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Die Umstände von Gewicht bei der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Eine Analyse von Mordurteilen im Zeitraum 2000–2020

  • Jonas Goldmann and Ulrike Zähringer EMAIL logo
Published/Copyright: May 27, 2023

Zusammenfassung

Mit dem 20. Strafrechtsänderungsgesetz vom 08.12.1981 wurde die »Besondere Schwere der Schuld« in das deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen, um zu gewährleisten, dass besonders schwerwiegende Tötungsdelikte individualisiert bestraft werden können. Seit ihrer Einführung wird über diese Regelung in Literatur und Rechtsprechung diskutiert, wobei insbesondere die fehlende Bestimmtheit und Konkretisierung von Kriterien für eine Feststellung der besonderen Schuldschwere durch das Tatgericht kritisiert werden. Auch aufgrund entsprechender Forderungen wurde 2014 eine Expert:innengruppe vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Erarbeitung einer Reform der Tötungsdelikte berufen. Im entsprechenden Abschlussbericht wird empfohlen, das Schuldschweremerkmal »aus Gründen der Klarstellung und der gleichmäßigen Rechtsanwendung näher zu konkretisieren« – bisher wurde in der Gesetzgebung dieser Empfehlung jedoch keine Folge geleistet. Ziel dieses Beitrags ist es, die vom Bundesgerichtshof geforderten »Umstände von Gewicht« näher zu untersuchen und auf ihre Bedeutung für die Rechtsprechung hin zu analysieren. Dafür soll insbesondere betrachtet werden, welche Umstände im Rahmen der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld durch Tatgerichte Gewicht haben. Beleuchtet werden soll darüber hinaus, welche tat- und täter:innenbezogenen Faktoren in der Schuldschwerefeststellung erschwerend herangezogen werden. Zur Beantwortung dieser Fragen wurden 26 Mordurteile aus den Jahren 2000 bis 2020 analysiert, bei denen die besondere Schwere der Schuld durch das Tatgericht festgestellt wurde.

Abstract

With the 20th Criminal Law Amendment Act of December 8, 1981, the »Special Severity of Guilt« was introduced into the German Criminal Code to ensure that particularly serious homicide offenses can be punished on an individualized basis. Since its introduction, this provision has been the subject of debate in literature and case law, with criticism being levelled in particular at the lack of specificity and concretization of criteria for a determination of the special gravity of guilt by the criminal courts. Also due to corresponding demands, an expert group was appointed in 2014 by the Federal Ministry of Justice and Consumer Protection to develop a reform of homicide offenses. In the corresponding final report, it is recommended that the criterion of culpability »be specified in more detail for reasons of clarification and uniform application of the law« – so far, however, this recommendation has not been followed in the legislation. The aim of this article is to examine in more detail the »circumstances of weight« required by the Federal Court of Justice and to analyze their significance for case law. In particular, it will be considered which circumstances have weight in the context of the determination of the particular gravity of guilt by criminal courts. In addition, it will be examined which factors related to the offence and the offender are used as aggravating factors in the determination of the degree of guilt. In order to answer these questions, 26 murder verdicts from the years 2000 to 2020 were analyzed, in which the special gravity of guilt has been determined by the criminal court.

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Published Online: 2023-05-27
Published in Print: 2023-05-26

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 21.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/mks-2022-0035/html?lang=en
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