Der unternehmerische Soldat
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Or Yosefov
Zusammenfassung
Technologie und technischer Fortschritt sind zwei zentrale Untersuchungsgegenstände der Sozialforschung. Ein Land, das in jüngster Zeit auf diesem Gebiet im Besonderen hervorsticht, ist Israel. Warum taucht ausgerechnet dieser Staat als eine Erfolgsgeschichte des Unternehmertums auf? Wieso ist im In- und Ausland von einer sogenannten unternehmerischen Start-up Nation die Rede? Israel scheint dabei erfolgreich zu sein, technologische Innovation und risikofreudige Unternehmer:innen zu fördern. Die Start-up Nation hat ihre Entstehung nicht nur der umfangreichen staatlichen Unterstützung seit den 1960er Jahren zu verdanken, sondern auch dem enthusiastischen Engagement ihrer unternehmerischen Soldat:innen. In Anlehnung an Joseph A. Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung wurde die Unternehmerfunktion als die interne treibende Kraft im Kapitalismus identifiziert. Die Motivation für wirtschaftliches Unternehmertum ist für das System als solches unersetzlich und liegt im Kern seiner bürgerlichen Familie. Der vorliegende Beitrag offenbart anhand biographisch-narrativer Interviews mit ehemaligen Soldat:innen aus militärisch-technologischen Spitzeneinheiten – die einen erfolgreichen unternehmerischen Werdegang heutzutage vorweisen –, fünf Grundzüge für die Motivationsgrundlage in der Start-up Nation: Heimatsverteidigung, Risikofreude, Geheimhaltung und gruppeninterne Anerkennung, Reproduktion der militärischen Einheit und die Grown-up Nation. Denn in Israel hat sich im Zuge der Globalisierung und nach neoliberalem Vorbild ein spezifischer Modus der Erzeugung von Unternehmertum und Motivierung ihrer Träger etabliert. Dabei wurde ersichtlich, dass ihre Sozialisation in den Einheiten und die permanente Bedrohungslage im Land die spätere Laufbahn als digitale Unternehmer:innen maßgeblich prägen.
1 Einleitung
Technologie und technischer Fortschritt sind zwei zentrale Untersuchungsgegenstände der Sozialforschung und werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet (vgl. Barbrook und Cameron 1997; Boltanski und Chiapello 2005; Horkheimer und Adorno 2019 [1947]; Zuboff 2019). Ein Land, das in jüngster Zeit auf dem Gebiet der technologischen Innovation im Besonderen hervorsticht, ist Israel. Warum taucht ausgerechnet dieser Staat als eine Erfolgsgeschichte der Start-up-Unternehmen[2] und des Unternehmertums auf? Wieso ist im In- und Ausland von einer sogenannten unternehmerischen Start-up Nation die Rede (vgl. Almor und Heilbrunn 2013; Fraiberg 2017; Senor und Singer 2009)? Eins ist klar: Seit den 1990er Jahren bildet die Tech-Industrie, auch als Hightech-Industrie Israels bekannt, den Motor der israelischen Ökonomie. Sie ist ein Kennzeichen des nationalen Stolzes und steht inzwischen für den kapitalistischen Siegeszug im Lande.
Mit einem Anteil von 10 % an der israelischen Erwerbsbevölkerung (vgl. Israel Innovation Authority und Start-Up Nation Policy Institute 2020, 2022) wächst die Zahl der Tech-Beschäftigten, deren Vergütung sowie das gesellschaftliche Ansehen der israelischen Tech-Community weiter. Israel scheint dabei erfolgreich zu sein, technologische Innovation und risikofreudige Unternehmer:innen zu fördern. Die Zahl der Mathematik-, Informatik-, Elektrotechnik- und Physik-Studierenden Israels nimmt ebenfalls rasant zu, genauso wie die jährlichen Ausgaben der staatlich subventionierten Programme zur Förderung der Digitalökonomie (vgl. Breznitz 2007: 1473; Honig 2001: 17; IVC 2020: 26). Denn weitere erfolgreiche Start-up-Unternehmen zu gründen, ist heutzutage fast zum nationalen Auftrag geworden.
Wie kam es dazu? Dieser Wandel stellt kein singuläres Ereignis dar, das allein für Israel gilt, denn im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich die Art und Weise, wie gearbeitet, konsumiert und produziert wird, wesentlich verändert, und digitale Technologie ist nunmehr gegenwärtiger als je zuvor (vgl. Staab 2019: 169). Die Start-up Nation hat ihre Entstehung nicht nur der umfangreichen staatlichen Unterstützung seit den 1960er Jahren zu verdanken, sondern auch dem enthusiastischen Engagement der in diesem Beitrag vorgestellten Sozialfigur eines unternehmerischen Soldaten.
Ganz bewusst werden die hier behandelten Unternehmer:innen als digitale und nicht als technologische oder technische Unternehmer:innen betrachtet. Hierfür erscheint der Fokus auf das Digitale sinnvoll, weil dadurch der Begriff des Unternehmertums, mit dem der Digitalisierung zusammengedacht werden kann. Denn, wie später gezeigt wird, beinhalten keineswegs alle Innovationen dezidiert eine hervorgebrachte technologische Erneuerung. Vielmehr handelt es sich in zahlreichen Projekten um eine digitalisierte Form einer bereits vorhandenen Tätigkeit oder um eine minimale digitale Verbesserung eines bereits Bestehenden, d. h. in Joseph A. Schumpeters Terminologie, um eine neue Kombination. Demzufolge ist eine Innovation nicht allein auf ihre technische Erfindung zu reduzieren (vgl. 2018 [1942]: 181 ff.). Durch Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung wurde überdies die Unternehmerfunktion als die interne treibende Kraft im Kapitalismus identifiziert (vgl. Kocka 2017: 16), welcher Marx beispielsweise wenig bis keine Beachtung schenkte. Die Motivation der Unternehmer:innen für wirtschaftliches Unternehmertum ist für das System als solches unersetzlich.
Einerseits macht die Start-up Nation mit einigen im Militär ausgebildeten Überwachungstechnologien, wie dem der NSO-Gruppe verwendeten Spionageprogramm, weltweit Schlagzeilen und sorgt für Aufregung (vgl. Kirchgaessner et al. 2021). Andererseits wurde in Israel ein erfolgreicher Unternehmer und Verfechter der Tech-Industrie, Naftali Bennett, aus der Mitte der Start-up-Generation zum neuen Ministerpräsidenten gewählt (vgl. Schneider 2021). Gegenwärtig stellen viele unternehmerische Soldat:innen eine zivilgesellschaftliche Opposition gegen die in Israel heftig diskutierte Justizreform (vgl. Roth 2023). Zudem ist das Narrativ der Start-up Nation mit Unternehmertum, disruptiver Technologie und ausgeprägtem, kreativem Erfindergeist so tief in der israelischen Gesellschaft verankert, dass es in letzter Zeit in anderen Bereichen Einzug findet: Die einzige israelische Radsportgruppe wurde zur „Israel Start-up Nation“ umbenannt und die israelische Tech-Industrie wurde bereits zum Gegenstand populärer Romane. Auf den ersten Blick scheinen dies nur kleine Marketingstrategien zu sein. Tatsächlich sagen sie viel über das gesellschaftlich gefestigte Ethos der Start-up Nation aus.
Der vorliegende Beitrag beabsichtigt, eine fundierte Erklärung des Unternehmertums in der heutigen Start-up Nation zu geben sowie herrschenden Narrativen auf den Grund zu gehen. Denn in Israel hat sich im Zuge der seit den 1970er Jahren in Gang gesetzten Globalisierung und nach neoliberalem Vorbild seit den 1980er Jahren (vgl. Krampf 2018; Ram 2008; Rivlin 2011; Zeira 2021) ein spezifischer Modus der Erzeugung von Unternehmertum und Motivierung ihrer Träger etabliert. Dies ist daher für den Kapitalismus als Ganzes interessant, da er seit den theoretischen Überlegungen Schumpeters im 20. Jh. mit einem bestimmten Problem zu kämpfen hat, nämlich dem Problem des Ersterbens der Unternehmerfunktion (vgl. 2018 [1942]: 183 ff.). Dabei bedient sich folgende Arbeit der Biographieforschung. Denn es handelt sich hier um den Versuch, diesen Modus der Erzeugung von Unternehmertum auf der Ebene der Motivationsgrundlage anhand von biographisch-narrativen Interviews mit ehemaligen Soldat:innen aus Israels militärisch-technologischen Spitzeneinheiten zu rekonstruieren. Mit anderen Worten: Es geht um eine Soziologie der Antriebskraft von heutigen digitalen Unternehmer:innen. Aus diesem thematischen Hintergrund ergibt sich die Frage: Wie wird im Kontext der israelischen Start-up Nation die Motivationsgrundlage für Unternehmertum erzeugt?
Im Verlauf der Arbeit wird gezeigt, dass sich zwischen dem Unternehmertum in Israel und dem Militär eine spezifische Verbindung beobachten lässt. Anhand biographisch-narrativer Interviews mit ehemaligen Soldat:innen, die heute einen erfolgreichen unternehmerischen Werdegang vorweisen, wurden fünf Grundzüge ihrer Motivation herausgearbeitet. Dabei wurde ersichtlich, dass ihre Sozialisation in einem jungen Alter in militärisch-technologischen Spitzeneinheiten die spätere Laufbahn als digitale Unternehmer:innen maßgeblich prägt. Die Heimat Israel erweist sich als wichtiger Bezugspunkt für Unternehmertum. Schrittweise wurde eine tiefere Ebene betreten: vom Unternehmertum, über die Unternehmer:innen bis hin zum Kern ihrer Motivation.
Wie Israel zu einer Start-up Nation avancierte und wo ihre Wurzeln aufzuspüren sind, wird zunächst im Forschungsstand erläutert (Kapitel 2). In Kapitel 3 wird mithilfe von Schumpeter auf die Bedeutung von Unternehmertum, Innovation und Unternehmer:innen im Kapitalismus näher eingegangen sowie nach der besonderen Rolle der bürgerlichen Familie gefragt. Darauffolgend wird die gegenwärtige Diskussion der Unternehmer- und Innovationsforschung aufgegriffen. Kapitel 4 gibt Auskunft über die methodische Vorgehensweise dieser Ausarbeitung sowie über die Datenerhebung und -analyse. Kapitel 5 ist der detaillierten Fallanalyse von Israels unternehmerischen Soldat:innen gewidmet, in dem die fallspezifischen Ergebnisse zur Motivationsgrundlage fürs Unternehmertum ausführlich präsentiert werden. Zum Schluss wird in Kapitel 6 durch den Verweis auf zentrale Argumente eine Schlussfolgerung gezogen und ein Ausblick auf weiterführende Forschungsperspektiven gegeben.
2 Zur Entstehungsgeschichte: Eine Einführung in die Start-up Nation
Israel gilt weithin als globaler Tech-Gigant (vgl. Breznitz 2007: 41; Rivlin 2011: 116; Senor und Singer 2009: 27). Dies war allerdings nicht immer der Fall. Politökonomisch betrachtet ist der Staat Israel seit seiner Gründung am 14. Mai 1948 ein komplexes Terrain. Seit der Errichtung des jüdischen Staates dominierte, zumindest ideologisch (vgl. Zeira 2021), die auf sozialistisch-zionistischen Idealen beruhende Hegemonie in allen Sphären (vgl. Ram 2001: 270; Rivlin 2011: 14 f.; Yuchtman-Yaar et al. 2001: 12 f.). Dementsprechend wurde die Wirtschaft gestaltet und diesbezüglich die geopolitischen Allianzen – vor allem mit der Sowjetunion, Polen und später auch Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich – und internationalen Beziehungen gepflegt. Der Staat legte seinen Schwerpunkt auf den Ausbau des landwirtschaftlichen Sektors und des Bauwesens zur Versorgung und Eingliederung einer wachsenden Zahl jüdischer Einwander:innen (vgl. Breznitz 2007b: 45; Rivlin 2011: 2). Die bis dahin bestehende sozialistisch-organisierte Ökonomie begann allerdings Mitte der 1960er Jahre an Bedeutung zu verlieren, was zum Teil auf die sukzessive Industrialisierung der Landwirtschaft sowie auf eine wirtschaftliche Rezession dieser Zeit zurückzuführen ist.
Der ab Ende der 1960er Jahren unternehmerische Staat Israel entstand zu diesem Zeitpunkt aus dem Zusammenhang von Not und Forschung und folgte einer Intensivierung der nationalen Sicherheitspolitik mit technologischen Mitteln. 1967 brach der Sechstagekrieg[3] – auch Junikrieg genannt – aus (vgl. Breznitz 2007b: 46). Frankreich, das bis zur Vorkriegszeit einen großen Waffenlieferanten für Israels Rüstung, Kampfflugzeuge und Atomkraft darstellte, verhängte nun aufgrund einer Annäherung mit der arabischen Welt und der Niederlage im Zuge des Algerienkrieges einige Jahre zuvor ein Waffenembargo[4] gegen Israel (vgl. Breznitz 2007b: 46 f.; Rivlin 2011: 41, 131). Das französische Embargo, das Israel stark traf, bewirkte verstärkte israelisch-amerikanische Beziehungen (vgl. Rivlin 2011: 131) und trug dadurch einerseits zur Aspiration der Errichtung eigener Ressourcen der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) bei, wodurch andererseits die internationalen Dependenzen diesbezüglich verringert wurden. Am 10. Juni 1967 eroberte Israel das Westjordanland, einschließlich Ostjerusalems, die Sinai-Halbinsel, den Gazastreifen und die Golanhöhen (vgl. Rivlin 2011: 143; Robert 2015: 325) von Jordanien, Ägypten und Syrien. Die eroberten Gebiete – Schätzungen zufolge verdreifachte Israel nach dem Sechstageskrieg sein Territorium – bedeuteten jedoch nicht nur wirtschaftliches Wachstum und ‚positive‘ Einwanderung, worauf noch vertiefend eingegangen wird, sondern brachten neue Herausforderungen, soziale Konflikte und Spannungsverhältnisse mit sich. Diese sind den soziologischen Theorien zufolge Motor gesellschaftlicher Transformationen (vgl. Dahrendorf 1972; Staab 2019: 278 f.).
Ausgehend von diesen Geschehnissen entfaltete sich der israelische IKT-Sektor in den 1970er Jahren, wodurch Israel begann intensiv einen „militärischen Keynesianismus“ (Staab 2019: 63) zu betreiben.[5] Die unmittelbare Antwort auf das französische Embargo und den seit der Staatsgründung anhaltenden Boykott der Arabischen Liga (vgl. Rivlin 2011: 39) bestand darin, in Ressourcen und F&E-Projekten zu investieren, um einerseits das rasche Wachstum der israelischen Tech-Industrie, insbesondere im Verteidigungsbereich, zu gewährleisten (vgl. Breznitz 2007b: 47) und andererseits das Inlandsproduktionsmodell auszubauen (vgl. Rivlin 2011: 131). Dieses Handeln entstand nicht nur aufgrund der Tatsache, dass das Bündnis mit den Vereinigten Staaten erst nach dem Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 de facto begann und die USA Israel noch keinen Zugang zu entscheidenden Technologien gewährten (vgl. Breznitz 2007b: 215, Fußnote 7). Vielmehr richtete Israel die Akkumulation von Ressourcen und Fähigkeiten auf einen bestimmten Pfad der Erfindung neuer Produkte aus (vgl. ebd.: 50) und legte den Fokus, da es noch keine normative Handelspolitik mit seinen benachbarten Ländern führte, in erster Linie auf eine Wirtschaft immaterieller Güter (vgl. Bell 1999 [1973]; Haskel und Westlake 2018; Ram 2001: 267).
Israel investierte mit öffentlichen Fördermitteln große Summen in die IKTHard- und Softwareinfrastruktur (vgl. Rivlin 2011: 103) sowie in den Bereich des Risikokapitals (vgl. Honig 2001: 36; Mazzucato 2019: 257) durch die enge Verbindung zu akademischen F&E-Einrichtungen. Als Folge wurde der Staat zum größten Arbeitgeber. Grundpfeiler in der staatlichen Steuerung stellte die Einrichtung eines neuen Amtes, des Office of the Chief Scientist (später umbenannt in Israel Innovation Authority) (vgl. Rivlin 2011: 104), das eine ökonomisch wichtige Funktion im Verteidigungsministerium und im Ministerium für Handel und Industrie einnahm. Des Weiteren stellten erste Vorreiter israelischer Tech-Industrie wie Elron Electronics Industries sowie das nachher in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium gegründete Elbit folgendes Schema dar: eine langfristige, staatlich engagierte Finanzierung in Tech-Unternehmen. Zeitgleich zum staatlichen Eingreifen in die Wirtschaft nahm der Privatkonsum ab 1967 erheblich zu (vgl. Bank of Israel und Meridor 1987: 9) und die Ausgaben des Verteidigungsbudgets nach BIP verdoppelten sich (ebd.: 18), woraus eine korrespondierte Zunahme an Staatsverschuldung – ein sogenanntes deficit spending – folgte. Der vorherige hohe Arbeitslosengrad nahm ab, während die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Sektor seine Blütezeit erreichte.
Ein weiterer, aufschlussreicher Faktor bei der Emergenz der israelischen Tech-Industrie war das durch Einwanderung hinzukommende Humankapital. Israel verfügte somit über einen ‚positivwirkenden‘ Faktor, den andere Staaten nicht besaßen: Es konnte im Lichte der militärischen ‚Erfolge‘ des Sechstagekrieges, – zwischen 1967 und 1973 wanderten rund 200.000 Menschen nach Israel ein –, und nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs, – zwischen 1989 und 1991 kamen rund 350.000 Menschen hinzu –, eine massive Zuwanderung verzeichnen (vgl. Central Bureau of Statistics 2016; Rivlin 2011: 109). Diese stellten neue Arbeitskräfte dar, welche sowohl an der Entwicklungs- als auch der Produktionsebene teilhatten.
Obgleich nicht alle Israelis die Institution des Militärs durchlaufen, wie z.B. einige arabische Israelis oder die ultraorthodoxe Bevölkerung, bildet der verpflichtete Militärdienst einen seit der Staatsgründung bestehenden Konsens zwischen dem Staat, der Wirtschaft und der Zivilbevölkerung. Denn die in Israel bestehende Wehrpflicht gilt seit jeher als der „Schmelztiegel“ seiner heterogenen Gesellschaft (Gorny 2001: 68; Swed und Butler 2015: 125 f.). Darüber hinaus fungiert der Militärdienst für Achtzehnjährige in bestimmten Einheiten als ein Sprungbrett ins Berufsleben, vor allem in die wachsende Start-up-Szene, und kann somit auch als ein Gewächshaus für Tech-Unternehmen angesehen werden. Der Dienst bietet seit langem eine – ausschließlich für militärische Zwecke – ‚gratis‘ Ausbildung, in die zahlreiche theoretische und praktische Erfahrungen einfließen. Schließlich ebneten die Investition öffentlicher Gelder in F&E-Programmen seit den 1970er Jahren (vgl. Maggor 2020: 10; Mazzucato 2019: 257; Teubal 1993: 487), eine seit den 1990er Jahren wachsende, ebenfalls teils staatlich-finanzierte Risikokapitalaktivität (vgl. Avnimelech et al. 2010: 143; Lopez-Claros und Mia 2006: 98) und das enge Verhältnis mit dem US-amerikanischen Aktienmarkt[6] (vgl. Breznitz 2007b: 50; Rivlin 2011: 108; Swed und Butler 2015: 124) für die israelische Start-up Nation den Weg.
Ab den 1990er Jahren erschloss Israel – vor dem Hintergrund des Endes der Systemkonkurrenz – neue Märkte in Osteuropa, Ost- und Südostasien (vgl. Ram 2001: 267). Dabei manifestiere sich Letzterer bloß zwei Jahrzehnte später – über China, Vietnam, Südkorea, Singapur und Malaysia, mit dem beispielsweise bis heute noch keine bilateralen Beziehungen geführt werden – als entscheidender Konsument der in Israel entwickelten Technologie (vgl. Israel Export Institute 2018: 30, 81). Von diesem Zeitpunkt an Mitte der 1990er Jahren ist der Hightech-Schwung Israels in vollem Gange (vgl. Rivlin 2011: 101), analog zu den hervorstechenden, durch Risikokapital finanzierten Investitionen in den Digitalsektor, die nach und während des Dotcom-Crash zu beobachten sind (vgl. Staab 2016: 52 f.). Seit den 2010er Jahren machen die Produkte aus der Tech-Industrie fast 50 % aller von Israel exportierten Güter aus und summierten sich im Jahr 2017 samt ausgeführten technologischen Dienstleistungen, F&E und Start-up-Unternehmen auf 46,5 Mrd. US-Dollar (vgl. Israel Export Institute 2018: 15, 45 ff.). Eine durchaus gigantische Summe gemessen an Israels Größe. Aus einer ‚Gesellschaft der Austerität‘ in den 1950er Jahren etablierte sich in Israel der Jahrhundertwende eine Gesellschaft des Überflusses mit dem Siegel einer Start-up Nation.
Trotz der großen medialen Aufmerksamkeit über die Start-up Nation (vgl. Green und Partners 2016; Shulman 2021) und verbreiteter Rezeption innerhalb der Volks- und Betriebswirtschaftslehre sowie der gegenwärtigen Managementliteratur (vgl. Almor und Heilbrunn 2013; Central Bureau of Statistics 2010; Malach-Pines et al. 2004; Shoham und Avnimelech 2012; Trajtenberg 2001) sind Zusammenhänge zwischen dem Militärdienst per se und der israelischen Tech-Industrie bislang nicht gründlich soziologisch untersucht worden. Einige dieser Studien suggerieren, der erfolgreiche israelische Unternehmer sei ein männlicher Mittvierziger, der als Erstgeborener in einer kleinen Familie aufgewachsen sei, mit technischer Ausbildung, technischer Beschäftigung und akademischem Hochschulabschluss, der in der Armee als Offizier in einer Kampffunktion oder technischen Position tätig gewesen sei. Stattdessen wird im vorliegenden Beitrag versucht, mittels der qualitativen Sozialforschung, tieferliegende Motivationen der digitalen Unternehmer:innen zu identifizieren.
3 Schumpeters Modell der wirtschaftlichen Entwicklung
Der 1883 geborene österreichisch-amerikanische Politökonom Joseph Alois Schumpeter widmete sich in zahlreichen Schriften der Erklärung des herrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystems (vgl. Kocka 2017; Scheuerman 2016). Er legte eine Konjunkturtheorie dar, setzte sich mit Demokratietheorien, Eliten und sozialen Konflikten auseinander, entwickelte eine Analyse des industriellen Monopolkapitalismus und beeinflusste eindrucksvoll – neben Karl Marx und Max Weber – den wissenschaftlichen Diskurs über Kapitalismus (vgl. Kocka 2017: 14 f.; Staab 2019: 276). Die in seinem Hauptwerk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie aufgestellte These, der Kapitalismus beruhe auf einer „schöpferischen Zerstörung“ (2018 [1942]: 113 ff.), hallt im Hinblick auf disruptive Technologien noch heute nach. In seinem früheren wirtschaftstheoretischen Beitrag Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (vgl. 1987 [1911]) rückte Schumpeter die Erklärung kapitalistischer Dynamik in den Mittelpunkt der Analyse (vgl. Kocka 2017: 15; Scheuerman 2016: 410). Dabei führte er erstmals auch sein später berühmt gewordenes Modell des wirtschaftlichen Unternehmertums ein (vgl. Löffler 2013: 16; Scheuerman 2016: 410) und lokalisierte den Mechanismus jener Dynamik in der Innovation selbst (vgl. Kocka 2017: 15 f.). Denn die Einführung von Neuem skizziere die Ablösung – öfters die Zerstörung – von Altem. Nun bietet sich die Aufgabe, Schumpeters Modell nachzuverfolgen, um einerseits seine Relevanz und Spezifika herauszuarbeiten (Kapitel 3.1), die unternehmerische Funktion (Kapitel 3.2) und ihre Motivationsgrundlage zu ergründen (Kapitel 3.3), sowie andererseits zu verstehen, in welcher Weise Schumpeters Ausführungen zum Unternehmertum eine weitgehend wichtige Rolle in der aktuellen Unternehmerforschung einnehmen (Kapitel 3.4).
3.1 Unternehmertum und Innovationsprozesse
Schumpeter ging von langen Wellen, sogenannten Konjunkturzyklen, der wirtschaftlichen Entwicklung aus (vgl. 1987 [1911]: 318). Hierbei wendete er sich explizit gegen die zu dieser Zeit vorherrschende Annahme, die ökonomische Stagnation sei auf die zunehmende Unzulänglichkeit der Konkurrenz zurückzuführen (vgl. Hesse und Teupe 2019: 12). Er war zudem skeptisch gegenüber Denkweisen, die eine Sättigung von Bedürfnissen oder eine Ausschöpfung des technologischen Innovationspotentials suggerieren (vgl. Deutschmann 1996: 332). Vielmehr seien es die Unternehmer[7], die neuen Kombinationen und die schöpferische Zerstörung, welche eine valide theoretische Erklärung für wirtschaftliche Entwicklung bilden (vgl. Löffler 2013: 17). Mit schöpferischer Zerstörung schildert Schumpeter den Prozess,
„der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft. Dieser Prozeß […] ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum. Darin besteht der Kapitalismus und darin muß auch jedes kapitalistische Gebilde leben“ (2018 [1942]: 116; Hervorh. im Original).
Im Rahmen der Zerstörung alter Produktionsweisen verändern die Unternehmer die Produktion, aber modifizieren auch alte Verfahren, Denk- und Handlungsmuster und setzen somit Innovation ein. Dies bringe wirtschaftliche Entwicklung hervor. Bevor wir dennoch auf die Rolle des Unternehmers in diesem Prozess der schöpferischen Zerstörung näher eingehen, werden zuerst zwei zentrale Warum-Fragen aus Schumpeters Kapitalismusanalyse – warum Unternehmertum und warum Innovation – erörtert.
Schumpeter fasst den Kapitalismus als ein sich im Wandel begriffenen, nie statisches Wirtschaftssystems auf, in dem Wirtschaftssubjekte, also die Unternehmer, samt ihrer Innovationskraft, Motor der Entwicklung bilden (vgl. 2018 [1942]: 115). Das Unternehmertum an sich stelle schlicht „die Durchsetzung neuer Kombinationen“ (1987 [1911]: 111) dar, wodurch ökonomische Wettbewerbsvorteile eintreten. Dieser Prozess sei für den Kapitalismus unentbehrlich. Denn ohne die Energie des Unternehmertums würde der Kapitalismus in eine bürokratisierte Welt verfallen, in der Innovation nur auf routinemäßige Weise entstehe (vgl. 2018 [1942]: 181 ff.). Da das Unternehmertum vergänglich sei und zugleich die innovativen Merkmale des Kapitalismus gewährleiste (vgl. ebd.: 182), müsse es nach Schumpeter (vgl. ebd.: 434 f.) unterstützt werden. In der Tat aber passiere das Gegenteil (siehe Kapitel 3.2).
Betrachtet man nun die Frage der Innovation, so bestehe ihr Unterschied zu standardisiertem Produzieren darin, dass sie Neues hervorbringe bzw. verschieden produziert werde (vgl. Schumpeter 1987 [1911]: 100]). Vor Schumpeters Augen standen die großen Innovationen und innovativen Kräfte seiner Zeit: die Dampfmaschine, die Eisenbahn, die Chemieindustrie und die Erzeugung von Elektrizität, welche jeweils in einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung (von daher Konjunkturtheorie) mündeten (vgl. 1987 [1911]: 340, 2018 [1942]: 182). Die Innovationen einzelner Pioniere, seien es zum Beispiel neue Organisationsformen, Fertigungs- und Verteilungsmethoden, die Nutzung einer Erfindung, die Erschließung neuer Beschaffungs- und Absatzmärkte oder die Weckung neuer Bedürfnisse (vgl. 1987 [1911]: 100 f., 2018 [1942]: 95, 182), führen die Wellen wirtschaftlichen Ausbaus herbei. An den Innovationen einzelner Unternehmer orientieren sich dann „scharenweise“ (Schumpeter 1987 [1911]: 339) viele weitere Nachahmer (vgl. Löffler 2013: 19 ff.; Staab 2019: 228), und versuchen – bevor die Welle ihre Energie verliere und sich einen neuen Zyklus zu entfalten beginne –, auch auf den betreffenden Sektor umzurüsten. Denn der Erfolg ruft viele Begeisterte auf den Plan, die ihrerseits aufgrund eines außergewöhnliches Profitversprechens in den Genuss des Durchbruchs kommen wollen. Die Neuerung könne sich erst in eine Innovation entwickeln, sofern sie aktiv durch einen Unternehmer implementiert oder durchgesetzt werde (vgl. Schumpeter 2018 [1942]: 182). Sollte sie tatsächlich Erfolg haben, würde sich daraus ein umfassender und nicht auf eine einzelne Branche beschränkter Wirtschaftsboom entfalten. Andererseits könne diese qualitative Veränderung auch für andere in eine wirtschaftliche Krise münden (vgl. ebd.: 95) oder diese Entwicklung würde den Verzicht auf die bislang „[…] zur zweiten Natur“ (2006 [1911]: 183) gewordenen Konsumkombinationen bedeuten, die nun angesichts des Durchbruchs der neuen Innovation obsolet wären. Daraus ergibt sich, dass eine erfolgreiche Innovation dabei andere Firmen zur Adaption ans Neue forciert. Beispiele dafür sind der rasche Umstieg in den 1980er Jahren von der Schreibmaschine zum Computer oder viel früher von der Kutsche zum Wagen. Diese Logik tritt gegenwärtig in der Technologiebranche in Erscheinung, wo Innovationen rasch und getaktet hintereinander emergieren und alle Involvierten dazu getrieben sind, das ‚nächste große Ding‘ zu erfinden, es auf dem Markt zu platzieren und schnell wie möglich auf Erneuerungen anderer zu agieren.
Innovation spreche also nicht für die technische Erfindung allein und könne dementsprechend nicht auf diese reduziert werden, denn sie verleihe dem Unternehmer zunächst einen ökonomischen Vorsprung gegenüber den weiterhin in den alten Strukturen Produzierenden, wodurch höhere unternehmerische Gewinne erzielt werden können (vgl. Ebner 2006: 324 f.; Löffler 2013: 17 f.). Sie vollziehe sich nicht von allein oder nur durch zur Verfügung gestelltes Kapital (vgl. Schumpeter 1987 [1911]: 165).[8] Vielmehr entstehe eine Innovation aus unternehmerisch mobilisierter Arbeit, mit dem Ziel alte Konstrukte aufzubrechen und die Neuerung in ein marktfähiges Produkt umzusetzen (vgl. Deutschmann 1996: 323, 2020: 169). Dadurch entziehe sich der Unternehmer für einige Zeit der Konkurrenz (vgl. Schumpeter 1985 [1927]: 167), und völlig neue Konsumbedürfnisse würden geschaffen (vgl. 1987 [1911]: 100). Wie im nächsten Kapitel dargelegt wird, bilde das Unternehmertum und die damit einhergehende Durchsetzung neuer Kombinationen eine Funktion, die prinzipiell von Unternehmern zu erfüllen ist.
3.2 Unternehmerfunktion und Charakteristika des Schumpeterianischen Unternehmers
Zahlreiche Zeitungsartikel, Interviews, Videos und (auto-)biographische Bücher der führenden Unternehmerpersönlichkeiten der Gegenwart – wie etwa Steve Jobs, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Elon Musk oder Peter Thiel (siehe Kapitel 3.4) – stehen jedem Leser nun nach Belieben zur Verfügung. Was zu der Zeit Schumpeters noch ein äußerst aufwendiger Prozess der Quellen- und Datenrecherche war, ist heute bloß einen Mausklick bzw. eine Suchanfrage entfernt. Tech-Pioniere erreichen im digitalen Kapitalismus jene Aura, welche sich der Schumpeterianische Unternehmer nicht hätte träumen lassen. Das Vorbild von Unternehmen als „Kräfte des Guten“ (Mazzucato 2019: 280), altruistisch und fortschrittlich für die Gesellschaft (vgl. Dror 2015; Nachtwey und Seidl 2020) mit scheinemanzipatorischen Leitsprüchen, spiegelt sich in vielen modernen Mottos der digitalen Unternehmer:innen der Gegenwart selbst wider, womit sie ebenfalls „ihr eigenes ökonomisches Heroentum [legitimieren]“ (Staab 2019: 24).
Unternehmerfiguren ließen sich in früheren, nicht unbedingt kapitalistischen, Gesellschaftsstrukturen ebenso wiederfinden (vgl. Schumpeter 2006 [1911]: 171). Da sie nicht genügend erforscht wurden, stellte Schumpeter (vgl. 1985 [1927]: 168) die Unternehmerfigur seiner Zeit sowie ihre Historie, Charakteristika und Motivation in den Vordergrund der Kapitalismusanalyse. Er wies dem Unternehmer eine besondere Rolle im Kapitalismus zu: Er sei „unser Mann der Tat“ (2006 [1911]: 172), der im Unterschied zum statischen Wirt oder Finanzier nicht bloß leitet oder Kredite zur Verfügung stellt, sondern eine Geschäftsidee wirkungsvoll umsetze. Die Durchsetzungsfähigkeit und das damit einhergehende visionäre Denken seien grundsätzlich nur bei einer kleinen Gruppe von Menschen vorhanden (vgl. 1987 [1911]: 119 f.). Jedoch konnte sich der Schumpeterianische Unternehmer erst in einer kapitalistisch-organisierten Ökonomie so markant zum „energischen Typus“ (2006 [1911]: 171), entfalten, in der er dermaßen gegen den Strom der alten Strukturen schwimme. Der Schumpeterianische Unternehmer unterscheide sich von seinen früheren Vorgängern durch seine Klassenlage und den Zeitpunkt, denn er befinde sich in einem historisch kontingenten Momentum inmitten einer noch kleinen, aber im Aufstieg begriffenen, bürgerlichen Klasse.
In seiner Analyse des wirtschaftlichen Unternehmertums zieht Schumpeter die Parallele zwischen den Fähigkeiten des Unternehmers und jenen großen militärischen Feldherren, die von Grund auf in Kriegszuständen kreativ, begeistert und innovativ gehandelt haben sollen (vgl. Scheuerman 2016: 417). Zudem handele der Unternehmertypus Schumpeters nicht „hedonisch“ wie die Mehrheit der Menschen (2006 [1911]: 176, 183 f.): Da es ihm weniger um den reinen Genuss oder das Sparen gehe, seien es weniger die hedonischen Früchte seiner wirtschaftlichen Erfolge, die für die eigene Motivation zum Tragen kämen, sondern vielmehr das konstante Schaffen, die Freude, Dinge in Gang zu setzen, die Souveränität eigenständig zu handeln, sowie das Prestige und Reinvestieren seiner erzielten Profite in eine neue Unternehmung (vgl. 1987 [1911]: 137 f., 2006 [1911]: 174, 191).[9] „Er schafft rastlos, weil er nicht anders kann“ (1987 [1911]: 137), erklärt Schumpeter und enthüllt damit, dass das Unternehmersein für den Unternehmer sinnstiftend ist. Zum anderen ist der Handlungstypus des Unternehmers als Durchsetzer neuer Kombinationen zugleich „kein Beruf […] und überhaupt in der Regel kein Dauerzustand“ (ebd.: 116), welcher unterschiedliche Posten in einem Unternehmen innehaben könnte (vgl. ebd.: 111). Führt er außerdem seine Aktivitäten ‚statisch‘, so ist er kein Unternehmer im engeren Sinne mehr. Unter diesem engen Unternehmerbegriff lässt sich infolgedessen nicht jeder Gründer, Erfinder, Selbständige oder Geschäftsführer subsumieren (vgl. 2006 [1911]: 174).
Der Unternehmer stellt sich bei Schumpeter als der bürgerliche Held moderner Gesellschaften dar (vgl. 1987 [1911]: 130). Ihm werde weder Vermögen noch Geschick vererbt; er sei ein überzeugender „Selfmademan“ (1985 [1927]: 169), dessen sozialer Aufstieg nicht nur eine Geschichte individuellen Erfolgs abbilde, sondern auch die Lebensgeschichte seiner emporsteigenden Klasse widerspiegele. Indem Schumpeter den Unternehmerbegriff aus der Einheit von Kapitalbesitz und Leitungsfunktion abkoppelte, trennte er analytisch zwischen Unternehmer- und Kapitalfunktion (vgl. Kühl 2002a: 205; Löffler 2013: 20). Eine dem Kapitalismus unersetzliche Funktion habe der Unternehmer zu verrichten, die dabei als seine wesentliche Kompetenz gelte: die richtige Auswahl zwischen allen vorhandenen Ideen und im nächsten Schritt die Realisierung dieser. Dies könne, so Schumpeter (vgl. 2006 [1911]: 177), nur eine begrenzte Zahl von Talentierten verwirklichen. Die Umsetzung des Neuen in der Wirtschaft (vgl. 1985 [1927]: 167) sei sowohl die eigentliche Unternehmerfunktion als auch deren Abgrenzung zur bloßen Betriebsführung und fortlaufenden Routinearbeit (vgl. 2006 [1911]: 177). Die geglückte Verrichtung der Unternehmerfunktion verleiht dem Unternehmer zunächst eine besondere Autorität, wodurch er als das dynamisierende Moment wirtschaftlicher Zyklen inszeniert wird (vgl. 1985 [1927]: 168). Technische Erfindungen in produktionstaugliche Güter zu verwandeln markiert keine leichte Aufgabe (vgl. 2018 [1942]: 182) und stellt eine besondere ökonomische Funktion dar, weil sie erstens jenseits der tagtäglichen Routineaufgaben liege und zweitens mit vielfältigen Widerständen der Umwelt –Neues zu konsumieren oder zu finanzieren – zu rechnen habe (vgl. 2006 [1911]: 189).
Dennoch war Schumpeter (vgl. 2018 [1942]: 185) der festen Überzeugung, dass der Kapitalismus immanent dazu tendiere, die Unternehmerfunktion zu schwächen und zu rationalisieren, sowie auch die Aufgabe des Unternehmertums im Ganzen zu erodieren. Waren vorherige Erfindungen das Resultat genialer Inspiration, so sei der technische Fortschritt nun berechenbar, automatisch-generiert und zur Domäne einer Reihe von in F&E-Stätten angesiedelten geschulten Spezialisten geworden (vgl. ebd.: 183 f.). Kennzeichnende Aufgaben des Unternehmers würden dabei arbeitsteilig zerlegt und durch Techniker, Ingenieure und Manager mit weniger visionärem Talent und geringer Führungskompetenz ausgeführt (vgl. ebd.). Da die Unternehmen auf rationale Planung anstelle von schöpferischer Zerstörung abzielen würden, verliere die soziale Funktion des Unternehmers im Kapitalismus zunehmend an Bedeutung. „Kann der Kapitalismus weiterleben?“ fragt sich Schumpeter, nein könne er nicht, lautet die Antwort (vgl. ebd.: 87). Der Kapitalismus werde letztendlich aufgrund der Erosion der Unternehmerfunktion in den Sozialismus münden (vgl. ebd.: 182, siehe Kapitel 3.3) und werde nicht, wie Marx annahm, an seiner Mehrwertproduktion zugrunde gehen (vgl. Deutschmann 1996: 332). Schumpeter zufolge würde der Monopol- bzw. Spätkapitalismus sukzessive „unter dem Druck“ (2018 [1942]: 185) seiner historischen Erfolge zusammenbrechen. Mit anderen Worten: Der Kapitalismus schaffe die Grundlage für seine eigene Zerstörung und erlösche sich durch das Ersterben der Unternehmerfunktion. Schumpeter zieht nicht nur ökonomische, sondern auch gesellschaftliche Konsequenzen aus dem unausweichlichen Zerfall des Kapitalismus. Denn schließlich gäbe es für den Unternehmer kaum noch bedeutungsvolle Entfaltungsmöglichkeiten (vgl. ebd.: 181 ff.). Die im Raum stehende, offene Frage bleibt jedoch: Wieso handelt der Unternehmer so, wie er tut? Weiter: Wieso muss er ‚nach vorne‘? Folgt man Schumpeters Annahme, so sei dies nicht auf Profitgier, hedonistische Interessen oder religiöse Pflichten im Sinne einer manifesten Berufsethik des asketischen Protestantismus (vgl. Weber 2000 [1904/05]) zurückzuführen. Vielmehr sei seine Motivation für Unternehmertum in der Konstruktion seiner bürgerlichen Familie verwurzelt.
3.3 Zur Bedeutung des bürgerlichen Haushalts als motivationale Grundlage
In Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie entfaltet Schumpeter seine Theorie des sozialen Ursprungs der Unternehmerfunktion und beschreibt die sich ausweitende Aushöhlung des bürgerlichen Besitzverständnisses. Das Ersterben der Unternehmerfunktion führe zu Verschiebungen im sozialstrukturellen Geflecht, was sich unter anderem im Untergang der bürgerlichen Familie äußere (vgl. Deutschmann 1996: 332; Döring 2012: 16 f.; Staab 2019: 276 f.). Entgegen der hierarchisch aufgebauten Herrschaftsform im Feudalismus steige die bis zu jenem Zeitpunkt noch kleine Bourgeoisie im Kapitalismus durch wirtschaftliche Errungenschaften auf (vgl. Schumpeter 2018 [1942]: 102). Ihre Öffnung gegenüber den Unternehmern und damit ihre Erweiterung sei ferner auf die Tendenz der bürgerlichen Klasse zurückzuführen, verwaltungstechnische Professionen auszuüben (vgl. ebd.: 184 f.), welche mit denen der Unternehmer Hand in Hand gehen. Obgleich die Unternehmer an sich keine eigene soziale Klasse formen würden, bilden sie einen integralen Bestandteil der Bourgeoisie, welche sie sich im Fall eines Erfolgs einverleibt habe (vgl. ebd.). Das Bündnis und Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Bourgeoisie und dem Unternehmer sei untrennbar, denn „als Klasse lebt sie mit ihm und wird mit ihm als Klasse sterben“ (ebd.: 185), resümiert Schumpeter. Die Bourgeoisie ziehe im ersten Schritt den Unternehmer mitsamt seiner Familie und Netzwerken an sich und sorge dadurch im nächsten für ihre permanente Revitalisierung (vgl. ebd.: 184).
Als Motivationsquelle für den Schumpeterianischen Unternehmer dient der Rahmen des bürgerlichen Haushalts, in dem die bürgerliche Familie lebt. Dieser Haushalt erkläre somit auch die wirtschaftliche Entwicklung im Kapitalismus (vgl. ebd.: 215). Er sei durch ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein (vgl. ebd.: 215 f.) und eine eindeutige Familienorientierung geprägt. Somit übernehme die bürgerliche Familie eine ökonomische Funktion für den Unternehmer, indem sie als „Anreiz und Legitimation“ (Kocka 1979: 102) fungiere, wobei ein maßgebender Anteil der aus unternehmerischen Handeln erbrachten Gewinne reinvestiert werden solle. Jedoch seien nicht die im vorigen Kapitel angesprochenen äußerlichen Kräfte jenseits der Bourgeoisie allein für die Bedrohung der unternehmerischen Motivation verantwortlich. Vielmehr kämen nach Schumpeter innere Ursachen zum Tragen, die jene eingeschlossene Einheit erodieren lassen, wie beispielsweise die „Verflüchtigung der Eigentumssubstanz“ (vgl. 2018 [1942]: 195, 215 f.), worunter sich der Wandel von materiellen zu immateriellen Vermögen verstehen und dabei auch eine Werteverschiebung im Kapitalismus identifizieren lässt. Eine weitere viel wesentlichere innere Ursache für den Tod der Unternehmerfunktion sei die Auflösung seiner bürgerlichen Familie (vgl. ebd.: 216). Denn der bürgerliche Haushalt habe, im Gegensatz zu anderen Haushalten, bestimmte sozialstrukturelle Charakteristika, die das Unternehmertum ermuntern würden. Nach Schumpeters Logik lassen sich hierfür drei Grundzüge des bürgerlichen Haushalts feststellen: Dieser müsse (i) kinderreich und reproduktionsaufwendig; (ii) groß und akkumulationsorientiert; und (iii) repräsentationsorientiert und häuslich sein.
Kinder würden als entscheidende Determinante des bürgerlichen Verhaltens gesehen, und die Gründung einer Familie sei für jedes durchschnittliche Ehepaar aus bürgerlichem Milieu der Imperativ (vgl. ebd.: 218). Der Verlauf des bürgerlichen Lebens in der Zeit Schumpeters war wesentlich von kinderreichen Familien und hohen, kostenaufwendigen Reproduktionsbedingungen geprägt. Kinder und die Einheit der Familie hätten für die bürgerliche Gesellschaft eine große symbolische Bedeutung (vgl. ebd.: 216 f.). In der modernen kapitalistischen Gesellschaft lasse diese Bedeutung jedoch nach, was die Motivation der Unternehmer gefährden könne, da er „[…] in erster Linie für seine Frau und seine Kinder arbeiten und sparen will“ (ebd.: 220 f.; Hervorh. im Original). Schließlich waren es die größeren bürgerlichen Unternehmerfamilien, die in der Lage waren, Kapital anzuhäufen, wirtschaftsrelevante soziale Kontakte zu pflegen und ein „Familienbewusstsein“ zu entwickeln (Kocka 1979: 132).
Der Lebensstil der bürgerlichen Familie lasse sich mit der Akkumulation von Konsumentenkapital und Besitz eines geräumigen Hauses charakterisieren (vgl. Schumpeter 2018 [1942]: 220). Erst auf dem eigenen Grundstück und mit der Haltung eines Dienstbotenstabs könne das wohlhabende und komfortable Leben einer kinderreichen aufsteigenden bürgerlichen Familie gedeihen. Im Haus müssen unterschiedliche Konsumbedürfnisse in Form von Möbeln, Kunstwerken und weitere Waren befriedigt werden (vgl. ebd.: 218). Darüber hinaus herrsche eine Fixierung auf den Aufbau einer generationsübergreifenden Dynastie (vgl. ebd.: 215, 221), die dabei eine ideologische Rechtfertigung (vgl. Kocka 1979: 132) für das Handeln der Unternehmer untermauere. Schumpeter beschreibt daher den Übergang jener Familien in das kleinere städtische und rationalisierte Appartementhaus (vgl. 2018 [1942]: 219) als eine genuine Bedrohung bürgerlicher Gesellschaftsstruktur.
Letztlich verkörpere jener Haushalt den Ort bürgerlicher Häuslichkeit (vgl. ebd.: 218), indem er dem Unternehmer die Flucht aus dem intensiven Berufsleben biete. Somit sei seine Arbeitssphäre vom Privaten getrennt. Die Institution der Ehe und die Familie würden als geschützter, abgelegener Raum für Regenerierung, Gelassenheit, Freizeit und Genuss wahrgenommen (vgl. Deutschmann 1996: 330 f.; Kocka 1979: 118 ff.; Schumpeter 2018 [1942]: 217). Die mit dem großen bürgerlichen Haus einhergehenden Annehmlichkeiten seien nicht nur zu genießen, sondern auch zu (re)präsentieren: Familienerfolg wird kollektiv verstanden. Der Unternehmer und seine bürgerliche Familie hatten noch weitere Pflichten, wie die Pflege der Gastfreundschaft mit Gleichgesinnten und den Aufbau sozialer Netzwerke zu anderen industriellen Großfamilien. Schumpeter stellte fest (vgl. 2018 [1942]: 219), dass sich diese Norm verschiebe und bürgerliche Familien zunehmend ihre Aktivitäten außerhalb des Großhauses in Restaurants oder privaten Clubs zu pflegen beginnen würden.
Das Strebende und das Kreierende des Unternehmers ergebe sich weitgehend aus den Repräsentationsbedürfnissen und den recht aufwendigen Reproduktionsbedingungen seines bürgerlichen Haushalts. Der aufsteigende Unternehmertypus strebe ein bestimmtes Niveau der Akkumulation an (vgl. ebd.: 221), und müsse besondere, ihm bis dahin unbekannte Repräsentationspflichten erfüllen, da er nicht aus bürgerlichen Kreisen stamme (vgl. 1985 [1927]: 169). Ohne den bürgerlichen Haushalt verschwindet der mit dem Schumpeterianischen Unternehmer verbundene Profitschub. Jenes Familienmotiv sei zu der Zeit sehr wirksam und je schwächer die Motivationsgrundlage des Unternehmers werde, desto unwahrscheinlicher werde auch das Überleben seiner Funktion, desto näher rücke der Verfall des Kapitalismus als Ganzes (vgl. 2018 [1942]: 181). Indem wohlfahrtsstaatliche Garantien etabliert worden wären, so dass Kinder praktisch mitfinanziert würden, indem technischer Fortschritt beschleunigt worden wäre, so dass dank Haushaltsgeräten kein Dienstbotenstab und keine Hausangestellten mehr nötig wären, verliere die bürgerliche Gesellschaft ihren eigenen Motor der Entwicklung und baue dessen Motivationsgrundlage ab. Damit trete anstelle des Unternehmers der nicht mehr zum Unternehmertum kompetente angestellte Manager, und der rationalisierte, bürokratische Managerkapitalismus beginne (vgl. Deutschmann 1996: 332; Schumpeter 2018 [1942]: 221 ff.).
3.4 Neue Ansätze der Unternehmer- und Innovationsforschung im Zeichen von Disruption und Kreativität
Über das Unternehmertum, den Schumpeterianischen Unternehmer sowie dessen Rolle im Kapitalismus zu sprechen ist kein leichtes Unterfangen. Der Diskurs um den Unternehmerbegriff sowie sein Wesen hat in vergangenen Jahrzehnten wieder an Fahrt gewonnen (vgl. Bröckling 2007; Pinchot III 1985; Voß und Pongratz 1998). Er reicht bis in die vorgestellten Arbeiten Schumpeters zu Beginn des 20. Jh. zurück und knüpft bis in die Gegenwart hinein weitgehend an diese an. Aufgrund der Tatsache, dass heute immer weniger Schumpeterianische Unternehmer:innen zu finden sind, wird mittlerweile von anderen Akteuren verlangt, ihre unternehmerischen Qualitäten zum Ausdruck zu bringen. In einer postfordistischen Gesellschaft, in der sich Kreativität seit den 1980er Jahren beinahe zu einem Massenphänomen entwickelt hat, lässt sich das Credo, ‚kreativ zu sein‘ und entsprechend zu handeln, nicht nur auf Unternehmer:innen beschränken, sondern auch auf andere konsumierende, autonome oder sich selbstoptimierende Subjekte übertragen (vgl. Boltanski und Chiapello 2005: 182; Reckwitz 2018: 250 ff.). War zu Webers und Schumpeters Zeiten die Lebensführung noch eine rationale und verwaltete, so sollte sie heute von Kreativität und flexiblem Unternehmertum geprägt sein. Schumpeter wirft die Frage auf: Wie kann der Kapitalismus weiterexistieren, wenn sich der bürgerliche Haushalt, welcher die Motivationsgrundlage für die Unternehmerfunktion verschafft, sukzessive auflöst? Neue Subjektivierungstheorien setzen sich mit jener klassischen Problematik auseinander, wonach Alltagssubjekte nun forciert seien, zumindest vorübergehend ihre unternehmerischen Kompetenzen zu aktivieren.
In Das unternehmerische Selbst: Soziologie einer Subjektivierungsform (vgl. 2007) geht der deutsche Soziologe Ulrich Bröckling der Frage nach, auf welche Weise „das Postulat, unternehmerisch zu handeln“ (ebd.: 10) seine Wirkung entfalte. Neben dem Bemühen, makrosoziologisch „eine Grammatik des Regierens und Sich-selbst-Regierens“ (ebd.) zu liefern, untersucht Bröckling aus einer mikrosoziologischen Sichtweise, wie unternehmerisches Handeln glaubhaft und plausibel gemacht werde, sich gesellschaftlich verbreite und zunehmend im kapitalistischen Alltag zur Voraussetzung werde. Mit einer umfassenden Auswertung zahlreicher praxisbezogener Lehrbücher, Personal Trainingsmanuale sowie Ausführungen populärer Erfolgsratgeber:innen schildert er ein unternehmerisches Selbst, das sich als ein Resultat neoliberaler Regierungsprogramme der 1980er Jahre entwickele (vgl. ebd.: 53 f.). Das unternehmerische Selbst stehe für ein Bündel aus Selbstdeutungen, normativen Anforderungen und Rollen, an denen sich nicht nur die Unternehmer:innen, sondern auch Angestellte, Selbstständige und Beschäftigte in Führungspositionen orientieren sollten. Er zeichnet damit ein Leit- und Schreckbild der Spätmoderne zugleich (vgl. ebd.: 47, 126). Dieses biete ein Versprechen, eine Fiktion neoliberaler Propaganda, ein aktiveres besser-Ich und einen Idealtypus des neoliberalen Subjekts, „[…] man soll es werden“ (ebd.: 47).
Ein Erfolgsratgeber dieser Figur, der sich weltweit einen Namen gemacht hat, ist der US-amerikanische Risikokapitalgeber Peter Thiel. Der berühmte Investor von Facebook, LinkedIn und SpaceX geründete 1998 zusammen mit Max Levchin und Elon Musk den Online-Bezahldienst PayPal. Es sind Vorbilder wie Thiel, die in den frühen 2000er Jahren viele Start-up-Unternehmen formten und Persona wie Zuckerberg förderten. Bereits im Untertitel seines 2014 erschienenen Buches Zero to One (vgl. 2014) gewährt Thiel der Leserin Einblick in sein Metier: How to Build the Future. Diese Aufgabe schreibe er neuen technologieintensiven Start-up-Unternehmen und deren engagierten Unternehmer:innen zu. Sein Buch ist im Grunde als ein Guide für Start-up-Unternehmen durch die Galaxis kapitalistischer Monopole zu fassen. In Thiels Selbstanalyse des eigenen jahrelangen unternehmerischen Handelns in der Technologiebranche sticht die Unverwechselbarkeit der Innovation und der an ihr Beteiligten deutlich hervor. Neue Innovation entstehe demzufolge in den Gewächshäusern kleiner aber erfolgreicher Start-up-Unternehmen (vgl. ebd.: 10 f.) und können nur durch ein in einer Mission stehendes Kollektiv realisiert werden (vgl. ebd.: 108). Thiel stilisiert den Unternehmer idealtypisch als die Verschmelzung des kreativen Gründers und des risikofreudigen Investors. Die Arbeitsorganisation in kleinen Gruppen sei zudem äußerst wichtig und Kennzeichen der Start-up-Unternehmen, denn dadurch könne sich bürokratischen Einschränkungen der etwa innovationshemmenden Großkonzerne entzogen werden (vgl. ebd.: 11). Fortschritt könne also dieser Logik nach nur durch agile Unternehmer:innen erfolgen. Die anfangs noch kleine, aber einzigartige Unternehmen werden bei Thiel so zu Monopolen und verschlingen andere.
Erneut lohnt es sich auf Schumpeters Kapitalismusverständnis zu rekurrieren, in dem er die Spekulation als eins der zentralen Merkmale identifiziere (vgl. 1985 [1927]: 166). Dabei sei der Unternehmer aber weniger als Spekulant ökonomischer Vorgänge zu fassen, dies wird dem Bankier, Träger der Kapitalfunktion, überlassen. Dies ändert in Stefan Kühls Diagnose: Basierend auf Experteninterviews mit Unternehmer:innen, Gründer:innen und Mitarbeiter:innen aus Deutschlands Start-up-Szene der 1990er Jahre argumentiert der deutsche Soziologe, dass der Unternehmer einen weiteren Veränderungsprozess durchläuft, als er nun in Gestalt eines seriellen Unternehmers erscheint. Diese neue Figur – die mehrfach hintereinander ins Unternehmertum ein- und aussteige – gelte als Leitbild der neuen Gründerkultur in den USA, Europa und Asien (vgl. Kühl 2002a: 203). Sie trage aber ein hohes Risiko, denn sie werde in der Regel mit den eigenen Unternehmensanteilen belohnt, sei außerdem auch in der Lage, mit diesen auf dem Markt selbst zu spekulieren sowie das Versprechen eines erwarteten Exits zu propagieren (vgl. 2002a: 203, 2002b: 93). [10] Geradezu in der Gründungsphase habe ein serieller Unternehmer den Plan eines spektakulären Exits vor Augen. Dies bedeutet den Verkauf eigener Anteile am Unternehmen und weniger dessen tragfähige Regie (vgl. 2002b: 91 f.). Dabei sei die Exit-Logik unter Risikokapitalgeber:innen, in der der schnelle, gewinnbringende Ausstieg vom Unternehmen binnen einigen Jahren erwartet werde, für Kühl in die eigene Wahrnehmung serieller Unternehmer:innen eingeflossen (vgl. 2002a: 202, 2002b: 89).[11] Dies legt nahe, dass sie im Gegensatz zum Schumpeterianischen Unternehmer eine lose Beziehung zu den von ihnen gegründeten bzw. geleiteten Unternehmen unterhalten und diese eher als ein zeitbefristetes Projekt sehen, in das man ein- und genauso zügig wieder aussteigen müsse. Der serielle Unternehmertypus pflege ein umfassendes Image von sich selbst auch als Investor in anderen wirtschaftlichen Unternehmungen und sei nicht mehr allein als der Gründer einer einzigen Firma zu verstehen (vgl. 2002a: 203).
Zwar sei keiner stets ein Unternehmer, im Idealfall könne aber, der geläufigen Managementliteratur zufolge, jedermann seine unternehmerische Eigenschaften ausleben (vgl. Bröckling 2007: 126). Das unternehmerische Selbst sei seinen Potenzialen bewusst und bereit sie im Sinne Schumpeters in Gang zu setzen. Seine Arbeits- und Privatsphäre seien ineinander verwoben (vgl. ebd.: 57 f.), da sein Leben außerhalb des Büros schlicht die Verlängerung des Arbeitstages darstelle. In Anlehnung an unterschiedliche Nationalökonomen bündelt Bröckling mehrere Unternehmerfunktionen: Die Unternehmerin ihrer Selbst werde als Nutzerin von Profitchancen, als Innovatorin, als Risikoträgerin und als Koordinatorin der Produktion und Vermarktung porträtiert (vgl. ebd.: 110 ff.). Sie trage sowohl die Unternehmerfunktion als auch die des Kapitals und jene des Erfindens in einer Person. Auch bei Thiels Analyse lässt sich ähnliches beobachten (vgl. 2014: 177): Gründer:innen von Start-up-Unternehmen aus dem Silicon Valley seien nicht deshalb besonders, weil sie die Einzigen seien, deren Arbeit ökonomischen und gesellschaftlichen Wert vorweise, sondern gerade da sie die beste Leistung aus Jedem in ihrem Unternehmen herausholen könnten. Sie seien daher Investor:innen von Zeit, Mühe und Kapital (vgl. ebd.: 82) und vereinen damit mehrere Funktionen. Kühl stellte fest (vgl. 2002b: 92), dass serielle Unternehmer:innen nicht zwangsläufig an ein Unternehmen gebunden sein müssen und just dieser durchdachte Vorgang, in dem sie zu Seriellen avancieren, für sie profitbringend sei. Sie sollten eine gewisse Glaubwürdigkeit im eigenen Unternehmen erzeugen, denn wenn ausgerechnet sie darin involviert seien, wirke sich dies auf das Wachstumsversprechen in der Öffentlichkeit aus. Ebenfalls bei Kühl zeige sich der serielle Unternehmer als risikofreudig (vgl. 2002a: 204, 209), denn er steige nichtdestotrotz im vermeintlichen Höhepunkt des Unternehmens aus, also nach einem lang propagierten Exit, und begebe sich in neue Terrains.
Um ein Unternehmer seiner Selbst zu werden, wie Bröckling ihn analysiert hat, sollte man sich per se als Unternehmen vorstellen. Daher führe dieser sein ganzes Leben als permanenten Optimierungs- und Evaluierungsprozess (vgl. 2007: 71 f., 283), wobei sich nicht auf dem einmal Erreichten ausruhen könnte, eine Vorstellung, die ebenfalls bei Thiel wiederzufinden ist (vgl. 2014: 82, 177). Die Unternehmerkompetenzen müssen ständig als authentisches Image der eigenen Individualität repräsentiert werden (vgl. Bröckling 2007: 72). Die Unverwechselbarkeit des einen sei zu kultivieren, was allein schon zu Wettbewerbsvorteilen führen werde. Gleichzeitig werde von der Unternehmerin ihrer Selbst ein uneingeschränktes Engagement für das Unternehmen sowie ein sorgfältiges Management eigener Stärken verlangt. Wäre der kapitalistische Wettbewerb erst einmal ausgeschaltet und sich eine Monopolstellung erkämpft worden, könnten die von Thiel beschriebenen monopolistischen Unternehmer:innen über andere Ziele und Probleme nachsinnen als nur über das reine Geldverdienen (vgl. 2014: 30). Thiels monopolkapitalistische Unternehmer:innen seien überdies Geheimnissuchende und Entdecker:innen von außergewöhnlichen Chancen (vgl. ebd.: 96), denn ein geniales Unternehmen bestehe in der Regel aus dem Streben die Welt zu verändern und der Kompetenz, verborgene Wege einzuschlagen. Bei den von Kühl dargestellten seriellen Unternehmer:innen handele es sich um vielversprechende Mehrfachgründer:innen, deren erfolgreiche Start-up-Gründungen von früher ihnen als Professionalitätsmerkmal für heute diene (vgl. 2002a: 202). Ihre Karriere sollte möglichst kühn und abenteuerlich verlaufen. Man könnte fast vermuten, die serielle Unternehmerin unterhält ihr Unternehmen wie ein Produkt mit einem Verfallsdatum, entweder ihres oder das des Unternehmens.
Bei allen hier drei behandelten Autoren mangelt der Analyse an der motivationalen Grundlage erfolgreicher, zeitgenössischer Unternehmer:innen. Allerdings lassen sich einige Gedanken zu dieser herausarbeiten. Bröckling deutet zum Beispiel darauf hin (vgl. 2007: 126, 170), dass sich Unternehmer:innen ihrer Selbst im konstanten Vergleich zu ihren Konkurrent:innen auf dem Markt stehen. Aus dem kapitalistischen Wettbewerb um Profit und soziales Renommee schaffen sie einen Großteil ihrer Motivation, denn Unternehmer:innen ihrer Selbst müssten kreativer, innovativer, selbstverantwortlicher und riskanter sein bzw. diesem Wesen nach noch werden. Weniger sei der ökonomische Druck für die Unternehmerin ihrer Selbst der Hauptfaktor ihrer Tätigkeiten, vielmehr gehe es um ihre Entscheidung, sich der mit großen Betrieben einhergehenden Unterordnung und Regulierung zu entziehen (vgl. ebd.: 58). Größere Freiheit einzuräumen, führe zu strengerem Einsatz, lautet die These, was sich der Unternehmer seiner Selbst gerne auf sich auferlege. Zudem werde jeder Misserfolg als ein persönlicher empfunden und hebe viele Schwierigkeiten und Unsicherheiten hervor – man hätte es schlicht besser machen sollen. Bei Thiel hingegen sollten monopolkapitalistische Unternehmer:innen in erster Linie der Konkurrenz und nicht der Bürokratie entgehen und dahingehend in einer kleinen Nische eines Marktes beginnen (vgl. 2014: 48 ff.), die weniger von Konkurrenz bestimmt ist. Sie handeln dann gewinnorientiert um des Siegens willen (vgl. ebd.: 54), was auch mit Schumpeter zusammendenken lässt. Dabei stehe weniger die Disruption bereits bestehender Technologien oder die Einführung neuer Kombinationen unter anderen Erfindungen im Zentrum, sondern vielmehr die Ernte monopolistischer Gewinne. Dies könne, so Thiel, „kriegerische Auseinandersetzungen“ (ebd.: 38) zur Folge haben, in denen, 100-Stunden-Wochen geduldet und zur Norm werden. Schließlich scheint bei Kühls seriellen Unternehmer:innen ein vorzeitiger Rückzug in eine schicke Villa eines bekannten Stadtteils eher selten die Motivationsquelle zu sein. Früher oder später steigen sie in eine weitere Spekulation, denn genau darauf basiere jener Exit-Kapitalismus (vgl. 2002a: 210). Kühls Diagnose nach sei die Motivation der seriellen Unternehmer:innen auf eine Exit-Orientierung zurückzuführen. Denn der spektakuläre Exit diene der seriellen Unternehmerin als zentrale Triebkraft ihres Handelns (vgl. ebd.: 196). Der Anspruch bei den führenden Risikokapitalgeber:innen zu sein – die den Exit-Verlauf erleichtern sollten (vgl. ebd.: 212) –, deutet darauf hin, dass die serielle Unternehmerin einerseits ihren Weg schnell nach oben suche und mit kurzen Zeitvorgaben operiere, andererseits sich mit dem Erfolg ihrer Vorgesetzten identifiziere.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sowohl der Unternehmer seiner Selbst, die monopolkapitalistische Unternehmerin eines technologieintensiven Start-up-Unternehmens, als auch die Figur der Seriellen schlüssige Diagnosen für die Unternehmer:innen der Spätmoderne stellen. Denkt man die drei Autoren zusammen, kann angenommen werden, das Unternehmertum durchläuft einen Liberalisierungsprozess, in dem jedes Individuum, unabhängig von Klasse oder Fähigkeiten ein innovativer Unternehmer werden könne, es sei nur eine Frage des persönlichen Willens. In Kapitel 5 wird jedoch anhand der für diese Arbeit erhobenen Daten gezeigt, dass sich eine unter dem Radar laufende, spezifische Form des Unternehmertums (und Unternehmer:innen) entwickelt, die durch bestimmte nationale, gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen vorangetrieben und abgesichert wird.
4 Methodisches Vorgehen
In Anlehnung an der aus der qualitativen Sozialforschung entstandenen Biographieforschung ist die vorliegende Arbeit als Fallstudie konzipiert, indem systematisch mehrere Datenmaterialien zu einem Untersuchungsgegenstand betrachtet werden. Dementsprechend fungiert die oben aufgeführte Einführung in die Start-up Nation als kontextueller Rahmen dieser Arbeit. Zur Beantwortung der Forschungsfrage bedient sich diese Ausarbeitung der eigenen Datenerhebung anhand von biographisch-narrativen Interviews (vgl. Hermanns 1984; Rosenthal 2015; Schütze 1983). Ziel ist die Rekonstruktion kollektiver Biographien von digitalen Unternehmer:innen[12] aus der Start-up-Szene Israels und deren Motivation für Unternehmertum. Der Fokus vorliegender Arbeit liegt daher auf diejenigen Unternehmer:innen, die ihren Militärdienst in der Einheit 8200, MAMRAM oder Einheit 81 der israelischen Verteidigungskräfte leisteten.[13] Diese werden in der vorliegenden Arbeit als militärisch-technologische Spitzeneinheiten aufgefasst.
Zusätzlich zu diesen Forschungspraktiken wurden Berichte und Dokumente der israelischen Zentralbank, des Israel Export Institute, des israelischen Central Bureau of Statistics (CBS) und des Israel Innovation Authority herangezogen. Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert, ein kollektives Deutungsmuster der unternehmerischen Soldat:innen Israels aufgedeckt sowie fünf Grundzüge zu deren Motivationsgrundlage aufgestellt.
Anhand der sozialwissenschaftlichen Biografieforschung lässt sich feststellen, dass Lebensbiographien nicht zwangsläufig etwas rein Persönliches abbilden (vgl. Fischer und Kohli 1987: 23; Lutz et al. 2018: 3). Vielmehr erscheint das Individuum als Gesellschaftsmitglied und als unverwechselbares Subjekt zugleich, welches verschiedenartige soziale Rollen einnimmt. Diese werden im Rahmen von narrativen Interviews verdichtet und amalgamiert, damit ein sinnhafter Lebensverlauf nacherzählt wird. Denn es geht demnach in erster Linie um die Beschreibung und Erklärung der Leben von Gesellschaftsmitgliedern und sozialer Phänomene im Prozess ihrer Entstehung und Entfaltung (vgl. Oevermann 1983: 246; Rosenthal 2015: 194). Kann die quantitative Sozialforschung jedoch auf die Verteilung von Phänomenen bzw. Ausprägungen und deren Auftreten schließen, zielt die interpretative Sozialforschung auf die Rekonstruktion von deren Wirksamkeit in bestimmten Rahmenbedingungen ab (vgl. Rosenthal 2015: 27; Schütze 1983: 284). Eine biographische Erzählung entfaltet sich darüber hinaus durch die Einflussnahme von spezifischen Rechten, Pflichten, Normen, Ablaufmustern und gesellschaftlichen Institutionen (vgl. Bude 1987: 75 f.; Lutz et al. 2018: 3 f.; Schütze 1983: 284).[14]
Erkenntnisinteresse dieser Arbeit liegt infolgedessen bei der Sinn- und Rekonstruktion der Lebensverläufe jener erfolgreichen digitalen Unternehmer:innen aus den militärisch-technologischen Spitzeneinheiten Israels sowie bei der eigenen Deutung ihrer vollzogenen Handlungen. Denn das Subjekt erinnert sich darüber und erzählt von seinem Leben, entwirft aber auch eine persönliche Darstellung seiner Zukunft und gewährt den Forschenden auf diese Weise einen Einblick in das Leben vieler anderer. Dadurch bleibt überdies die Biographie ein flexibles Gebilde, erfüllt jedoch eine Sinn gebende Funktion (vgl. Lutz et al. 2018: 5). Da in der Tradition der Biographieforschung daraufhin auf die Rekonstruktion der Bedeutung von sozialen Phänomenen in ihrem Entstehungszusammenhang konzentriert wird (vgl. Rosenthal 2015: 193, 199), bietet sich nun die Gelegenheit, durch diese Brille soziale Phänomene der Start-up Nation sowie ihre Komplexität mit qualitativ-empirischen Daten zu betrachten. Dabei lassen sich gesellschaftliche Transformationen veranschaulichen, möglichst um sie zu verstehen sowie ursächlich erklären zu können (vgl. Weber 1972 [1922]), jedoch auch, um am Einzelfall sich entfaltende theoretische Verallgemeinerungen zu entdecken.
Um den Unternehmer:innen der israelischen Start-up-Generation mehr soziologische Beachtung zu schenken, den Zusammenhängen zwischen dem Militär und der Tech-Industrie auf den Grund zu gehen und die motivationale Grundlage ans Licht zu bringen, stehen die Biographien von einst in militärisch-technologischen Spitzeneinheiten tätigen digitalen Unternehmer:innen im Mittelpunkt der Analyse. Bislang gelten jene Einheiten als Sozialisationsinstanz für die gesamte Tech-Industrie. Die Rekonstruktion der dominantesten Narrative (sowie auch Paradoxien) unternehmerischer Soldat:innen, aber auch ihrer Deutungen der Geschehnisse, dienen der Aufdeckung von grundsätzlichen Dynamiken in der Start-up Nation und bedürfen zudem der Biographieforschung folgend eines abduktiven Verfahrens (vgl. Apitzsch und Inowlocki 2000: 65; Fischer und Kohli 1987: 34; Rosenthal 2015: 58 ff.). Dies bedeutet, dass den zu interpretierenden Texten weder mit vorab entwickelten noch mit am Text formulierten Kategorien begegnet wird. Im Zentrum eines abduktiven Schlussfolgerungsverfahrens steht vielmehr die Bildung neuer erklärender Kategorien im Lichte der erhobenen Daten sowie die Generierung, Prüfung und Formulierung neuer Hypothesen, die sich aus dem Material ergeben, um auf diese Weise eine neue Behandlung einer Problematik ausgehend von einem konkreten Fall kreativ zu erarbeiten (vgl. Brüsemeister 2008: 27 f.; Rosenthal 2015: 61).
Für die Rekonstruktion des Erlebten markiert das mündliche Material, das größtenteils in Form von biographisch-narrativen Interviews erhoben wird (vgl. Schütze 1983), in denen die autobiographische Erzählung der Befragten sowie die Narration ihrer gesamten Lebensgeschichte im Vordergrund stehen (vgl. Rosenthal 2015: 171; Wengraf 2000: 141), den Dreh- und Angelpunkt der Biographieforschung (vgl. Lutz et al. 2018: 2 f.). Zusätzlich zur biographischen Datenerhebung und zur Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung wurden weitere Werke der Arbeits- und Industriesoziologie, der politischen Ökonomie, des digitalen Kapitalismus sowie der Managementliteratur berücksichtigt (vgl. Boes et al. 2015; Bröckling 2007; Kühl 2002a, 2002b; Staab 2018, 2019; Thiel 2014).
Ein Vorteil biographisch-narrativer Interviews besteht zudem darin, dass der narrative Prozess einerseits es der Biographieträgerin erlaubt, sich möglichst ohne die Deutungen oder Interventionen der Interviewerin zu äußern (vgl. Rosenthal 2002: 222). Andererseits wird ein Erzähltext erstellt, in dem eine Biographie „[…] kontinuierlich, d. h. ohne exmanente, aus dem Methodenzugriff oder den theoretischen Voraussetzungen“ bedingte Unterbrechungen vorgestellt wird (Schütze 1983: 286).[15] An die Unternehmer:innenbiographien wird schließlich eine Deutungsmusteranalyse vorgenommen (vgl. Lüders 1991; Neuendorff und Sabel 1978). Die Deutungsmusteranalyse ist ein aus der objektiven Hermeneutik entwickeltes qualitativ-empirisches Forschungskonzept. Eingebracht in die sozialwissenschaftliche Diskussion durch den US-amerikanischen Rechts- und Sozialwissenschaftler Charles F. Sabel und den deutschen Soziologen Hartmut Neuendorff lassen sich Deutungsmuster als jene stabile „Alltagstheorien“ (1978: 842) und Weltbilder verstehen, in denen gesellschaftliche Gruppen ihre eigene Realität auf eine für sie sinnvolle und angemessene Weise konstruieren. Denn sie setzen bestimmte „[…] Argumentationszusammenhänge mit eigenen Kriterien der Gültigkeit“ (ebd.) zusammen und sind systematisch auf „[…] objektiv verborgene, in der Gesellschaftsstruktur verankerte Handlungsprobleme“ (ebd.) gerichtet. Des Weiteren beinhalten sie die „[…] normativen Regeln“ (ebd.) handelnder Subjekte und spiegeln dabei reduziert ihre Wirklichkeit wider (vgl. ebd.: 843). Darunter lässt sich die Suche nach bestimmten Orientierungen von Menschen, wie diese in ihrer eigenen Realität entstehen, aufrechterhalten und gefestigt werden, verstehen. Dieses forschungspragmatische Konzept erlaubt, latente Sinnstrukturen aus den Stegreiferzählungen der Biographieträgerin aufzuspüren und zu analysieren.
Bei einer auf der Deutungsmusteranalyse gestützten Untersuchung wird Lüders zufolge (vgl. 1991: 384) die Rekonstruktion der inneren Struktur sowie der Konsistenz des Musters innerhalb eines bestimmten Kontextes angestrebt. Dies kann stereotypische Sichtweisen und Interpretationen umfassen (vgl. ebd.: 385), hilft nichtsdestotrotz der Forscherin bei der Rekonstruktionsbemühung der gemeinsamen Narrative. Denn die tatsächlichen Interpretationen selbst wahrgenommener Geschehnisse und dabei emergente Handlungsmöglichkeiten, wie Neuendorff und Sabel nahelegten, sind „[…] aus den konstitutiven Prinzipien der Deutungsmuster zu entwickeln und nicht von außen an sie heranzutragen“ (1978: 843). Ein Deutungsmuster kann dementsprechend das eigene Handeln der Subjekte legitimieren und sich zur Norm eines ‚fraktionsspezifischen‘ Bewusstseins entfalten (vgl. ebd.: 846 f.).
Die Rolle der handelnden Subjekte beschränkt sich jedoch nicht nur auf ihr eigenes soziales Bewusstsein. Durch eine mit soziologischen Begriffen ausgestattete Deutungsmusteranalyse lassen sich vielmehr eine Reihe von biographischen Verhaltens- und Interpretationsweisen herausstellen (vgl. ebd.: 857). Es geht dabei um eine Analyseebene, die gewissermaßen zwischen den Strukturen der sozialen Wirklichkeitsauffassung und dem ‚fraktionsspezifischen‘ Bewusstsein verankert ist (vgl. Lüders 1991: 381). Die Deutungsmusteranalyse folgt einer Forschungslogik, die explizit nach dem greift, was in der Fallstudie noch unbekannt und unvorhersehbar ist (vgl. ebd.: 403). Um die in diesem Beitrag dargelegte Motivationsgrundlage abzuleiten, wurden die Interviewtranskriptionen mittels eines mehrstufigen, offenen sowie axialen Kodierverfahrens auf Gemeinsamkeiten und Besonderheiten in den Biographien von unternehmerischen Soldat:innen untersucht. Daraus lassen sich die fünf Grundzüge der Motivation rekonstruieren.
Alle fünf Gespräche mit den digitalen Unternehmer:innen aus Israels militärisch-technologischen Spitzeneinheiten wurden im Jahr 2021 und vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie digital über das Programm für Videokonferenzen Zoom auf Hebräisch gehalten. Beinahe alle Biographieträger:innen befanden sich zu der Zeit des Interviews in Tel Aviv bis auf einen, der im Norden Israels ansässig war, wohingegen sich der Interviewer in Berlin, Deutschland aufhielt. Mit ihrem Einverständnis wurden die Gespräche aufgezeichnet, transkribiert und abschließend anonymisiert. Mein Erzählimpuls richtete sich im Wesentlichen auf die Lebensgeschichten der Befragten und darauf, wie sie zu schließlich zu digitalen Unternehmer:innen geworden sind. Dies löste eine ununterbrochene Haupterzählung aus, die durchschnittlich über 45 Minuten dauerte, während unser ausführliches und angenehmes Gespräch etwa eineinhalb Stunden in Anspruch nahm. Das Datenmaterial wurde dabei im Hebräischen belassen, um Sinnzusammenhänge bei der Übersetzung ins Deutsch nicht zu verändern. Jede hier aus den Interviews zitierten Stellen wurde vom Autor dieser Arbeit eigenständig ins Deutsche übersetzt.
Zum Zeitpunkt der Interviews bekleideten alle unternehmerischen Soldat:innen die höchste Führungsposition in ihrem Betrieb, und vier von ihnen waren zuvor bereits Mehrfachgründer:innen. Zudem muss an dieser Stelle auf die Komplexität hingewiesen werden, entsprechende Personen dieses Profils zu finden. Denn es musste im Voraus sichergestellt werden, dass diejenige Biographieträger:innen erstens tatsächlich in diesen, zum Teil streng geheimen Einheiten tätig waren und zweitens einen beruflichen Erfolg hatten. Eine weitere Schwierigkeit ergab sich schließlich aus dem Bemühen, explizit unternehmerische Soldatinnen in die Erhebung einzubeziehen. Obgleich Frauen beinahe 40 % des israelischen Militärs ausmachen und ihnen mehr als 86 % aller Posten zur Verfügung stehen (vgl. Shafran Gittleman 2018), bleiben jene Spitzeneinheiten mit einer lediglich 17 %-igen Frauenquote eine distinktive Männerdomäne (vgl. Haber und Sharvit-Baruch 2013: 24), was auch aus den Interviews hervorging. [16] Dennoch beteiligten sich letztlich zwei Frauen und drei Männer an der Studie, wobei die jüngste Person 37 und die älteste 49 Jahre alt war.
Außerdem sollte nicht unbeachtet bleiben, dass der Zugang zu den militärisch-technologischen Spitzeneinheiten bereits vor dem Eintritt in den Dienst geregelt und beeinflusst wird. So schicken viele Eltern ihre Kinder während der Schulzeit zu einer außerschulischen Programmier-bzw. IT-Ausbildung, damit letztere bessere Chancen auf eine spätere Aufnahme in diese Einheiten hätten. Daraus lässt sich schließen, dass die mit dem Militärdienst zusammenhängende Aufwärtsmobilität zweifellos mit sozialer Ungleichheit in Israel verbunden ist, wie beispielsweise Lehrer (vgl. 2021) in seiner Studie über mizrachische Jüdinnen und Juden und die militärischen Auswahlpraktiken aufzeigt.
5 Analyse und Diskussion: Die Start-up Generation
Die Biographieträger:innen kamen von selbst auf die für sie zentralen Themen zu sprechen. Sie erzählten von ihrer Kindheit im Ausland oder in Israel, ihrer Schulzeit und ihrem Einzug ins Militär. Sie sprachen über ihre Familie und die eigene unternehmerische Tätigkeit, und brachten dabei ihre persönlichen Einstellungen zum Ausdruck (Sharon, Interview 1; Eric, Interview 2; Meir, Interview 3; Assaf, Interview 4; Rosa, Interview 5).[17]
Hierauf folgen fünf biographische Erzählungen von einst in militärisch-technologischen Spitzeneinheiten tätigen digitalen Unternehmer:innen: Sharon ist die Mitbegründerin eines der größten Start-up-Beschleuniger Israels, Eric ist einer der Mitbegründer eines inzwischen börsennotierten Unternehmens für erneuerbare Energien und E-Mobilität und nun ein Vorstandsmitglied eines technologieorientierten Risikokapitalfonds und Meir ist ein langjähriger Unternehmer mehrerer Firmen, vor allem in Bereichen des Cloud-Computing und der Künstlichen Intelligenz (KI). Assaf ist ein Wunderkind der israelischen Cybersicherheitsgemeinschaft – er arbeitete schon als Jugendlicher mit dem israelischen Verteidigungsministerium zusammen – und ist weiterhin als serieller Unternehmer im Bereich der Finanztechnologie und Kryptowährung tätig und Rosa ist die Existenzgründerin eines sehr erfolgreichen börsennotierten Unternehmens im Bereich des Digital-Healthcare und war ebenfalls jahrzehntelang in der Cybersicherheit tätig. Sie haben im Durchschnitt ca. 8 Jahre im Militär verbracht, rund 5 bzw. 6 Jahre länger als die reguläre Wehrpflicht und bei einigen von ihnen war der Dienst mit einem Hochschulabschluss eines militärrelevanten Faches kombiniert. Alle waren Offizier:innen und waren oder sind immer noch in der israelischen Reservearmee eingeschrieben.
In der folgenden Analyse wurde die Motivationsgrundlage von digitalen Unternehmer:innen untersucht. Die herausgearbeiteten Grundzüge fokussieren dabei den Zusammenhang zwischen dem geleisteten Militärdienst in technologischen Spitzeneinheiten und ihrem Erfolg als digitale Unternehmer:innen. Verglichen mit den vom Samuel Andrew Stouffer et al. (vgl. 1949: 54 ff., 80 f.) untersuchten Bürgersoldaten, die in einem hierarchisch, traditionell und autokratisch-organisierten Militär als konforme, pflichtbewusste und disziplinierte Subjekte handelten, tauchen die israelischen unternehmerischen Soldat:innen als moderne Akteur auf, die selbstständig handeln, sozial aufsteigen und in einer spezialisierten, relativ flach hierarchischen Kleinarmee operieren.[18] Die israelische Heimat fungiert hierbei in den Termini Schumpeters als ‚bürgerlicher Haushalt‘. Dies ist ein besonderes Charakteristikum der aufsteigenden Start-up Nation, in dessen Rahmen die Repräsentation der kleinen, aber exklusiven Gruppe im Militär als Substitut für die bürgerliche Familie hervortritt. Die jungen Wehrpflichtigen, einige von ihnen verfügen zum Zeitpunkt ihrer Einberufung weder über einen Computer-noch über einen Technikhintergrund, werden in die militärtisch-technologischen Spitzeneinheiten Israels integriert. Darüber hinaus lässt sich eine Vermischung des Militärischen mit dem Zivilen während ihres Dienstes attestieren. Die Befragten sind zwar Soldat:innen, die Befehle folgen, kehren aber abends bzw. nachts von ihrem Stützpunkt nach Hause, in der Regel zu ihren Eltern, zurück.[19] Dabei entsteht ein exklusives Ökosystem aus Soldat:innen und zivilen Ingenieur:innen, Physiker:innen, Informatiker:innen und IT-Elektroniker:innen.
Im Laufe der Interviews stellte sich des Weiteren heraus, dass der Militärdienst der Befragten von zwei Konfliktlinien geprägt war, die den erfahrungsbedingten „Generationszusammenhang“ (Mannheim 2017 [1928]: 95) ihrer Erzählungen bildeten. 1990 markiert das Jahr, in dem der Zweite Golfkrieg mit der Eroberung des ölreichen Kuwaits durch den Irak begann, der im Zuge dessen auch erstmalig massive Raketenangriffe auf Israels Großstädte führte (vgl. Rivlin 2011: 129). Weiterhin brach im Jahr 2000 die sogenannte Zweite Intifada aus, jene Zeit, die durch den gescheiterten politischen Friedensprozess zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) sowie durch eine gewaltsame Konfrontation und terroristische Anschläge gekennzeichnet war (vgl. Krampf 2018: 230; Rivlin 2011: 207). Die israelische Start-up-Generation (geb. 1972-1985) besitzt mithin eine kollektive Vergangenheit.
Mithilfe der Deutungsmusteranalyse wurden die dominantesten Narrative aus den Biographien der Befragten herausgearbeitet und aufbauend auf diesen fünf Grundzüge für die Motivation ihres unternehmerischen Handelns skizziert (siehe Tabelle 1). Wie unternehmerische Soldat:innen ihre Erfolge in einer für sie sinnvollen und angemessenen Weise argumentierten und die wahrgenommene Realität reduziert widerspiegelten, dient der Rekonstruktion ihrer Motivationsgrundlage aus ihren eigenen stabilen Alltagstheorien (vgl. Neuendorff und Sabel 1978). Hierbei gilt der Militärdienst als jener Kontext, in dem sich konkrete Glaubenssätze und Handlungsmuster entfalten und folglich Implikationen für Unternehmertum ergeben, wodurch der unternehmerische Soldat zur zentralsten Sozialfigur der israelischen Start-up-Generation wird.
Motivationsgrundlage unternehmerischer Soldat:innen
Motivation | Militärdienst als Kontext | Glaubenssätze und Handlungsmuster | Implikationen für Unternehmertum |
---|---|---|---|
Heimatverteidigung | immerwährende Lebensgefährdungen lebensrettende Funktion wie Soldat:innen „an der Front“ Verantwortungsübernahme bei existenziellen gesellschaftlichrelevanten Aufgaben |
Verteidigung des eigenen Landes und seiner Zivilbevölkerung Pflichtbewusstsein gegenüber dem eigenen Staat positiver Effekt auf das Leben der anderen |
→ Suche nach der nächsten fundamentalen Tätigkeit der Nation Identifizierung der Arbeit in der Digitalökonomie als essentiell für die Sicherung des Staates |
Risikofreude | den Feinden immer einen Schritt voraus zu sein hands-on Erfahrung mit komplexen technologischen Systemen Führung von Mitstreiter:innen und Leitung finanziell starker Projekte kaum „kündbar“, mit aussichtsreichen Aufstiegschancen |
innovativer und risikoreicher als andere zu handeln Förderung von kreativem Denken, Experimentieren und Improvisation eigene Innovationskraft wird durch Risikobereitschaft und Engagement entfacht |
→ Das Selbstbewusstsein und -vertrauen –Dinge in Gang zu setzen und scheitern zu können – mündet in die israelische Start-up-Szene Erfolg ist lediglich eine Frage der Zeit und prinzipiell immer erreichbar |
Geheimhaltung und gruppeninterne Anerkennung | Geschehnisse werden ausschließlich anderen Kampfgefährten mitgeteilt Lösen der Anspannung durch Anerkennung der anderen Kampfgefährten | kleine Gruppen leisten einen besonderen Beitrag für Gesellschaft aufgrund der einheitsspezifischen Rahmenbedingungen gruppeninterne Anerkennung als ein entscheidendes Ziel Durch Geheimhaltung ist man auf andere Mitstreiter:innen angewiesen |
→ Aufbau eines „Netzwerks“ gruppeninterner Anerkennung auf dem Markt Zusammenschluss mit weiteren unternehmerischen Soldat:innen und beinahe zwangsläufige Aufnahme in die Digitalökonomie |
Reproduktion der militärischen Einheit | Bewunderung und Auslesetalent der Einheit Zuschreibung von hohen Kompetenzen an andere unternehmerische Soldat:innen: „die besten Menschen an Bord“ |
Einheit als Verlängerung der Kernfamilie Einheit als Ort für Chancen Arbeitsweise in kleinen Gruppen als ideal konstante Bereitschaft in die Einheit zurückzukehren |
→ Überzeugung von besonderem Talent bei ehemaligen Einheitsmitgliedern Nachahmung einheitsspezifischer Strukturen und Ausleseprozeduren Übertragung des Einheitsgeistes in die Privatwirtschaft |
Grown-up Nation | Systemkritik an Militär und Regierung nach der eigenen Dienstzeit Zukunftsschanchen in der Digitalökonomie sind aussichtsreicher |
Bestreben, die Dinge im Land selbst in die Hand zu nehmen Israel als langfristiger Profiteur seiner Tech-Industrie gesellschaftliche Mobilisierung für die Etablierung erfolgreicher Tech-Giganten mit tausenden Beschäftigten nicht nur ein Gewächshaus für F&E und Start-up-Unter-nehmungen |
→ Stärkung der Wirtschaft und der Souveränität durch die Schaffung einer Grown-up Nation Bindung von hochqualifizierten Arbeitskräften und erfolgreichen Tech-Unternehmen Schaffung von Anreizen und mehr Unicorns im Land |
5.1 Grundzug 1: Heimatverteidigung
Die wohlfahrtsstaatliche Absicherung sorgt unter anderem dafür, dass die Bedeutung des bürgerlichen Haushalts und dessen aufwendige Reproduktionsbedingungen abgeschwächt werden. Wie wird dies aber in der Start-up Nation ersetzt? Die allgegenwärtigen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen Israels verschaffen eine besondere Motivationsquelle für unternehmerische Soldat:innen. Denn die bereits erwähnten turbulenten Zeitperioden führen hierfür den ersten Grundzug an. Im Dienst einer militärisch-technologischen Spitzeneinheit werden die neu Eingezogenen zu unternehmerischen Soldat:innen, die das Land verteidigen müssen. Das Leben als unternehmerische:r Soldat:in in einer militärisch-technologischen Spitzeneinheit zeichnet sich durch immerwährende Lebensgefährdungen aus, weniger der eigenen, als vielmehr der der anderen im Land. War das zionistische Narrativ zu der Zeit der Staatsgründung, das Land zu bewirtschaften und aufzubauen, gilt heute, die Heimat zu verteidigen und möglichst viele Leben zu retten. Dies hinterlässt bei den unternehmerischen Soldat:innen erhebliche Spuren, da sie schon im sehr jungen Alter gesellschaftlichen Einfluss haben und große Verantwortung übernehmen (vgl. E: Z. 33-49; M: Z. 29-46; R: Z. 372-391). Den digitalen Unternehmer:innen von heute ist diese Erfahrung der Lebensgefahr der anderen bewusst. Sie wird in ihrer Erzählung als wichtiger Aspekt ihrer Motivation dargestellt und mit ‚dem Einzug in den Krieg‘ verglichen.
Eric erklärt, dass Unternehmertum wie der Militärdienst sei, und zwar „[…] eine endlose Abfolge von schlechten Nachrichten“ (Z. 622). Um diesen zu entgehen, sind technische und kreative Handlungskompetenzen der unternehmerischen Soldat:innen erforderlich. Wenn diese vorhanden seien, so könne buchstäblich Leben gerettet werden. Assaf erläutert, dass sobald man in eine militärisch-technologische Spitzeneinheit gelangt sei, sei man ständig mit Herausforderungen konfrontiert, die
„[…] sehr schwierig bis unmöglich sind, und trotzdem muss man alles tun, um sie zu bewältigen, weil scheinbar eine existenzielle Bedrohung sowohl für einen selbst als auch für jeden, den man kennt, sowie für den Staat Israel als Ganze dahintersteckt, sodass es nicht so viele Auswege gibt“ (Z. 53-57).
Überlebensfragen, welche die Verteidigung des eigenen Staates und der Gesellschaft betreffen (vgl. R: Z. 707-719), stiften für unternehmerische Soldat:innen aus militärisch-technologischen Spitzeneinheiten somit Sinn und eröffnen einen Weg, in dem sie das Leben von anderen sichern und die Zukunft des Landes positiv beeinflussen können. War z.B. der bürgerliche Haushalt zu der Zeit Schumpeters kinderreich und reproduktionsaufwendig, so lässt sich hingegen ein Teil der Motivation unternehmerischer Soldat:innen auf der Suche nach der nächsten fundamentalen Tätigkeit für die soziale Reproduktion der Gesellschaft zurückführen. An einer weiteren Stelle bekräftigt Assaf rückblickend, hätte er die Möglichkeit gehabt, wäre er für immer in der eigenen Einheit geblieben, da nirgendwo auf dem Markt eine so direkte Beziehung zwischen der aufgewendeten Energie und dem Ergebnis gebe, das sich im Leben der Menschen niederschlage.
„Es mag sein, dass niemand weiß, dass heute mit dem von mir gebauten technologischen System ein Terroranschlag verhindert wurde, aber Du weiß es, und es ist außergewöhnlich […] auch wenn Du mit Facebook arbeitest und zwei Milliarden Menschen Deine Software nutzen [er beschreibet eine seiner aktuellen Tätigkeiten], es ist spannend und klasse, aber es gibt das und es gibt den Dienst bei [Einheit] 8200, es ist wie saving lives, als ob Du ein Arzt wärst […], das ist bei weitem faszinierender als ein Börsengang oder als ein Sitz im Aufsichtsrat“ (Z. 503-521; Englisch im Original).
Im Kontext Israel können die durch die unternehmerischen Soldat:innen entstandenen Innovationen entwickelt, erprobt und unmittelbar umgesetzt werden. Für die unternehmerische Soldatin sind die Aufgaben bei den Einheiten zudem dermaßen erfüllend, dass selbst wenn eine private Tätigkeit in die Durchführung neuer Kombinationen auf dem Markt resultierte, erscheint dies nach einiger Zeit als eine „[…] Arbeit mit mittelmäßigen Menschen an mittelmäßigen Problemstellungen; es ist nett, aber nicht aufregend“ (Z. 384-386), resümiert Rosa. Die Arbeit auf dem Markt gleicht keineswegs einer echten lebensverändernden Innovation, geschweige von den ihr im Militärdienst auferlegten „Selbsterhaltungsproblemen“ (Staab 2022: 32). Denn es geht um den Zusammenhalt der Gesellschaft und um eine fundamentale Leistung nationaler Sicherheit, die einer besonderen Gruppe von Auserwählten vorbehalten ist (vgl. S: Z. 48-49; E: Z. 22-23, 607-608; R: Z. 706-711, 790-792). Diese Einstellung wird auch ins Private übertragen, wobei Rosa der Meinung sei, dass ihre Beschäftigten für ein übergeordnetes, äußerst wichtiges Ziel einer Firma „[…] ihr Leben geben [sollten]“ (Z. 540). Gerade Formulierungen dieser Semantik verdeutlichen, wie sehr von unternehmerischen Soldat:innen uneingeschränktes Engagement verlangt wird und sie dies von anderen ebenfalls erwarten. Denn die Veralltäglichung der militärisch bezogenen Sicherheitsfragen und damit die grundsätzliche Bedrohungslage im Land schlagen sich letztlich auch im alltäglichen Wirtschaftsbetrieb nieder, bei dem weniger Existenzielles auf dem Spiel steht. Dies mag außerdem eine Erklärung dafür sein, weshalb Rosa erneut auf dem Gebiet des Digital-Healthcare Leben retten möchte.
Im Gegensatz zur Tätigkeit auf dem Markt seien die schwerwiegenden Probleme, die während ihres Militärdienstes angegangen werden müssen, an der Tagesordnung (vgl. R: Z. 727-730). Die Start-up-Szene in Israel bietet den digitalen Unternehmer:innen im Endeffekt nicht die ersehnte Wirkkraft, die sie früher besaßen. Dies begreifen unternehmerische Soldat:innen jedoch erst im Nachhinein. Da die eigene Kraft an ihre Grenzen kommt, bemühen sich die unternehmerischen Soldat:innen im späteren Verlauf ihrer beruflichen Karriere – und nach der Akkumulation ökonomischen Kapitals – im Grunde wieder etwas in ihren Augen Sinnvolles für die Gesellschaft zu „leisten“. Mit anderen Worten: Sie möchten erneut einen zukunftsorientierten, gesellschaftlichen Mehrwert für Israel produzieren. Das Narrativ der Heimatsverteidigung fördert somit die Motivation digitaler Unternehmer:innen und ist ebenso in ihren aktuellen Tätigkeiten wiederzuentdecken.
5.2 Grundzug 2: Risikofreude
Die Unkalkulierbarkeit des bürgerlichen Haushalts, wie sie Schumpeter rekonstruierte, kann durch die Risikofreude der militärisch-technologischen Spitzeneinheiten substituiert werden, da Vieles auf dem Spiel steht. Diese Grundhaltung tragen die digitalen Unternehmer:innen bis in die Gegenwart, denn bereits im Militär wird dieses Fundament für die nachfolgende private Tätigkeit in der Digitalökonomie gelegt. Im Militärdienst geht es darum, schneller als die Feinde zu agieren und ihnen immer einen Schritt voraus zu sein, was für die unternehmerischen Soldat:innen unter anderem bedeutet, proaktiv sowie präventiv statt reaktiv zu handeln. In der neoliberalen Tradition wird es dann von ihnen für sie als innovativer und risikoreicher beschrieben. Beispielhaft dafür ist das Motto von Einheit 81: „Wissen, Wille und Hingabe machen das Unmögliche möglich“ (R: Z. 707-708). Dies wird heute noch bei den digitalen Unternehmer:innen als eine Strategie ihres eigenen unternehmerischen Verhaltens rezitiert. Sie alle sind der festen Überzeugung, das Militär sei in der Lage, exploratives, uneingeschränktes Unternehmertum zu vermitteln, da ein Großteil davon auf das zurückgehe, was sie als die beste Schule für Unternehmertum bezeichnen, in der es nicht beschämend sei, zu scheitern, und es wieder zu versuchen, um das wünschenswerte Ergebnis zu erreichen (vgl. S: Z. 735739; E: Z. 42-46).
Als unternehmerische Soldat:innen haben sie zwei Vorteile: Sie sind kaum kündbar und haben daher eine hohe Beschäftigungssicherheit; durch ihre spezielle technologische Ausbildung erhalten sie aussichtsreiche Aufstiegschancen. Dadurch haben sie im Militär die Möglichkeit, früh komplexe technologische Systeme zu entwickeln, kleine Gruppen zu leiten und praktisches knowhow einzuüben. Beispielsweise erklärt Eric, dass
„[…] selbst wenn man allein für etwas sehr Wichtiges verantwortlich ist, gibt es viele Kontrollsysteme. Es gibt ganze Gremien, deren Aufgabe es ist, die Entwürfe, die Du machst, zu überprüfen, um sicherzustellen, dass es gute Konzepte und Designs sind; es gibt viele festgelegte checkpoints und das schafft eine Situation, in der jeder tun kann, was er will, und seiner Kreativität freien Lauf lassen kann und mit viel, viel staatlichem Geld riesige Dinge entwickeln kann“ (Z. 24-28; Englisch im Original).
Im Alter von 22 Jahren und mit einem ersten Hochschulabschluss in Elektrotechnik führte Eric bereits sein erstes Projekt mit ca. 100 ausgewiesenen Soldat:innen durch, dessen Kosten sich auf 30 Mio. US-Dollar beliefen. „[S]owas gibt es in der klassischen Hightech nicht“ (ebd.: Z. 38). Ähnlich war es auch bei anderen unternehmerischen Soldat:innen der Fall. Sharon verkündet, dass der Dienst sehr abwechslungsreich sei und bis in die höchsten Positionen so bleibe, sowie dass man sehr wagemutig sein müsse (vgl. Z. 98-101). Denn es gehöre zur ‚Weltanschauung‘ der Einheit, große Handlungsräume zu gestalten: „8200 ist wirklich eine Organisation, die kreatives Denken, Unternehmertum, Experimentieren und Improvisation über die Jahre hinweg [gefördert hat]“ (ebd.: Z. 735-739). Im Büro hingegen müsse man einen klaren beruflichen Werdegang haben. Das wird als weniger aufregend und langwierig wahrgenommen.
Risikofreude wird in den militärisch-technologischen Spitzeneinheiten Israels und unter bestimmten militärischen Voraussetzungen und Zielen gepflegt und befürwortet. Das Selbstbewusstsein und -vertrauen –Dinge in Gang zu setzen auch mit dem Risiko des Scheiterns – lässt sich nachher auf die israelische Start-up-Szene übertragen. So gaben alle digitalen Unternehmer:innen Auskunft über ihren unternehmerischen Misserfolg. Einerseits bezeichnen Sharon, Eric und Meir die Kunst des Scheiterns als kulturelles Merkmal Israels. Eric vergleicht zum Beispiel Israel mit den USA, wo die Parole „[…] um Vergebung zu bitten als um Erlaubnis zu bitten“ gilt (Z. 701). Meir erläutert an einer anderen Stelle, Israelis suchen immer nach einem anderen Weg: „Im Business ist Risikobereitschaft nicht schlecht, denn wenn Dir in Israel die Tür geschlossen wird, kommst Du durch das Fenster, [und wenn] das Fenster zugemacht wird, suchst Du den Schornstein“ (Z. 562-567). Andererseits schreiben Rosa und Assaf die eigene Risikofreude, durch die sie sich motiviert fühlten, explizit dem Militär zu. Der letztere stellt fest:
„Es ist etwas anderes [in Einheit 8200 zu sein] als in den gesamten israelischen Verteidigungskräften, weil ein Gefühl herrscht, dass Du – ich weiß es nicht – in einem ganzen Gebäude bist, das nur darauf wartet, dass Du eine Idee einbringst, und niemand wird Dir sagen, dass sie nicht interessant sei, oder, dass er nichts davon hören wolle […] und jeder Mann, egal welchen militärischen Rang er hat, kann kommen und etwas tun und die Initiative ergreifen und auch um Hilfe für seine innovative Sache bitten, die er zu tun versucht, und es muss nicht Teil des jährlichen Arbeitsplans sein, sondern jeder kann kommen und sagen: ‘Hör mal, ich habe darüber nachgedacht und das ist es, was ich entwickeln möchte’ und sie werden antworten ‘Okay, mach es, lass uns Dir helfen’ […] und wenn das die Atmosphäre ist, dann hat man keine Angst zu reden und man hat keine Angst es zu wagen, weil es okay zu versuchen und es ist auch in Ordnung, zu scheitern, und nicht alles funktioniert […], in der Einheit gibt es etwas sehr Magisches und es ist auch sehr ermächtigend“ (Z. 478-493).
Interessanterweise steht diese letzte Interviewsequenz von Assaf im Widerspruch zu der gängigen Auffassung, wonach das moderne Subjekt allein für das eigene Scheitern und den individuellen Erfolg verantwortlich sei. Denn die militärisch-technologischen Spitzeneinheiten haben sich schon früh als Mitträger dieser Verantwortung für unternehmerische Soldat:innen profiliert. Die Risikobereitschaft und -freude, die durch Kühl und Thiel im Bild der neuen Gründerkultur diskutiert wurde, steht im Kontext der Start-up Nation für eine wesentliche motivationale Grundlage unternehmerischer Soldat:innen. Von Anfang an ist ihnen klar, dass eine Innovationskraft entzündet wird, in dem sie auf dem Sprung bleiben und Risiken eingehen. Das Scheitern sei nur ein temporäres, nicht zuletzt kollektives Vorkommnis auf dem Weg zum endgültigen Erfolg. Es ist dann nur noch eine Frage der Zeit, bis unternehmerische Soldat:innen diese Handlungsweise auf dem Markt als digitale Unternehmer:innen zu verfolgen beginnen.
5.3 Grundzug 3: Geheimhaltung und gruppeninterne Anerkennung
Musste die bürgerliche Unternehmerfamilie über ein geräumiges Haus verfügen und damit akkumulationsorientiert sein, so lässt sich die eigene Einheit im Militär durch zwei andere miteinander verwobene Merkmale charakterisieren: der Geheimhaltung und der gruppeninternen Anerkennung. Dies verstärkt die Motivation von digitalen Unternehmer:innen.
Den Höhepunkt ihres bisherigen Werdeganges stellen ihre Tätigkeit und ihr Engagement in der militärisch-technologischen Spitzeneinheit dar. Nach und nach gewannen die unternehmerischen Soldat:innen von der Einheit und ihren Kampfgefährten an Anerkennung (vgl. S: 709-724; A: Z. 71-95; R: Z. 130137). Dies wird zudem als ein entscheidendes Ereignis ihres Dienstes bezeichnet (vgl. M: Z. 249-253; R: Z. 106-115, 794). Denn um diese
„[…] zynische, brillante und skeptische kleine Gruppe von Menschen beeinflussen zu können, bedarf es irgendetwas, ich denke, dass dies [als sie zur Einheitsbesten eines Jahres gewählt wurde] mein Selbstvertrauen sehr gestärkt hat, wenn ich dort etwas bewegen kann, wenn sie mir folgen und mir zuhören können […] und alles geschah ganz natürlich, es war nicht so, dass ich irgendein Ziel oder eine Aufgabe hatte, sie zu beeindrucken, es war wie in der entstandenen Dynamik und es gab mir eine Menge Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten und in meine Einflussnahme“ (R: Z. 131-135).
Die mit dem Militärdienst einhegende tägliche Anspannung wird durch die Anerkennung anderer Kampfgefährten gelöst. Denn selbst die eigene Familie könne es nicht verstehen (vgl. A: Z. 429-440), da ihr nicht erzählt werden dürfe (vgl. R: Z. 263-268), was im Rahmen des Dienstes geschieht. Dieses „Netzwerk“ der gruppeninternen Anerkennung lässt sich durch diese kleine Gruppe nachher auf dem Markt konstruieren und reproduzieren, indem sich die gewordenen digitalen Unternehmer:innen fast ausschließlich mit ihren ehemaligen Kommandant:innen oder mit den ihnen zugewiesenen Soldat:innen zusammenschließen, um die eigenen Gründungsideen zu verwirklichen. Dies kann als der Versuch interpretiert werden, die früh verinnerlichte Gruppendynamik der kleinen geschlossenen Einheit im Rahmen ihrer privaten Aktivitäten zu restrukturieren, um wieder gemeinsam als Kollektiv zu arbeiten und was Sinnvolles zu tun.
So erzählt Eric stolz, wie er nach 11 Jahren Dienst mit fünf weiteren Kampfgefährten und ihrem Kommandeur aus Einheit 81 das Militär verließ, um ihr Start-up-Unternehmen, wofür sie noch kein konkretes Konzept hatten, zu gründen.[20] Ausgerechnet ihm gelang es, Risikokapitalgeber:innen aus Deutschland und den USA auf einem internationalen Technologiekongress für ihre neue Idee zu begeistern. Dadurch erhielt Eric die Anerkennung seines Teams, indem die Freunde zudem feststellten, er sei der beste Mann für Verkauf, Marketing und Produktstrategie gewesen (vgl. Z. 186-190). Nach einem Börsengang von rund 1 Mrd. US-Dollar und dem Ausstieg einiger Mitbegründer sank Erics Motivation deutlich (vgl. ebd. 268-278). Rosa war beispielsweise aufgrund der Geburt ihres Erstgeborenen, und zwar mit der Erlaubnis ihrer Vorgesetzten, fügt sie hinzu, weniger im Dienst. Da sie zu der Zeit erstmals den Posten der Abteilungsleiterin für Cyberkrieg bekleidete, empfand sie die Situation als äußerst unangenehm. Denn dies erschien ihr als unengagiert und nicht angemessen ihren Kampfgefährten gegenüber, da sie als Leiterin nur einen 8-Std.-Tag mit den Wochenenden freigehabt habe, während „[…] alle in [der Einheit] 81 jeden Tag bis 2 Uhr nachts arbeiten und jeden Freitag [der erste Tag des Wochenendes nach dem jüdischen Kalender] und ich komme und die Hälfte des Tages ist die Direktorin [also sie selbst] gar nicht da, das kam mir total verrückt vor“ (Z. 259-260). In dieser Zeit merkte sie also, dass Mehrarbeit auch große Anerkennung durch Kampfgefährten bedeutet, worauf sie ebenfalls nicht freiwillig verzichten wollte. Dies wird hier so gedeutet, dass sich diese Einstellung im Militär festigte und später auch ins Unternehmertum übertragen wurde. Ihr nicht annähernd genügendes Engagement, wie es ihr in der Einheit zugemutet wird, ist mit subjektiver Fassungslosigkeit assoziiert. An einer anderen Stelle hieß es zum Beispiel, man möge auch, dass das eigene technologische System an die Front komme und Anerkennung durch die Einheit erhalte (vgl. A: Z. 537-542).
Die Aspekte des Wettbewerbs und gruppeninterner Anerkennung vermischen sich im Lauf der biographischen Erzählung unternehmerischer Soldat:innen. Als vom Tätigkeitsbereich der Einheit 81 nach einem 73-jährigen streng geheimen Einsatz letztendlich berichtet werden durfte, bekundet Eric: „[D]ie Foren der Einheit tobten“ (Z. 399). Auf die Rückfrage „Wieso?“ erwiderte er bloß „[…] wer [in der Zeitung] erwähnt wurde und wer nicht; ich schon“ (Z. 401-402). Es gilt ein Wettlauf um Anerkennung.
5.4 Grundzug 4: Reproduktion der militärischen Einheit
Folgt man mit der Deutungsmusteranalyse den normativen Regeln der Narration unternehmerischer Soldat:innen, so lässt sich rekonstruieren, dass der Ruf ihrer militärisch-technologischen Spitzeneinheiten auch nach dem Dienst noch eine prägende Rolle spielt. Die Einheit stellt die Struktur dar, die die besten Menschen an Bord zu haben scheint und die existenziellen Aufgaben einer Nation übernimmt. Die Reproduktion der eigenen Einheit sowie die Bestrebung unternehmerischer Soldat:innen, ihre spezifischen Arbeitsweisen nachzuahmen, vermischt das Militärische mit dem Zivilen in der israelischen Start-up-Szene. Trotz der Schwierigkeiten während des langjährigen Militärdienstes sind sie alle bereit, in ihre alten Einheiten zurückzukehren oder haben dies bereits mehrmals in Erwägung gezogen. „[I]ch hoffe, sie lehnen mich nicht ab“, sagt Assaf lachend und teils verunsichernd im Hinblick auf seine Zukunft bezogen, „[…] wenn es überhaupt noch relevant sein wird“ (Z. 526). Denn in den Augen der ehemaligen Soldat:innen gilt das Militär weiterhin als agil und kreativ, und der Dienst an sich wird als deren interessanteste Lebensphase betrachtet.
Bot der bürgerliche Haushalt dem Schumpeterianischen Unternehmer Schutz vor dem Berufsleben und war als Ort der Regenerierung und des Genusses anzusehen, so lässt sich die alte Einheit im Militär und die damit verbundene Arbeitsweise mit Kampfgefährten in kleinen Gruppen als die Verlängerung der Kernfamilie ableiten. Denn genau dort „[…] kennt jeder jeden“ (E: Z. 330) und damit auch deren tatsächliche Leistungen, ohne dass nach diesen gefragt werden müsse, da später auf dem Markt „[…] jeder mit jemandem zusammenarbeiten will, den er kennt [und] der schon einmal [durch das Militär] gefiltert wurde“ (A: Z. 79-80). Insoweit ist keineswegs erstaunlich, dass sich die digitalen Unternehmer:innen von heute mit ihren Kampfgefährten, die ähnliche Erfahrungen machten und dieselben Strukturen durchliefen, zusammenfinden (vgl. R: Z. 710-719). Dies markiert einen Versuch, den eigenen Sinngehalt wiederzufinden sowie die Erfolgschancen des unternehmerischen Handelns zu erhöhen, da man mit Menschen zusammenarbeitet, denen man hohe Kompetenzen zuschreibt und wichtige Aufgaben zutraut.
Obwohl man sich in einer ganz besonderen gesellschaftlichen Konstellation und für sich zunächst einer fremden Institution wie dem Militär befindet, die weitgehend nicht durch Freiheit oder Handlungsspielraum, sondern eher durch Härte und Disziplin definiert ist, bietet die Einheit für unternehmerische Soldat:innen eine Perspektive der Förderung statt Bestrafung. Dadurch finde das Unternehmertum auch außerhalb der täglichen Routine statt (vgl. A: Z. 478-493). Trotz alledem kehren unternehmerische Soldat:innen nach dem Dienst im übertragenen Sinn immer wieder ‚in die gute alte Einheit‘ zurück, nicht nur aufgrund von wirtschaftlichen, sondern insbesondere auch für persönliche, soziale und kulturelle Zwecke (vgl. S: Z. 266-276; E: Z. 324-347; R: Z. 646-651). Infolgedessen geht der Geist der Einheit über den regulären Militärdienst hinaus in ihren Alltag als Bürger:innen. Hierbei wächst zudem die Begabung der eigenen Einheit zum Sinnbild des aus den monotonen, risikoscheuen Zuständen befreiten unternehmerischen Soldaten heran, und der Technologie wird eine epische Kraft zugeschrieben, als Lösung für zahlreiche Probleme zu fungieren.
So gründete Sharon zusammen mit anderen Kampfgefährten einen Start-up-Beschleuniger ausschließlich für die Alumni der Einheit 8200 (vgl. Z. 272-278) oder sie modelliert nun mithilfe ehemaliger Militärpsycholog:innen der Einheit ein Verfahren zur Auslese potenzieller Auserwählter für Führungspositionen. Dies stützt sich im Kern auf einen ähnlichen Prozess zur Auswahl von neuen Soldat:innen für militärisch-technologische Spitzeneinheiten (vgl. ebd. 474-483). Es ist kein reiner Versuch, militärische Auswahlprozesse und Methoden zu kommerzialisieren (vgl. Dvir et al. 1998), sondern kann viel mehr als eine unerfüllbare Fantasie verstanden werden, die exklusive, vertraute Einheitsdynamik zu reproduzieren und auf dem Markt zu platzieren, sei es für die eine etablierte Firma im Handelssektor oder für ein neu aufstrebendes Start-up-Unternehmen im Energiesektor. Was den Militärdienst wiederum betrifft, ruft sich Rosa in Erinnerung, war die Tatsache, dass alle, mit denen sie im Team tätig war, in der militärischen Einheit geblieben sind. Weiter: „[A]lle haben ihre Wehrpflicht verlängert oder wir [das Militär] verbeamteten sie [machten sie zu Zivilisten im Dienst der Verteidigungskräfte]; es war unglaublich, niemand ging, niemand konnte sich vorstellen zu gehen; es war großartig, in diesem Ding zu sein“ (Z. 609-610). Dass Rosa die Einheit nach wie vor als ein gewisses „Wir“ begreift, ist vielsagend.
Insofern müsse man, um ein erfolgreicher Unternehmer zu werden, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit den richtigen Menschen sein. Jemand müsse „[…] an Dich glauben und Dir die Chancen geben“ (M: Z. 251-253). Die Einheit bilde diesen Ort. Die Arbeitsweise in kleinen Gruppen, und zum großen Teil kann noch hinzugefügt werden, die Führung dieser Gruppe von Gleichgesinnten, motivieren digitale Unternehmer:innen von heute (vgl. E: Z. 391-395; R: Z. 217-251) und garantieren ihnen bemerkenswerte Entwicklungsmöglichkeiten. Israelis hätten bisher laut Meir nur in kleinen Unternehmen Erfolg geleistet (vgl. Z. 573-574). Rosa verweist auf das von ihr mitgegründete Unternehmen, in dem sie das Ruder übernahm, wo alle Mitarbeiter:innen in den ersten fünf Jahren aus früheren Bekanntschaften in der Einheit stammen (vgl. Z. 821-827). Ihr fällt es heute noch schwer, neue Leute aus einer ‚fremden‘ militärisch-technologischen Spitzeneinheit zu rekrutieren (vgl. Z. 617-624), denn diese werden als Konkurrent:innen der eigenen Einheit gesehen. Für Assaf zum Beispiel artikuliert sich die Reproduktion der kleinen Einheit in einem seiner letzten unternehmerischen Vorhaben: „Diese Firma ist das, was ich wollte, mit keinem Kunden mehr im Leben zu sprechen und genau das gibt sie Dir […], es sind fünf Jungs, die in einer als Büro getarnten Wohnung sitzen und automatisch mit Robotern an der Börse handeln“ (Z. 238-241).
5.5 Grundzug 5: Grown-up Nation
Beinahe alle Biographieträger:innen verbrachten im Laufe ihrer Karriere mehrere Jahre im Ausland, einige von ihnen im Rahmen des Dienstes. Schließlich kehrten sie samt ihrer Familie nach Israel zurück. Strebte der Schumpeterianische Unternehmer die Schöpfung einer generationsübergreifenden Familiendynastie an, so kristallisiert sich in der Analyse ein weiterer Grundzug heraus, der die Motivation unternehmerischer Soldat:innen in Israel begünstigt: die Aspiration der Errichtung einer Grown-up Nation.
Die an dem Militär als Ganze sowie an der israelischen Regierung geübte Systemkritik, sie seien beispielsweise nicht imstande, die tüchtigen, enthusiastischen und risikofreudigen Soldat:innen in der Armee zu behalten (vgl. E: Z. 672-691; M: Z. 573-581), oder dass erstere sukzessive politisiert werde (vgl. E: Z. 70; R: Z. 557), mündet in ein neues Bestreben digitaler Unternehmer:innen, Dinge im Inland selbst in die Hand zu nehmen. In Reaktion auf die systemische Dysfunktionalität positionieren sich die ehemaligen Soldat:innen wieder als einsatzbereit. Meir äußerte im Laufe des gesamten Interviews mehrmals seine Bedenken hinsichtlich der herrschenden Exitstrategie und -fixierung digitaler Unternehmer:innen jüngerer Generationen (vgl. Z. 143-144, 184-186). Israel solle seiner Ansicht nach seine erfolgreichen Unternehmen und Unternehmer:innen nicht ins Ausland abwandern lassen, wie es bei seiner Generation der Fall war. Die erfolgreichen Start-up-Unternehmen transformieren sich bedauerlicherweise nicht in etablierte Konzerne im Inland wie die Leitunternehmen der Silicon Valley, denn
„[…] um Organisationen zu entwickeln, die wachsen können und scale, brauchst Du eine gewisse Erfahrung […] und viele der Menschen in diesem Land haben diese Erfahrung nicht, denn selbst wenn sie Unternehmer waren und [ihr] Unternehmen 100, 200, 300 Mitarbeiter erreicht hat und verkauft wurde, passieren zwei Dinge: Entweder wird das Unternehmen gleich aus Israel gestrichen und seine IP-Adresse wird ins Ausland verlegt […] oder wenn man schon etwas im Land zurücklässt, dann bleiben nur die F&E […], es gibt viele gute F&E-VPs [vice presidents einer Firma] in diesem Land, aber wenn man sich näher anschaut, wie viele Vertriebs- oder Marketing-VPs gibt oder Leute wie […] Business Development-Leute oder Businessleute, die Geschäftsbereiche leiten, dann ist die Zahl in diesem Land sehr niedrig, weil es einfach nicht genügend [große] Unternehmen gibt, in denen man mit solchen Dingen Erfahrung sammelt“ (M: Z. 188-196; Englisch im Original).
Die hier beschriebene Gefahr bedeutet zweierlei: Einerseits führe dies zur Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte der Tech-Industrie (vgl. S: Z. 425-440; E: Z. 226-236; R: Z. 718-724) und fördere andererseits den Ausstieg von (Risiko)Kapital aus Israel. Letzteres ist unersetzlich, weil der israelische Markt an sich für die globale Tech-Industrie als marginal, womöglich nichtexistierend oder gar irrelevant wahrgenommen werde sowie den Start-up-Unternehmen vom Fluss des Risikokapitals aus dem Ausland abhängig seien. Unternehmen werden dementsprechend in Israel gegründet, jedoch schlagen sie dort keine Wurzeln wie in den USA, die als vertrautestes Vorbild dienen. Das, was verbleibt, seien die F&E-Zentren für andere. „[D]u verstehst, dass die Produkte, die Du herstellst, im Prinzip für andere Märkte arbeiten müssen“ (M: Z. 84), dies sollte demzufolge nun korrigiert werden. Denn schließlich soll der Staat Israel – ebenso wie bei den israelischen Verteidigungskräften – langfristig die Früchte seiner eigenen Tech-Industrie tragen.
Besteht die Aufgabe der militärisch-technologischen Spitzeneinheiten darin, agiler, innovativer und risikoreicher als die Feinde zu handeln, so kann sie heute für die digitalen Unternehmer:innen die Stabilisierung der Ökonomie und die Sicherung der Souveränität der Heimat im wirtschaftlichen Sinne heißen. Dies könne nach Ansichten der unternehmerischen Soldat:innen den ersehnten gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen. Eric verdeutlicht es in einer Analogie zu dem von ihm mitgegründeten Unternehmen für erneuerbare Energien und dessen vergangenen Wettbewerb mit einem großen Marktkonkurrenten aus China. Sein eigenes Unternehmen müsse weiterhin einen besseren technologischen Wert einbringen, „[…] sonst wirst Du von den Billigproduzenten einfach überrannt, [denn] sie wollen market leadership […] [und im Endeffekt] it is the Chinese government, [gegen die man sich behaupten muss]“ (Z. 448-459). Der Verbleib von digitalen Unternehmer:innen auf dem Markt ist nicht nur auf die glasklaren finanziellen Anreize zurückzuführen. Vielmehr kommt ihr Pflichtbewusstsein gegenüber dem eigenen Staat und der israelischen Gesellschaft zum Vorschein und ist daher zu berücksichtigen. Wie unternehmerische Soldat:innen feststellen, gebe es in Israel zwar eine große Menge an Start-up-Unternehmen, die den schnellen Exit zu bewerkstelligen versuchen. Das sei aber weder genug noch der richtige Weg: Denn Israel als Ganzes produziere keine Tech-Giganten mit Tausenden von Beschäftigten (vgl. E: Z. 411-417; M: Z. 165-169). Dies wird als eine genuine Bedrohung der Gegenwart empfunden. Laut Eric befinden sich israelische Tech-Unternehmen heute noch in „[…] einer eindeutigen Unterlegenheit“ (Z. 413). Zudem wirkt gerade diese Haltung systemstabilisierend und zeigt, wie sich digitale Unternehmer:innen erneut den gesellschaftlichen Bedürfnissen anpassen. Beispielhaft dafür stehen Erics und Meirs Bemühungen, gemeinsam mit ihren Mitstreiter:innen die Unabhängigkeit Israels im Energiesektor respektive im Agrarsektor herzustellen.
Der letztere verließ sein erfolgreiches, inzwischen in den USA ansässiges Großunternehmen für Cloud-Computing und ist in ein kleines KI-basiertes Projekt „[…] mit lediglich 80 Mitarbeitern“ (M: Z. 142) eingetreten, um dieses Ziel zu verfolgen. Eine neue Strömung, in der allmählich mehr Unicorns[21] in Israel zu beobachten sind, bewertet er zudem als eine sehr positive Entwicklung, denn „[…] die F&E-Zentren, die hierbleiben, [und die von] Google, Apple und Intel, ziehen keine Organisationen auf, [sondern] produzieren [stattdessen mehr] Start-ups“ (ebd. 476-478). Als Ergebnis gäbe es in Israel nur noch diejenigen, „[…] die wissen, wie man Produkte entwickelt“ (ebd. 474-475), lautet seine Schlussfolgerung, die jedoch keinen genuinen Aufbau einer Grown-up Nation in die Wege leiten und ihren dauerhaften Erhalt versprechen.
Ebenso ist es heutzutage für Sharon, Assaf und Rosa entscheidender als am Anfang ihrer beruflichen Karriere, dass ihre Unternehmen ökonomisch stabil bleiben, von Anfang an profitabel sind und die Beschäftigtenzahl steigt (vgl. S: Z. 383-392; A: Z. 261-269; R: Z. 448-464). Diese sind in der Regel eher nicht die üblichen Ausgangspunkte für technologieintensive und mit Risikokapital finanzierte Start-up-Unternehmen. In jüngster Zeit lässt sich auch der folgende Trend beobachten: Erfolgreiche Tech-Unternehmen, d.h. solche, die den Exit bereits ‚geschafft‘ haben, wie etwa Monday.com, Wix.com oder Fiverr, entscheiden sich letzten Endes für den Verbleib in Israel und die Expansion von dort aus. So führte sich Rosa für ihr Unternehmen ein langfristiges Ziel vor Augen, denn die Entwicklung eines biomedizinischen Gerätes, das einen gesellschaftlichen Mehrwert hervorbringen würde, sei „[…] kein normales zweijähriges Start-up [und] Exit“ (Z. 570). Es wird von ihr nicht umsonst als ein „Marathonlauf“ bezeichnet (ebd.). Das Unternehmen und die Beschäftigten sind in diesem Einsatz miteinander verquickt.
Auf Grundlage der biographisch-narrativen Interviews mit den heutigen digitalen Unternehmer:innen lässt sich ein spezifisches Deutungsmuster eines unternehmerischen Soldaten rekonstruieren. In einer neuen kapitalismusanalytischen Lesart der Arbeit Schumpeters sowie unter Berücksichtigung der aktuellen Diskussion in der Unternehmerforschung lassen sich in dieser Ausarbeitung am Beispiel der Start-up Nation fünf wesentliche Grundzüge nachzeichnen. Diese Eigenschaften der israelischen Start-up-Generation – (i) Heimatverteidigung, (ii) Risikofreude, (iii) Geheimhaltung und gruppeninterne Anerkennung, (iv) Reproduktion der Einheit und (v) Grown-up Nation – treiben das Unternehmertum im Land an und fungieren überdies als ausschlaggebende Motivationsgrundlage für seine unternehmerischen Soldat:innen. Im Besonderen wird in der Analyse die Rolle des bürgerlichen Haushalts durch die Bedeutung der israelischen Heimat ersetzt und die klassischen Repräsentationsbedürfnisse der bürgerlichen Familie durch die fast mystische Gabe ihrer eigenen Einheit bei der Auswahl, Durchführung und Sinnstiftung substituiert. Der Aufbau einer generationsübergreifenden Familiendynastie kann durch den einer Grown-up-Nation ergänzt werden.
In Israel hat sich ein relevanter Modus von Unternehmertum herausgebildet, der mit dem Schumpeterianischen Grundproblem des Ersterbens der Unternehmerfunktion umgeht, indem unternehmerische Soldat:innen aus militärisch-technologischen Spitzeneinheiten zu den führenden digitalen Unternehmer:innen avancieren. Diese digitalen Unternehmer:innen zeichnen sich durch hohe Flexibilität und Anpassung aus, und die Voraussetzungen dafür werden gerade in der postbürokratischen Gestalt der militärisch-technologischen Spitzeneinheiten geschaffen. Es handelt sich demgemäß nicht länger um eine heldenähnliche, starke Persönlichkeit im Sinne eines zweckbestimmten Schumpeterianischen Unternehmers. Vielmehr haben sich die unternehmerischen Soldat:innen zu solchen entwickelt, obgleich dies nicht unbedingt ihrer ursprünglichen Intention entsprach. Ihre zügige Aufnahme in die israelische Digitalökonomie nach dem Dienst, wo sie hohe Gehälter und gesellschaftliches Ansehen genießen, geschieht fast mühe- und widerstandslos. Ihr rekursives Verhalten, durch Unternehmertum wieder Verantwortung zu übernehmen, führt zu einem für sie ganz charakteristischen Pflichtbewusstsein und Einsatzbereitschaft.
Das durch Schumpeters theoretische Überlegungen in den Vordergrund der Kapitalismusanalyse gerückte Problem des Ersterbens der Unternehmerfunktion wird im Hinblick auf die israelische Start-up Nation derart adressiert, dass sich Achtzehnjährige aus verschiedenen gesellschaftlichen Herkünften[22] ausgerechnet im Militärdienst zu unternehmerischen Soldat:innen entwickeln sowie in der Folge nachher als führende digitale Unternehmer:innen in der Digitalökonomie hervortreten. Dies untermauert die Erzeugung, Aufrechterhaltung und Stabilisierung des Kapitalismus in Israel und sorgt für eine neue Bearbeitung der Schumpeterproblematik sowie eine Verdeutlichung dieses gesellschaftlichen Phänomens.
6 Fazit und Ausblick
Betrachtet man das Unternehmertum anhand der Durchsetzung neuer Kombinationen (vgl. Schumpeter 1987 [1911]: 111), der Vielzahl gelungener Exits sowie der Zahl der Neugründungen von Start-up-Unternehmen, sticht der Staat Israel als ein besonderer Untersuchungsgegenstand der Soziologie der Technologie und Arbeitssoziologie heraus. Weltweit bekannt sind die gepriesene Westküste der USA oder die Technologiecluster in Shenzhen und Peking, China und Bengaluru, Indien. Als Zentrum des israelischen Unternehmertums ist die Metropolregion Gusch Dan auch ein vielversprechender Standort für den technologischen Fortschritt. Aus diesem Grund ist es verwunderlich, wie wenig Beachtung dem Thema bislang aus soziologischer Perspektive geschenkt wurde. Der vorliegende Beitrag ist als erster Versuch konzipiert, diese Lücke auf der Ebene der Motivationsgrundlage der digitalen Unternehmer:innen Israels zu erarbeiten und erste Impulse für weitere Untersuchungen zu geben. Es konnte dahingehend beleuchtet werden, wie sich der unternehmerische Soldat zur neuen Leitfigur der israelischen Tech-Industrie entfaltete.
Aus dieser Perspektive wurde an der Theorie Schumpeters zur wirtschaftlichen Entwicklung und seinen Ausführungen zur Unternehmerfunktion angeknüpft. Er gilt als der Erste, der den Unternehmertypus und die motivationsstiftende Rolle seiner bürgerlichen Familie in den Mittelpunkt der Kapitalismusanalyse stellte. Die behandelten Beiträge Bröcklings, Thiels sowie der von Kühl dienten dazu, die Veränderungsprozesse heutiger Unternehmertypen aus einer aktuellen Perspektive zu ergänzen. Die unternehmerischen Soldat:innen, welche in den militärisch-technologischen Spitzeneinheiten des israelischen Militärs sozialisiert werden, scheinen dieser Ausführungen in gewisser Hinsicht ähnlich zu sein. Auf den zweiten Blick sind sie jedoch verschieden, denn sie erweisen sich weniger als Spekulanten, jedoch mehr als risikofreudige Durchsetzter von Ideen. Sie fühlten sich ihrem gesellschaftlichen Auftrag, ihrem Staat und der eigenen militärisch-technologischen Spitzeneinheit gegenüber verpflichtet. Daraus folgt, dass die Basis ihrer Motivation nicht nur auf die wirtschaftliche oder familiäre Sphäre früherer Zeiten zurückgeht, sondern sich auch über das Gesellschaftliche und das Militärische erstreckt.
Das Start-up Nation Modell 2024 ist in seiner Blütezeit, daher ist es bedeutsam, sie und ihre Wurzeln sowohl zu analysieren als auch kritisch zu hinterfragen. Als Einzelfallstudie entwickelt und mit biographischem Material ausgearbeitet lässt sich ein konkretes Deutungsmuster der unternehmerischen Soldat:innen mit jeweils fünf entsprechenden Grundzügen für ihre Motivationsgrundlage rekonstruieren. Für sie bleibt der geleistete Militärdienst auch nach der Dienstzeit bedeutungsvoll, was auch Fragen einer Überidentifikation von unternehmerischen Soldat:innen mit dem Staat und Militär aufwirft. Der Dienst bildet eine wichtige Quelle für ihr Unternehmertum. Daraus entstand in Israel ein spezifischer Modus der Erzeugung von Unternehmertum, unter dem die Verteidigung der Heimat, die Risikofreude, die Geheimhaltung und die gruppeninterne Anerkennung sowie die Reproduktion der Einheit auf dem Markt die Triebfedern für die Motivation konstituieren. Doch just in dem Moment, wenn man annimmt, dass nun, nach einer erfolgreichen Karriere eine Phase der ökonomischen Stagnation eintreten oder mit Schumpeter gesprochen, die Energie eines Konjunkturzyklus mit der Motivation dieser Unternehmer:innen verpuffen würde, fällt der fünfte und letzte Grundzug besonders ins Auge. Denn der Aufbau einer Grown-up Nation prägt weiterhin das subjektive Handeln der ehemaligen Soldat:innen und treibt ihren Unternehmergeist in ihrer derzeitigen Rolle als Leitfiguren israelischer Tech-Industrie voran. Der frühere Traum und Wille des Schumpeterianischen Unternehmers von einer generationsübergreifenden Familiendynastie wird bei den gegenwärtigen digitalen Unternehmer:innen mit starkem Bezug auf romantisierten Vorstellungen der eigenen Einheit im Militär vom Wunsch nach einer Grown-up-, und in vielerlei Hinsicht unabhängigen Nation mit einheimischen Leitunternehmen angetrieben. All dies dient als erstes Erklärungsmuster zur Art und Weise, wie in Israel die Motivationsgrundlage für Unternehmertum kontinuierlich geschaffen wird.
Die Fragen, welche gesamtgesellschaftliche Implikationen dieses Phänomen unter dem Aspekt sozialer Ungleichheiten nach sich zieht, in dem sich ausgerechnet auf die unternehmerischen Soldat:innen bei der Konstitution der israelischen Wirtschaft und Gesellschaft berufen wird, und wo für die digitalen Unternehmer:innen von heute das Militärische endet und das Zivile beginnt, konnten in diesem Beitrag keine Berücksichtigung finden. Aufbauend auf dieser Arbeit wäre es interessant, die Forschungsperspektiven zu untersuchen, inwieweit derartige militärisch-technologische Spitzeneinheiten noch unter soziologische Kategorien wie totale Institution (vgl. Goffman 2007 [1961]) subsumiert werden können und ob angesichts der permanenten und dynamischen Bedrohungslage im Land eher technokratisch geprägte Lösungsansätze bevorzugt werden. Sicher ist: Dem Staat Israel steht mit jeder neuen Einberufung an Wehrpflichtigen zugleich eine große Reserve an potenziell zukünftigen unternehmerischen Soldat:innen zur Verfügung.
Hinsichtlich eines bevorstehenden Reifeprozesses der Start-up Nation lässt sich heute somit sagen, dass eine Monopolbildung israelischer Tech-Unternehmen zu erwarten ist. Das vorherrschende Narrativ der Start-up Nation ist zudem stark konflikt- und gefahrbezogen. Wenn dies berücksichtigt wird, entsteht der Eindruck, dass das Unternehmertum digitaler Unternehmer:innen so lange bestehen bleibt, wie die nationale Nachfrage für unternehmerische Soldat:innen im Militär vorhanden ist. Solange der Status quo erhalten bleibt, könnte man von langen Wellen spektakulären Unternehmertums in Israel ausgehen.
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