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Zum Wortschatz des Hospital des fols incurables (1620) von François de Clarier und dessen Bedeutung für die französische Sprache der Vorklassik

  • Volker Mecking
Veröffentlicht/Copyright: 27. Juni 2008
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Zeitschrift für romanische Philologie
Aus der Zeitschrift Band 120 Heft 1

Mit der nun vorliegenden Übersetzung des Hospidale de' pazzi incurabili (1586) ins Französische durch François de Clarier steht nun ein außergewöhnlich interessanter und bisher sprachhistorisch unbeachteter Text zur Verfügung. Der Theologe, Prediger und Augustinermönch Tomaso Garzoni (?–1589) stammte aus Bagnacavallo in der oberitalienischen Provinz Ravenna [Vorwort, 7], wobei über seine Vita nur wenige gesicherte Informationen vorliegen. Das Hospidale de' pazzi incurabili wurde vermutlich während eines Aufenthaltes in Treviso (Oberitalien) verfasst und 1586 in Venedig gedruckt [7]. Die zeitgenössische Rezeption war ausgesprochen positiv, und 12 Auflagen erschienen in kurzem Abstand im Laufe von nur dreißig Jahren. In diesem Werk wird in insgesamt 31 Kapiteln (discorso) eine populärwissenschaftliche Klassifizierung der diversen, zur damaligen Zeit bekannten Formen der Geisteskrankheiten vorgenommen, die thematisch je nach Temperament und als krankhaft eingeschätztem Verhalten der Patienten gegliedert ist [8]. Angesiedelt ist die Handlung in einer fiktiven Krankenanstalt, die in verschiedene Abteilungen und Zellen, die jeweils mit Emblemen verstehen sind, aufgeteilt ist [8], wobei es sich hier lediglich um eine literarische Fiktion handelt. Die Kranken sind bemerkenswerterweise von der Öffentlichkeit getrennt und in Zellen gesperrt [10]. Das Buch ist Bernardino Paterno, einem namhaften Gelehrten und Arzt der damaligen Zeit gewidmet, der an den Universitäten Pisa, Padua und Pavia dozierte [11]. Die Trennung zwischen Kranken und der «gesunden» Bevölkerung ist mentalitätsgeschichtlich insofern bedeutsam, als das Buch eine strikte soziale Trennung beider Kategorien propagiert [12], während diese Kranken in anderen Literaturen dieser Epoche noch gesellschaftliche Integration genossen [10–11]. Bei Garzoni wird der Kranke jedoch gleichzeitig zum Gegenstand der Erheiterung und der Faszination [15]. Garzoni verfügte höchstwahrscheinlich lediglich über ein begrenztes medizinisches Halbwissen [16–17] und dürfte nach dem heutigen Forschungsstand auch nicht mehr unkritisch als Vorreiter der modernen Psychiatrie betrachtet werden [18], wie dies bisher oft vertreten wurde. Im Hospidale […] werden übrigens nicht nur Patienten, die psychiatrische Zustände erleiden, dargestellt, sondern auch Geisteskrankheiten, die strictu sensu nicht auf dauerndem Ausfall des geistigen Vermögens beruhen [20], wie z. B. bei gesellschaftlichen Außenseitern und ausgeprägten Eigenbrötlern. Auch die bisher unterstellte Originalität des Buches ist heute zu relativieren, da ein beachtlicher Teil der vom Autor verwendeten Quellen und Vorlagen bereits identifiziert wurde [21–24], wobei besonders die Officina des Joannes Ravisius Textor (Paris 1520) zu erwähnen ist, die massiv verwertet wurde. Im Hospidale […] überzeugen und gefallen die lebendige Darstellung der volkstümlichen Charaktere, die souverän beherrschte Spannweite der sprachlichen Register, der latente satirische Unterton sowie die Lebendigkeit der Szenen aus dem Alltag, die oft im volkstümlichen Milieu wie Gasthäusern und Bauernhöfen, aber auch an Schule und Universität angesiedelt sind [30]. Das Buch hatte nicht nur in Italien, sondern auch im europäischen Ausland einen nachhaltigen Erfolg, der u. a. mit dem Gedankengut der Gegenreformation erklärbar ist [41], die in diesen unruhigen Zeiten alles Andersartige nicht nur im religiösen Bereich grundsätzlich mit Argwohn betrachtete. Bei der hier erschienenen Textausgabe wird die italienische Erstausgabe von 1586 wiedergegeben, die noch zu Lebzeiten des Autors beim Drucker Gian Battista Somascho in Venedig in quarto erschien [43]. Insgesamt zehn Ausgaben erschienen bis 1617, davon vier noch im Erscheinungsjahr [43].

Online erschienen: 2008-06-27
Erschienen im Druck: 2004-February-13

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2004

Artikel in diesem Heft

  1. De Notícia de Torto. Aspectos paleográficos e scriptográficos e edição do mais antigo documento particular português conhecido
  2. Zum Wortschatz des Hospital des fols incurables (1620) von François de Clarier und dessen Bedeutung für die französische Sprache der Vorklassik
  3. Sobre la génesis del diccionario académico. Las Ordenanzas de Sevilla como fuente de material léxico en el Diccionario de Autoridades
  4. Grammatica e dintorni
  5. Per un'indagine etimologica che non si affidi solo a somiglianze esterne bensì alla fonetica e alla storia della cultura. Proposte nuove per bullo ‘spaccone’
  6. Werner Krauss, Briefe von 1922 bis 1976, ed. Peter Jehle, unter Mitarbeit von Elisabeth Fillmann und Peter-Volker Springborn
  7. Eddy Roulet/Laurent Filliettaz/Anne Grobet, avec la collaboration de Marc Burger, Un modèle et un instrument d'analyse de l'organisation du discours
  8. Catherine Détrie, Du sens dans le processus métaphorique
  9. Nunzio La Fauci, Forme romanze della funzione predicativa. Teorie, testi, tassonomie
  10. Gian Vincenzo Pinelli/Claude Dupuy, Une correspondance entre deux humanistes, Édition avec introduction, notes et index par Anna Maria Raugei
  11. Altfranzösisches Wörterbuch, Tobler-Lommatzsch, Band XI, Faszikel 92 (vonjement–zure)
  12. Françoise Laurent, Plaire et édifier. Les récits hagiographiques composés en Angleterre aux XIIe et XIIIe siècles
  13. Pierre Ruelle (ed.), Recueil général des Isopets, vol. 4: Les Fables d'Eude de Chériton
  14. Géralde Nakam, Les «Essais» de Montaigne, miroir et procès de leur temps. Témoignage historique et création littéraire, Édition revue, corrigée et mise à jour avec une préface inédite
  15. Mechtild Bierbach, Grundzüge humanistischer Lexikographie in Frankreich. Ideengeschichtliche und rhetorische Rezeption der Antike als Didaktik
  16. Monika Sokol, Das Zusammenspiel der Verbalkategorien und die französischen Futura
  17. Marco Piccat, La versione occitana dello Pseudo Turpino. Ms. Londra B. M. Additional 17920
  18. Isolde J. Jordan, Characteristics and Functions of Direct Quotes in Hispanic Fiction. A Linguistic Analysis
  19. Dan Munteanu (con la colaboración de Sidney M. Joubert), El Papiamento, lengua criolla hispánica
  20. Eva Martha Eckkrammer, Literarische Übersetzung als Werkzeug des Sprachausbaus: am Beispiel Papiamentu
  21. Ottavio Lurati, Per modo di dire … Storia della lingua e antropologia nelle locuzioni italiane ed europee
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