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Subjektive Theorien von DaF-Lehrenden – zur Begründung des Ausschlusses von Inhalten und Methoden aus dem Unterricht

  • David Mayer

    studierte Germanistik, Geschichtswissenschaft und Sportwissenschaft (Lehramt für das Gymnasium) an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 1. und 2. Staatsexamen, und anschließend den Masterstudiengang Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Wien. Nach seinem Studium arbeitete er als DaF-Lektor an einer staatlichen Hochschule in Amman/Jordanien. Derzeit ist er als DaF-Lehrender für Studienvorbereitungskurse an der Universität Ulm und der Hochschule Ravensburg-Weingarten tätig.

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Published/Copyright: April 18, 2020

Zusammenfassung

Die qualitative Studie befasst sich mit der Frage, mit welchen Faktoren DaF-Lehrende begründen, was sie in ihrem Unterricht inhaltlich und methodisch nicht machen, und eruiert, inwiefern diesem Ausschluss eine subjektive (Teil-)Theorie zugrunde liegt. Damit wird innerhalb der Lehrerkognitionsforschung ein Aspekt in den Vordergrund gerückt, der bislang kaum Beachtung gefunden hat. Im Rahmen dieses Artikels werden auf der Grundlage von Interviews und Strukturbildern die subjektiven Begründungsmuster zweier DaF-Lehrender deskriptiv und grafisch rekonstruiert, um dadurch das Verhältnis zwischen situativ-kontextabhängigen und überzeugungsgeleiteten Begründungen, die zu diesem Ausschluss geführt haben, darzustellen.

Abstract

The qualitative study is focussing on the question, why teachers of German as a foreign language exclude certain topics and teaching methods from their classroom and to what extent their individual beliefs are underlying these exclusions. In the context of this article the individual patterns of excluding topics and teaching methods of two GFL-teachers will be reconstructed descriptively and graphically to show the relations between contextual factors and the teachers’ beliefs, that resulted in their exclusions.

1 Forschungsüberblick: Subjektive Theorien von Lehrenden im DaF-Kontext

1.1 Forschungslage und Definition des Konzepts subjektive Theorie

Wie Lehrpersonen ihren Unterricht planen und Entscheidungen treffen, ist ein höchst individueller Prozess. Im Laufe einer Lehrbiografie vermischen sich aus der Erfahrung gewonnene Handlungsmuster mit theoretisch fundierten Wissensbeständen sowie persönlichen Einstellungen zu einem einzigartigen Mosaik. Um dieser Vielfalt auf die Spur zu kommen, rückte innerhalb der Lehrerkognitionsforschung in den vergangenen beiden Jahrzehnten die Erforschung des Wissens und Könnens von Lehrenden in den Vordergrund (vgl. Schart 2003: 14; Schmotz 2009: 13–14). Es wird davon ausgegangen, dass Lehrende im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit Theorien über den Unterricht ausbilden, die sich auf alle Teilbereiche des Unterrichts und seiner Planung beziehen und in Wechselwirkung zu ihrem unterrichtlichen Handeln stehen, sodass sich im Laufe der Zeit eine konsistente, stabile und rekonstruierbare Theorie des beruflichen Selbstverständnisses bildet (Caspari 2003: 32).

Die Forschungslage im Bereich subjektive Theorien ist recht heterogen, was unter anderem am uneinheitlichen Gebrauch von Begriffen und schwer voneinander abgrenzbaren Konzepten liegt (Witte/Harden 2010: 1329). Der Begriff subjektive Theorie geht auf das Konzept der „subjektiven psychologischen Theorien“ nach Wahl (1981) zurück und bezeichnet nach einer in ihren Grundzügen allgemein anerkannten Definition von Mandl und Huber (1982: 2) „umfassende Aggregate von prinzipiell aktualisierbaren Kognitionen [...], in denen sich ihre [der Lehrpersonen; d. Verf.] subjektiven Sichtweisen des Erlebens und Handelns niederschlagen und die untereinander in einem Argumentationszusammenhang stehen.“ Hierbei muss jedoch erwähnt werden, dass das Konzept der subjektiven Theorien bislang weitestgehend auf den deutschsprachigen Raum begrenzt geblieben ist, sodass sich die empirischen Forschungsergebnisse nicht ohne Weiteres auf Konzepte in der internationalen Forschungslandschaft übertragen lassen. In der englischsprachigen Literatur wird in diesem Zusammenhang von beliefs gesprochen.

Grotjahn hat in seiner Definition, an welcher ich mich orientieren möchte, vorgeschlagen, das Konstrukt subjektive Theorie über die folgenden sieben Merkmale einzugrenzen (vgl. Grotjahn 2005: 42; vgl. Grotjahn 1998: 35–36):

  1. Bei subjektiven Theorien handelt es sich um relativ stabile kognitive Strukturen.

  2. Subjektive Theorien setzen sich aus explizit-bewussten und implizit-unbewussten Kognitionen zusammen.

  3. Subjektive Theorien weisen eine – zumindest implizite – Argumentationsstruktur auf, die über Kausalzusammenhänge verknüpft ist.

  4. Analog zu wissenschaftlichen Theorien erfüllen subjektive Theorien die Funktionen:

(a) Realitätskonstituierung in Form von Situationsdefinitionen,

(b) Erklärung, Rechtfertigung und Vorhersage von Sachverhalten sowie

(c) Konstruktion von Handlungsentwürfen zur Herbeiführung von Sachverhalten.

  1. Subjektive Theorien beeinflussen im Zusammenspiel mit anderen Faktoren beobachtbares Handeln und haben damit verhaltens- bzw. handlungsleitende Funktion.

  2. Subjektive Theorien sind aktualisierbar und rekonstruierbar.

  3. Es besteht eine Notwendigkeit der Prüfung der Akzeptabilität von subjektiven Theorien als objektive Erkenntnis.

Inwieweit die im letzten Punkt erwähnte Prüfung der subjektiven Theorien an objektiven Erkenntnisdimensionen angemessen erscheint, hängt davon ab, ob man die subjektiven Theorien – wie im Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) von Groeben und Scheele – als direktes Abbild der mentalen Strukturen begreift oder ob man Schart folgt und sie als das „Produkt einer Interaktionssituation“ (Schart 2003: 28) und demzufolge als Konstruktionen auffasst, die zu einem wesentlichen Teil aus dem Forschungssetting entstehen. Dann liegt der Schwerpunkt auf der Frage, wie die Lehrenden in einer spezifischen Erhebungssituation ihre subjektiven Wissensbestände ordnen und strukturieren (Schart 2003: 22–29).

1.2 Wissen, Überzeugungen, Handeln

Für die vorliegende Studie stellt sich zunächst die Frage, welche Art von Wissen von Lehrenden im Rahmen einer verbalen Rekonstruktion ihrer subjektiven Theorien erwartet werden kann. In der Lehrerkognitionsforschung wird dabei zumeist von einem weiten Begriffsverständnis von Wissen ausgegangen, das auch Überzeugungen und Einstellungen mit einschließt, was eine inhaltlich klare Kategorisierung und Abgrenzung der bei der verbalen Rekonstruktion subjektiver Theorien abgerufenen kognitiven Bestände erschwert (vgl. Borg 2003: 82).

Sinnvoll erscheint eine Unterteilung der Kognitionen von Lehrpersonen in Bezug auf die Parameter Handlungsnähe und Anwendungsorientierung, da davon ausgegangen werden kann, dass die Lehrenden die unterschiedlichen Wissensbestände, über die sie verfügen, im Hinblick auf ihre Lehrpraxis verknüpfen. Anschließend an die Kategorisierung von Alisch (1981) in verhaltensferne und verhaltensnahe Kognitionen unterscheidet Schmotz (2009) zwischen Wissen, Überzeugungen und Skripts. Skripts werden im Moment des Handelns aktiviert und lassen sich als automatisiert ablaufende Handlungspläne charakterisieren. Überzeugungen werden verstanden als „gegenstandsbezogene und erfahrungsbasierte Aussagen mit affektiv bewertendem Charakter [...], die sich als komplexes System [...] beschreiben lassen“ (Schmotz 2009: 27). Für das unterrichtliche Handeln von Lehrpersonen können sie als „Brücke zwischen Wissen und Handeln“ (ebd.) angesehen werden, wobei innerhalb der vier Überzeugungsdimensionen, welche Schmotz unterscheidet, unterrichtsbezogene Überzeugungen als „Überzeugungen zum Lehr-Lernprozess und zur Rolle der Lehrperson im Unterricht“ (Schmotz 2009: 41) den direktesten Handlungsbezug aufweisen. Sie spielen „eine stärkere Rolle bei der Unterrichtsvorbereitung und im Hinblick auf eine eher allgemeine Verhaltensintention, die sich nicht zwingend in der spezifischen Unterrichtssituation widerspiegeln muss“ (Schmotz 2009: 42).

Schwierig gestaltet sich die Abgrenzung von Überzeugungen und Wissen, da Lehrende ihre Überzeugungen oft als Wissen ansehen (vgl. De Corte/Op ‘t Eynde/Verschaffel 2002: 301) und theoretische Erkenntnisse hinsichtlich der Frage bewerten, inwieweit diese an ihre Erfahrungen anschlussfähig sind. Lehrende können dadurch in ihren subjektiven Theorien durchaus theoretisch widersprüchliche Wissensbestände aufnehmen und sie in ihren subjektiven Überzeugungen kohärent miteinander verbinden. In ihrer Gesamtheit lassen sich subjektive Theorien somit als Überzeugungssysteme charakterisieren, die an der Schnittstelle zwischen quasi trägem theoretischem Wissen und rein anwendungsorientiertem, automatisiertem Wissen angesiedelt sind (vgl. Schmotz 2009: 14–17).

Ein Schwerpunkt der Erforschung von subjektiven Theorien und eine der „zentralsten Fragen der Lehrerforschung“ (Caspari 2014: 22) ist jene nach dem Zusammenhang zwischen subjektiven Theorien und dem Unterrichtshandeln von Lehrenden. Auch für die vorliegende Studie ist diese Frage entscheidend, da das Planungshandeln von Lehrpersonen analog zum Unterrichtshandeln als aktive, rekonstruierbare Entscheidungshandlung begriffen wird. Witte und Harden (2010: 1329) konstatieren, dass Forschungsarbeiten zum Zusammenhang zwischen Unterrichtshandeln und subjektiven Theorien ergeben hätten, „dass für das faktische Unterrichtshandeln der Lehrkräfte ihre subjektiven Unterrichtstheorien [...] von zentraler Bedeutung [...] sind“ (ebd.; vgl. auch Smith 1991: 239). Caspari (2001: 256) weist jedoch darauf hin, dass eine handlungsregulierende Funktion bislang lediglich für subjektive Theorien kürzerer Reichweite empirisch nachgewiesen werden konnte. Bei weiter reichenden subjektiven Theorien lasse sich dies zwar plausibel annehmen; allerdings könnten bezüglich des Verhältnisses zwischen subjektiven Theorien einzelner Lehrkräfte und ihrem konkreten Handeln im Unterricht keine empirisch gesicherten Aussagen getroffen werden. Dies stützen auch die Studien von Leuchter et al. (2006) sowie von Eley (2006), die untersuchten, inwiefern ein kohärenter Zusammenhang zwischen abstrakten, unterrichtsbezogenen Überzeugungen und dem Handeln in einer konkreten Unterrichtssituation (vgl. Leuchter et al. 2006) bzw. der Planung einer konkreten Unterrichtsstunde (vgl. Eley 2006) nachgewiesen werden kann. Dabei kamen beide Studien zu dem Ergebnis, dass beim konkreten Unterrichtshandeln bzw. -planen in erster Linie konkrete, kontextgebundene und auf die jeweilige Stunde abzielende Kognitionen aktiv waren und in dieser Phase übergeordnete Überzeugungen über Lehren und Lernen mit einem höheren Abstraktionsgrad keine Rolle spielten (Eley 2006: 207–208; Leuchter et al. 2006: 574–577).

Wenngleich also in einem detaillierten, kurzfristigen Unterrichtsplanungsprozess subjektive Theorien allenfalls eine untergeordnete Rolle zu spielen scheinen, bleibt offen, wie groß der Einfluss von subjektiven Überzeugungen auf das mittel- und langfristige Planen von Unterricht ist. Es erscheint jedoch plausibel anzunehmen, dass einerseits „subjektive Theorien nicht jenseits jeglicher Handlungsbezüge“ (Kallenbach 1996: 40) angelegt sind und andererseits „keine einfache Ursache-Wirkungsbeziehung zwischen Überzeugungen und Handeln existiert“ (Schmotz 2009: 42). Vielmehr lassen sich eine Reihe von moderierenden Einflussvariablen feststellen, beispielsweise die institutionellen Rahmenbedingungen des Unterrichts, aber auch mangelndes Wissen, wie die subjektiven Überzeugungen praktisch umgesetzt werden können (vgl. Leuchter et al. 2006: 577).

Es gilt somit, zu unterscheiden zwischen der subjektiven Unterrichtstheorie des Lehrenden über das Lernen und Lehren einer Fremdsprache, in welcher die theoretischen Überzeugungen und das praktische Erfahrungswissen des Lehrenden in Form einer kohärenten, in sich schlüssigen Unterrichtstheorie vorliegen, und zwischen kontextspezifischen Einflussvariablen wie den institutionellen und curricularen Rahmenbedingungen und der Zielgruppe des Unterrichts. Folgt man Caspari (2001: 256), dann kann man sich das Überzeugungswissen von Lehrenden als „eine Art Filter“ vorstellen, der „bestimmte Handlungsmöglichkeiten, Konzepte und Argumentationen zulässt und andere ablehnt, je nachdem, ob sie mit der entsprechenden subjektiven Theorie in Einklang gesehen werden.“ Inwiefern subjektive Theorien und die darin zum Ausdruck kommenden unterrichtsbezogenen Überzeugungen auch beim Ausschluss von Unterrichtsbereichen und -methoden handlungswirksam werden und inwieweit moderierende Einflussvariablen bzw. stärker kontextgebundene Überzeugungsebenen eine Rolle spielen, soll im empirischen Teil dieses Beitrags veranschaulicht werden.

2 Forschungsdesign und Untersuchungsmethoden

Zur Untersuchung subjektiver Theorien hat sich die Dialog-Konsens-Methodik von Groeben und Scheele (1988) als spezifische Forschungsmethodologie etabliert. Kennzeichnend für dieses Forschungsprogramm ist die zweistufige Validierung der Interviewdaten: Zunächst werden in einer dialogisch orientierten Phase die subjektiven Theorien von Forschenden und Forschungsteilnehmenden mithilfe von Interviews und Struktur-Lege-Techniken rekonstruiert (kommunikative Validierung), bevor anschließend in der sogenannten explanativen Validierung überprüft wird, ob diese Rekonstruktionen mit der unterrichtlichen Realität übereinstimmen.

Zahlreiche Studien, darunter auch die vorliegende, verzichten jedoch auf die explanative Validierung, da diese Phase letztlich dem epistemologischen Subjektmodell zuwiderläuft, indem zunächst Wert darauf gelegt wird, die Daten in einem gleichberechtigten Interaktionsprozess zu erheben, dann aber der Anspruch erhoben wird, diese Daten anschließend aus objektiver Perspektive zu testen. Dies ist laut Schart (2003: 29) der „Versuch der Forschenden, sich von den Daten zu distanzieren, die erst durch ihre Teilnahme an einem Interaktionsprozess zustande gekommen sind.“ Der Erkenntniswert des Forschungsprozesses besteht vielmehr darin, gedankliche Strukturen sichtbar zu machen und damit einen Einblick in die Denkmuster der Lehrperson zu geben.

Die Auswahl geeigneter Interviewpartner/innen erfolgte mithilfe eines Fragebogens, in dem der Fokus auf dem Lehr- und Bildungsweg sowie der Unterrichtsphilosophie der Lehrperson lag, und eines anschließenden Purposive Sampling nach Dörnyei (2007). Bei dieser Art des Samplings werden im Verlauf der Datenanalyse nach und nach gezielt kontrastierende Fälle gemäß des Prinzips der maximalen Variation ausgewählt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, „that the participant selection process should remain open in a qualitative study as long as possible“ (Dörnyei 2007: 126).

Die halb strukturierten Leitfadeninterviews orientierten sich an den fünf Themenblöcken Erfahrungswissen, Zielgruppe, Rahmenbedingungen, Lehr-Lern-Überzeugungen und eigene Fremdsprachlernerfahrungen. In der zeitlich nachgeordneten Struktur-Lege-Phase, welche der Validierung der Interviewdaten diente, waren die Forschungsteilnehmenden aufgefordert, die logische Struktur des Interviews grafisch zu rekonstruieren, mit dem Ziel, jene Teile des Interviews darzustellen, in denen die Lehrenden den Ausschluss von Bereichen und Verfahren aus ihrem Unterricht begründeten, und somit sicherzustellen, dass diese Kausalbeziehungen vom Forschenden richtig verstanden wurden. Dabei kamen einerseits Kärtchen zum Einsatz, auf welchen die im Interview ausgeschlossenen Bereiche und Verfahren vermerkt waren, und andererseits Kärtchen mit den jeweiligen Begründungen der Lehrpersonen, welche so weit wie möglich im Wortlaut des vorherigen Interviews übernommen worden waren. Dabei bestand die Möglichkeit, neue Aspekte zu ergänzen sowie bereits getätigte Aussagen aufzugreifen, zu modifizieren oder zurückzuziehen (vgl. Hug/Poscheschnik 2010: 103; Groeben/Scheele 1988: 53). Ergebnis dieser Phase war ein Strukturbild (vgl. Mayer 2017: 58–69), welches anschließend mit dem Ziel diskutiert wurde, einen Konsens zwischen dem Forschenden und den Beforschten zu erzielen.

Vor dem Hintergrund des Strukturbildes wurden die Interviews anschließend im Hinblick auf die Forschungsfrage ausgewertet. Als Analysemethode kam die Sequenzanalyse nach Südmersen (1983; vgl. auch Caspari 2001: 246–249) zum Einsatz, welche es erlaubte, die Interviews im hermeneutischen Sinne zu erschließen, indem zunächst thematisch zusammenhängende Interviewstellen gesammelt und in Form von inhaltlich verdichteten, möglichst eng an den Interviewtext anschließenden Paraphrasen (Sequenzen) angeordnet wurden. In einer abstrahierenden und stärker interpretativ ausgerichteten Bearbeitungsphase wurden sodann auf Basis der Sequenzen und Strukturbilder die zentralen, für alle Ausschlussbereiche gleichermaßen gültigen Grundüberzeugungen der Lehrpersonen formuliert (vgl. Caspari 2001: 238–241; Kallenbach 1996: 98). Zu einem späteren Zeitpunkt wurden diese allgemeinen didaktischen Grundüberzeugungen durch die Ebene didaktische Begründungen ergänzt, welche die unterschiedliche Reichweite der kontextunabhängigen Begründungen verdeutlichen soll. So führten die Lehrenden didaktische Begründungen an, die sich isoliert auf ein bestimmtes methodisches Verfahren oder einen bestimmten inhaltlichen Bereich bezogen, der aus didaktischer Sicht abgelehnt wird, ohne den allgemeinen Charakter der Grundüberzeugungen zu besitzen – beispielsweise wenn Lehrperson F. davon überzeugt ist, dass schwächere Lernende bei Spielen und Gruppenarbeit oft untertauchen und sich nicht beteiligen. Die Begründungen auf dieser Ebene verfügen somit über einen geringeren Geltungsgrad als die Grundüberzeugungen.

Abschließend wurden die Begründungsmuster jeder Lehrperson in Bezug auf die jeweils genannten Ausschlussbereiche bzw. -verfahren deskriptiv und grafisch dargelegt, wobei aufbauend auf den jeweiligen Grundüberzeugungen zwischen didaktischen, zielgruppenspezifischen, curricular-institutionellen und biografischen Begründungsebenen unterschieden wurde, um darauf aufbauend die Frage beantworten zu können, inwiefern den Ausschlussprozessen der Lehrenden eine subjektive Teiltheorie zugrunde lag. Es wurde hierbei davon ausgegangen, dass eine subjektive Teiltheorie dann vorliegt, wenn:

  1. zwischen den Grundüberzeugungen und den genannten Gründen für den Ausschluss ein intersubjektiv nachvollziehbarer Zusammenhang erkennbar ist,

  2. die Begründungen sich nicht auf institutionell-curriculare und zielgruppenspezifische Faktoren beschränken, sondern auch abstraktere bzw. theoretische Zusammenhänge einfließen sowie

  3. möglichst vielfältig vernetzte und differenzierte Begründungen zu einem ausgeschlossenen Bereich vorliegen, sodass von einem Begründungsmuster gesprochen werden kann.

Im empirischen Teil dieses Beitrags wird der jeweils am besten ausdifferenzierte Ausschlussbereich dargestellt.

3 Empirischer Teil: Darstellung und Analyse der erhobenen Daten

3.1 Zur Struktur des Deutschunterrichts an der Institution

Die Lehrenden unterrichteten zum Zeitpunkt des Interviews an einer staatlichen Hochschule in Jordanien. Der Unterricht an der Institution erfolgte auf den Niveaustufen A1 bis B1+ und gliederte sich in einen allgemein- und einen fachsprachlichen Teil. Zielgruppe des Deutschunterrichts waren alle Studierenden der Institution, die für einen obligatorischen einjährigen Deutschlandaufenthalt Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 nachzuweisen hatten. Dementsprechend waren Lehrplan und Curriculum auf dieses Ziel ausgerichtet und auch die Semestertests orientierten sich bewusst an prüfungsrelevanten Aufgabentypen, was einen hohen Grad an Messbarkeit und Standardisierung mit sich brachte. In Kombination mit einem Lehrplan, der sehr genau an das Lehrwerk angepasst war, ergaben sich dadurch enge, zielgeführte Vorgaben für den Sprachunterricht.

3.2 Interview mit F.: „Studium ist eine ernste Sache“

F. stammt aus einem nordafrikanischen Land und erlernte Deutsch als Fremdsprache. Anschließend studierte er DaF an derselben Institution, wo er zum Zeitpunkt der Untersuchung seit einem Jahr unterrichtete. Im Zuge seines Masterstudiums verbrachte er ein Jahr in Deutschland, wo er an einem Sprachinstitut wichtige Impulse für seinen eigenen Unterricht erhielt:

„In Deutschland wurde [...] viel mehr Fachsprache, weniger Allgemeinsprache behandelt und auch viel Grammatik, aber man stand auch dazu, man setzte auf die Grammatik und war konsequent dabei, weil man wusste, das ist nützlich für das Studium, um überhaupt mit so viel akademischer Sprache zurechtzukommen.“

Diese Erfahrungen bilden die Basis für eine seiner Grundüberzeugungen, nämlich dass die Studierenden sich in erster Linie für studienrelevante Inhalte und weniger für alltagssprachliche Themen interessieren: „Was die Studenten direkt interessiert, das ist das Studium.“ Dementsprechend seien sie für das Erlernen der Sprache nur mithilfe dieser Themen zu motivieren. Da die Studierenden alltagssprachliche Themen erst am Ende ihrer Sprachausbildung, also kurz vor ihrem Deutschlandaufenthalt benötigten, bestehe zudem die Gefahr, dass sprachliche Inhalte wieder in Vergessenheit geraten würden, weil die Studierenden das Gelernte im Alltag nicht anwenden könnten:

„Das Sprachmaterial soll [...] auf dem Studium basieren. [...] Es muss immer ein Inhalt sein, der direkt die Leute anspricht und [...] für Studenten ist das das Studium. Natürlich, Alltagsleben, Privatleben, Situationen aus verschiedenen Lebensbereichen kann man ja nutzen im Unterricht, aber es gibt keine Garantie, dass das hängen bleibt.“

F. sieht darüber hinaus eine sehr wichtige Aufgabe als Lehrer darin, die Studierenden auf das obligatorische Deutschlandjahr vorzubereiten, da zwischen den Lerntraditionen in Jordanien und denen in Deutschland sowohl in der Schule als auch in der Universität krasse Unterschiede bestünden. In der jordanischen Lerntradition spielten nach wie vor Strenge, Disziplin und Frontalunterricht eine zentrale Rolle. Der Unterricht dürfe weder Erziehung noch reine Bespaßung sein, wenn er von den Studierenden ernst genommen werden wolle:

„Ich hab den Eindruck, dass hier an der Universität, [...] dass die Studenten immer noch erzogen werden sollen. [...] Ich bin [...] gegen dieses Konzept, das die Leute nicht wie Erwachsene behandelt.“

Anstatt zu erziehen, solle der Deutschunterricht die Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der Studierenden fördern, „um einen eventuellen Schock zu vermeiden, wenn die Leute nach Deutschland gehen.“

Die am besten ausdifferenzierten Ausschlussbereiche stellen bei F. Spiele und Gruppenarbeit dar, wobei F. keinen Unterschied zwischen beiden macht: „Ich bin auf jeden Fall skeptisch gegenüber allem, was in der Gruppe gemacht wird, [...] und Spiele [...] sind ja Gruppenarbeit.“ Beides bringe dieselben Nachteile mit sich, was das Verhalten lernschwacher Studierender angeht. Die Ablehnung von Spielen und Gruppenarbeit ergibt sich bei F. direkt aus der oben beschriebenen Ablehnung eines Unterrichts, welcher die Studierenden nicht als Erwachsene behandelt, sondern sie nur bespaßt, was seinem Grundsatz des ernsthaften Lernens an der Universität zuwiderläuft. Spiele erscheinen zudem wenig hilfreich, wenn es darum geht, die Studierenden auf den Alltag an einer deutschen Universität vorzubereiten. Führe man Spiele oder Gruppenarbeiten im Unterricht durch, gehe man das Risiko ein, dass sich schwächere Lerner und Lernerinnen nicht beteiligten:

„Da besteht die Gefahr, dass die schwächeren Studenten untertauchen, ja? Wenn du Gruppenarbeit machst und die Gruppe sich selbst überlässt, [...] woher willst du als Lehrer wissen, dass alle vier oder fünf Gruppenlerner profitiert haben?“

Zwar würde es den Studierenden unter Umständen gefallen, wenn im Unterricht gespielt werde; allerdings sei ihnen meist nicht bewusst, was sie dabei lernten. Hier könne man mit Frontalunterricht, also mithilfe von Methoden, die den Studierenden aus ihrer Schulzeit vertraut sind, womöglich mehr erreichen.[1] Zudem brauche Gruppenarbeit eine sehr gute Regie und müsse gut überlegt geschehen. Nicht zuletzt sei der Arbeitsaufwand bei Gruppenarbeit für den Lehrenden sehr hoch.

Generell fällt auf, dass F. auf recht abstrakte Begründungen zurückgreift und versucht, seine Theorie über Unterricht einerseits auf möglichst allgemeine Prinzipien zu stützen, und sie andererseits möglichst passgenau auf seine Zielgruppe ausrichtet. Es sind in erster Linie zielgruppenspezifische und didaktische Begründungen, die das Fundament für die Ablehnung inhaltlicher Bereiche und methodischer Verfahren aus dem Unterricht des Lehrenden bilden. Auffällig ist, dass die Rahmenbedingungen eine geringe Rolle spielen. Sofern F. situative Begründungen mit einbezieht, dann ergänzen diese lediglich seine didaktischen Begründungen, die im Vordergrund stehen. Ansonsten betont er bezüglich des Einflusses der Rahmenbedingungen auf seinen Unterricht:

„Lehrwerk, Tests und Curriculum haben ja einen direkten Einfluss auf meinen Unterricht, aber dieser Einfluss ist nicht so negativ, dass ich sagen kann, es schränkt mich ein.“

Grafik 1 
            Grundüberzeugungen und Ausschluss aus dem Unterricht der Lehrperson F.
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Grundüberzeugungen und Ausschluss aus dem Unterricht der Lehrperson F.

Anhand der oben genannten Merkmale von subjektiven Theorien lässt sich bei F. für den Ausschluss von Spielen und Gruppenarbeit von einer subjektiven Teiltheorie sprechen: Es trifft zu, dass zwischen Grundüberzeugungen und Ausschlussbereich ein logisch nachvollziehbarer Zusammenhang besteht, dass differenzierte und vielfältige Begründungen zu diesem Bereich vorliegen und dass sich der Interviewte nicht ausschließlich auf institutionell-curriculare oder zielgruppenspezifische Faktoren konzentriert, sondern auch theoretische Überzeugungen und praktisches Erfahrungswissen mit einbezieht. Für den Ausschluss von methodischen Verfahren bezieht er sich in erster Linie auf seinen Grundsatz des erwachsenengerechten Lernens und schließt demzufolge alle methodischen Verfahren, welche er als nicht erwachsenengerecht einstuft, aus seinem Unterricht aus.

3.3 Interview mit G.: „Es geht um die interkulturelle Vorbereitung der Studierenden“

Die Lehrerin G. ist in einem deutschsprachigen Land aufgewachsen und kommt aus dem Schuldienst. Sie verfügt über zehn Jahre Lehrerfahrung im Bereich Deutsch als Fremdsprache, davon seit acht Semestern an der betreffenden Institution in Jordanien. Im Interview mit G. fällt zunächst ein hoher Grad an Abstraktion und Selbstreflexion auf, beispielsweise wenn sie sich als Anhängerin des kommunikativen Ansatzes mit starkem Einfluss der behavioristischen Lerntheorie charakterisiert. Diese didaktische Ausrichtung leitet sich auch aus ihrer Schulzeit und ihrem Studium her:

„Wenn ich jetzt an meine Schulzeit zurückdenk [...], dann haben wir nach der Grammatik-Übersetzungs-Methode gearbeitet. Und wenn ich jetzt seh, was nach 13 Jahren Russischunterricht rauskam an Kommunikationskompetenz, dann würd ich sagen, ist gleich Richtung null. [...] Die Methode funktioniert nicht. [...] Vielleicht war das ja auch der Anstoß, dass ich jetzt sehr sprechorientiert arbeite.“

Daraus ergibt sich in ihrem Unterricht eine Vorrangstellung mündlicher Dialoge mit dem Ziel der möglichst schnellen Anwendung des Gelernten in alltagsnahen Kommunikationssituationen.

Eine entscheidende Rolle für ihren Unterricht an der Institution spielt ihre Charakterisierung der Zielgruppe. Die Zielgruppe entstamme einer „autoritär geprägten [...] Lernkultur“, in welcher der Unterricht größtenteils frontal ablaufe und der Lehrer als „unantastbare Autoritätsperson“ die zentrale Rolle einnehme. Daher mangele es den Studierenden an „Sekundärtugenden“ wie problemlösendem Denken, eigenständiger Reflexion und Selbstverantwortung. Infolgedessen sei die interkulturelle Vorbereitung der Studierenden auf das Deutschlandjahr eines der wichtigsten Ziele ihres Unterrichts, da es eben diese Kompetenzen seien, welche die Studierenden für ihr Semester an einer deutschen Universität dringend benötigten. Es sei nötig, die kulturellen Prägungen der Studierenden zu verändern:

„Da bricht man Mentalitäten auf und [...] ich würd es jetzt nicht so primär tun, wenn ich nicht wüsste, dass sie nach Deutschland gehen. Weil das ist für das Deutschlandjahr ne wichtige Voraussetzung, ansonsten scheitert jeder Student von uns, ja?“

Aus ihrer didaktischen Positionierung und ihrer Charakterisierung der Zielgruppe ergibt sich zwangsläufig ein Ausschluss von literarischen Texten. Da die Lehrkraft es als sinnvoll einschätzt, sich bis zum Niveau B1 auf Alltagsthemen zu beschränken, spielen literarische Texte in ihrem Unterricht keine Rolle, zumal sich der Übergang von literarischen Texten in alltagsnahe Kommunikationssituationen schwierig gestalten dürfte. Allerdings begnügt sich G. nicht damit, ihre Ablehnung gegenüber literarischen Texten lediglich didaktisch-methodisch zu begründen. Sie weist auch darauf hin, dass literarische Texte im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen nur eine marginale Rolle spielten, und bezieht sich damit auf die curricularen Rahmenbedingungen. Doch insbesondere in Bezug auf die Zielgruppe mache die Arbeit mit Lesetexten im Allgemeinen und mit literarischen Texten im Besonderen nur wenig Sinn. Die Lernkultur der Zielgruppe charakterisiert G. als lesefern:

„Dann auch der Fakt, dass in der Kultur nicht gelesen wird, ja, das sind alles Dinge, die man im Unterricht beachten muss.“

Da die Studierenden in ihrer Freizeit kaum lesen würden, böten literarische Texte für die Studierenden keine Anknüpfungspunkte und auch sprachlich seien literarische Texte in der Regel zu schwierig für diese:

„Sprachlich sind die meistens auf nem Niveau, wo’s bis B1, würd ich sagen, relativ wenig Sinn macht, es sei denn, man sucht dann wirklich gezielt nach einfacher Literatur. Erzieherisch führt man sie dann an n Genre ran, was dann wirklich auch umgesetzt wird? Ich glaub, dazu ist der Rahmen einfach zu gering gehalten, dass das passiert.“

Selbst mit leseinteressierten Zielgruppen würde sie bis zum Niveau B1 keine literarischen Texte im Unterricht einsetzen, da die Alltagsvorbereitung das Ziel sei. Allerdings räumt die Lehrkraft ein, dass sie bislang wenig Erfahrung im Einsatz literarischer Texte im Unterricht gesammelt hat.

Beim Ausschluss literarischer Texte lässt sich als Begründungsmuster erkennen, dass sie einerseits didaktische Überzeugungen anführt und diese mit spezifischen Merkmalen der Zielgruppe und ihrer Lernkultur verknüpft, sodass

Grafik 2 
            Grundüberzeugungen und Ausschluss aus dem Unterricht der Lehrperson G.
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Grundüberzeugungen und Ausschluss aus dem Unterricht der Lehrperson G.

manche Lehrinhalte als wenig sinnvoll erscheinen. Zentral erscheinen hier die zielgruppenspezifischen Begründungen, welche die lebensweltlichen und sprachlichen Voraussetzungen der Studierenden bereits als so ungünstig erscheinen lassen, dass literarische Texte im Unterricht infolge dieser Perspektive auf die Zielgruppe kaum zum Einsatz kommen dürften. Dies wird argumentativ mit ihrer didaktisch-methodischen Grundüberzeugung verknüpft, dass alltagsnahe Themen den wesentlichen Bezugspunkt des Unterrichts darstellen sollten, um die Kommunikationsfähigkeit der Lernenden zu fördern. Diese Argumentation wird durch curriculare und lernbiografische Begründungen flankiert, wenn sie betont, dass Literatur im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen kaum eine Rolle spiele und sie als Lehrperson noch keine große Erfahrung mit dem Einsatz literarischer Texte im Unterricht gesammelt habe.

Durch diese Verknüpfung verschiedener Wissensbestände und Argumentations- bzw. Abstraktionsebenen kann von einer subjektiven Teiltheorie für den Ausschluss von literarischen Texten ausgegangen werden. Es besteht ein logisch nachvollziehbares Begründungskonstrukt, in dem didaktische, zielgruppenspezifische und institutionelle bzw. curriculare Begründungen ihren Platz finden und das dadurch eine Überzeugungskraft gewinnt, welche über das konkrete Unterrichtsumfeld hinausgeht. Der Ausschluss dieses Bereichs lässt sich somit konsistent aus ihrer Unterrichtstheorie ableiten.

4 Interpretation und Fazit

Die Analyse der Einzelfälle hat gezeigt, dass bei jedem bzw. jeder der interviewten Lehrkräfte zumindest ein Bereich identifiziert werden konnte, bei dem sich die Begründungen auf den unterschiedlichen Ebenen so weit verdichten, dass von einer subjektiven Teiltheorie bezüglich des Ausschlusses eines Bereichs oder Verfahrens aus dem Unterricht gesprochen werden kann. So konnte insbesondere für jene Bereiche und Verfahren, welche der Unterrichtsphilosophie der Lehrpersonen diametral entgegenstanden, ein direkter Einfluss der Grundüberzeugungen bzw. der subjektiven Theorien nachgewiesen werden. In diesen Bereichen zeigten sich die am besten ausdifferenzierten Begründungsmuster, die zum einen logisch nachvollziehbar und fundiert waren, zum anderen mit den Grundüberzeugungen in Verbindung standen und nicht ausschließlich institutionell-curriculare oder zielgruppenspezifische Begründungen aufwiesen. In den aus dem Unterricht ausgeschlossenen Bereichen und Verfahren spiegelte sich gewissermaßen die subjektive Unterrichtstheorie des bzw. der Lehrenden im Negativen wider und dies ermöglichte, sich gegenüber diesen klar abzugrenzen. Damit konnte die vorliegende Studie an die Feststellung von Witte und Harden (2010: 1329) anknüpfen, der zufolge „für das faktische Unterrichtshandeln der Lehrkräfte ihre subjektiven Unterrichtstheorien [...] von zentraler Bedeutung [...] sind.“ Analog zu dieser Feststellung kann konstatiert werden, dass die subjektiven Unterrichtstheorien maßgebliche Bedeutung für den Ausschluss von inhaltlichen Bereichen und methodischen Verfahren aus dem Unterricht haben.

Im Laufe der Analyse wurde jedoch auch deutlich, dass eine eindeutige Kategorisierung und Zuordnung der im Interview getätigten Aussagen zu den Begründungsebenen nicht immer möglich war. So führt beispielsweise Lehrperson G. zur Ablehnung der Behandlung literarischer Texte in ihrem Unterricht die Begründung „In der Kultur wird nicht gelesen“ an, welche sich zwar einerseits auf die Zielgruppe bezieht, andererseits jedoch darüber hinausgeht und eine generalisierende Kontextüberzeugung zur Herkunftskultur der Zielgruppe darstellt. Eine Zuordnung zu den Begründungsebenen blieb somit im Einzelfall schwierig.

In Anbetracht des Umstandes, dass alle Lehrpersonen in demselben Unterrichtsumfeld tätig waren, stellt sich zudem die Frage nach dem Verhältnis von subjektiver Unterrichtstheorie und der Wahrnehmung des Unterrichtsumfeldes. Die Ergebnisse dieser Studie lassen vermuten, dass die subjektive Unterrichtstheorie der Lehrenden prägt, wie eng oder weit, wie selektiv oder ganzheitlich die Lehrenden den Unterrichtskontext wahrnehmen. So fühlt sich F. durch die Rahmenbedingungen des Unterrichts nicht eingeschränkt, während G. sie als Hauptfaktor für den Ausschluss methodischer Verfahren aus dem Unterricht anführt (vgl. Mayer 2017: 96–97). Analog dazu begründeten die Lehrenden ihre methodisch-didaktischen Entscheidungen in wesentlichen Punkten mit Merkmalen, welche sie der Zielgruppe ihres Unterrichts zuschreiben, beispielsweise wenn sie eine frontale Ausrichtung des Unterrichts argumentativ durch die Einschätzung des lernbiografischen Hintergrundes der Studierenden stützen. Es erscheint daher sinnvoll, an die bei Smith (1991: 9–10) vorgenommene Einschätzung anzuschließen, auch die subjektive Wahrnehmung der unterrichtlichen Rahmenbedingungen und die Zielgruppe als einen Teil der Unterrichtstheorie der Lehrpersonen zu begreifen. Die subjektive Theorie des bzw. der jeweiligen Lehrenden über die institutionellen und curricularen Rahmenbedingungen sowie die Lernenden stellt die Schnittstelle zwischen der übergeordneten Unterrichtstheorie des bzw. der Lehrenden und dem Lehrerhandeln in einer spezifischen Unterrichtssituation mit einer bestimmten Lernendengruppe dar. Man könnte in diesem Zusammenhang von einer subjektiven Theorie im weiten Sinne sprechen, da auch situativ veränderliche bzw. kontextabhängige Faktoren integriert werden. Darüber hinaus ist es plausibel anzunehmen, dass der oder die Lehrende seine bzw. ihre Unterrichtstheorie an die spezifischen Unterrichtsbedingungen vor Ort anpasst und den Teil davon umsetzt, der machbar erscheint, sodass davon ausgegangen werden kann, dass zwischen der engen und der weiten Unterrichtstheorie eine gegenseitige Wechselwirkung besteht. Die selektive Wahrnehmung der Lehrenden, welche ihre Ursache in den unterschiedlichen subjektiven Grundüberzeugungen hat, erinnert an die bei Caspari (2001: 256) verwendete Metapher, nach welcher das Überzeugungswissen der Lehrenden mit einem Filter vergleichbar sei – allerdings nicht nur im Sinne eines Abgleichs kognitiver Bestände im Hinblick auf ihre Kompatibilität mit der jeweiligen Unterrichtstheorie, sondern auch mit Konsequenzen hinsichtlich der direkten Wahrnehmung und Einschätzung des Unterrichtsumfeldes durch die Lehrkräfte.

Es erscheint infolgedessen notwendig, den spezifischen Unterrichtskontext und dessen Wahrnehmung durch die Lehrpersonen noch stärker in den Blick zu nehmen, um die Frage beantworten zu können, wie Lehrendenweiterbildungen gestaltet sein müssen, damit es gelingen kann, das didaktisch-methodische Unterrichtsrepertoire in einem bestimmten Lehr-Lern-Umfeld durch einen Ausbau der subjektiven Unterrichtstheorien der Lehrkräfte gezielt zu erweitern und die Lehrenden dazu zu befähigen, ihre subjektiven Überzeugungen praktisch umzusetzen und dadurch den Unterricht vielfältiger zu gestalten. Denn nicht die subjektiven Theorien und die darin enthaltenen Überzeugungen sind die eigentliche Gefahr bzw. Problematik, sondern die mangelnde Auseinandersetzung mit den eigenen Denkschemata und die daraus resultierende eindimensionale Perspektive auf den Unterricht.

Über den Autor / die Autorin

David Mayer

studierte Germanistik, Geschichtswissenschaft und Sportwissenschaft (Lehramt für das Gymnasium) an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 1. und 2. Staatsexamen, und anschließend den Masterstudiengang Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Wien. Nach seinem Studium arbeitete er als DaF-Lektor an einer staatlichen Hochschule in Amman/Jordanien. Derzeit ist er als DaF-Lehrender für Studienvorbereitungskurse an der Universität Ulm und der Hochschule Ravensburg-Weingarten tätig.

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Interviewleitfaden

Fragenbündel I: Erfahrungswissen des/der Lehrenden

Erkenntnisinteresse:

  1. Wie hat sich der Unterricht des Interviewten im Laufe der Zeit verändert?

  2. Welche Lehr-Lern-Verfahren sind im Laufe der Zeit aus dem Unterricht verschwunden?

Erzählimpuls: Bitte erzählen Sie, in welchen Ländern/Institutionen Sie bislang unterrichtet haben. Wie hat sich Ihr Unterricht im Laufe der Zeit verändert?

Detailfragen:

  1. Inhaltliche und methodische Unterschiede zwischen Ihrem Unterricht heute und zu Beginn?

  2. Inhaltliche oder methodische Dinge, die Sie ausprobiert und im Anschluss nicht mehr gemacht haben?

  3. Was haben Sie in Ihrem Unterricht noch nie gemacht? Warum?

  4. Lehrertyp?

  5. Stärken/Schwächen?

Fragenbündel II: Zielgruppe

Erkenntnisinteresse:

  1. Inwiefern beeinflusst die Zielgruppe, was der Interviewte im Unterricht nicht macht?

  2. Aus welchen Gründen nicht?

Erzählimpuls: Wie schätzen Sie die Zielgruppe an der [Institution] ein und inwiefern beeinflusst diese, was Sie in Ihrem Unterricht nicht machen können?

Detailfragen:

  1. Besonderheiten/Merkmale der Zielgruppe an der Institution?

  2. Einfluss des Sprachniveaus?

  3. Einfluss der jordanischen Lernkultur?

  4. Einfluss der Motivation?

Fragenbündel III: Rahmenbedingungen

Erkenntnisinteresse:

  1. Inwiefern beeinflussen die Rahmenbedingungen, was der Interviewte im Unterricht nicht machen kann?

  2. Aus welchen Gründen nicht?

Erzählimpuls: Meiner Meinung nach wird der Unterricht stark von den Rahmenbedingungen, unter denen er stattfindet, beeinflusst, beispielsweise durch Zielvorgaben, das Lehrwerk, die Medienausstattung oder den zeitlichen Rahmen. Wie sehen die Rahmenbedingungen an der [Institution] aus und inwiefern schränken diese Rahmenbedingungen ein, was Sie in Ihrem Unterricht machen?

Detailfragen:

  1. Einfluss des Lehrwerks?

  2. Einfluss des zeitlichen Rahmens?

  3. Einfluss von Prüfungen/Tests?

Fragenbündel IV: Lehr-Lern-Überzeugungen des/der Lehrenden

Erkenntnisinteresse:

  1. Inwiefern steuern didaktische Überzeugungen den Unterricht?

  2. Wie sähe für den Interviewten DaF-Unterricht unter idealen Bedingungen aus?

  3. Und was würde in einem solchen Unterrichtsumfeld außen vor bleiben?

  4. Was sind die Gründe dafür?

Erzählimpuls: Angenommen, Sie unterrichteten in einer idealen Lehr-Lern-Situation, was Rahmenbedingungen und Zielgruppe angeht. Wie sähe Ihr Unterricht dann aus? Was würden Sie in einem solchen Unterricht nicht machen?

Detailfragen:

  1. Didaktisch-methodische Prinzipien, an denen Sie sich orientieren (würden)?

  2. Ziele des DaF-Unterrichts?

  3. Was sollte der DaF-Unterricht für die Lernenden leisten?

  4. Choreografie von Unterricht?

  5. Rolle des Lehrenden?

  6. Rolle der Lernenden?

Fragenbündel V: Eigene Fremdsprachenlernerfahrungen

  1. Inwiefern beeinflussen die Fremdsprachenlernerfahrungen des/der Interviewten, was im Unterricht nicht gemacht wird?

  2. Aus welchen Gründen nicht?

  3. Einfluss der eigenen Fremdsprachlernerfahrungen auf den eigenen Unterricht?

Fragenbündel VI: Abschluss

  1. Was vergessen?

  2. Möchten Sie noch etwas hinzufügen, das bisher noch nicht zur Sprache kam?

  3. Fallen Ihnen noch weitere Gründe ein, weshalb Sie Dinge in Ihrem Unterricht nicht machen?

Online erschienen: 2020-04-18
Erschienen im Druck: 2020-11-27

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 25.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/infodaf-2020-0068/html
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