Subjektivierung der Arbeit in a Nutshell
-
Jasmin Schreyer
Zusammenfassung
Im sozialwissenschaftlichen Diskurs und den medialen Debatten wird die Covid-19-Pandemie zunehmend als disruptive Kraft in Bezug auf die Digitalisierung der Arbeitswelt wahrgenommen. Während dabei vor allem die Möglichkeit von Homeoffice thematisiert wird, steht im Zentrum unseres Artikels die situative Be-Arbeitung dieses Wandels durch die Beschäftigten im Zuge betrieblicher Reorganisation – mit seinen sichtbaren mittel- und ggf. langfristigen Folgen für die zukünftige Gestaltung von Arbeit. Der Beitrag zeichnet diese Zusammenhänge anhand eines qualitativen Panels nach: Seit dem ersten Lockdown wurden wiederholt Interviews mit Führungskräften unterschiedlicher Branchen geführt, um ihre laufend reflektierten Perspektiven zu erheben. Dabei zeigt sich: Einerseits greift Subjektivierung als struktureller Prozess des instrumentellen Zugriffs der Organisation auf Subjektpotenziale und damit auf den ganzen Menschen ins Leere. Andererseits ermöglicht die Subjektivierung von Arbeit als spontaner und selbstorganisierter Prozess erst die erfolgreiche Be-Arbeitung der Herausforderungen durch die Pandemie. Sichtbar wird in der Pandemie eine Art ‚Kontingenzkompetenz‘ der Beschäftigten, die im Nachgang von den Unternehmen wieder integriert und zur Erwartung im Sinne einer strukturellen Subjektivierung werden könnte.
Abstract
In social science discourse and media debates, the Covid-19 pandemic is increasingly described as a disruptive power in regards of the digitalization of labor. While especially the possibilities of home office are addressed within those debates, our article is instead focusing on the concrete and situational re-working of this change by the employees in the course of operational reorganization – including the visible mid-term and possibly long-term consequences for the future design of work. This article portrays those relations in the perspective of managers within different sectors, collected through a qualitative panel. It is shown that the pandemic suspends the structural process of subjectification, while spontaneous subjectification plays a central part in the handling of the pandemic. In the course of this there is a development of contingency competence among the employees, which the corporations want to re-integrate and make it part of structural subjectification.
Literatur
Bauer, H., F. Böhle, C. Munz, S. Pfeiffer, P. Woicke (2006): Hightech-Gespür. Erfahrungsgeleitetes Arbeiten und Lernen in hochtechnisierten Arbeitsbereichen. Bielefeld: W. BertelsmannSearch in Google Scholar
Böhle, F. (2017): Arbeit als Subjektivierendes Handeln. Handlungsfähigkeit bei Unwägbarkeiten und Ungewissheit. Wiesbaden: Springer VS10.1007/978-3-658-14983-3_3Search in Google Scholar
Böhle, F., B. Milkau (1988): Vom Handrad zum Bildschirm. Eine Untersuchung zur sinnlichen Erfahrung im Arbeitsprozeß. Frankfurt, New York: CampusSearch in Google Scholar
Böhle, F., M. Weihrich (Hg.) (2009): Handeln unter Unsicherheit. Wiesbaden: VS10.1007/978-3-531-91674-3Search in Google Scholar
Böhle, F., A. Bolte, J. Neumer, S. Pfeiffer, S. Porschen, T. Ritter, S. Sauer, D. Wühr (2011): Subjektivierendes Arbeitshandeln – „Nice to have“ oder ein gesellschaftskritischer Blick auf „das Andere“ der Verwertung?; in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, 4, 4, 16– 2610.1007/978-3-658-14983-3_62Search in Google Scholar
Clegg, S., J. Vieira da Cunha, M. Pina e Cunha (2002): Management Paradoxes: A Relational View; in: Human Relations, 55, 483–50310.1177/0018726702555001Search in Google Scholar
Frodermann, C., P. Grunau, G. Haas, D. Müller (2021): Nutzung, Hindernisse und Zukunftswünsche. IAB-Kurzbericht 5/2021. Nürnberg. http://doku.iab.de/kurzber/2021/kb2021-05.pdfSearch in Google Scholar
Glaser, B., A. Strauss (1998): Grounded Theory: Strategien qualitativer Forschung. Bern: Huber10.1024/1012-5302.19.4.260aSearch in Google Scholar
Hirsch-Kreinsen, H. (2018): Das Konzept des Soziotechnischen Systems – revisited; in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, 11, 2, 11–28Search in Google Scholar
Kirchner, S., W. Matiaske (2020): Plattformökonomie und Arbeitsbeziehungen ‒ Digitalisierung zwischen imaginierter Zukunft und empirischer Gegenwart; in: Industrielle Beziehungen. Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management, 27, 105–11910.3224/indbez.v27i2.01Search in Google Scholar
Kuhlmann, M., S. Rüb (2020): Wirkmächtige Diskurse – betriebliche Auseinandersetzungen um Digitalisierung; in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, 13, 1, 22–39Search in Google Scholar
Matuschek, I. (2016): Industrie 4.0, Arbeit 4.0 – Gesellschaft 4.0? Eine Literaturstudie. Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studien_02-2016_Industrie_4.0.pdfSearch in Google Scholar
Matuschek, I., F. Kleemann (2018): Mensch und Technik revisited – zum sich verändernden Stellenwert von Informalität im Prozess der Digitalisierung; in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, 11, 2, 58–74Search in Google Scholar
Mergener, A. (2020): Homeoffice in Deutschland: Zugang, Nutzung und Regelung; Ergebnisse aus der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018. Bonn: BIBB. https://bibbdspace.bibb.de/rest/bitstreams/3cc59c2a-abf2-40bc-9e9c-ecee1b0e8228/retrieveSearch in Google Scholar
Moldaschl, M., G. G. Voß (Hg.) (2002): Subjektivierung von Arbeit. München und Mering: HamppSearch in Google Scholar
Pfeiffer, S. (2004): Arbeitsvermögen. Ein Schlüssel zur Analyse (reflexiver) Informatisierung. Wiesbaden: VS10.1007/978-3-322-80561-4Search in Google Scholar
Pfeiffer, S. (2015): Warum reden wir eigentlich über Industrie 4.0? Auf dem Weg zum digitalen Despotismus; in: Mittelweg 36, 24, 14–36Search in Google Scholar
Pfeiffer, S. (2020a): Kontext und KI: Zum Potenzial der Beschäftigten für Künstliche Intelligenz und Machine-Learning; in: HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik, 57, 465–47910.1365/s40702-020-00609-8Search in Google Scholar
Pfeiffer, S. (2020b): Die die Last tragen – Beschäftigte in kritischen Infrastrukturen (KRITIS) und systemrelevanten Berufen. Nürnberg: FAU Erlangen-NürnbergSearch in Google Scholar
Pfeiffer, S. (2021): Digitalisierung als Distributivkraft. Über das Neue am digitalen Kapitalismus. Bielefeld: transcript10.1515/9783839454220Search in Google Scholar
Piderit, S. (2000): Rethinking Resistance and Recognizing Ambivalence: A Multidimensional View of Attitudes toward an Organizational Change; in: The Academy of Management Review, 25, 783–79410.2307/259206Search in Google Scholar
Pongratz, H. J., G. G. Voß (1997): Fremdorganisierte Selbstorganisation. Eine soziologische Diskussion aktueller Managementkonzepte; in: Zeitschrift für Personalforschung, 11, 30–5310.1177/239700229701100102Search in Google Scholar
Sauer, S. (2017): Wertschätzend selbst organisieren. Wiesbaden: Springer10.1007/978-3-658-15509-4Search in Google Scholar
Sauer, S. (2020): Die Paradoxien von Selbstorganisation und Anerkennung – am Beispiel Agilität; in: S. Porschen-Hueck, M. Jungtäubl, M. Weihrich (Hg.): Agilität? Herausforderungen neuer Konzepte der Selbstorganisation. Augsburg: Hampp, 151–162Search in Google Scholar
Sauer, S., A. Bolte (2020): Erfahrungsbasiertes Kontextwissen: Organisationale Grenzen unterwandern statt überschreiten; in: R. Knackstedt, K. Kutzner, M. Sitter, I. Truschkat (Hg.): Grenzüberschreitungen im Kompetenzmanagement. Trends und Entwicklungsperspektiven. Heidelberg: Springer, 75–8710.1007/978-3-662-59543-5_6Search in Google Scholar
Smith, W., M. Lewis (2011) Toward a theory of paradox: a dynamic equilibrium model of organizing; in: Academy of Management Review, 36, 381–40310.5465/AMR.2011.59330958Search in Google Scholar
Stadelbacher, S., F. Böhle (2016): Selbstorganisation als sozialer Mechanismus der reflexivmodernen Herstellung sozialer Ordnung? Zur gesellschaftlichen Verortung von Selbstorganisation und ihre theoretisch-konzeptuelle Bestimmung; in: F. Böhle (Hg.): Subjekt – Handeln – Institution. Weilerswist: Velbrück, 324–35610.5771/9783845280936-325Search in Google Scholar
Strauss, A., J. Corbin (1996): Grundlagen der qualitativen Sozialforschung. Weinheim und Basel: UnionsverlagSearch in Google Scholar
Thommen, J. (2018): Organisationaler Wandel in Krisenzeiten; in: T. Knecht, U. Hommel, H. Wohlenberg (Hg.): Handbuch Unternehmensrestrukturierung. Wiesbaden: Springer, 715–73810.1007/978-3-658-04116-8_21Search in Google Scholar
Weick, K., R. Quinn (1999): Organizational Change and Development; in: Annual Review of Psychology, 50, 361–38610.1002/9780470753408.ch10Search in Google Scholar
Wilkesmann, M., S. Steden, M. Schulz (2018): Industrie 4.0 – Hype, Hope oder Harm?; in: Arbeit, 27, 129–15010.1515/arbeit-2018-0011Search in Google Scholar
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Editorial
- Editorial: Überleben im Büro?
- Arbeitsorganisation
- Von Tür zu Tür im Pandemie-Modus
- Subjektivierung der Arbeit in a Nutshell
- Kontaktlos Kennenlernen
- Care-Arbeit und soziale Ungleichheiten
- Die Gegenwart der Krise als Erosion unternehmerischer Zukünfte
- Nach der Krise ist vor der Krise ist in der Krise …
- „Helden“ oder Arbeiter*innen?
- Verfestigte Klassenungleichheiten
- Arbeits- und Gesundheitsschutz und Interessenvertretung
- Die Coronapandemie: Gesundheitliche Ungleichheit und betriebliches Krisenmanagement
- Handlungsstrategien von Unternehmen und Beschäftigten in Zeiten von Corona
- Entgrenzte Flexibilität im Homeoffice
- Interessenpolitik in der Corona-Krise
- Die Re-Regulierung der Schlachthofarbeit in der Corona-Krise
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Editorial
- Editorial: Überleben im Büro?
- Arbeitsorganisation
- Von Tür zu Tür im Pandemie-Modus
- Subjektivierung der Arbeit in a Nutshell
- Kontaktlos Kennenlernen
- Care-Arbeit und soziale Ungleichheiten
- Die Gegenwart der Krise als Erosion unternehmerischer Zukünfte
- Nach der Krise ist vor der Krise ist in der Krise …
- „Helden“ oder Arbeiter*innen?
- Verfestigte Klassenungleichheiten
- Arbeits- und Gesundheitsschutz und Interessenvertretung
- Die Coronapandemie: Gesundheitliche Ungleichheit und betriebliches Krisenmanagement
- Handlungsstrategien von Unternehmen und Beschäftigten in Zeiten von Corona
- Entgrenzte Flexibilität im Homeoffice
- Interessenpolitik in der Corona-Krise
- Die Re-Regulierung der Schlachthofarbeit in der Corona-Krise