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Erhebliche Diskrepanzen zwischen qualitativen Troponin-Schnelltesten („Karten-Testen“) und klassischer Laboranalytik: ist der Einsatz solcher Schnellteste vertretbar?

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Published/Copyright: August 1, 2017
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Zusammenfassung

Die Bestimmung der kardialen Troponine ist von erheblicher diagnostischer Bedeutung zur Abklärung vermuteter kardialer Ischämien. In einem Kliniklabor war aufgrund äußerer Umstände (Geräteausfall) aufgefallen, daß die als Backup eingesetzten lateral flow-Schnellteste (qualitative „Kartenteste“ ohne Geräteplattform) auch an hoch positiven Proben (weit über den angegebenen Nachweisgrenzen) in einigen Fällen kein positives Ergebnis erbrachten. Diese zunächst zufällige Beobachtung wurde an einer größeren Serie positiver Proben (n=23>0,5 ng/mL Troponin I; n=17>1,0 ng/mL) systematisch unter Verwendung verschiedener lateral-flow-Teste in Vergleich zu zwei verschiedenen Zentrallabor-Troponin-I-Testen überprüft. Im Ergebnis zeigte keiner dieser Schnellteste die positiven Proben zuverlässig an. Damit sind alle untersuchten qualitativen Troponin-Schnellteste als Basis klinischer Entscheidungen ungeeignet.

Rezensierte Publikation:

Sack U. Redaktion Conrad K.


Einleitung

Die Bestimmung von Troponin I bzw. Troponin T hat unter allen verfügbaren medizinischen Laboruntersuchungen eine herausragende diagnostische Bedeutung [1]. Dies ist belegt durch die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie/ESC, denen zufolge bei Brustschmerz ohne ST-Hebung im EKG dem Troponintest sowohl für die Einleitung einer invasiven Therapie als auch für den Verzicht auf invasive Therapie eine entscheidende Rolle zukommt [2]. Die aktuellen Leitlinien setzten dabei einen quantifizierbaren und hochsensitiven Test voraus, die hier betrachteten lateral-flow-Schnellteste sind grundsätzlich weder das eine noch das andere. Die klinische Relevanz der geringeren Sensitivität dieser Schnellteste sollte allgemein bekannt sein [3].

Es gibt bereits einige Untersuchungen, welche die Testperformance von Schnelltesten und „klassischer Laboranalytik vergleichen“ [4], [5], [6]. Allerdings betrachten alle uns bekannten Arbeiten quantifizierbare Schnellteste auf der Basis kompakter POCT-Geräteplattformen. Auf lateral-flow-Karten basierende qualitative Teste, wie sie insbesondere in der Primärversorgung in Arztpraxen eingesetzt werden, wurden unseren Wissens bisher nicht systematisch und herstellerunabhängig mit gerätegestützter Laboranalytik verglichen.

Methodik

In einem Krankenauslabor eines 186 Betten-Kreiskrankenhauses, welches unter anderem eine Herzkathetereinheit betreut, wurden aufgrund eines Geräteausfalls an 4 Tagen abweichend vom üblichen Vorgehen lateral-flow-Schnellteste zur Troponin Bestimmung eingesetzt. Dies entsprach dem damaligen Back-Up-Konzept. Sofort nach Reparatur des Gerätes (Tosoh AIA 360) wurden die bei 4 °C gelagerten Patientenproben damit nachgetestet. Dabei fielen erhebliche Diskrepanzen auf (Tabelle 1). Zum Ausschluss möglicher falsch-positiver Resultate des Tosoh wurden alle Proben zusätzlich im LADR-Zentrallabor in Geesthacht nachgetestet (Roche/Cobas E 411). Außerdem wurden die Proben in einem zweiten Ansatz durch eine andere MTA im selben Schnelltest getestet, es kam zu keinen abweichenden Ergebnissen (Tabelle 1).

Tabelle 1:

Ergebnisse des Schnelltestes im Vergleich zu drei unterschiedlichen Labortesten, Nachtestung der Schnelltest-Proben während des Ausfalls des Routinegerätes Tosoh AIA 360.

TestTosoh (Trop I)Schnelltest A (Trop I)Cobas Trop I
Grenze<0,06 ng/mLNegativ<0,3 ng/mL
Patient
 WE0,11++Negativ
 WE0,26++Negativ0,31
 WE0,15++Negativ0,25
 AL0,04Negativ0,2
 AL1,82++++Negativ2,13
 AL8,82++++Positiv8,06
 DL0,04Negativ0,12
 DL2,12++++Negativ2,56
 DS2,26++++Negativ0,72
 DS0,26++Negativ
 HRndPositiv<0,3
  1. +Positiv unter Zugrundelegung der Kriterien für hoch-sensitive Troponinteste. ++Positiv unter Zugrundelegung der angegebenen Sensitivität des Schnelltestes (0,5 ng/mL).

Wegen dieser erheblichen Diskrepanzen zu den gerätebasierten Ergebnissen wurde der Vergleich Schnelltest – Labortest in einem zweiten Schritt ausgedehnt: zum einen wurden alle auf dem Gerät (Tosoh) positiven Proben des folgenden Zeitraums im Schnelltest nachgetestet und zum anderen weitere Chargen des ursprünglichen Schnelltestes sowie anderer Hersteller untersucht.

Auch hier wurden alle positiven Proben zusätzlich auf der Cobas Plattform (Troponin I und T; Daten für T nicht gezeigt) untersucht (Tabelle 2).

Tabelle 2:

Ergebnisse der systematischen Nachtestung aller am Gerat positiven Proben aus der Routine mit verschiedenen Schnelltesten.

PatientTosoh, ng/mLSchnelltest
AA*BCD
BK1,83NegativNegativNegativNegativNegativ
ML2,30PositivSchwach positivNegativ
ML2,66NegativSchwach positivNegativNegativNegativ
PG13,19PositivPositivPositiv
BK1,02NegativNegativNegativ
DW0,68NegativNegativ
KP1,43NegativNegativNegativ
KP1,25NegativNegativNegativ
NE2,56PositivSehr schwach positivNegativ
PG6,29PositivPositivPositiv
ML0,85NegativNegativ
BG1,87NegativNegativNegativ
KH0,62NegativNegativNegativ
FH0,86NegativNegativNegativ
FW3,80NegativNegativSchwach positiv
FW1,27NegativNegativNegativ
RR0,63NegativNegativ
PW2,25NegativNegativNegativSchwach positiv
SH5,81NegativPositiv
MH2,37NegativNegativNegativSchwach positivSchwach positiv
SW1,28NegativNegativ
ME1,08NegativNegativ
PS4,77NegativNegativPositivPositiv
  1. Da fur die Schnellteste C und D ein cut-off von 1,0 ng/mL angegeben ist, wurden Proben mit niedrigeren Werten nicht mit diesen Testen untersucht.

Es kamen folgende Schnellteste (sämtlich lateral-flow Teste ohne Geräteplattform) zum Einsatz:

  • A: Servoprax CH.-B.: 2.13.1.5.-77

  • A*: Servoprax Ch.-B: 2.13.1.5.-76

  • B: Devidia Ch.-B.: 2.13.87-37

  • C: gabmed 90AD15003

  • D: Alere CTNI15050008

Es handelte sich um Patienten nach nach Coronarangiographien, was den hohen Anteil pathologischer Ergebnisse erklärt (s.u.). Die Blutabnahmen erfolgten unmittelbar nach dem Eingriff, am folgenden Morgen und – bei erhöhten Werten- erneut am folgenden Morgen.

Ergebnisse

Die Überprüfung der Schnelltest-Ergebnisse während des Geräteausfalls ist in Tabelle 1 zu sehen.

Der Testhersteller gibt eine Nachweisgrenze von 0,5 ng/mL für den Schnelltest A an. Selbst unter Berücksichtigung dieser im Vergleich zu den hochsensitiven Testen, welche state of the art sind und den Leitlinen zugrunde liegen (s.u.) deutlich reduzierten Sensitivität reagieren 3 von 4 positiven Proben falsch negativ im Schnelltest. Dies bestätigten Nachtestungen auf einer anderen Testplattform (Cobas E 411). Offensichtlich sind die diskrepanten Ergebnisse also nicht durch falsch positive Resultate der vor Ort verwendeten Plattform Tosoh AIA 360 erklärbar.

Die Übereinstimmung zwischen den beiden eingesetzten stationären Trop I-Testen war im Hinblick auf klinische Aussage fast 100%ig, lediglich die dritte Probe von Patient WE reagierte einmal knapp über und einmal knapp unter der Entscheidungsgrenze. Bemerkenswerterweise reagierte eine von wenigen Proben (HR), welche im Schnelltest positiv war, im nachträglich durchgeführten Labor-Troponin-Test negativ, es handelt sich also hier um ein falsch positives Resultat. Falls es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt, ist auch die Spezifität des Schnelltestes unzureichend. Dieser möglichen Problematik wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen nicht weiter nachgegangen.

Nachdem diese Ergebnisse eine äußerst unbefriedigende Sensitivität der verwendeten Charge des Schnelltestes gezeigt hatte, testeten wir in den folgenden Wochen (nach Reparatur des Laborgerätes) systematisch alle Proben aus der Routine mit Ergebnissen oberhalb der Nachweisgrenze der Schnellteste, um zu ermitteln, ob die Problematik reproduzierbar ist und auch andere Teste/Chargen betrifft. Die Ergebnisse zeigt Tabelle 2.

Diese „zweite Runde“ der Testung betätigte die initialen Beobachtung anlässlich des Geräteausfalls: der ursprünglich eingesetzet Test „A“ reagierte auch unter Verwendung einer anderen Charge selbst bei Troponin I-Werten oberhalb von 5 ng/mL nicht zuverlässig (Patient SH). Test „B“ wurde an 5 Patienten mit Troponin-I-Werten zwischen der angegebenen Nachweisgrenze von 0,5 ng/mL und 2,66 ng/mL verwendet und ergab in 5/5 Patienten falsch negative Werte. Die Teste „C“ und „D“ haben lt. Hersteller eine Nachweisgrenze von 1 ng/mL und wurden deswegen nur an Proben mit Werten oberhalb diesen Wertes getestet. Test „C“ ergab dennoch falsch negative Ergebnisse in 3/5; Test D in 11/18 Patienten. In dieser Serie reagierten nur die beiden Proben mit Troponin I ab 6 ng/mL in allen Schnelltesten positiv, dies entspricht dem 12- bzw. 6-fachen der angegebenen Nachweisgrenze der Schnellteste und in etwa dem 100-fachen bezogen auf high-sensitivity-Teste.

Insgesamt sind alle untersuchten Troponin-Schnellteste als Basis klinischer Entscheidungen ungeeignet.

Diskussion

Die hier untersuchten lateral flow Schnellteste im Kartenformat für Troponin I versprechen eine zeitnahe Bestimmung dieses vital wichtigen Laborparameters ohne kostenintensive Geräte und ohne besonders geschultes Personal. Jede Form von Sicherung der analytischen Qualität entfällt, insbesondere ist die Mitführung von Qualitätskontrollen nicht vorgesehen. Aufgrund dieser einfachen Durchführbarkeit spielen sie in der Praxis häufig eine entscheidende Rolle, wenn es um Therapieentscheidungen geht.

Die Tatsache, daß Ergebnisse derartig unzuverlässig sind, wurde unseren Wissens bisher nicht publiziert. Uns sind überhaupt keine unabhängigen Publikationen bekannt, welche diese Art von Testen auf ihre analytische Qualität hin untersucht. Point-of-care-teste hingegen, welche gerätebasiert insbesondere auf Intensivstationen zum Einsatz kommen, sind bereits häufig mit klassischen Zentrallabor-Geräten verglichen worden, dabei wurde stets eine annehmbare analytische Qualität beobachtet [4], [5], [6].

Die Ablesung der Schnellteste erfolgte stets durch erfahrene medizinische-technische Assistentinnen, bei allen diskrepanten Proben im 4-Augen-Prinzip. Ungeschulte Anwender würden möglicherweise zu noch schlechteren Resultaten kommen.

Diese falschen Testresultate führten zu klinischen Fehlentscheidungen (vorzeitige Entlassung von Patienten nach dem Herzkathetereingriff), welche nach Bekanntwerden der korrekten Testergebnisse revidiert werden mussten.

Es handelte sich wie erwähnt um Patienten nach Koronarangiographien. An einem Patientengut mit unklarem Brustschmerz in der ambulanten Primärversorgung, wo derartige Schnellteste häufig verwendet werden, wäre es zur Vorenthaltung medizinisch gebotener Therapie der akuten Myokardischämie gekommen. Andererseits dürften selbst massive Häufungen von Testversagern nicht auffallen, da ja in der Primärversorgung selten die im Schnelltest negative initiale Probe zur Kontrolle in ein Labor gesendet wird. Bei später abgenommenen positiv reagierenden Proben wird der Anwender immer mutmaßen, die erste negative Probe sei „zu früh“ gewesen.

Es stellt sich die Frage, wie unsere Ergebnisse mit den von den vom Hersteller angegebenen Sensitivitätsdaten in Übereinstimmung zu bringen sind.

Ohne diese Frage beantworten zu können, halten wir eine wesentlich stringentere herstellerunabhängige Kontrolle durch die Behörden vor der Markteinführung kritischer Diagnostika für erforderlich. Die Definition der „Liste A“-Diagnostika, welche einer unabhängigen Kontrolle vor Markteinführung und auch danach unterliegen, umfasst einen großen Teil der relevanten Analysen nicht. Desgleichen muss die Möglichkeit bestehen, derartige offensichtlich unzureichende Teste kurzfristig vom Markt nehmen zu können, wenn der Hersteller keine überzeugenden Erklärungen für gemeldete Testversager hat.

Im vorliegenden Fall wurde erfolgte eine Meldung an das BfArM, nach etwa einem Jahr wurde uns mitgeteilt, man sehe keinen Handlungsbedarf. Die Begründung erfolgte allein auf der Basis der Angaben des Herstellers.

Davon abgesehen erscheint es notwendig, für jede Art diagnoserelevanter medizinischer Labordiagnostik Qualitätssicherungsmaßnahmen durch den Anwender zu fordern [7].

Wir haben für uns entschieden, diese Schnellteste unter keinen Umständen mehr als Backup zu verwenden und in Backup-Situationen lieber ein korrektes Ergebnis später als ein unzuverlässiges Ergebnis sofort zur Verfügung zu stellen.


Korrespondenz: PD. Dr. Christoph Frohn, Zentrallabor Labor Dr. Kramer und Kollegen, Geesthacht, Germany

  1. Danksagung: Vielen Dank dem MTA-Team und insbesondere Frau Ute Ulbricht und Frau Sophie Witsch für die engagierte Aufarbeitung der Problematik!

  2. Autorenbeteiligung: Alle Autoren tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt.

  3. Forschungsförderung: Keine.

  4. Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Interessenkonflikte bestehen.

Literatur

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2. 2015 ESC Guidelines for the Management of Acute Coronary Syndromes in Patients Presenting without Persistent ST-segment Elevation European Heart Journal, 2015 – doi: 10.1093/eurheartj/ehv320.10.1093/eurheartj/ehv320Search in Google Scholar PubMed

3. Oehler M. Verdacht: Herzinfarkt; Fallstricke in der Frühphase. Der Allgemeinarzt 2014;36:78–80.Search in Google Scholar

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5. Di Somma S, Zampini G, Vetrone F, Soto-Ruiz KM, Magrini L, Cardelli P, et al. Opinion paper on utility of point-of-care biomarkers in the emergency department pathways decision making. Clin Chem Lab Med 2014;52:1401–7.10.1515/cclm-2014-0267Search in Google Scholar PubMed

6. Bingisser R, Cairns C, Christ M, Hausfater P, Lindahl B, Mair J, et al. Cardiac troponin: a critical review of the case for point-of-care testing in the ED. Am J Emerg Med 2012;30:1639–49.10.1016/j.ajem.2012.03.004Search in Google Scholar PubMed

7. Jones BA, Meier FA. Patient safety in point-of-care testing. Clin Lab Med 2004;24:997–1022.10.1016/j.cll.2004.06.001Search in Google Scholar PubMed

Erhalten: 2017-4-13
Angenommen: 2017-6-9
Online erschienen: 2017-8-1
Erschienen im Druck: 2017-8-28

©2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 19.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/labmed-2017-0046/html
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