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Karl Ganser (1937 – 2022)

  • Udo Mainzer
Published/Copyright: November 9, 2022
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Am 21. April 2022 verstarb 84-jährig Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Karl Ganser in seinem Heimatdorf Breitenthal nahe Ulm, wo er nach drei Jahrzehnten ungewöhnlich erfolgreicher Berufstätigkeit in Nordrhein-Westfalen 2000 in dem ländlichen Anwesen seiner Vorfahren seinen Alterswohnsitz genommen hatte. Am 15. September 1937 im bayerischen Mindelheim geboren, zog er mit seinen Eltern, einem Zeitungsredakteur und einer Bäuerin, vierjährig in das Kirchdorf Nattenhausen, das seit 1978 zu Breitenthal gehört, um dort eine unbeschwerte Kind- und Jugendzeit zu verbringen. Nach der Realschule in Krumbach und Abitur auf dem Gymnasium in Günzburg begann Ganser ein Studium der Biologie, Geografie und Chemie an der Technischen Universität München, die ihn 1964 mit seiner Dissertation Eine sozialgeographische Gliederung der Stadt München nach Wahlergebnissen. Möglichkeiten einer sozialräumlichen Gliederung von Städten aufgrund der Verhaltensweisen der Bevölkerung bei politischen Wahlen zum Dr. rer. nat. promovierte. Anschließend wirkte er als Assistent am Geografischen Institut der dortigen Technischen Hochschule und wechselte 1967 als Projektleiter zum Stadtentwicklungsreferat der Landeshauptstadt München, wo er unter anderem bei der Olympia-Planung beteiligt war. Mit einer Untersuchung über das regionale Pendlersystem habilitierte er sich 1970 an Technischen Universität München mit der Arbeit Sozialgeographische Analyse regionaler Mobilitäten. Der tägliche Arbeitsweg. Obwohl 1975 dort zum außerordentlichen Professor ernannt, strebte Ganser keine Hochschulkarriere an, nachdem er bereits zuvor 1971 einem Ruf als Direktor des Instituts für Landeskunde in Bonn gefolgt war. Dieses hatte er mit dem benachbarten Institut für Raumordnung zur Bundesanstalt für Landeskunde und Raumordnung zusammengeführt.

In dieser Funktion begegnete ihm Christoph Zöpel, der mit Inkrafttreten des ersten nordrhein-westfälischen Denkmalschutzgesetzes 1980 für den Denkmalschutz und die Denkmalpflege zuständige Minister. Er berief Ganser 1981 als Ministerialdirigent zum Abteilungsleiter in sein neu gegründetes Ministerium für Landes- und Stadtentwicklung. Die Denkmalpflege, die bis dahin im Kultusministerium ressortierte, sah diese neue Zuordnung zunächst äußerst kritisch, doch wurde sie schon bald eines Besseren belehrt, da sie sich namentlich dank Karl Ganser als großer Glücksfall erweisen sollte. Denn für ihn galt in engem Schulterschluss mit seinem Alter Ego Christoph Zöpel (oder war es umgekehrt?) die Maxime, Denkmalpflege sei ein Gebot vernünftigen Handelns, da sie eine der ältesten Verhaltensweisen von Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung darstelle und deshalb auch aus volkswirtschaftlichen Erwägungen sinnvoll sei. Die schon in seiner Dissertation vernehmbare sozial- und gesellschaftsrelevante Betrachtungsweise sollte sich auch für den Denkmalschutz und die Denkmalpflege durchaus als vorteilhaft ausweisen.

 Karl Ganser vor dem Augsburger Gaswerk, für dessen Erhaltung er sich nachhaltig engagiert hat.

Karl Ganser vor dem Augsburger Gaswerk, für dessen Erhaltung er sich nachhaltig engagiert hat.

Ganser verstand es zuzuhören. Bei ihm fand die Meinung von Fachleuten Gehör und von fundierten Argumenten ließ er sich gerne überzeugen. Als besonnenem und ideenreichem Mediator gelang es ihm regelmäßig, in kontroversen Interessenslagen die Denkmale nicht als Verlierer dastehen zu lassen, sondern ihnen durch nicht selten unorthodoxe Lösungen eine tragfähige Erhaltung zu sichern. Beispielhaft seien dazu aufgerufen das Staatenhaus im Bereich der Kölner Messe, das von wirtschaftlichen Begehrlichkeiten arg bedrängt war und heute als Ausweichquartier für die von Bauskandalen geplagte Oper dient, oder die expressionistische Fassade des Stadions in Wuppertal-Elberfeld. Und in Kamp-Lintfort hat er dem devastierten, neben Sanssouci einzigen barocken Terrassengarten in Deutschland zu einer glanzvollen Wiederauferstehung verholfen. Zahlreichen Siedlungen eröffnete er eine nachhaltige Überlebenschance.

Seinen vitalen Einsatz für eine Vielzahl von Denkmalen im Rheinland und in Westfalen hat Ganser seit 1989 als Direktor in der von ihm initiierten Internationalen Bauausstellung Emscher Park (IBA) mit ihren 120 Projekten nicht nur fortgesetzt, sondern neben der Rückgewinnung von Naturräumen hauptsächlich den großen Bauwerken der Industriekultur gewidmet. Seiner Phantasie und visionären Sichtweise verdanken insbesondere der Duisburger Innenhafen, der Gasometer in Oberhausen, die Jahrhunderthalle in Bochum, der Landschaftspark Duisburg-Nord mit dem einstigen Stahlwerk, der Nordstern-Park in Gelsenkirchen mit der früheren Zeche, vor allem aber die Zeche und Kokerei Zollverein in Essen, dass sie nicht rigoros abgeräumt wurden, sondern in eine für die Gesellschaft gewinnbringende Zukunft überführt werden konnten. Für letztere hat er erfolgreich die Aufnahme in die UNESCO-Liste des kulturellen Welterbes betrieben, wie er auch die Voraussetzungen für die Ruhrtriennale und die Qualifizierung des Ruhrreviers als Europäische Kulturhauptstadt geschaffen hat.

Ganser war ein erklärter Förderer der Planungs- und Wettbewerbskultur, auf deren Grundlage nicht nur meist industrielle Denkmalkomplexe erhalten und oftmals zu kulturellen Zwecken umgenutzt wurden, sondern auch innovative neue Architektur entstand wie beispielsweise die Fortbildungsakademie Mont-Cenis in Herne oder der Wissenschaftspark Rheinelbe in Gelsenkirchen. In gleicher Weise kam es zu einer optischen und ästhetischen Aufwertung der Industriebrachen durch Kunstwerke, die als Landmarken von deren Transformation künden und sich zugleich als Touristenattraktionen etablierten. Auch hatte Ganser seit 2003 als Leiter des Fördervereins die Bundesstiftung Baukultur maßgeblich mit auf den Weg gebracht, bis sie schließlich 2007 errichtet werden konnte.

Mit dem Wechsel vom Ministerium zur IBA war auch eine Veränderung im äußeren Erscheinungsbild von Ganser verbunden: Der Dreiteiler aus grauem Zwirn mit weißem Hemd und Krawatte wich zunehmend Sporthose und -schuhen samt hellem Hemd, eingehüllt in üppige farbige Seidenschals, die dann irgendwie zu seinem Markenzeichen gerieten. Dem auch in dieser Hinsicht unkonventionellen Generalisten wurde für seine beispiellose Tatkraft 1995 der Ehrentitel »Bürger des Ruhrgebiets« verliehen. Anlässlich des Finales der IBA 1999 würdigte Bundespräsident Johannes Rau Karl Ganser »als den Architekten des neuen Ruhrgebiets«, ein herausragendes Verdienst, das die Ruhruniversität Bochum im gleichen Jahr mit der Verleihung der Würde eines Dr. h. c. honorierte. Und Roland Günter feierte in seiner Lebensbeschreibung Karl Ganser. Ein Mann setzt Zeichen. Eine Planer-Biografie mit der IBA in der Metropole Ruhr. Essen 2010 diesen als den »bedeutendsten Denkmalschützer des Jahrhunderts«. Eine besondere, gewissermaßen sein Lebenswerk umfassende Ehrung erfuhr Ganser, als ihm 2003 der Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen zuerkannt wurde.

Auch wenn völlig zu Recht in den bisherigen Nachrufen die überragenden Leistungen des einstigen IBA-Direktors im Vordergrund stehen, so verbindet sich mit Karl Ganser als den für Denkmalschutz und Denkmalpflege im NRW-Ministerium verantwortlichen Abteilungsleiter die Erinnerung an ungemein fruchtbare Jahre für denkmalpflegerisches Agieren. Seine großen Meriten im Bereich von Denkmalschutz und Denkmalpflege fanden 1997 ihre angemessene Würdigung in der Verleihung des Schinkel-Ringes, der höchsten Auszeichnung, die das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz zu vergeben hat. Seine Erfolge resultierten wesentlich aus der Zusammenschau Gansers, der die Denkmalpflege in einer engen Vernetzung mit Baukultur, Stadt- und Regionalplanung sowie Umweltschutz betrieb. Sein Denken und Handeln in solchen komplexen Zusammenhängen nahm der BUND Bayern 2007 zum Anlass, ihm den Bayerischen Naturschutzpreis zuzuerkennen.

Karl Ganser war ein charismatischer Mensch, der stets mit bewundernswerter Energie und Umsicht beharrlich seine Ziele verfolgte, womit er nicht immer den Beifall politischer Würdenträger und von Unternehmensfürsten fand. Auch hatten manche seine programmatische Philosophie des »Wandel ohne Wachstum« nicht verstanden, die gerade in heutiger Zeit von höchster Aktualität ist. Er vermochte es, mit seinen fast immer frei gehaltenen Vorträgen und Statements Zuhörende zu faszinieren und als begnadeter Menschenfänger seine Gesprächspartner für sich einzunehmen.

Gansers Eintritt in den Ruhestand 1999 bedeute keineswegs das Ende seines Tatendrangs für die Erhaltung von Baudenkmalen. Exemplarisch dafür ist erwähnenswert, dass er 2001 als Gutachter bei der Erhaltung, Instandsetzung und Nutzung der Sayner Hütte in Bendorf am Mittelrhein mit ihrer kathedralhaften Gießhalle aus dem frühen 19. Jahrhundert gefragt war. Und schon bald galt sein Engagement dem weitläufigen, 2001 stillgelegten Gaswerk in Augsburg vom Beginn des 20. Jahrhunderts, das auf Grund seines Einsatzes von einem Abbruch verschont blieb und vornehmlich zu kulturellen und touristischen Angeboten umgewidmet wurde.

Bei allen außerordentlichen Verdiensten, etlichen Auszeichnungen und Ehrungen, die Ganser zuteilwurden, adelte ihn eine beeindruckende Bescheidenheit, die letztlich wohl dem Stolz auf seine bäuerliche Verwurzelung entsprang und die alle Ignoranz gebärende Arroganz missbilligte, wie sie derzeit viel zu oft anzutreffen ist. Wir Denkmalpfleger*innen denken nicht nur dankbar und mit Bewunderung an die gemeinsamen Jahre mit ihm zurück, sondern vermissen insbesondere in der heutigen Zeit eine Persönlichkeit mit analytisch klugem Kopf, wie er sie so überzeugend verkörperte. In den zahlreichen baulichen und landschaftlichen Monumenten sowie seinen vielen Publikationen, die von seinem umfassenden Schaffen zeugen, lebt er unmittelbar erfahrbar und zugleich inspirierend fort. Und mit einem durch die Stiftung Deutscher Architekten geförderten Habilitationsprojekt sollen auf der Grundlage des Nachlasses von Karl Ganser neue Perspektiven auf sein Wirken für die jüngere Entwicklung der Architektur und des Städtebaus des Ruhrgebiets aufgezeigt werden, eine respektable Hommage, die das Gedenken an diesen visionären Denkmalretter wachzuhalten verspricht.

  1. Abbildungsnachweis

    Picture alliance/Sueddeutsche Zeitung Photo/Stefan Puchner

Published Online: 2022-11-09
Published in Print: 2022-11-25

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany

Downloaded on 31.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/DKP-2022-2019/html?lang=en
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