Total Recall
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Tobias Gebel
Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht Recalls im Prozess der öffentlichen Arbeitsvermittlung und der Reintegration in den deutschen Arbeitsmarkt. Recalls sind eine spezifische Form der diskontinuierlichen Beschäftigung, die sich dadurch auszeichnet, dass ehemalige Arbeitskräfte zu einem späteren Zeitpunkt durch ihren früheren Arbeitgeber wiederbeschäftigt werden. Im Mittelpunkt unserer explorativen Analysen stehen die Fragen nach den Bedingungen, unter denen Recall-Optionen im Vermittlungsgespräch verfolgt werden, nach den Aktivitäten zur Förderung bzw. Verwerfung von Recall-Strategien und nach den Erwartungen von Arbeitssuchenden an Recalls im Vermittlungsprozess. Als Datengrundlage standen uns vollständig transkribierte Vermittlungsgespräche des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zur qualitativen Sekundäranalyse zur Verfügung. Die Ergebnisse zeigen, dass Recalls insbesondere dann in Betracht gezogen werden, wenn ein Vertrauensverhältnis zum ehemaligen Arbeitgeber über den Betriebsaustritt hinaus besteht und über bestehende Betriebskontakte Konkurrenzvorteile erhofft werden. Mit dem Recall ist die Erwartung verbunden, die Arbeitslosigkeit schneller beenden und finanziellen Einbußen entgegenwirken zu können. Zudem wird diese Option in Betracht gezogen, wenn Beschäftigungsalternativen nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Die Vermittlungsfachkraft fördert Recalls besonders dann, wenn sie die Reintegration in den Arbeitsmarkt durch einen Recall als aussichtsreicher einschätzt als alternative Angebote. Insgesamt verweisen die Ergebnisse darauf, dass Recalls im Prozess der öffentlichen Arbeitsvermittlung sowie auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine relevante Beschäftigungsoption darstellen.
Abstract
The article examines recalls as a specific form of discontinuous employment in the process of public job placement and reintegration into the German labor market. Recall employment is the reinstatement of laid-off employees by a previous employer. The exploratory study investigates the conditions under which recall options are pursued in the process of job placement by public employment agencies, as well as the activities to promote or discard recall strategies and the expectations of unemployed persons regarding recalls in the placement process. As the data base for our qualitative secondary analysis, we used job placement interviews between job agents and unemployed persons that had been transcribed in full by the Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). The results show that unemployed persons consider recalls if there is still a relationship of trust with the former employer even after they have left the company und if they expect to gain competitive advantages through existing company contacts. Unemployed persons associated recall with the expectation of being able to escape unemployment more quickly and avoid financial losses. Limited employment alternatives also frequently led to recall options, especially when job agents believed that an unemployed worker’s prospects of recall to a previous employer were more promising than alternative offers. Generally, the results indicate that recall represents a relevant option in public employment agencies’ job placement processes on the German labor market.
1 Einleitung
Der Beitrag untersucht einen in der deutschen Arbeitsmarktforschung bislang weitgehend vernachlässigten diskontinuierlichen Beschäftigungsverlauf, der international als „Recall“ bezeichnet wird. Recalls sind Wiederbeschäftigungen von ehemaligen Arbeitskräften, die nach einiger Zeit erneut von ihrem früheren Arbeitgeber eingestellt werden. Sie stellen damit eine diskontinuierliche Form von Beschäftigung dar. Das zugrunde liegende Beschäftigungsmuster kann als eine Abfolge von Beschäftigungs-, Freisetzungs- und Wiederbeschäftigungszeiten der Arbeitskraft beim selben Betrieb beschrieben werden (Hense u.a. 2009; Liebig/Hense 2007; Mavromaras/Rudolph 1995, 1998).
Aus Sicht der Betriebe ist die Entscheidung für einen Recall in der Regel eingebettet in Strategien zur Flexibilisierung des Personalbestands (ausführlicher: Liebig/Hense 2007). Recalls sind demnach eine Form der extern-numerischen und extern-monetären Flexibilisierung, die in Zeiten betrieblicher Unterauslastung als Mittel zur Balancierung von Kostendruck und Humankapitalbedarf eingesetzt wird (Edler 2020; Hense u.a. 2009; Alt u.a. 1999). Bei einer betrieblichen Unterauslastung wird die Arbeitskraft durch den Betrieb entlassen bzw. nicht weiterbeschäftigt, um bei einer Erholung der wirtschaftlichen Lage erneut eingestellt zu werden. Durch die Freisetzungsphase[1] werden die betrieblichen Personalkosten reduziert, da in dieser Zeit keine Entgelte gezahlt werden (Edler 2020; Liebig/Hense 2007; Mavromaras/Rudolph 1995; Feldstein 1975, 1976, 1978). Aufgrund der Wiedereinstellung ermöglichen Recalls zudem, betriebsspezifisches Humankapital zu erhalten und betriebliche Investitionen in die Qualifizierung der Arbeitskräfte zu schützen. Im Vergleich zu Neueinstellungen haben Recalls für die Betriebe den Vorteil, dass die Arbeitskräfte die betrieblichen Prozesse und Arbeitsabläufe aus der vorherigen Beschäftigung bereits kennen und die Aufwendungen für eine Einarbeitung vermieden bzw. reduziert werden. Auch ist den Betrieben aus dem früheren Arbeitsverhältnis bekannt, welche Arbeitsleistungen von den Beschäftigten erwartet werden können. Damit wird das Transformationsproblem gemildert, d.h. die Transformation des im Arbeitsvertrag festgehaltenen Rechts auf Nutzung der Arbeitskraft in konkrete Arbeitsleistung nach Maßgabe der betrieblichen Anforderungen (Minssen 2023). Insgesamt kommt es also sowohl durch die Freisetzungsphase zu Kosteneinsparungen als auch durch die Wiedereinstellung.
Aus Sicht der Arbeitskräfte tragen diese das Finanzierungsrisiko zwischen den Beschäftigungen, da in dieser Zeit keine Arbeitsentgelte gezahlt werden und kein rechtlicher Anspruch auf eine Rückkehr in den Betrieb besteht (Mavromaras/Rudolph 1995, 1998). Die Finanzierung in der Freisetzungsphase kann durch Lohnersatzleistungen der Arbeitslosenversicherung oder Grundsicherung, eine alternative Beschäftigung oder aus Eigenmitteln erfolgen. Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der Grundsicherung sind an die Verfügbarkeit der Arbeitskraft für den Arbeitsmarkt gekoppelt, es muss also eine Bereitschaft zur Arbeitsvermittlung bestehen. Zudem liegt die Höhe der Sozialleistungen unter der bisher erzielten Vergütung, sodass für die Arbeitskräfte mit Blick auf das Lebensarbeitseinkommen ein Defizit entsteht (Edler 2020; Edler/Hense 2015).
Der bisherige Fokus der Forschung liegt auf den betrieblichen Rationalitäten der Recall-Nutzung und auf den Folgen dieser Beschäftigungsform für die Arbeitskräfte. Unerforscht ist bislang, welche Bedeutung die Option einer Wiederbeschäftigung im ehemaligen Betrieb für die öffentliche Arbeitsvermittlung hat. Die nachfolgende explorative Analyse geht dieser Frage im Rahmen einer qualitativen Sekundäranalyse (Medjedović 2014; Heaton 2008) nach. Hierzu wurden Interview- und Protokolldaten aus einem Projekt des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zur Evaluation der öffentlichen Arbeitsvermittlung (Hofmann u.a. 2010, 2012) sekundäranalytisch ausgewertet.
Die vorliegende Studie bezieht sich auf der Grundlage dieser Daten auf Erwerbspersonen, die während der Freisetzungsphase keiner Beschäftigung über 15 Stunden wöchentlich nachgehen und Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen. Das Forschungsinteresse liegt auf den Überlegungen, die im Prozess der öffentlichen Arbeitsvermittlung im Hinblick auf Recalls abgewogen werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen folgende Fragestellungen:
Unter welchen Bedingungen werden Recall-Optionen im Vermittlungsgespräch von Arbeitssuchenden und Vermittlungsfachkräften weiterverfolgt bzw. verworfen?
Welche Aktivitäten zur Förderung bzw. Beendigung einer Recall-Strategie lassen sich identifizieren?
Welche Erwartungen stellen die Arbeitssuchenden im Kontext der Arbeitsvermittlung an Recalls?
Ziel des Beitrags ist es, die Forschung um die Perspektive der öffentlichen Arbeitsvermittlung auf Recalls und die Bedeutung von Recalls für die Reintegration in den Arbeitsmarkt zu erweitern. Hierzu wird zunächst der diesbezügliche Forschungsstand wiedergegeben und problematisiert, welche Risiken und Aspekte bei dem Vermittlungsprozess zu berücksichtigen sind (2). Daraufhin werden die Daten und Methoden der Sekundäranalyse dargestellt (3). Die explorativen Ergebnisse geben Einblick in die Entstehungspfade von Recall-Optionen im Vermittlungsprozess (4.1), Aktivitäten zur Verfolgung oder Beendigung einer Recall-Strategie (4.2) sowie die Erwartungen, die Arbeitssuchende an Recalls stellen (4.3). Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst, die Grenzen der Studie diskutiert sowie weiterer Forschungsbedarf kenntlich gemacht (5).
2 Recalls und öffentliche Arbeitsvermittlung in Deutschland
Aufgrund der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik in Deutschland, bei der die schnelle Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit im Fokus steht, kann vermutet werden, dass Recall-Strategien von Betrieben und Arbeitslosen im Zuge der öffentlichen Arbeitsvermittlung unterminiert werden, da das Leitmotiv der Aktivierung dem Warten auf eine Wiederbeschäftigung widerspricht. Studien belegen allerdings, dass Recalls in Deutschland durchaus verbreitet sind und umgesetzt werden. So gingen im Zeitraum 1975–1990 in Westdeutschland rund 12 Prozent der Beschäftigungsaufnahmen nach einer Phase der Arbeitslosigkeit auf einen Recall zurück (Mavromaras/Rudolph 1995, 1997, 1998). Hense u.a. (2013) zeigten mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ferner, dass im Zeitraum 1998–2010 pro Jahr durchschnittlich 10 Prozent der Personen, die einen Beschäftigungswechsel aufwiesen, zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber zurückkehrten. Somit stellt die Rückkehr zu einem ehemaligen Arbeitgeber für Erwerbspersonen eine relevante Beschäftigungsoption dar. Auch für viele Betriebe sind Wiederbeschäftigungen eine bedeutsame Möglichkeit bei der Personalrekrutierung. So belegen Analysen von Linked-Employer-Employee-Daten des IAB (LIAB), dass im Zeitraum 1996–2001 rund 20 Prozent der deutschen Betriebe durchschnittlich ein bis zwei Recalls pro Jahr umsetzten (Hense u.a. 2009). Ebenso viele Arbeitgeber nutzten die Option der Wiederbeschäftigung noch deutlich intensiver: Jeweils 10 Prozent der Betriebe hatten durchschnittlich drei bis fünf bzw. über zehn Recalls pro Jahr.[2]
In den Erwerbsbiografien entstehen durch Recalls charakteristische Muster von Beschäftigung, Nichtbeschäftigung und Wiederbeschäftigung im selben Betrieb. Folglich haben die staatliche Arbeitslosenversicherung und die öffentliche Arbeitsvermittlung (Bähr/Marquardsen 2019; Sowa/Staples 2014, 2017) eine besondere Bedeutung für die Nutzung, Umsetzung und Verlaufsmuster dieser Beschäftigungsform. Denn aufgrund des Leistungsbezugs sowie des Vermittlungsdrucks im Gespräch bei den Arbeitsagenturen bestimmen sie mit, wie lange Erwerbspersonen auf einen Recall warten können, anstatt eine alternative Beschäftigung zu suchen (Nivorozhkin 2008; Hense u.a. 2013). In diesem Zusammenhang wird in der Literatur auch diskutiert, inwiefern die Lohnersatzleistungen als eine indirekte Subvention betrieblicher Flexibilisierungsstrategien in Form von Recalls dienen (Feldstein 1975, 1976). Des Weiteren hat sich gezeigt, dass die Erwartung eines Recalls durch die Arbeitssuchenden ebenfalls eine wichtige Einflussgröße im Vermittlungsprozess ist (Katz/Meyer 1990). Demnach weisen arbeitslose Erwerbspersonen bei einer erwarteten Wiederbeschäftigung so lange geminderte Suchaktivitäten auf, wie sie die Recall-Erwartung aufrechterhalten. Wenn sie die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses als realistisch sowie als bessere Alternative ansehen, steigt mit dieser Haltung auch der Reservationslohn, wodurch sie eher bereit sind, andere Arbeitsangebote auszuschlagen (Fujita/ Moscarini 2017; Nekoei/Weber 2015; Katz 1986; Feldstein 1975). Aufgrund dieser quantitativen Forschung ist anzunehmen, dass Arbeitssuchende und Vermittlungsfachkräfte die Option einer Wiederbeschäftigung im selben Betrieb im Rahmen der öffentlichen Arbeitsvermittlung thematisieren, gegenüber anderen Optionen der Beschäftigungsaufnahme abwägen und gegebenenfalls aushandeln. Während die quantitativen Analysen das Vermittlungsergebnis näher beleuchten und daraus Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Prozesse ziehen, nimmt die qualitative Sekundäranalyse die Vermittlungsgespräche selbst in den Blick und untersucht die Entstehungsprozesse von Recalls während der Freisetzungsphase im Kontext der öffentlichen Arbeitsvermittlung.
Hinsichtlich der Beurteilung von Recalls im Vermittlungsprozess ist zu bedenken, dass primär die Arbeitskraft die Risiken und Kosten einer Recall-Beschäftigung trägt. Sie hat in der Regel keine rechtliche Sicherheit auf eine Wiederbeschäftigung, und die Realisierung einer Recall-Option sowie ihr Zeitpunkt werden zumeist einseitig vom Betrieb bestimmt (Liebig/Hense 2007; Mavromaras/Rudolph 1995). Zusätzlich unterliegen die Arbeitslosen dem Reintegrationsdruck[3] der öffentlichen Arbeitsvermittlung, die die Bereitschaft zur Beschäftigungsaufnahme voraussetzt und die Nichtbereitschaft sanktionieren kann (Sowa/Staples 2014, 2017). Des Weiteren sind Einkommensvorteile, die sich für Recall-Beschäftigte im Vergleich zu neu eingestellten Beschäftigten ergeben (Edler/Hense 2015), in der Regel nicht ausreichend, um die langfristigen Einkommensverluste durch Arbeitslosigkeit oder längeres Warten auf einen Recall zu kompensieren (Edler/Hense 2015; Katz/Meyer 1990; Nivorozhkin 2008). Recalls sind vor diesem Hintergrund als riskante Strategie zu bewerten, bei der Arbeitgeber von der Wartebereitschaft ehemaliger Beschäftigter profitieren können, wenn sie die Recall-Erwartung durch unverbindliche Wiedereinstellungsversprechen stimulieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn Erwerbspersonen aufgrund der regionalen bzw. allgemeinen Arbeitsmarktsituation nur wenige Beschäftigungsalternativen haben und die Arbeitgeber ihre Verhandlungsmacht zu ihren eigenen Gunsten ausnutzen (Hense u.a. 2009; Mavromaras/Rudolph 1995, 1998; Feldstein 1975, 1976, 1978). Für die Erwerbspersonen, die im Spannungsfeld der Interessen von (ehemaligen) Arbeitgebern, der öffentlichen Arbeitsvermittlung und eigenen Recall-Erwartungen stehen, besteht die Herausforderung darin, die skizzierten Risiken abzuwägen.
Für die öffentliche Arbeitsvermittlung können Recall-Strategien von Arbeitslosen im Widerspruch zu den Prinzipien einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik stehen, die Arbeitslose zur aktiven Arbeitssuche motivieren und zur Eigeninitiative anleiten soll. Ein Warten auf einen Recall ist in diesem Vermittlungsprozess nicht vorgesehen (Sowa/Staples 2014, 2017) und wird erklärungsbedürftiger, wenn der tatsächliche (oder erwartete) Recall auf sich warten lässt.[4] Die Funktion der öffentlichen Arbeitsvermittlung wird demzufolge zum einen darin gesehen, Vermittlungsvorschläge entsprechend den Fähigkeiten und Interessen der Arbeitssuchenden zu unterbreiten sowie zwischen den Akteuren auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Zum anderen erfüllt sie eine Kontrollfunktion. Denn aus dem Leistungsanspruch ergeben sich für die Arbeitssuchenden auch Pflichten im Hinblick auf ihre Verfügbarkeit für die öffentliche Arbeitsvermittlung und die Aufnahme zumutbarer Beschäftigungsangebote.[5] Dies betrifft etwa die aktive Mitwirkungspflicht, Zeiten der Erwerbslosigkeit möglichst kurz zu halten, eigenverantwortlich nach Beschäftigungen zu suchen und ihre berufliche Leistungsfähigkeit den sich ändernden Arbeitsmarktanforderungen anzupassen (Sowa/Staples 2014, 2017; Theuer/Sowa 2014). Demnach ist anzunehmen, dass auch die Vermittlungsfachkräfte die Option einer Wiederbeschäftigung bei einem ehemaligen Arbeitgeber kritisch prüfen und entsprechend den Zielvorgaben bewerten. Oberste Maßgabe ist hierbei die zeitnahe Reintegration in den Arbeitsmarkt durch eine zumutbare Beschäftigungsaufnahme.
Die Arbeitsmarkt- sowie Sozialpolitikforschung kann bisher keine Ergebnisse dazu bieten, wie Erwerbspersonen und Vermittlungsfachkräfte in einer Vermittlungssituation mit den dargestellten Erwartungen, Chancen und Risiken einer Wiederbeschäftigung bei einem ehemaligen Arbeitgeber umgehen. Zudem liegen keine Erkenntnisse vor, wie und von wem innerhalb der „Blackbox“ öffentliche Arbeitsvermittlung (Sowa/Staples 2014) Recall-Erwartungen oder Recall-Optionen kommuniziert werden. Die Sekundäranalyse widmet sich dieser Forschungslücke und liefert erste Einblicke in die Überlegungen, die hinsichtlich der Nutzung, Umsetzung und Folgen eines Recalls im Zuge der öffentlichen Arbeitsvermittlung thematisiert werden.
3 Daten und Methode
Die Analyse stützt sich auf 23 von insgesamt 85 dokumentierten Vermittlungsfällen[6] aus der lAB-Evaluationsstudie zum Modellprojekt „Kunden aktivieren – Integrationsleistung verbessern“ der Bundesagentur für Arbeit.[7] Diese Erhebung fand bundesweit in 14 Agenturen von Oktober 2007 bis Juli 2008 statt (Hofmann u.a. 2010, 2012; Sowa/Krug 2012).[8] Das Datenmaterial besteht aus den dokumentierten Vermittlungsgesprächen zwischen der erwerbslosen Person und der Vermittlungsfachkraft und den im Anschluss an die Vermittlungsgespräche geführten Leitfadeninterviews der Primärforschenden mit den Vermittlungsfachkräften sowie den Erwerbslosen. Dies ermöglicht einerseits die Analyse von Recall-Strategien im Zuge der regulären Vermittlungspraxis, wie sie sich ohne Eingriff der Forschenden darstellt. Andererseits beschränkt sich das umfangreiche Material nicht auf die Beobachtung von Prozessen der Arbeitsvermittlung, sondern erfasst zudem die Erwerbsbiografien der Arbeitssuchenden, ihre Erfahrungen mit unterschiedlichen Arbeitgebern und Beschäftigungsbedingungen sowie ihre Erfahrungen mit Recalls. Zudem beinhalten die Interviews jeweils eine Einschätzung der bisherigen Erwerbsbiografie sowie der Arbeitsmarktchancen und Vermittlungsperspektiven aus der Sicht der Arbeitssuchenden und der Vermittlungsfachkräfte. Darüber hinaus enthalten die Unterlagen ergänzende Informationen der Forschenden zur Körpersprache der Personen im Vermittlungsgespräch, zu besonderen Vorkommnissen und zu Dokumenten, die in das Vermittlungsgespräch zusätzlich eingeführt wurden. Dadurch konnten sich die Sekundärforschenden ein umfassendes Bild von der Vermittlungssituation machen.
Für die Sekundäranalyse standen pseudonymisierte Transkripte[9] in digitaler Form in Schriftdeutsch zur Verfügung. Aus dem Datenkorpus der Primärstudie wurden diejenigen Fälle über eine rekursive Schlüsselwortsuche (z.B. ehemalig, Rückkehr, saisonal, vormalig) herausgefiltert, in denen ein Recall oder eine Recall-Option thematisiert wurden. Des Weiteren wurden anhand sich neu ergebender Schlüsselwörter aus den bereits identifizierten Fällen (z.B. Wirtschaftskrise, vorübergehend, kurzzeitig) weitere passende Fälle für die Sekundäranalyse identifiziert. Recalls sind in den 23 untersuchten Fällen (siehe Tabelle 1) ein geschlechter-, bildungs- und branchenübergreifendes Phänomen. In besonderem Maße sind männliche Erwerbspersonen im verarbeitenden Gewerbe, im Bau und in der Logistik betroffen.[10] Die Samplestruktur spricht insgesamt für ein typisches Sample bei der Untersuchung von Recalls auf dem deutschen Arbeitsmarkt (Edler u.a. 2018; Edler/Hense 2015; Hense u.a. 2009, 2013).
Übersicht über das sekundäranalytische Sample
Nr | Fall | Geschlecht | Schulabschl. | Berufsabschl. | Branche | Letzte Anstellung | Beend. letzte Beschäftig. | Recallerfahrung |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | 10 | Mann | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | Baunebengewerbe | Bauhelfer | betriebsbedingte Kündigung | wiederholend |
2 | 18 | Mann | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | verarbeitendes Gewerbe | Schweißer | betriebsbedingte Kündigung | wiederholend |
3 | 3 | Mann | Abitur | betriebl. Ausbildung | techn. Dienstleistungen | Zweiradmechaniker | fristlose Kündigung in Probezeit | |
4 | 7 | Mann | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | techn. Dienstleistungen | Hausmeister | eigene Kündigung | |
5 | 34 | Mann | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | Baunebengewerbe | Baumaschinenführer | betriebsbedingte Kündigung | |
6 | 6 | Mann | Hauptschule | betriebl. Ausbildung | Transport | Aushilfskraftfahrer | betriebsbedingte Kündigung | einmalig |
7 | 12 | Mann | Hauptschule | ohne | Transport | Kraftfahrer | betriebsbedingte Kündigung | |
8 | 17 | Mann | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | verarbeitendes Gewerbe | Kommissionierer | betriebsbedingte Kündigung | wiederholend |
9 | 21 | Mann | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | verarbeitendes Gewerbe | Techniker | eigene Kündigung | |
10 | 24 | Mann | Hauptschule | betriebl. Ausbildung | Baunebengewerbe | Elektroinstallateur | eigene Kündigung | wiederholend |
11 | 45 | Mann | Abitur | Studium | Medien | Freiberufler Marketing | Aufgabe vor überg. Selbstständigkeit | |
12 | 48 | Mann | Abitur | Studium | verarbeitendes Gewerbe | Konstrukteur | Insolvenz | einmalig |
13 | 38 | Mann | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | techn. Dienstleistungen | Kfz-Mechaniker | betriebsbedingte Kündigung | |
14 | 49 | Mann | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | Baunebengewerbe | Gartenbauhelfer | betriebsbedingte Kündigung | |
15 | 6 | Mann | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | techn. Dienstleistungen | Kfz-Mechaniker | betriebsbedingte Kündigung | |
16 | 29 | Frau | Abitur | betriebl. Ausbildung | Entsorgung | kaufmännische Angestellte | Kündigung aus Krankheit | |
17 | 5 | Frau | Abitur | betriebl. Ausbildung | Versicherung | Bürokauffrau | betriebsbedingte Kündigung | |
18 | 22 | Frau | Abitur | betriebl. Ausbildung | Leiharbeit | Bürokauffrau | betriebsbedingte Kündigung | wiederholend |
19 | 23 | Frau | Abitur | betriebl. Ausbildung | Exporthandel | Bürokauffrau | betriebsbedingte Kündigung | |
20 | 1 | Frau | Hauptschule | betriebl. Ausbildung | Einzelhandel | Filialleiterin | betriebsbedingte Kündigung | |
21 | 44 | Frau | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | Großhandel | Großhandelskauffrau | betriebsbedingte Kündigung | einmalig |
22 | 50 | Frau | mittl. Reife | betriebl. Ausbildung | verarbeitendes Gewerbe | Mitarbeiterin in der Produktion | Insolvenz | einmalig |
23 | 14 | Frau | mittl. Reife | schulische Ausbildung | sportliche Dienstleistungen | Trainerin | Vertrags ablauf nach Befristung |
Um die unterschiedlichen Erfahrungen und Orientierungen im Hinblick auf Recalls bei den Erwerbslosen und den Vermittlungsfachkräften herausarbeiten zu können, wurde als Auswertungsmethode das thematische Kodieren nach Flick (2006) gewählt. Dieses basiert auf einer komparativen Einzelfallanalyse und ist besonders für Fragestellungen und daraus hervorgehende Interviewdaten konzipiert, die bereits von vornherein strukturiert sind. Dies trifft auf die Leitfadeninterviews zu, die nach einheitlich vorgegebenen Themen erfolgten und somit vergleichbar, gleichzeitig aber ausreichend offen waren, sodass die Befragten eigene Relevanzen setzen konnten. Ebenso hatten die dokumentierten Vermittlungsgespräche eine sich wiederholende formale und thematische Struktur.
Den Ausgangspunkt der Sekundäranalyse bildeten die Fallbeschreibungen der Primärforschenden, die kurze Charakterisierungen der betroffenen Personen, zentrale Themen und typische Aussagen in den Interviews umfassten. In die Fallbeschreibungen wurden die Vermittlungsgespräche sowie die Interviews mit den Arbeitssuchenden und den Vermittlungsfachkräften einbezogen. In einem zweiten Schritt wurde das gesamte empirische Material eines Falls entlang der Fragestellung kodiert. Daran anschließend wurden in einem dritten Schritt die einzelnen Fälle nach inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten geclustert und einem Gruppenvergleich unterzogen, um spezifische Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten zu können.
4 Explorative Ergebnisse: Recalls in der öffentlichen Arbeitsvermittlung
Die Ergebnisdarstellung erfolgt entlang der eingangs skizzierten Fragestellungen zu den (a) Bedingungen zur Weiterverfolgung von Recall-Optionen im Vermittlungsprozess, (b) Aktivitäten zur Umsetzung von Recalls und (c) erwarteten bzw. erfahrenen Folgen von Recalls für die Erwerbspersonen.
4.1 Entstehungspfade der Recall-Option im Vermittlungsprozess
In 17 der 23 untersuchten Fälle wurde eine Wiederbeschäftigung bei einem ehemaligen Arbeitgeber als Option in den Vermittlungsprozess einbezogen. In 9 der 23 Fälle berichteten Erwerbslose über Recall-Erfahrungen in ihrer Berufsbiografie. In keinem der beobachteten Fälle gab es nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine rechtliche Sicherheit für eine Wiederbeschäftigung beim ehemaligen Betrieb, beispielsweise in Form eines bereits unterschriebenen formalen Arbeitsvertrags oder einer schriftlichen Wiederbeschäftigungszusage.
Mit Blick auf die Entscheidungsfindung, ob eine Recall-Option im Vermittlungsgespräch verfolgt wird, lassen sich fünf Entstehungspfade identifizieren, die jeweils mit typischen Ankerbeispielen veranschaulicht werden:
Recalls werden als Vermittlungsoption in Betracht gezogen, wenn sich Beschäftigte und Arbeitgeber aufgrund eines konjunkturellen Rückgangs getrennt haben und eine Wiederbeschäftigung seitens der arbeitslosen Personen bei verbesserter wirtschaftlicher Lage als realistisch eingeschätzt wird.
„Also eine betriebsbedingte Kündigung haben Sie erhalten … Mhm. Gibt es irgendeine Möglichkeit, dass Sie wieder dort eingestellt werden, wenn die Auftragslage besser ist?“ [Vermittlerin] „Wenn die Auftragslage besser ist, denke ich mal, also in den nächsten acht Wochen nicht. Wenn sich da merklich was verbessert, dann werde ich auch wieder eingestellt.“
Aushilfskraftfahrer, Nr. 6, Fall 6
Charakteristisch für diesen Entstehungspfad ist, dass die Recall-Option aufkommt, wenn die Freisetzung auf externe Gründe (z.B. konjunkturelle Lage) zurückzuführen ist, die das Vertrauensverhältnis zwischen Erwerbspersonen und Arbeitgebern nicht belasten. Bei einer Änderung dieser externen Einflüsse (z.B. infolge einer verbesserten wirtschaftlichen Situation) kann folglich erneut eine Arbeitsbeziehung aufgenommen werden.
Recall-Optionen ergeben sich aus biografischen Erfahrungen, wenn Arbeitslose in ihrem Erwerbsverlauf bereits positive Recall-Erfahrungen sammeln konnten, d.h. eine oder mehrere Wiederbeschäftigungen erfolgreich realisieren konnten.
„[…] hatten da ein bisschen mehr, hatten zu viel Arbeit und dann immer, wenn zu viel Arbeit war, haben die mich wiedereingestellt und dann wieder gekündigt, dann wiedereingestellt, so habe ich dann ein bisschen Zeit überbrückt.“
Elektroinstallateur, Nr. 10, Fall 24
Das Vertrauen, dass eine Wiederbeschäftigung möglich und akzeptabel ist, ist auch hier entscheidend für das Entstehen einer Recall-Option. Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel resultiert das Vertrauen jedoch aus Erfahrungswerten, die in der eigenen Vergangenheit gesammelt wurden und den aktuellen Orientierungsrahmen prägen. Da Recalls nicht rein hypothetisch bleiben, ist das Risiko einer ausbleibenden Wiederbeschäftigung vermutlich geringer als beim ersten Pfad.
Leiharbeit befördert sich wiederholende und wiederkehrende Recall-Erfahrungen, da Leiharbeitskräfte bei ausbleibenden Aufträgen oftmals vom Verleihbetrieb freigesetzt werden. Eine Wiederbeschäftigung erfolgt, wenn neue Aufträge bei den Verleihbetrieben eingehen.
„Bei der nächsten Zeitarbeitsfirma hat’s eigentlich, ja besser geklappt, hab zwar auch öfter mal ne Kündigung bekommen, wenn mal ein Einsatz beendet war, obwohl wir eigentlich dort gebraucht wurden, also die Leute wollten zurzeit eben niemanden fest einstellen und waren eigentlich sicher, dass wir wieder antanzen, weil niemand anders die Arbeit gemacht hat.“
Bürokauffrau, Nr. 18, Fall 22
Das erfahrungsbasierte Vertrauen in eine Wiederbeschäftigung tritt auch hier deutlich hervor. Zudem zeigt sich, dass Recalls genutzt werden, wenn den Arbeitskräften Alternativen zur Leiharbeit fehlen, sodass sie einen verringerten Entscheidungsspielraum haben.
Wenn alternative Arbeitgeber im unmittelbaren regionalen Umfeld fehlen oder Arbeitsmarkthemmnisse in Form fehlender Qualifikationen oder gesundheitlicher Einschränkungen bestehen, welche die Flexibilität für andere Beschäftigungsoptionen beschränken, werden Recall-Optionen in Betracht gezogen.
„Also ich gehe davon aus, dass er wieder eingestellt wird beim Arbeitgeber, davon ausgehend, was er heute erzählt hat … ansonsten glaube ich, dass seine Chancen recht schlecht stehen, besonders wegen des saisonalen Arbeitsmarktes, aber natürlich in erster Linie, weil er nicht mobil ist, weil er keinen Führerschein hat.“
Vermittlungsfachkraft über Gartenbauhelfer, Nr. 14, Fall 49
Dass Recalls für manche Personen nicht die beste, aber die bestmögliche Beschäftigungsoption darstellen, wird in denjenigen Fällen deutlich, in denen strukturelle Bedingungen des Arbeitsmarkts oder individuelle Hemmnisse der eigenen Person die Beschäftigungsmöglichkeiten einschränken. Vor diesem Hintergrund sind Recalls für einige Erwerbspersonen sogar die einzige Möglichkeit, eine Arbeitsmarktintegration zu erreichen. Der Mangel an Arbeitsmarktchancen kann bei diesen „Randgruppen“ des Arbeitsmarkts durch die Vertrautheit des Arbeitgebers mit der Arbeitskraft gemindert werden, da im Betrieb durch Erfahrungswerte Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Arbeitskraft aufgebaut wird.
Nicht verfolgt werden bestehende Recall-Optionen, wenn die Wiederbeschäftigung für die arbeitslosen Personen mit einem Statusverlust zur Vorbeschäftigung verbunden wäre oder die Wiederbeschäftigung erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge hätte.
„Dann habe ich die Firma gewechselt in den Kanalbau. Auch da kamen wieder Umstrukturierungen, die dann folgender Art aussahen, die Firma hat umgestellt von praktisch Festangestellten auf Leiharbeiter. Das hieß praktisch, mir wurde angeboten, ich könne in der Leihfirma anfangen, und das habe ich dankend abgelehnt, weil das kenne ich von meiner Frau, dass man dann nur noch das letzte Rad am Wagen ist und so ausgenutzt wird. Schlechte Bezahlung, wird hin und her geschubst, keine festen Verträge, und so weiter.“
Baumaschinenführer, Nr. 5, Fall 34
„Gastronomie macht unheimlich viel Spaß, aber man verdient leider kein Geld. Also ich habe mich bei meinem alten Arbeitgeber erkundigt, der würde mich mit Kusshand auch gern nehmen, aber das Bruttogehalt liegt ziemlich da, was ich jetzt zum Schluss netto verdient habe. Und ich bin alleinerziehend, ich habe eine Eigentumswohnung, die bezahlt werden muss.“
kaufmännische Angestellte, gelernte Hotelfachfrau, Nr. 16, Fall 29
Insgesamt zeigt sich also, dass Recall-Optionen zum einen dann in Betracht gezogen werden, wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgebern und ehemaligen Beschäftigten aufgebaut bzw. nicht beschädigt wurde. Zum anderen werden Recalls im Kontext eingeschränkter alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten in Vermittlungsgesprächen erörtert.
4.2 Aktivitäten der arbeitslosen Personen und der Vermittlungsfachkräfte zur Umsetzung von Recalls
Für die tatsächliche Realisierung eines Recalls ist die Entwicklung einer konkreten Recall-Strategie maßgeblich. Diese ist zum einen an den Bewerbungsaktivitäten der arbeitslosen Personen zu erkennen. Zum anderen hängt die konkrete Verfolgung einer Recall-Option entscheidend von der Unterstützung und Förderung dieser Beschäftigungsmöglichkeit durch die Vermittlungsfachkräfte ab.
Auf Seiten der Arbeitslosen zeigt sich die Entwicklung einer Recall-Strategie an ihrer aktiven Kontaktaufnahme zu früheren Arbeitgebern. So hatten sich acht Arbeitssuchende des Samples bereits vor dem ersten Vermittlungsgespräch bei der Agentur für Arbeit mit dem ehemaligen Betrieb in Verbindung gesetzt, um ihre Recall-Chancen zu erhöhen. Dass knapp die Hälfte derjenigen, die einen Recall in Betracht ziehen, eine solche frühe Suchaktivität entwickelten, spricht für die Attraktivität dieser Bewerbungsoption.
Die Kontaktaufnahme erfolgte zum einen auf der Grundlage von persönlichen Kontakten zu ehemaligen Arbeitskolleginnen und -kollegen, die die Arbeitssuchenden auf freie Stellen aufmerksam machten oder die als Insider von den Arbeitssuchenden angesprochen wurden.
„[…] dann hat glücklicherweise ein ehemaliger Arbeitskollege mir Bescheid gegeben, dass wieder Leute eingestellt werden. Und dann habe ich mich halt beworben, und war auch sehr schnell dann da eingeladen und hat dann auch schnell geklappt.“
Schweißer, Nr. 2, Fall 18
Zum anderen wendeten sich die Arbeitssuchenden auch direkt an ehemalige Arbeitgeber, die sie in guter Erinnerung hatten und bei denen sie sich eine Wiederbeschäftigung erhofften. Die Kontaktaufnahme konnte dabei sowohl aufgrund einer Stellenausschreibung als auch als Kaltakquise erfolgen. Mit einer solchen Kaltakquise wurde die Erwartung verbunden, informiert zu werden, wenn eine freie Stelle zu besetzen sei.
„Und zwar habe ich über die Internetseite von meinem früheren Arbeitgeber gesehen, dass er jetzt wohl scheinbar einen Mitarbeiter sucht … hab ihn dann gleich angerufen.“
Zweiradmechaniker, Nr. 3, Fall 3
„Ach oder so Firmen, die man halt schon kennt über die Zeit, wo man jetzt gearbeitet hat, . die einen guten Eindruck gemacht haben.“
Elektroinstallateur, Nr. 10, Fall 24
Insgesamt wird deutlich, dass die bereits bestehende gegenseitige Bekanntheit den Arbeitssuchenden Bewerbungsvorteile bringt, da sie die Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme verbessert. Dies kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn die Kontaktierung aus dem Betrieb heraus von ehemaligen Arbeitskolleginnen und -kollegen, der Personalabteilung oder ehemaligen Vorgesetzten stattfindet. Eine Recall-Strategie ist für die Arbeitslosen folglich einfacher zu verfolgen als alternative Bewerbungsaktivitäten. Trotz dieser Wettbewerbsvorteile hängt der Recall von der Verfügbarkeit passender Jobangebote ab.
Auf Seiten der Vermittlungsfachkräfte hängt die aktive Förderung von Recall-Strategien von den Berufsfeldern, dem Grund des Beschäftigungsendes und der zu erwartenden Zeitspanne bis zum Recall ab. Damit orientieren sie sich zum einen an den zu erwartenden Arbeitsmarktchancen der Arbeitslosen in ihrem Berufsfeld bzw. beim vorherigen Arbeitgeber. Zum anderen werden sie bei der Bewertung der zu erwartenden Zeitspanne von den Kriterien der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik beeinflusst.
Die Beurteilung der Arbeitsmarktchancen im Berufsfeld der arbeitslosen Personen zeigt sich beispielsweise im Handwerk: Gehören die Arbeitssuchenden diesem Berufsfeld an, das in der Regel gut vernetzt ist, dann sprechen die Vermittlungsfachkräfte Recall-Optionen selbst aktiv an und verfolgen diese Möglichkeit im Vermittlungsprozess engagiert. Bei Arbeitssuchenden aus Handwerksberufen, deren Anstellungen witterungs- oder auftragsbedingt beendet wurden, ist der Recall sogar das primäre Vermittlungsziel, das von Seiten der Vermittlungsfachkräfte aktiv unterstützt wird.
„[…] wenn da genau ein Maurer kommt oder ein Zimmermann, dann haben die Wiedereinstellungszusagen, sind natürlich viel schneller. […] also, wenn ich schon immer im Handwerk war, dann werde ich da mal nachfragen gehen also, dass oftmals die Möglichkeiten gar nicht gesehen werden, weil man nicht die Einblicke hat … Man lernt auch von den Arbeitslosen mit, ja. Die man einfach weitergeben kann, aufgrund dass wir natürlich jeden Tag sowas machen.“
Vermittlungsfachkraft zu Elektroinstallateur, Nr. 10, Fall 24
Vergleichbares gilt bei Arbeitssuchenden, die aufgrund konjunktureller Schwankungen ihr Beschäftigungsverhältnis beenden mussten. Auch hier werden Recall-Optionen von den Vermittlungsfachkräften aktiv thematisiert. Dies betrifft insbesondere Arbeitslose aus Branchen, die von konjunkturellen Schwankungen in der Regel früh betroffen sind (z.B. verarbeitendes Gewerbe, Transportgewerbe) und bei denen die Vermittlungsfachkräfte eine Wiederbeschäftigung bei erstarkender Konjunktur als realistisch bewerten. Gleiches ist im Hinblick auf Beschäftigtengruppen zu beobachten, bei denen die Vermittlungsfachkräfte gute Erfahrungen mit der Wiederbeschäftigung gemacht haben, sodass sie diesem Vermittlungsziel in ähnlichen Fällen eine hohe Priorität einräumen und es fördern.
„Weil das ist ja oftmals so, dass man gerade, wenn man wenige Aufträge zu tun hat, dass man wegen Arbeitsmangel gekündigt wird, aber dass man die Option hat, beispielsweise nach zwei Monaten die Option hat, wenn man dann einen neuen Großauftrag in Aussicht hat, dass man dann wiedereingestellt wird, deshalb frage ich einfach.“
Vermittlungsfachkraft zu Kfz-Mechaniker, Nr. 13, Fall 38
Anders verhält es sich, wenn die Vermittlungsfachkräfte die Zeitspanne bis zu einem erwarteten Recall als zu lang bewerten, sodass neue Arbeitsmarkthemmnisse und möglicherweise Qualifikationsverluste zu erwarten sind. In diesen Fällen kommunizieren die Vermittlungsfachkräfte klar, dass ein Verbleib im Leistungsbezug ohne Bewerbungsinitiativen auf zumutbare Vermittlungsvorschläge nicht möglich ist. Auch wenn die Arbeitslosen eine Wiederbeschäftigung verfolgen und diese als realisierbar ansehen, müssen sie in der Wartephase der Vermittlung zur Verfügung stehen, sich auf zumutbare Vermittlungsverschläge bewerben und diese im Erfolgsfall auch annehmen. Zwar sind im Vergleich zum Rechtskreis des Zweiten Sozialgesetzbuchs (SGB II) die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den erwerbslosen Personen begrenzt, bei der Ablehnung einer Eingliederungsmaßnahme oder bei unzureichenden Eigenbemühungen kann aber auch hier Sanktionierung in Form einer Sperre des Leistungsbezugs erfolgen. In der vorliegenden explorativen Studie kam es nicht zu Sanktionen gegenüber den Erwerbslosen. In einem Fall erfolgte jedoch ein Hinweis auf die aktive Mitwirkungspflicht zur Beendigung der Arbeitslosigkeit, mit der das Abwarten auf einen ungewissen Recall nicht vereinbar sei.
„Okay. Also für Sie steht’s fest, Sie wollen das machen, der Arbeitgeber möchte Sie auch wiedereinstellen, und für Sie kommt auch keine Alternative in Frage. Dann müssen wir natürlich in der Zwischenzeit gucken, was wir zwischenzeitlich mit Ihnen machen. Denn ein halbes Jahr ist natürlich eine ganze Weile, und das jetzt einfach so verstreichen lassen und darauf warten … das können wir nicht machen!“
Vermittlungsfachkraft zu Gartenbauhelfer, Nr. 14, Fall 49
Mit Blick auf die aktive Förderung von Recall-Strategien bleibt insgesamt festzuhalten, dass Recall-Optionen von den Vermittlungsfachkräften in der Regel als ergänzende Möglichkeiten angesehen werden. Eine Bevorzugung dieser Strategie ergibt sich aufgrund bisheriger positiver Erfahrungen mit Recalls in bestimmten Berufsfeldern. Ferner steigt die Unterstützungsbereitschaft, wenn die Chancen für eine Reintegration in den Arbeitsmarkt bei einem Recall besonders aussichtsreich erscheinen. Trotz positiver Anzeichen für die Realisierung eines Recalls richtet sich der Fokus grundsätzlich auf aktuell vorliegende und zumutbare Vermittlungsvorschläge. Entsprechend der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik werden die Arbeitslosen an ihre Mitwirkungspflicht erinnert, was die Arbeitssuchenden in ihrer Recall-Strategie restringiert.
4.3 Erwartete und erfahrene Folgen von Recalls für die Arbeitssuchenden
Die Arbeitssuchenden verbinden mit einer Wiederbeschäftigung bei einem ehemaligen Arbeitgeber vor allem die Erwartung, die Dauer der Arbeitslosigkeit zu reduzieren oder die Arbeitslosigkeit insgesamt zu umgehen.
„[…]sie hat mich dann angerufen und hat mir gesagt, was denn los ist, die waren in diesem einen Monat sehr zufrieden mit mir und ob ich nicht zurückkommen will … Ja, das war eigentlich ganz gut, und dann habe ich gesagt, ja klar, bevor ich arbeitslos bin!“
Großhandelskauffrau, Nr. 21, Fall 44
Aus ähnlichen Überlegungen nutzen Arbeitssuchende Recalls, um die finanziellen Einbußen durch Arbeitslosigkeit abzuschwächen und um Zeiten, in denen sie anderenfalls arbeitslos wären, zu überbrücken, bis sie wieder eine Anstellung mit einer längerfristigen Beschäftigungsperspektive in Aussicht haben.
„[…] ja war ich auch ein bisschen arbeitslos wieder, und dann bin ich zu der Firma wieder, wo ich gelernt hab. Also die hatten dann so einen Auftrag im Ausland, hatten da ein bisschen mehr, zu viel Arbeit, und dann immer, wenn zu viel Arbeit war, haben sie mich eingestellt, dann wieder gekündigt, dann wiedereingestellt, so habe ich dann bisschen Zeit überbrückt.“
Elektroinstallateur, Nr. 10, Fall 24
Des Weiteren versprechen sich die Arbeitslosen von einem Recall einen Vorteil gegenüber anderen Bewerberinnen und Bewerbern, da sie den Betrieb bereits kennen und ggf. auch auf persönliche Kontakte zu Entscheidungsträgerinnen und -trägern in den Betrieben zurückgreifen können.
„Ich denke, gut, ich sag jetzt mal, wie ich Unternehmen, wo ich schon tätig war und die einen kennen, und in dem Bereich such ich dann. Das geht schon gut, vor allem, wenn die dann mit einem zufrieden waren. Da würde das dann schon die besten Voraussetzungen haben sowas dann.“
Zweiradmechaniker, Nr. 3, Fall 3
Wenn Arbeitssuchende sich dagegen entscheiden, einen Recall als Vermittlungsoption zu verfolgen, geben sie als Gründe erwartete Statusverluste im Betrieb, finanzielle Einbußen sowie die Erwartung einer wiederholten Kurzzeitbefristung an. In Krisenzeiten werden derartige Schlechterstellungen akzeptiert, sofern die Arbeitslosen davon ausgehen, ihre Arbeitslosigkeit mit einem Recall früher zu beenden und so deutlich höhere finanzielle Einbußen durch den Bezug von Lohnersatzleistungen zu verhindern.
Zusammenfassend zeigt unsere explorative Studie, dass arbeitslose Personen von Recalls insbesondere eine schnelle Rückkehr in eine Anstellung erwarten. Dabei rechnen sie damit, im Bewerbungs- und Einstellungsprozess eine Besserstellung gegenüber anderen zu erfahren, die keine vergleichbaren Vorerfahrungen im Betrieb haben. Gleichzeitig werden auch die Risiken von Recalls gesehen. Bei Fehlen von Alternativen am Arbeitsmarkt werden diese jedoch in Kauf genommen.
5 Zusammenfassung und Diskussion
Ziel unseres Beitrags war es, die Thematisierung, Problematisierung und Bewertung von Recall-Optionen in der öffentlichen Arbeitsvermittlung aus der Perspektive der Arbeitssuchenden sowie der Vermittlungsfachkräfte zu beleuchten. Für unsere qualitative Sekundäranalyse werteten wir Vermittlungsfälle aus, bei denen Recalls als Option oder bisherige berufsbiografische Erfahrungen thematisiert wurden. Im Mittelpunkt standen drei Fragestellungen, die auf die Entstehungspfade von Recall-Optionen, Aktivitäten zur Umsetzung von Recall-Strategien und die Erwartungen an Recalls abzielten.
Hinsichtlich der Entstehungspfade von Recall-Optionen im Prozess der Arbeitsvermittlung zeigt sich, dass Recalls insbesondere dann in Betracht gezogen werden, wenn das Vertrauensverhältnis mit dem ehemaligen Arbeitgeber über das Ende der vormaligen Beschäftigung hinweg nicht beschädigt wurde. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beendigung konjunkturbedingt erfolgte, die Vorbeschäftigung im Kontext von Leiharbeit stand oder bereits positive Erfahrungen der Wiederbeschäftigung in diesem Betrieb vorlagen. Zudem führten fehlende oder eingeschränkte Beschäftigungsalternativen auf dem Arbeitsmarkt dazu, dass die Wiederbeschäftigung bei einem früheren Betrieb innerhalb der Vermittlungsgespräche an Relevanz gewann. In diesen Fällen konnte auch eine aktive Förderung von Recalls durch die Vermittlungsfachkraft beobachtet werden, sofern in dem Berufsfeld positive Erfahrungswerte mit Wiederbeschäftigungen vorlagen oder die Chancen für eine Reintegration in den Arbeitsmarkt hoch eingeschätzt wurden.
Die Initiative für einen Recall ging in der Regel von den Arbeitssuchenden aus, die sich entweder auf informelle Absprachen mit dem ehemaligen Arbeitgeber oder bestehende Kontakte zum ehemaligen Betrieb bezogen. Mit dem Recall war seitens der Arbeitslosen die Erwartung verbunden, die Arbeitslosigkeit schneller beenden und finanziellen Einbußen entgegenwirken zu können. Diese von den Arbeitslosen oftmals als Konkurrenzvorteil betrachteten Verbindungen wurden von den Vermittlungsfachkräften unter dem primären Ziel der Reintegration in den Arbeitsmarkt durch zeitnahe Beschäftigungsaufnahme bewertet. So wurde der Recall von der Vermittlungsfachkraft dann gefördert, wenn positive Erfahrungen für spezifische Berufsfelder zur erfolgreichen Realisierung von Recalls vorlagen oder keine andere zumutbare Beschäftigungsalternative verfügbar war. Anderenfalls wurden alternative, aktuell vorliegende und zumutbare Vermittlungsoptionen prioritär verfolgt. Entsprechend der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, auf welche sich dieses Verhalten der Vermittlungsfachkräfte stützt, wurden die Arbeitslosen auf ihre Mitwirkungspflicht hingewiesen.
In Anbetracht dieser Ergebnisse kann nicht davon ausgegangen werden, dass Recalls aus der Perspektive der öffentlichen Arbeitsvermittlung in einem Widerspruch zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik stehen. Denn die schnelle Reintegration in den Arbeitsmarkt wurde von den Vermittlungsfachkräften als oberste Zielsetzung prioritär verfolgt. Die Recall-Option wurde dieser Zielsetzung untergeordnet und nur dann einbezogen, wenn sie der Zielsetzung dienlich erschien. Da in dieser Sekundäranalyse lediglich die Vermittlungsgespräche, jedoch nicht die Vermittlungsergebnisse beleuchtet wurden, lassen sich keine Aussagen zu Vermittlungserfolgen und -konsequenzen machen. Stattdessen ermöglicht der Einblick in den Prozess der Arbeitsvermittlung, besser zu verstehen, wie es überhaupt dazu kommt, dass Recalls als Vermittlungsstrategie in Betracht gezogen und weiterverfolgt bzw. verworfen werden. Kritisch zu berücksichtigen ist, dass angesichts des Datenmaterials kaum kontrolliert werden kann, inwiefern sich in den Daten sozial erwünschtes Verhalten niederschlägt. So ist es möglich, dass Arbeitssuchende gegenüber den Vermittlungsfachkräften eine Präsentationsfassade errichten, da sie während des Leistungsbezugs auf deren Kooperationsbereitschaft angewiesen sind. Die transkribierten Einzelinterviews mit den Arbeitssuchenden ließen zwar eine Überprüfung dieser Annahme in einem Setting zu, in dem die Verwaltungsfachkraft nicht anwesend war. Da die Interviews dennoch in der Arbeitsagentur stattfanden, ist eine Beeinflussung durch die institutionelle Rahmung jedoch nicht auszuschließen. Folgestudien sollten daher die Erfolgsaussichten, die Arbeitssuchende mit Recalls verbinden, sowie die konkreten Aktivitäten zur Umsetzung einer Recall-Strategie in Einzelinterviews außerhalb der Arbeitsagentur erheben.
Verschiedene quantitative Studien wiesen bereits darauf hin, dass Recalls eine besondere Relevanz im Kontext konjunktureller und saisonaler Schwankungen haben. Auch in unserer Studie zeigen sich hierfür deutliche Evidenzen. So gibt es einerseits eine Häufung von Recalls bei konjunkturellen Schwankungen und andererseits bei spezifischen Berufsgruppen und Branchen, die saisonalen Zyklen unterliegen. In der bisherigen Forschung wird insbesondere in den Arbeiten von Feldstein (1978) davon ausgegangen, dass die Arbeitslosenleistungen eine indirekte betriebliche Subvention darstellen und Recalls als betriebliche Strategie fördern. Für diese Annahme, dass die wohlfahrtsstaatliche Absicherung in Form des Leistungsbezugs von Arbeitslosengeld I für die Realisierung von Recalls ausgenutzt wird, finden sich in unserem empirischen Material keine Hinweise. Zu beachten ist, dass die Interviews im Kontext der öffentlichen Arbeitsvermittlung stattfanden; es ist denkbar, dass die Arbeitssuchenden Details zur eigenen Motivlage und zu informellen Absprachen mit dem ehemaligen Betrieb nicht kommuniziert haben. So bleibt die Frage offen, ob und inwieweit ein Zusammenhang zwischen dem Anspruch der Arbeitskraft auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der betrieblichen Entscheidung für einen Recall besteht. Dies liegt u.a. auch daran, dass in unserer Untersuchung die betriebliche Perspektive nicht berücksichtigt wurde. Für zukünftige Forschung wäre somit zu klären, ob und inwiefern Recalls zwischen Arbeitskräften und Arbeitgebern kommuniziert und ausgehandelt werden und wie sich informelle Absprachen ggf. ausgestalten. Insbesondere im Kontext von konjunktur- und saisonbedingtem Personalabbau und Personalaufbau könnten durchaus strategische Aspekte und Routinen seitens der Arbeitskräfte sowie der Betriebe bestehen, worauf einzelne Studien zu Saisonarbeit und Recalls hindeuten.
Nicht im Datensatz enthalten sind ferner Personen im Langzeitarbeitslosengeldbezug (SGB II), für die sich die Vermittlungsprozesse möglicherweise anders gestalten, da größere Wiedereingliederungshemmnisse bestehen, die Kontakte zum ehemaligen Arbeitgeber länger her sind und die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit stärker zum Tragen kommen. Des Weiteren wurde die Freisetzungsphase auch für alle diejenigen nicht beobachtet, die eine neue Anstellung gefunden haben, ohne dass sie bei der Agentur für Arbeit vorstellig wurden, und für Personen, die sich nicht der Vermittlung stellten. Insgesamt verweist unsere Studie darauf, dass Recalls auch im Kontext der öffentlichen Arbeitsvermittlung verhandelt werden. Die Arbeitsmarktforschung sollte dem Rechnung tragen und das Phänomen Recall, dessen Ausgestaltungen und Implikationen für die beteiligten Akteure eingehender untersuchen.
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