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MINTspace – Ein interaktiver Experimentierraum in der Bibliothek

  • Jörn Willers Radke

    Jörn Willers Radke

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    , Julian Rudnik

    Julian Rudnik

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    and Kerstin Helmkamp

    Dr. Kerstin Helmkamp

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Published/Copyright: October 9, 2024
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Zusammenfassung

Der MINTspace ist ein 2024 fertiggestellter Lern- und Experimentierraum in der Zentralbibliothek der Universitätsbibliothek Kiel. Mit seiner Einrichtung, unter anderem stehen 3D-Drucker, Mikroskope, AR-Brille, Lötstation und Experimentierbedarf bereit, bietet er unterschiedliche Wissenszugänge für alle Nutzenden der Bibliothek. Er ist auf die Bedarfe vielfältiger Zielgruppen, insbesondere von Studierenden der MINT-Fächer, aber auch darüber hinaus zugeschnitten.

Der MINTspace hat sich während des von 2020 bis 2025 laufenden Umbaus der Zentralbibliothek zu einem Kernstück der Gesamtkonzeption entwickelt. Er wurde von Mitarbeitenden der Abteilung Lernen und Lehren (Bereich Physik und Chemie) gemeinsam mit weiteren Abteilungen der Universitätsbibliothek sowie dem Gebäudemanagement der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in einem ehemaligen großen Gruppenarbeitsraum konzipiert, erarbeitet und aufgebaut.

Abstract

The MINTspace, opened in 2024, is a new place for experimentation and learning at the central library of Kiel university. Equipment includes 3D printers, microscopes, AR glasses, a soldering unit and other experimental essentials to offer a variety of access paths to technical knowledge for all library users. Tailored to the needs of students of STEM subjects, it is also open to target groups beyond these disciplines. The MINTspace has become one of the core elements of the overall concept at the heart of an ongoing general remodelling of the central library to be completed by 2025. It was conceived, developed and set up in a big space formerly used for group work, in joint collaboration between staff of the Department for Learning and Teaching (physics and chemistry branch), sections of the university library and the technical building management at Kiel university.

Schlüsselwörter: Makerspace; Wissenszugänge; Lernort
Abb. 1: Grundriss des Erdgeschosses der Zentralbibliothek Kiel; der MINTspace ist Bestandteil des 1. Segments, dessen Umbau derzeit geplant wird. Abgebildeter Planungsstand: 23.07.2024; Festlegung mit Bärbel Fahl und Sabine Reisas (UB Kiel), gez. Sibylle Quint (Innenarchitektin MFA).
Abb. 1:

Grundriss des Erdgeschosses der Zentralbibliothek Kiel; der MINTspace ist Bestandteil des 1. Segments, dessen Umbau derzeit geplant wird. Abgebildeter Planungsstand: 23.07.2024; Festlegung mit Bärbel Fahl und Sabine Reisas (UB Kiel), gez. Sibylle Quint (Innenarchitektin MFA).

1 Der Umbau der Zentralbibliothek der Universitätsbibliothek Kiel im Überblick

Die Zentralbibliothek ist der Bibliotheksstandort der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) mit der höchsten Nutzungsfrequenz auf dem Campus.[1] Seit 2020 wird sie abschnittsweise mit dem Ziel umgebaut, einen zentralen Lern- und Lehrort zu schaffen, der den Anforderungen des digital gestützten Lernens und Lehrens gerecht wird. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die umfangreiche Magazinierung nicht mehr bzw. nur marginal genutzter Printbestände in kurzer Zeit, um Baufreiheit zu schaffen. Hinzu kommt die Involvierung von Vertretungen der Nutzenden, um deren Bedarfe zu erheben. Übergeordnete Aspekte des Umbaus sind v. a. die systematische Auffächerung und die entsprechend diverse Umsetzung der Nutzungsszenarien sowie die Offenheit des Ortes.

Die Zentralbibliothek der Universitätsbibliothek Kiel umfasst zwei Stockwerke von insgesamt 12.000 m2. Im Umbaufokus steht das Erdgeschoss, das sich in drei miteinander verbundene Segmente gliedert (Abbildung 1).

Das 3. Segment wurde von 2020–2022 umgebaut[2], ehe es am 22.03.2022 offiziell eröffnet wurde.[3] Der Schwerpunkt des Umbaus lag auf der Ausdifferenzierung von Einzel- und Gruppenarbeitsplätzen u. a. auf einer ca. 600 m2 großen offenen Fläche. Hinzu kam das mit moderner Konferenztechnik ausgestattete Digital Learning Lab.

Im November 2022 wurde auch das 2. Segment der Nutzung übergeben,[4] das die Gestaltungsprinzipien des 3. Segments fortführt. Neu ist z. B. ein räumliches Angebot für die Medienproduktion, für seheingeschränkte Menschen sowie vielfältige Einzelarbeitsplätze. Der Bedarf nach letzteren ist in der Studierendenschaft generell hoch. Verstärkt wird dieser aktuell durch die Sperrung und Renovierung nahegelegener Gebäude mit zahlreichen geisteswissenschaftlichen Instituten. Insbesondere Studierende dieser Fachbereiche benötigen weiter Einzelarbeitsplätze.

2024 begann der Umbau des 1. Segments der Zentralbibliothek, der im September 2025 abgeschlossen werden soll. Orientiert an skandinavischen Bibliotheken[5] wird ein großer Veranstaltungsbereich für Events wie Senatssitzungen, World Cafés, Science Slams, Lehrveranstaltungen und Citizen Science-Projekte im Sinne der Demokratisierung von Wissen, entstehen. Hinzu kommen Bereiche, etwa für Design Thinking-Prozesse, die sich durch eine große Flexibilität und Modernität bezogen auf die Möblierung und Medientechnik auszeichnen. Außerdem wird das Leuchtturmprojekt der Kieler Universität „DenkRaum“ in das 1. Segment der Zentralbibliothek einziehen, dessen Fellows durch ihre Arbeit zur Lösung drängender globaler Herausforderungen beitragen sollen.[6] Für sie wird ein eigener Raum für den Austausch geschaffen.

Ein Kernstück des Umbaus des 1. Segments ist der MINTspace, der, in einem eigens dafür umgewidmeten Gruppenarbeitsraum im Umfang von 60 m2 eingerichtet, auf die Bedarfe vielfältiger Zielgruppen zugeschnitten und geplant worden ist. Das Konzept des MINTspace haben Mitarbeitende der Abteilung Lernen und Lehren aus den Bereichen Physik und Chemie gemeinsam mit weiteren Abteilungen der Zentralbibliothek und dem Gebäudemanagement der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel erarbeitet und umgesetzt.

2 MINTspace

Die Abteilung Lernen und Lehren der Universitätsbibliothek Kiel mit dem Referat Studieneingangsphase ist aus dem „Projekt erfolgreiches Lehren und Lernen“ (PerLe) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hervorgegangen, das von 2012 bis 2020 im Rahmen des Qualitätspakts Lehre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde.[7] So war die Kieler Universität in der Lage, intensiv die Qualität der Lehre zu verbessern und Begleitangebote für Studierende weiter auszubauen. Die Mitarbeitenden des Referats Studieneingangsphase begleiten und unterstützen Studienanfänger*innen im Rahmen von fachspezifischen ebenso wie allgemeineren extracurricularen Kursen, Tutorien, Repetitorien usw. während des Übergangs von der Schule zur Universität. Sie verfügen nicht nur über ausgeprägte, erprobte Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich der Hochschuldidaktik, sondern darüber hinaus auch über intensive Kontakte in die Fakultäten und Institute der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Beides waren wichtige Voraussetzungen für die erfolgreiche Planung des MINTspace und deren konkrete Umsetzung.

2.1 Didaktische Grundlagen

Die empirische Studienerfolgsforschung identifiziert verschiedene Prädiktoren bzw. Prädiktorgruppen für den Studienerfolg.[8] Dazu zählen u. a. soziodemographische, persönlichkeitsbezogene[9], kognitive[10] und motivationale[11] Aspekte. Diese spielen nicht nur, aber insbesondere in der Studieneingangsphase beim „Ankommen an der Uni“ eine große Rolle und sollten bei der Entwicklung von didaktischen Konzepten im Übergang Schule-Hochschule berücksichtigt werden.

Anlehnend an Mahaffy[12] können kontextualisierte Wissenszugänge (z. B. Studien- und Berufskontext) motivationale Zugänge schaffen, z. B. durch das Herausstellen der Bedeutsamkeit von Inhalten eines Studienfaches zur Förderung von Interesse und Selbstwirksamkeitserwartungen (siehe Abbildung 2, „Human Element“). Die Orientierung an den lebensweltlichen Bezügen (Kontexten) der Studierenden ist insofern förderlich für das Lernen an der Universität.[13] Dies gilt unabhängig vom Fachbereich. Das im Folgenden für die Naturwissenschaften formulierte Konzept soll in Zukunft auf die Geistes- und Sozialwissenschaften mit entsprechenden Zugängen übertragen werden.

Abb. 2: Mahaffys Erweiterung des Didaktischen Dreiecks durch „Human Element“ zum Tetraeder.Aus Mahaffy: The Future Shape of Chemistry Education.
Abb. 2:

Mahaffys Erweiterung des Didaktischen Dreiecks durch „Human Element“ zum Tetraeder.[14]

In den Naturwissenschaften ist das Experiment für den Erkenntnisgewinn von überragender Bedeutung. Angesichts von Phänomenen werden Thesen, Theorien und Modelle formuliert, welche wiederum im Experiment bestätigt werden müssen, um anerkannt zu werden. Mit diesem Lernziel werden den Studierenden an den Hochschulen Experimente auf verschiedenen Wegen zugänglich gemacht: in der Vorlesung als Live-Experiment, im Seminar durch ein eingespieltes Video oder im Rahmen des (Labor-)Praktikums durch die eigenen Erkenntnisse. In vielen Fällen sind Phänomene und die zugrundeliegenden Prozesse nicht unmittelbar im Laborexperiment abbildbar: In der Biologie und Biochemie mit weiteren sich anschließenden Fachbereichen, z. B. der Medizin, Sportwissenschaften und Ökotrophologie, müssen zum Verständnis der Stoffwechselphysiologie Prozesse auf submikroskopischer Ebene betrachtet und kombiniert werden. In der Physik liegen dem makroskopischen physikalischen Phänomen des Leuchtens einer Lampe submikroskopische Prozesse in Schaltungen zugrunde. Diese verschiedenen Betrachtungs- und Erklärebenen müssen dargestellt und zugänglich gemacht werden können.

Grundlegend bedarf es in allen Fächern eines regelmäßigen Wechsels von Betrachtungsebenen, nämlich der Wirklichkeitsebene mit dem makroskopisch beobachtbaren Phänomen und der submikroskopischen Theorieebene, die für die Deutung und für ein tieferes Verständnis des Vorgangs unerlässlich ist. Die symbolische Ebene dient der Verknüpfung der Ebenen mithilfe der Fach- und Symbolsprache sowie der Mathematik. Ein Wechsel zwischen diesen Betrachtungsebenen sowie der unterschiedliche Zugang zu Wissen über praktische (Labor-)Experimente oder theoretische Fachtexte fordert Lernende in den Naturwissenschaften heraus. In der chemiedidaktischen Forschung werden Betrachtungsebenen bspw. in Form des didaktischen Dreiecks dargestellt und thematisiert sowie weitreichend diskutiert.[15] Während es für die Begegnung dieser Herausforderungen in der Schule geeignete Kompetenzmodelle und Konzepte gibt (spiralcurricular, didaktisch rekonstruiert, kontextualisiert mit Alltags- oder Forschungsbezug),[16] sind diese an der Universität nicht unmittelbar übertragbar.

Beispiele für den Einsatz kontextualisierter Lehre im Bereich der tertiären Bildung mit neuen oder modifizierten Ansätzen existieren.[17] Lernangebote in der Studieneingangsphase sollten die Möglichkeit beinhalten, erforderliche spezifische Denk- und Herangehensweisen zu entwickeln und umzusetzen. Durch den Einsatz geeigneter Repräsentationsmöglichkeiten/Visualisierungen soll die Verknüpfung von Betrachtungsebenen (makroskopisch, submikroskopisch und symbolisch) mit den Erklärebenen (Alltags-/Studien- und Berufskontext; Phänomen; Theorie; Darstellung) unterstützt werden. Der abgestimmte Einsatz analoger und digitaler Tools ermöglicht einen gezielten, interaktiven Wechsel zwischen verschiedenartigen Lernmaterialien und somit einen motivationalen Zugang (auch für Fachfremde).

2.2 Ausprobieren und Anknüpfen

Der Gruppenarbeitsraum MINTspace in der Zentralbibliothek Kiel ist ein Lernort, der in diesem Sinne konzipiert und eingerichtet ist. Er bietet allen Bibliotheksnutzenden neue Wissenzugänge, welche über die Nutzung von Buch und Laptop hinausgehen und schärft damit das Profil der Zentralbibliothek als moderne wissenschaftliche Bibliothek mit vielfältigen Lern- und Arbeitsmöglichkeiten. Interessierte können sowohl in bestehenden Lernszenarien, als auch kreativ und explorativ – wie in einem Makerspace – arbeiten. Somit werden nicht nur kognitive und affektive, sondern auch instrumentelle und sozial-kommunikative Lernziele verfolgt. Daneben fördert der Einsatz von Lernspielen experimentelle und spielerische Zugänge zu Lerninhalten. Gerade Studierenden in der Studieneingangsphase sollen möglichst niederschwellige Wissenszugänge ermöglicht werden, die die heterogenen Eingangsvoraussetzungen berücksichtigen. Unter anderem bestehen die Herausforderungen darin, vorhandenes Vorwissen (Präkonzepte) zu reaktivieren und anzuwenden.

Die Nutzungsszenarien richten sich z. B. an die Studieneingangsphase und an Studieninteressierte u. a. aus den Fachbereichen der Naturwissenschaften (z. B. Agrarwissenschaften, Biologie, Chemie, Biochemie, Medizin, Physik, Geowissenschaften etc.). Das Lernen wird fachübergreifend und interaktiv ermöglicht. Nutzende können Wissenszugänge aus den Naturwissenschaften „greifbar“ erfahren, sodass ergänzend zu bekannten Lehr-Lernformaten digitale Tools (Augmented Reality, 3D-Viewer) mit analogen Tools (z. B. Modelle, Geräte, Experimentierkästen) verknüpft werden, um naturwissenschaftliche Prozesse, in denen Theorie und Praxis essentiell zusammengehören, sichtbarer zu machen. Damit wird das Abstraktions- und Vorstellungsvermögen von naturwissenschaftlichen Prozessen auf verschiedenen Betrachtungsebenen befördert und der Einsatz von und das Experimentieren mit Lehrmitteln zielgerechter ermöglicht. Multimodale Vermittlungsprozesse (auditiv, visuell, haptisch) schaffen Wissenswerkzeuge sowie Wissenspräsentationen.

Die zur Verfügung stehenden Tools und Materialien ermöglichen Zugänge je nach Niveaustufe der*des Lernenden (Novize vs. Experte). So kann beispielsweise bei geringem Vorwissen mit den vorhandenen Präkonzepten und entsprechenden (Fehl-)Vorstellungen durch analoge Tools (z. B. Modelliermasse zur Darstellung von z. B. Modellen/Strukturen/Molekülen) ein Zugang zum Fachwissen gefunden werden. Dies verbindet Vorstellungsvermögen und kreative Erarbeitungsphase miteinander.

Im didaktischen Dreieck werden die makroskopischen Wahrnehmungen mit symbolischen Veranschaulichungen und letztlich naturwissenschaftlichen Modellen verknüpft. In Abbildung 3 ist dies anhand der Farbänderung einer Eisen-Koordinationsverbindung bei Temperaturänderung illustriert. Die Modelle stellen eine vereinfachte Repräsentation der Wirklichkeit dar, die mit den Hilfsmitteln der symbolischen Ebene formal beschrieben werden können. Sie sind essentiell für das Erklären und Verstehen der Theorien in den Naturwissenschaften. In dieser Art werden die Betrachtungsebenen „makroskopisch“[18] und „Darstellung“[19] in Zusammenhang gebracht, um die mikroskopische (molekulare) Ebene zu verstehen.

Abb. 3: Didaktisches Dreieck, verändert nach Johnstone:Johnstone: The development of chemistry teaching. Der Farbwechsel bei Temperaturänderung (makroskopisch, „Wahrnehmung“) lässt sich nur mit einer Veränderung der elektronischen Struktur (submikroskopisch) erklären; dieser sogenannte Spin-Crossover wird auf der symbolischen Ebene in einem Orbitalschema dargestellt. © H. Naggert.
Abb. 3:

Didaktisches Dreieck, verändert nach Johnstone:[20] Der Farbwechsel bei Temperaturänderung (makroskopisch, „Wahrnehmung“) lässt sich nur mit einer Veränderung der elektronischen Struktur (submikroskopisch) erklären; dieser sogenannte Spin-Crossover wird auf der symbolischen Ebene in einem Orbitalschema dargestellt. © H. Naggert.

Durch den Wechsel von Betrachtungsebenen entlang des didaktischen Dreiecks sollen Lernprogressionen bei Nutzenden des MINTspace vor allem im Bereich des Vorstellungs- und Abstraktionsvermögens angestrebt werden und somit nicht nur in den konventionellen Dimensionen des Fachwissens[21].

Das Angebot „MINTspace“ wird im laufenden Betrieb weiterentwickelt und permanent an die Bedarfe der Nutzenden angepasst. Ergebnisse in Form von entwickelten Szenarien, Wissenszugängen, Prototypen oder Modellen etc. werden gesammelt und dokumentiert. Sie können gezielt der universitären Lehre und weiteren Interessierten sowie den Nutzenden zur Verfügung gestellt werden, sodass stets neue Ansätze und Denkanstöße entstehen. Die Aufsicht, Betreuung und Weiterentwicklung im MINTspace wird durch studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte unterstützt.

Abb. 4: Raumplan des MINTspace; die Fotos zeigen einen Überblick über die Arbeitsbereiche (rechts oben), den 3D-Druck-Bereich (links oben), die Werkbank mit Lötstation (links unten) und einen Versuch mit Tensiden in Waschmitteln im Nassarbeitsbereich (rechts unten).
Abb. 4:

Raumplan des MINTspace; die Fotos zeigen einen Überblick über die Arbeitsbereiche (rechts oben), den 3D-Druck-Bereich (links oben), die Werkbank mit Lötstation (links unten) und einen Versuch mit Tensiden in Waschmitteln im Nassarbeitsbereich (rechts unten).

2.3 Ausstattung

Die Erstausstattung dient als Ausgangsbasis für die Entwicklung weiterer Lehr-Lern-Settings, die sich aus der konkreten Nutzung des Raumes ergeben. Im Rahmen des Budgets standen bei der Auswahl und Priorisierung im Sinne des didaktischen Konzepts folgende Aspekte im Vordergrund:

  • Ermöglichen die Ausstattungsgegenstände die Förderung und Unterstützung des (räumlichen) Vorstellungsvermögens und (in Kombination) den Wechsel von Betrachtungsebenen?

  • Werden vielfältige, multimodale Zugänge geboten?

  • Sind Geräte und Tools für Studierende relevant und interessant?

  • Sind sie vielseitig und explorativ einsetzbar?

Eine AR-Brille projiziert Hologramme in den umgebenden Raum. Sie stellt virtuelle Modelle dar und ermöglicht die Arbeit mit ihnen. Mit 3D-Druckern können haptische Anschauungs- und Lernmaterialien konstruiert und produziert werden. Sie bilden gewissermaßen eine Schnittstelle zwischen virtueller und realer Darstellung. Für Konstruktion und Entwicklung steht eine leistungsstarke PC-Workstation zur Verfügung, die natürlich auch für andere Aufgaben genutzt werden kann. Viele Nutzende haben im MINTspace erstmalig die Möglichkeit, diese modernen Tools frei und eigenständig zu erkunden, was nach ersten Rückmeldungen breites Interesse hervorruft.

Einfache analoge Materialien (Molekülbaukästen, Modelliermasse, Bügelperlen, Bastelmaterialien) bieten greifbare Zugänge mit niedrigen Einstiegshürden. Diese können an der Werkbank mit verschiedenen Werkzeugen bearbeitet werden. Hier und in weiteren Arbeitsbereichen kann praktisch mit Messinstrumenten, Steckbrettern, Lötstation, Mikroskopen oder Laborglas gearbeitet werden – Geräte, die in curricularen Modulen verschiedener Fachbereiche, z. B. in (Labor-)Praktika, benutzt werden. Im MINTspace kann der Umgang mit diesen Geräten zeitlich unbegrenzt in einem prüfungsfreien Raum geübt werden. Dies reduziert Berührungsängste und ist in hohem Maße studienrelevant. Nicht zuletzt können Seminarvorträge, Unterrichtsversuche, Lehrproben etc. durch die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, beispielsweise selbst gebastelte Prototypen und Modelle, unterstützt werden.

2.4 Lernszenarien im MINTspace

Grundlegend ermöglicht die Ausstattung des MINTspace Lernszenarien mit Wissenszugängen für verschiedene Themen mit unterschiedlichem Anspruch. Dabei können Zugänge zu Wissen in Form von Lernszenarien je nach Lerntyp, Niveaustufe und Motivation sehr unterschiedlich aussehen: auditiv oder visuell, praktisch oder theoretisch, spielerisch oder wissenschaftlich. Beispielhafte Lernstationen können Anregungen schaffen und thematisch den Studienfächern aus den Naturwissenschaften und in Zukunft auch den geisteswissenschaftlichen Fächern zugeordnet werden. Daraus können allgemeine Lernszenarien im MINTspace abgeleitet und schwerpunktmäßig für die jeweiligen Fächer weiterentwickelt werden. So fördern Lernszenarien mit analogen und digitalen Modellen das Vorstellungsvermögen und ermöglichen es dem Nutzenden, sein Modell mit eigener Herangehensweise zu entwickeln und mit bekannten Modellen aus dem Modellarchiv zu vergleichen. Lernszenarien im Bereich von Abläufen/Verfahren/Experimenten können das Bewusstsein für Forschungsprozesse schärfen: Hypothesen aufstellen, Experimente durchführen, Beobachtungen machen, Messwerte aufnehmen und auswerten sowie Schlussfolgerungen ableiten.

Anhand der Erfahrungen aus der Studieneingangsphase werden für Lernszenarien im MINTspace Themenschwerpunkte ausgewählt. Die direkte Verknüpfung mit Inhalten aus Lehrveranstaltungen der Studienfächer wie in den folgenden Beispielen verdeutlicht den Studierenden die Relevanz und den Nutzen der Arbeit im MINTspace für das Studium.

2.4.1 Infinitesimalrechnung

Grundlegende Kenntnisse der Differentiation und Integration werden in vielen naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen bereits in der Frühphase des Studiums benötigt. Die Integration wird in der Schule meist zur Berechnung der Fläche unter einer Kurve eingeführt. Es ist instruktiv, diesen Ansatz in Propädeutika aufzugreifen und zu erweitern, um die Anwendung von und den Umgang mit diesem wichtigen Werkzeug einzuüben. Beispielsweise wird im Vorkurs Schulmathematik für Studierende der Physik und Ingenieurwissenschaften an der Universität Kiel[22] das Volumen eines (elliptischen) Rotationsparaboloiden berechnet: Eine von einer Parabel begrenzte Fläche wird um eine Achse rotiert, sodass sich ein dreidimensionaler Körper ergibt.

Die abstrakte Berechnung kann im MINTspace greifbar gemacht werden. Mit einem CAD-Programm wird eine Parabel konstruiert und rotiert, der entstehende Körper mit einem 3D-Drucker ausgedruckt (Abbildung 5). Mithilfe einer Testflüssigkeit ist eine direkte Messung des Volumens und der Vergleich mit der Berechnung möglich.

Abb. 5: (a) Die 2D-Skizze des Parabelbogens wird (b) im CAD-Programm rotiert und in Orthogonalprojektion dargestellt bzw. (c) realistisch mit Fluchtpunktperspektive gerendert, (d) zeigt das fertig gedruckte Objekt; die Schichten der FDM-Fertigung visualisieren infinitesimal dicke „Volumenscheiben“.
Abb. 5:

(a) Die 2D-Skizze des Parabelbogens wird (b) im CAD-Programm rotiert und in Orthogonalprojektion dargestellt bzw. (c) realistisch mit Fluchtpunktperspektive gerendert, (d) zeigt das fertig gedruckte Objekt; die Schichten der FDM-Fertigung visualisieren infinitesimal dicke „Volumenscheiben“.

2.4.2 Donator-Akzeptor-Prozesse

Donator-Akzeptor-Prozesse stellen teils anspruchsvolle Vorgänge auf der Teilchenebene dar und sind für das Verständnis vieler grundlegender naturwissenschaftlicher Phänomene essentiell.

Im MINTspace kann der Wissenszugang zu diesen Prozessen über ein Experiment zu Protolysen (Säure-Base-Reaktionen) erfolgen (→ analoges Tool) und anschließend mit einem 3D-Modell aus der AR-Brille (→ digitales Tool) verknüpft werden. Die Kontextualisierung des Experimentes schafft motivationale Zugänge: „Warum werden Bücher ‚sauer‘?“. Zunächst werden Hypothesen aufgestellt: U. a. erfolgte die Papierherstellung in damaligen Zeiten unter Einsatz von Alaun; es werden Aussagen zum Aciditätsverhalten von Kaliumaluminiumsulfat in wässriger Umgebung getroffen. Anschließend wird das Experiment durchgeführt. Dazu wird eine wässrige Lösung von Kaliumaluminiumsulfat hergestellt und mithilfe eines Teststreifens der pH-Wert der Lösung ermittelt. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass zur Erklärung dieser sauren Hydrolyse die chemische Bindung im Alaun betrachtet werden muss. Es werden Struktur-Eigenschaftsbeziehungen aufgestellt und in Verbindung mit einem geeigneten 3D-Modell wird die Teilchenebene genauer betrachtet: Aus der Dissoziation von Hexaquaaluminiumkationen in wässriger Lösung gehen Protonen hervor, welche die polymeren Strukturen von Papier (Cellulose) spalten. Der sogenannte Papier- oder Säurefraß, welcher sich makroskopisch beobachten lässt, beschreibt diese chemische Zersetzung.

2.5 Betrieb und Ausblick

Der Gruppenarbeitsraum MINTspace ist seit Anfang Juli 2024 im Pilotbetrieb geöffnet. Zunächst werden Open-Space-Zeiten angeboten, in denen der Raum unter Aufsicht frei genutzt werden kann. Es ist sicherzustellen, dass bestimmte Geräte nur nach erfolgter Sicherheits-Unterweisung genutzt werden und die aufgrund der räumlichen Gegebenheiten und Fluchtwegsituation festgelegte maximale Personenzahl nicht überschritten wird. Es ist geplant, Workshops im MINTspace anzubieten und den Raum für Projektarbeiten zur Verfügung zu stellen. Derzeit wird auf der Website der Universitätsbibliothek[23] sowie lokal vor Ort durch Plakate und direkte Ansprache der Nutzenden auf den MINTspace hingewiesen. Außerdem werden studentische Multiplikator*innen genutzt. Das so generierte Interesse ermöglicht Erfahrungswerte in Hinblick auf Prozesse, Abläufe und Interessenlagen.

Für den Start des Wintersemesters im Herbst 2024 ist die offizielle Eröffnung vorgesehen. Im Rahmen der Vorkurse und Einführungsveranstaltungen kann die kommende Studierendenkohorte direkt an die Möglichkeiten, die der MINTspace bietet, herangeführt werden, sodass eine regelmäßige, nachhaltige Nutzung realisiert wird.

3 Danksagung

Das Projekt „MINTspace“ ist interdisziplinär angelegt und wurde abteilungsübergreifend geplant und umgesetzt. Wir danken dem Präsidium, dem Gebäudemanagement, der Stabstelle Sicherheitsingenieur und dem Referat Lehrentwicklung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sowie vielen Kolleg*innen der Bibliothek aus den Bereichen Benutzung, Bestandserhaltung, Lernen & Lehren, Hausdienste, Erwerbung, IT und den beteiligten Studierenden, deren Zuspruch und tatkräftige Unterstützung die Realisierung des Projekts erst möglich gemacht haben.

Über die Autoren

Jörn Willers Radke

Jörn Willers Radke

Julian Rudnik

Julian Rudnik

Dr. Kerstin Helmkamp

Dr. Kerstin Helmkamp

Literaturverzeichnis

Farrenkopf, Stefan; Helmkamp, Kerstin; Hoffmann, Kerstin: Umbau und Modernisierung der Universitätsbibliothek Kiel: die Zentralbibliothek als „Pilot“. In: Holländer, Stephan; Sühl-Strohmenger, Wilfried; Syré, Ludger u. a. (Hrsg.): Hochschulbibliotheken auf dem Weg zu Lernzentren: Beispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wiesbaden 2021.Search in Google Scholar

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Online erschienen: 2024-10-09
Erschienen im Druck: 2024-10-08

© 2024 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 26.12.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2024-0075/html
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