Zusammenfassung:
Die Erforschung und kritische Dokumentation des Bibliothekswesens der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR ist ein verhältnismäßig junges Teilgebiet der Zeitgeschichtsforschung, das aufgrund der bisher fehlenden Editionsarbeit auf zentrale Texte – insbesondere rechtsrelevante Quellen – nur bedingt zurückgreifen kann. Die vorliegende Kurzedition macht in diesem Zusammenhang zwei bibliotheksrechtliche Zeugnisse der SBZ wieder verfügbar: den Entwurf zu einem Gesetz zur Demokratisierung des Büchereiwesens sowie den zu einem eigenständigen Thüringischen Büchereigesetz.
Abstract:
In contemporary historical research analyse and documentation of librarianship in the former Soviet occupation zone (Sowjetische Besatzungszone, SBZ) and later GDR is a relatively new field of research which at present has – according to a deficient edition work – only limited access to essential sources of library policy, especially legal documents. Referring to the problem this historico-critical short edition makes two library-specific documents of the former SBZ available again: The draft of a Gesetz zur Demokratisierung des Büchereiwesens (Library Democratisation Act) and the draft of a Thüringisches Büchereigesetz (Thuringian Library Law).
1 Vorbemerkung: Entwürfe von Rechtsnormen als Quellen der zeitgeschichtlichen Bibliotheksforschung nach 1945
Die Erforschung des Bibliothekswesens der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR ist ein verhältnismäßig junges Teilgebiet der Zeitgeschichts- und – wenn man so will – der Diktaturforschung, das trotz wachsenden Interesses am Gegenstand nach wie vor in den geschichtswissenschaftlichen „Kinderschuhen“ zu stecken scheint. Das mag unter anderem auch daran liegen, dass nach dem Zusammenbruch der autoritären SED-Herrschaft im Herbst 1989 zunächst einmal diejenigen Lebensbereiche des „anderen Deutschlands“, denen eine gesellschaftlich umfassendere Spannbreite zugemessen wurde, in den Fokus wissenschaftlicher Beschäftigung traten. Im Bildungswesen waren das vor allem die schul- und hochschulpolitischen Aspekte der sozialistischen Diktatur.
Dies hatte zur Folge, dass außerhalb des Kreises der Berufspraktiker nicht nur der bibliothekarische Forschungsgegenstand Ost- und Mitteldeutschlands zwischen 1945/49 und 1989 eher in den Hintergrund rückte, sondern auch die kritisch-editorische Aufbereitung wesentlicher Textquellen, die oft nur fragmentarisch oder abschriftlich in bibliothekseigenen Altregistraturen und Hausarchiven erhalten sind.[1] Aus der lückenhaften, nicht selten von Institution zu Institution variierenden Quellenlage heraus erklärt sich daher auch, weshalb unter vielen der bisherigen (zum Teil auch jüngeren) Veröffentlichungen noch immer das Zeitzeugengespräch oder der persönliche Erinnerungsbericht als Hauptquellen einer bibliotheksspezifischen Geschichtsschreibung der ehemaligen DDR dienen.[2] Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rolle der Bibliothek in der zweiten deutschen Diktatur ist so vielleicht mehr noch als andere Teilgebiete der Zeitgeschichtsforschung nach 1945 zum Aufarbeitungsbeitrag einer „Epoche der Mitlebenden“[3] geworden; was an sich kein Problem darstellt, für die geschichtswissenschaftliche Bibliotheksforschung nach 1945 auf Dauer gesehen methodisch aber zumindest problematisch wird.
Der Analysefokus der zeitgeschichtlichen Bibliotheksforschung, der überwiegend personenzentriert und noch stark induktiv arbeitet[4], wird durch die Dominanz der oral history zusätzlich subjektiviert und als maßgebliche Interpretationsmethode für das gesamte Forschungsgebiet unverhältnismäßig ausgebaut, was zwangsweise zulasten einer objektiven und auch institutionsübergreifenden Struktur- oder Prozessbeschreibung gehen muss.[5]
Eine Korrektivfunktion können in diesem Zusammenhang nur schriftliche Quellen einnehmen, die eingeordnet in die unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen oder rechtlichen Kontexte erlauben, Verlaufsschilderungen stärker zu entsubjektivieren und mikroskopische Strukturprozesse – so bspw. die Beschreibung der Geschichte einer einzelnen Bibliothek und deren Akteure – als Bestandteil makroskopischer Entwicklungen – hier der Bibliothekspolitik der SBZ/DDR – zu verstehen.
Aufgrund ihres systematisierenden und systematischen Charakters weisen deshalb für die zeitgeschichtliche Bibliotheksforschung des ost- und mitteldeutschen Raums nach 1945 besonders Rechtsnormen einen entsprechend hohen Quellenwert auf, da diese Texte dazu verfasst wurden, um zonenweit und überinstitutionell Strukturen zu erzeugen und anschließend durchzusetzen. Von der Forschung können sie daher unabhängig ihrer rechtlichen Verwirklichung heute relativ verlässlich und in wesentlicher Ergänzung zu persönlichen Erinnerungsberichten dafür genutzt werden, Prämissen abzuleiten, denen das sowjetzonale, später das DDR-Bibliothekswesen durch die politischen Entscheider unterworfen werden sollte. So weit, so gut.
Das Dilemma ist allerdings, dass mit Ausnahme des Gesetzes zur Demokratisierung des Büchereiwesens in Sachsen vom 4. Februar 1949[6] sowie der Bibliotheksverordnung der DDR vom 31. Mai 1968[7] und deren diverse Durchführungsbestimmungen keine bibliotheksrechtliche Initiative in SBZ und DDR je zur Gesetzes- oder Verordnungsreife gelangte, weswegen der Fundus gedruckter rechtsnormativer Quellen nur sporadisch ausgeprägt ist. Rundschreiben und vor allem Entwürfe der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV), später auch des Staatssekretariats für Hochschulwesen wurden oft nur intern diskutiert und fanden überdies selten den Weg in die Fachpresse. Diese Dokumente – was in geringem Umfang auch auf veröffentlichte Fassungen zutrifft – stehen für Forschungszwecke heute kaum noch global zur Verfügung.[8]
Erschwerend kommt hinzu, dass die Suche nach systematisierenden Dokumenten in Hausarchiven und Altregistraturen nur dann erfolgreich ist, wenn das dortige Bibliothekspersonal zuvor entsprechenden Kommissionen bzw. ministeriellen Arbeitsgruppen angehörte. Dies wiederum zu rekonstruieren erfordert genaues Wissen über Gremien, deren personelle Zusammensetzung und die Zeiträume ihrer Tätigkeit. Womit man erneut vor Hausarchiven und Altregistraturen steht. Oder anders ausgedrückt: Die für die weitere Etablierung der zeitgeschichtlichen Bibliotheksforschung nach 1945 als einem Teilbereich der Zeitgeschichtsforschung qualitativ so dringende Suche nach den bibliotheksrechtlichen, bibliothekspolitischen und rechtlichsystematischen Grundlagen der zweiten deutschen Diktatur kommt derzeit noch immer einem Fischen im Trüben gleich, das jedoch hin und wieder auch erfolgreich sein kann.
2 Editorische Notiz
Als solch ein Zufallsfund ist der im Archiv der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) abschriftlich unter der Verzeichnungseinheit 806/7, Bestand „Bibliothekarische Tätigkeit, Nebentätigkeit der Deutschen Bücherei, Bibliothekswesen, Büchereigesetz“, erhaltene Musterentwurf der DVV zu einem Gesetz zur Demokratisierung des Büchereiwesens zu verstehen, der umgehend einschlägige Gesetzesinitiativen in Thüringen und Sachsen nach sich zog. Während der sächsische Entwurf jedoch verabschiedet wurde[9], erfuhren die beiden anderen keine rechtliche Verwirklichung und blieben in der Folge von der Forschung bisher weitgehend unbeachtet.[10]
Die vorliegende Kurzedition soll die beiden bisher nicht veröffentlichten Rechtsentwürfe aus der Spätphase der SBZ nun für ein geschichts- wie auch rechtswissenschaftlich interessiertes Publikum wieder zugänglich machen. Der Editionstext gibt dabei den Wortlaut der im DNB-Archiv erhaltenen abschriftlichen Textfassung wieder. Um die Lesbarkeit nicht zu beeinträchtigen, wurden eventuelle Zeilenumbrüche der Vorlage ebenso wenig berücksichtigt wie die fehlende ß-Type der ursprünglich erstellenden Schreibmaschine. An entsprechender Stelle wird ohne weitere Kenntlichmachung gemäß Deutscher Rechtschreibung „ss“ durch „ß“ ersetzt. Anderweitige Ergänzungen oder Auflösungen seitens des Bearbeiters werden durch eckige Klammern gekennzeichnet.
Da bereits an anderer Stelle durch den Bearbeiter interpretierend auf den fachlichen und politischen Gehalt wie auch die Genese der Entwurfstexte eingegangen wird[11], ist der Kommentarapparat im vorliegenden Editionstext knapp gehalten und beschränkt sich wesentlich auf die Erläuterung historischer oder politischer Begriffe.
3 Der Musterentwurf des Gesetzes zur Demokratisierung des Büchereiwesens
[1]
Abschrift
Deutsche Verwaltung Berlin, den 13. Mai 1948
für Volksbildung[12]
in der sowjet[ischen]. Besatzungszone
Abt[ei]l[ung]. Kulturelle Aufklärung
Entwurf
Gesetz zur Demokratisierung[13] des Büchereiwesens[14]
Beim Neuaufbau unseres kulturellen Lebens ist das Buch und seine Vermittlung ein wesentlicher Faktor, der geeignet ist, das Kulturgut des eigenen Volkes und anderer Völker weiterzugeben und neue fortschrittliche Gedanken zu verbreiten, die vom Geiste der Humanität des Fortschrittes und des friedlichen Zusammenlebens der Völker getragen sind.[15]
Infolgedessen ist es die Aufgabe der demokratischen Selbstverwaltungen, Einrichtungen zu schaffen, die geeignet sind, dem Buch eine weite Verbreitung und Wirksamkeit zu sichern.
Als Grundlage für die Demokratisierung der Büchereien hat daher der …………………………… Landtag folgendes Gesetz beschlossen:
§ 1
Alle öffentlichen Büchereien, mit Ausnahme der privaten Leihbüchereien sind Volkseigentum[16] und stehen der Bevölkerung unentgeltlich zur Verfügung.
§ 2
Ziele und Aufgaben der Büchereien
Die Büchereien haben die Aufgabe, sich aktiv am demokratischen Aufbau unseres Volkes zu beteiligen. Sie geben der gesamten Bevölkerung die Möglichkeit, ihr kulturelles, politisches und gesellschaftliches Niveau zu heben, sie vermitteln hochwertige Literatur, welche geeignet ist
die wissenschaftliche, fachliche und politische Bildung zu vertiefen,
rückschrittliche[17], nazistische und militaristische Tendenzen zu bekämpfen,
gute Unterhaltung und Entspannung zu geben und zur Selbstbesinnung hinzuführen.
§ 3
Aufbau und Gliederung
(1) Wissenschaftliche Büchereien
sind Einrichtungen, die jeweils von den Regierungen oder einer einzelnen Stadt unterhalten werden. Sie haben die Aufgabe, der Wissenschaft, ihrer Forschung und Lehre zu dienen.
(2) Gemeindebüchereien
sind Einrichtungen, bei denen die Selbstverwaltungsorgane der Dörfer und Städte verpflichtet sind, für Unterbringung, Buchbeschaffung und Erhaltung des Buchbestandes zu sorgen. Alle Orte, die eine Grundschule besitzen, haben eine Gemeindebücherei, die dem Verhältnis der Einwohnerzahl entspricht, einzurichten und zu erhalten. Für Kinder und Jugendliche sind besondere Abteilungen einzurichten.
(3) Kreisbüchereien
sind Einrichtungen, welche bei den Kreisräten errichtet werden und von diesen zu unterhalten sind. Sie stehen den Gemeindebüchereien des Kreises zur Verfügung und haben deren Lesern diejenige Literatur zu vermitteln, welche am Gemeindeort nicht vorhanden ist.
[2]
Die Kreisbüchereien sind dem interbibliothekarischen Leihverkehr angeschlossen. Um den Bedarf derjenigen Orte zu befriedigen, die keine eigene Bücherei besitzen, richtet der Kreis Wanderbibliotheken ein.
(4) Schulbüchereien
sind Einrichtungen an öffentlichen Lehranstalten, die von diesen unterhalten werden. Sie sind dem jeweiligen Schulziel entsprechend zu gestalten.
(5) Werkbüchereien
sind Einrichtungen öffentlicher und privater Betriebe, die von diesen unterhalten sind. Neben der Entspannung besteht ihre vornehmste Aufgabe in der Verbesserung der fachlichen Kenntnisse der Betriebsangehörigen.
(6) Anstaltsbüchereien
sind Einrichtungen in Krankenhäusern, Erholungsheimen, Strafanstalten und Anstalten der geschlossenen Fürsorge. Sie werden von den jeweiligen Trägern dieser Anstalten unterhalten und sind deren besonderen Aufgaben angepasst und zur Benutzung durch die Insassen bestimmt.
(7) Fachbüchereien
sind Einrichtungen, welche von Berufsorganisationen oder Behörden unterhalten werden. Sie dienen ausschließlich den besonderen Bedürfnissen eines bestimmten Wissensgebietes und sind der Allgemeinheit zugänglich.
(8) Private Leihbüchereien
sind Unternehmen, die sich im Besitz von Einzelpersonen oder Vereinigungen befinden, welche aus der Verleihung von Büchern einen Gewinn erzielen wollen.
§ 4
Aufsicht und Betreuung
Aufsicht und Betreuung aller im § 3 genannten Büchereien obliegen dem Ministerium für Volksbildung.
Die Bibliotheken der demokratischen Organisationen[18], sofern sie für die politische Arbeit und Schulung ihrer Mitglieder verwendet werden, unterliegen nicht den Bestimmungen dieses Gesetzes.
Die privaten Leihbüchereien haben in einer Liste ihren gesamten Buchbestand dem Ministerium für Volksbildung anzuzeigen und Veränderungen vierteljährlich zu melden.
Das Volksbildungsministerium übt die Aufsicht aus:
über die wissenschaftlichen Bibliotheken und Fachbüchereien direkt durch das Referat wissenschaftliches Büchereiwesen.
bei allen anderen Bibliotheken durch die Landesstelle für das Büchereiwesen, diese hat Weisungsrecht gegenüber den Volksbildungsämtern.
Die Leiter der Kreisbibliotheken, die die Bezeichnung Kreisbibliothekar führen, sind vom Volksbildungsministerium bestellte Aufsichtsorgane innerhalb der Kreisvolksbildungsämter für die in § 3 Abs[atz]. 2–8 genannten Büchereien.
[D]ie Bibliotheken der kreisfreien Städte erhalten ihre Weisungen von der Landesstelle für das Büchereiwesen über ihr zuständiges Volksbildungsamt.
[3]
§ 5
Leitung und Verwaltung
Zur Leitung und Verwaltung der unter § 3 aufgeführten Büchereien ist befugt, wer
eine genügend fachliche Vorbildung besitzt,
durch seine Vergangenheit und jetziges Verhalten die Gewähr bietet, die Gestaltung des Büchereiwesens im Sinne dieses Gesetzes zu fördern.
§ 6
Der Nachweis der fachlichen Befähigung wird erbracht:
durch das Abschlusszeugnis einer staatlichen Bücherei[,][19]
durch das Zeugnis über den erfolgreichen Besuch von Kurzlehrgängen für Volksbibliothekare[20],
durch das Zeugnis der Landesstelle für das Büchereiwesen über eine nicht weniger als 2 Jahre währende Arbeit auf dem Gebiet des Büchereiwesens.
Die Bibliothekskräfte der Gemeinde-, Kreisbüchereien und wissenschaftlichen Bibliotheken werden von den Selbstverwaltungen ausgewählt und vom Volksbildungsministerium bestätigt. Ihre Besoldung erfolgt durch das Volksbildungsministerium nach den einschlägigen Bestimmungen der Angestellten des öffentlichen Dienstes.
Das Volksbildungsministerium ist verpflichtet, durch Kurzlehrgänge die fachlichen Qualitäten der Bibliothekare laufend zu heben. Die Bibliothekare sind zur Teilnahme an diesen Lehrgängen verpflichtet, entsprechend den Anordnungen des Ministeriums für Volksbildung.
§ 7
Buchbestand
Alle Büchereien haben ihre Buchbestände in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl ihrer vorgesehenen Benutzer zu halten.
Alle Büchereien müssen einen bestimmten Kernbestand haben, der durch die Landesstelle für das Büchereiwesen für jede Bibliotheksart gesondert und deren Eigenart entsprechend in Standardkatalogen festgelegt werden.[21]
Unabhängig davon, sind die Büchereileiter verpflichtet, ihre Bestände laufend durch fortschrittliche demokratische Literatur zu ergänzen und alle Bücher, welche der demokratischen und kulturellen Entwicklung entgegenstehen, auszumerzen.
Der Buchbestand muss sich jederzeit in hygienisch einwandfreiem Zustand befinden. Unsaubere und defekte Exemplare sind zu entfernen. Die Büchereien sind in würdigen und zweckentsprechenden Räumen unterzubringen.
§ 8
Buchbeschaffung
Mit der Beschaffung der Bücher wird vornehmlich eine zentrale Einkaufsgenossenschaft (Das Einkaufshaus für Büchereien GmbH. Leipzig[22]) beauftragt, welche die Bücher möglichst in Büchereieinband zu liefern hat.
Alle in …………………………… lizenzierten Verleger sind verpflichtet, der Landesstelle für das Büchereiwesen die Fertigstellung jeder Auflage mitzuteilen.
Diese wählt die geeigneten Titel aus und erwirbt die Anzahl von Exemplaren, welche nach einer vom Kulturellen Beirat[23] festgeleg-
[4]
ten Schlüsselzahl den …………………………… Büchereien zur Verfügung stehen.
Die Verleger sind verpflichtet, diese festgelegte Zahl an erste Stelle auszuliefern.
§ 9
Arbeitsweise
Die Bücher werden der Bevölkerung zur Verfügung gestellt
durch das Verleihen außerhalb der Bibliothek, wobei bestimmte Lesefristen und Leseordnungen einzuhalten sind.
Durch die Einrichtung von Lesesälen, wobei in größeren Gemeinden für Jugendliche und Kinde gesonderte Leseräume einzurichten sind.
Die vorhandenen Bücherbestände sind in geeigneter Weise der Leserschaft bekannt zu geben,
durch Kataloge,
durch Anschläge der Neuerwerbungen,
durch Buchausstellungen.
Zur Werbung neuer Leser und zur Verbreitung wenig bekannter Literatur sind Leseabende und Vorträge von den öffentlichen Bibliotheken durchzuführen.
Die Selbstverwaltungsorgane bilden Büchereiausschüsse, deren Zusammensetzung ihrem eigenen Ermessen anheim gegeben ist. Den Vorsitz führt der Leiter des örtlichen Volksbildungsamtes.
Den Büchereiausschüssen obliegen die Überwachung der vom Ministerium angeordneten Maßnahmen und die Einhaltung der in diesem Gesetz erlassenen Bestimmungen.
§ 10
Eröffnungsgenehmigung
Alle Büchereien bedürfen für ihre Tätigkeit der Genehmigung des Ministeriums für Volksbildung.
Die Genehmigung wird erteilt, wenn die Befolgung der in den §§ 1–10 dieses Gesetzes erlassenen Bestimmungen gewährleistet ist.
Die am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits tätigen Büchereien gelten vorläufig als genehmigt, unter der Auflage, dass sie innerhalb eines Jahres vom genannten Zeitpunkt ab, die im Gesetz erlassenen Vorschriften erfüllt haben.
Die privaten Leihbüchereien haben die Bestimmungen des § 4 [Absatz] 1b sofort zu erfüllen.
§ 11
Strafbestimmungen
Wer gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes verstößt, wird bestraft. Außerhalb der gerichtlichen Verfolgung nach den bestehenden Strafgesetzen, ist das Volksbildungsministerium berechtigt, außerdem folgende Verwaltungsstrafen zu verhängen:
Eine öffentliche Verwarnung auf Kosten des Verurteilten,
eine Geldstrafe bis zur Höhe von RM 1 000,–,
eine befristete Untersagung der Tätigkeit im Büchereiwesen,
die dauernde Entziehung der Befugnis im Büchereiwesen tätig zu sein,
die Beschlagnahme eines Teiles oder des gesamten Bücherbestandes, woran sich ein gerichtliches Verfahren anzuschließen hat.
[5]
§ 12
Das Ministerium für Volksbildung erlässt die zur Durchführung dieses Gesetzes notwendigen Anordnungen.
§ 13
Das Gesetz tritt am Tage seiner Verkündigung in Kraft.
Datum ……………………………
Der Präsident des Landtages
4 Der Entwurf zu einem thüringischen Gesetz zur Demokratisierung des Büchereiwesens
[1]
Entwurf zu einem Thür[ingischen]. Büchereigesetz
Ein leistungsfähiges öffentliches volkstümliches Büchereiwesen[24] hat größte volkserzieherische und politische Bedeutung und ist als notwendige Ergänzung aller Schul- und Fachausbildung unentbehrlich. Die Leistungen der thüringischen Gemeinden auf diesem Gebiet sind durchaus anzuerkennen. Jetzt ist das thüringische Büchereiwesen aber organisatorisch so weit entwickelt, dass ein weiterer Ausbau gesetzlicher Grundlage bedarf.
1.
Das Ziel eines planmäßigen Büchereiaufbaues ist, allen Einwohnern die Möglichkeit zu geben, aus öffentlichen Büchereien die Bücher für fachliche und politische Fortbildung, wissenschaftliche Arbeiten, wie auch das wertvollste ältere und Gegenwartsschrifttum der deutschen und der Weltliteratur, sowie gute Jugendbücher zu entleihen.
Jede Gemeinde, die eine Grundschule unterhält, ist daher verpflichtet, eine Volksbücherei einzurichten und zu unterhalten.
Wo mehrere Orte zu einem Schulverband zusammengeschlossen sind, ist entsprechend ein Büchereiverband zu bilden.
Zur Ergänzung der kleinen Büchereien ist ein Leihverkehr mit Kreisstützpunktbüchereien[25] und Landesbüchereien einzurichten.
2.
Die Unterbringung der Volksbücherei soll würdig und zweckmäßig sein.
In kleineren Orten genügt die Aufstellung in einem besonderen Büchereischrank in der Schule.
Von 1 000 Einwohnern an ist ein eigener Büchereiraum erforderlich, der in Kleinstädten von 5 000 Einwohnern an durch einen Leseraum zu erweitern ist.
Bei wachsender Ortsgröße sind Kinderleseräume, Jugendbücherei, Musikbücherei, und vor allem auch in Städten mit größerer Ausdehnung genügend Zweigstellen zu errichten.
Reichliche und den örtlichen Verhältnissen angepasste Öffnungszeiten müssen der Bevölkerung die regelmäßige Benutzung der Bücherei leicht ermöglichen.
3.
In Orten bis zu 10 000 Einwohnern werden die Büchereien in der Regel nebenamtlich verwaltet.
[2]
Die nebenamtlichen Büchereileiter sollen möglichst im Hauptberuf Lehrer sein. Sie sind für ihre Tätigkeit angemessen zu entschädigen und werden in besonderen Kursen durch die Thüringische Landesstelle für Buch- und Bibliothekswesen ausgebildet. Die Ausbildung als nebenamtlicher Büchereileiter wird ihnen bescheinigt.
Büchereien in Städten über 10 000 Einwohner bedürfen eines hauptamtlichen, fachlich ausgebildeten Bibliothekars (Bibliothekarin) und mindestens einer Büchereigehilfin.
Für je 10 000 Einwohner mehr ist eine weitere Fachkraft und technische Kraft erforderlich.
Es ist wünschenswert, dass schon in Städten von 5–10 000 Einwohnern eine hauptamtliche Fachkraft eingesetzt wird.
4.
Einer besonderen Pflege bedürfen alle Formen der Jugendbüchereiarbeit.
In allen Schulen ist eine Schülerbücherei zu unterhalten. Es sind hierfür 0,70 RM pro Schüler unter einem besonderen Titel im Schuletat zu veranschlagen.
In Orten bis zu 2 000 Einwohnern kann die Schülerbücherei der Volksbücherei als Jugendabteilung angeschlossen werden.
In größeren Orten bzw. in Gemeinden mit größerem Schulsystem muss die Schülerbücherei als besondere Büchereieinrichtung der Schule ausgebaut werden. Zweckmäßig ist ihre geschlossene Aufstellung in einem Büchereiraum und zentrale Verwaltung durch einen dafür bestimmten Lehrer. Die Aufgliederung des Bücherbestandes an die einzelnen Klassen (Klassenbücherei) bleibt besonders bei den unteren Klassen möglich.
Die Hilfsbücherei (Klassenlesestoffe) und Lehrerbücherei sind als Lehrmittelsammlungen und Handbücherei reine Scheinrichtungen.
In den Orten, wo die Schülerbücherei nicht mit der Volksbücherei angeschlossen werden. Städte von 10 000 Einwohnern an richten besondere Jugendbüchereien ein, denen mit wachsender Stadtgröße Jugend- oder Kinderleseräume anzugliedern sind.
Eine enge Zusammenarbeit zwischen Jugendbücherei und den Schülerbüchereien ist anzustreben.
5.
Zum Aufbau und zur Erhaltung der Büchereien sind folgende Mindestaufwendungen erforderlich:
[3]
Sachkosten (Anschaffung und Erhaltung des Bücherbestandes, Zeitschriften und Zeitungen, Druck von Bücherverzeichnissen etc.) 0,50 [RM] pro Einwohner.
Personalkosten unter Berücksichtigung von Abschnitt 3.
Betriebskosten (Miete, Einrichtung, Verwaltungsbedarf usw.) nach Abschnitt 2.
Die entsprechenden Mittel sind im Haushaltsplan der Gemeinden unter einem besonderen Kapitel zu führen.
6.
Die Förderung des ländlichen und kleinstädtischen Büchereiwesens gehört zu den wichtigsten kulturellen Aufgaben der Landkreise.
Sie haben die Pflicht, die Durchführung des Büchereigesetzes zu fördern und zu überwachen.
Zur Ergänzung der Dorfbüchereien ist bei den Kreisräten eine Kreisstützpunktbücherei aufzubauen, die vor allem politische, wissenschaftliche und fachliche Literatur sowie schwierigere Werke der deutschen Dichtung und der Weltliteratur enthält.
Zum Aufbau und zur Unterhaltung der Kreisstützpunktbücherei sowie zur Unterstützung leistungsschwacher Gemeinden bei besonderen Büchereieinrichtungen sind RM 0,20 pro Kopf der kreisansässigen Bevölkerung im Kreishaushalt vorzusehen.
Zum Aufbau und zur Verwaltung der Kreisstützpunktbücherei und zur dauernden Mitarbeit bei den nebenamtlich verwalteten Gemeindebüchereien des Kreises ist ein Kreisbibliothekar (Kreisbibliothekarin) einzustellen.
Für die Tätigkeit des Kreisbibliothekars ergeht eine besondere Dienstanweisung.
7.
Die Thüringische Landesstelle für Buch- und Bibliothekswesen hat die Aufgabe, den Aufbau des Büchereiwesens im Lande Thüringen gleichmäßig zu fördern, die staatliche Aufsicht wahrzunehmen und die Durchführung des Büchereigesetzes zu beschleunigen und zu kontrollieren.
Die Landesstelle übernimmt alle zentralen Aufgaben, sie unterhält eine Zentralkartei der Bestände der nebenamtlich verwalteten Büchereien, sie sorgt für [den] planmäßigen Aufbau der Büchereien, besonders auch der wissenschaftlichen Abteilungen der Landesbüchereien und regelt den Leihverkehr zwischen den einzelnen Büchereitypen; zu den Aufgaben der Landesstelle gehört ferner die Förderung der Leserkunde und Büchereipädagogik, die Fortbildung und die Ausbildung der haupt-
[4]
und nebenamtlichen Bibliothekare, die statistische Berichterstattung usw. Insbesondere hat sich die Landesstelle auch der Entwicklung des Jugend- und Schulbüchereiwesens anzunehmen.
Den Selbstverwaltungen als den eigentlichen Trägern des Büchereiwesens steht die Landesstelle in allen Büchereifragen beratend zur Verfügung. Sie nimmt eine Mittlerstelle zwischen Landesverwaltung und Selbstverwaltung ein.
Die Landesstelle hat in ihrem Arbeitsbereich Anweisungsbefugnis und ist in allen Büchereiangelegenheiten zu hören. Die Einstellung der hauptamtlichen Fachbibliothekare in Städten und Kreisen erfolgt im Einvernehmen mit der Landesstelle. Der Einsatz der nebenamtlichen Büchereileiter bedarf ihrer Zustimmung.
Die Landesstelle unterhält als zentrale Wirtschaftseinrichtung aller thüringischen Büchereien eine Einkaufsstelle mit Buchbinderei und den notwendigen technischen Hilfseinrichtungen. Die nebenamtlich geleiteten Büchereien werden durch die Landesstelle mit Büchern beliefert.
8.
Zu diesem Gesetz ergehen besondere Durchführungsbestimmungen mit eingehenden Erläuterungen.
Ergänzung zu Abschnitt 1:
In den Städten[26], wo eine Landesbücherei bisher die Aufgaben einer öffentlichen Volksbücherei erfüllt hat, ist eine Regelung etwa auf folgender Grundlage vorzusehen: Der Volksbüchereibestand der Landesbücherei wird den Städten übereignet, welche dafür die Verpflichtung übernehmen, nach den Bestimmungen des Büchereigesetzes eine leistungsfähige Volksbücherei aufzubauen. Die wissenschaftlichen Bestände der Landesbüchereien (außer Gera) werden weiter ausgebaut, vor allem auch zu dem Zweck, die kleineren Büchereien im Leihverkehr mit wissenschaftlicher Literatur zu ergänzen.
Über den Autor / die Autorin

Hassan Soilihi Mzé, M. A., Historiker
Lange Straße 4
04103 Leipzig
© 2013 by Walter de Gruyter Berlin Boston
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