eckhard Frick’s reflections on Spiritual Care
  17. Krankenhausseelsorge und Spiritual Care
  18. Was ist spirituell an der Medizin?
  19. Glaube versetzt Berge – Berge versetzen Glauben
  20. Bloß nicht im Abseits stehen
  21. Spiritueller Impuls
  22. Nur dieser Augenblick
  23. Interview
  24. Ein Ort, der Wohlbefinden, Glück und Zufriedenheit bringt
  25. Erfahrungsbericht
  26. Is a philosophically-oriented discussion serving the purpose of spiritual care?
  27. Seelsorge in der (stationären) Palliativversorgung
  28. Spiritual Care im Medizinstudium an der Universität Zürich
  29. Das frankophone Netzwerk Santé, Soins et Spiritualités RESSPIR
  30. Tagungsbericht
  31. Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft für Gesundheit und Spiritualität 2016: Spiritual Care und Islam
  32. Das Stichwort
  33. Religionspsychologie, religionspsychologisch
  34. Missionieren, missionarisch
  35. Rezensionen
  36. Gillen Erny (2016) Gesund geführt im Krankenhaus. Die Papst-Franziskus-Formel. Esch-sur-Alzette: Moral Factory. ISBN 978-1535249577; 80 Seiten; Taschenbuch 19,80 €; E-Book 9,98 €.
  37. George Fitchett & Steve Nolan (Hg.) (2015) Spiritual Care in practice: Case studies in Healthcare Chaplaincy. London: Jessica Kingsley Publishers. ISBN: 978-1849059763; 320 Seiten; Preis: 24,69 €, 18.99 £, E-Book: 15,70 €.
  38. Jeanine Young-Mason (Hg.) (2015) The Patient’s Voice. Experiences of Illness. Philadelphia: F.A. Davis. ISBN: 978-0-803-65865-3; 245 Seiten; Preis: E-Book 30,25 €.
  39. Mitteilungen
  40. Mitteilungen
Downloaded on 11.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/spircare-2017-0001/html
Scroll to top button