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Machtspiele Die Psychologie des politischen Dramas in Schillers Don Karlos

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Psyche - Seele - anima
Ein Kapitel aus dem Buch Psyche - Seele - anima
Machtspiele Die Psychologie des politischen Dramas in Schillers Don Karlos von Peter-André Alt (Bochum) 1. „In seinen Thaten malt sich der Mensch"1 Die Faszinationskraft der politischen Geschichte „Niemand", vermerkt Jean Paul in der Vorschule der Ästhetik (1804), „hat nach Shakespeare so sehr als Schiller ... die historische Ausein-andersetzung der Menschen und Taten so kräftig zu einem tragischen Phalanx zusammengezogen, welcher gedrängt und keilförmig in die Herzen einbricht"2. Diese bildmächtige Charakteristik erfaßt zwei Aspekte, die Schiller selbst bei der Bearbeitung geschichtlicher Dramen-stoffe immer wieder bedacht und systematisch durchleuchtet hat: die Ökonomie der Tragödie mit ihrem Prinzip der von Hegel so genannten „Kollision"3 individueller Handlungsabsichten und das wirkungstechni-sche Kalkül, das zur Inszenierung historischer Sujets das psychologische Interesse an der Anatomie großer Leidenschaften treten läßt. Schillers vielbeschworenes Theatertemperament, in dem Goethe auch die Rudi-mente einer Lust am Schrecken wirken sah, entfaltet sich dort am besten, wo die Balance beider Darstellungsebenen gelingt. Bekanntlich behandeln Schillers Geschichtsdramen bevorzugt Über-gangs- und Umbruchphasen, politische und soziale Ausnahmezustände, Krisen, Kriege und Revolten4. Hinter dieser Neigung, die sich schon im Fiesko (1783) bekundet, steht die Intention, dem Zuschauer das drama-tische Individuum im Moment konkreter Gefährdung durch Interessen-kollisionen, Rechtsunsicherheit und Gewalt an Extrempunkten seiner historischen Bewährung vor Augen zu führen. Weil Schiller mehr als nur die Erklärung singulärer sozialer Konfliktmuster anstrebt, muß er Stoffe ' Schiller an den Prinzen von Augustenburg (13. 7. 1793), in: Werke, National-ausgabe, begr. von J. Petersen, fortgeführt von L. Blumenthal und B. von Wiese, hrsg. im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik und des Schiller-Nationalmuseums Marbach von N. Oellers, Weimar 1943ff., Bd. 26, 263 (künftig unter Angabe von Band und Seitenzahl als „NA" zitiert). 2 Jean Paul, Sämtliche Werke, hrsg. von N. Miller, München 1959ff., Bd. 1,5,397. 3 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik IH, in: Werke, hrsg. von E. Moldenhauer/K.M. Michel, Frankfurt/M. 1986, Bd. 15,524. 4 Vgl. W. Müller-Seidel, Verschwörungen und Rebellionen in Schillers Dramen, in: A. Aurnhammer u.a. (Hrsg.), Schiller und die höfische Welt. Tübingen 1990, 422ff.

Machtspiele Die Psychologie des politischen Dramas in Schillers Don Karlos von Peter-André Alt (Bochum) 1. „In seinen Thaten malt sich der Mensch"1 Die Faszinationskraft der politischen Geschichte „Niemand", vermerkt Jean Paul in der Vorschule der Ästhetik (1804), „hat nach Shakespeare so sehr als Schiller ... die historische Ausein-andersetzung der Menschen und Taten so kräftig zu einem tragischen Phalanx zusammengezogen, welcher gedrängt und keilförmig in die Herzen einbricht"2. Diese bildmächtige Charakteristik erfaßt zwei Aspekte, die Schiller selbst bei der Bearbeitung geschichtlicher Dramen-stoffe immer wieder bedacht und systematisch durchleuchtet hat: die Ökonomie der Tragödie mit ihrem Prinzip der von Hegel so genannten „Kollision"3 individueller Handlungsabsichten und das wirkungstechni-sche Kalkül, das zur Inszenierung historischer Sujets das psychologische Interesse an der Anatomie großer Leidenschaften treten läßt. Schillers vielbeschworenes Theatertemperament, in dem Goethe auch die Rudi-mente einer Lust am Schrecken wirken sah, entfaltet sich dort am besten, wo die Balance beider Darstellungsebenen gelingt. Bekanntlich behandeln Schillers Geschichtsdramen bevorzugt Über-gangs- und Umbruchphasen, politische und soziale Ausnahmezustände, Krisen, Kriege und Revolten4. Hinter dieser Neigung, die sich schon im Fiesko (1783) bekundet, steht die Intention, dem Zuschauer das drama-tische Individuum im Moment konkreter Gefährdung durch Interessen-kollisionen, Rechtsunsicherheit und Gewalt an Extrempunkten seiner historischen Bewährung vor Augen zu führen. Weil Schiller mehr als nur die Erklärung singulärer sozialer Konfliktmuster anstrebt, muß er Stoffe ' Schiller an den Prinzen von Augustenburg (13. 7. 1793), in: Werke, National-ausgabe, begr. von J. Petersen, fortgeführt von L. Blumenthal und B. von Wiese, hrsg. im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik und des Schiller-Nationalmuseums Marbach von N. Oellers, Weimar 1943ff., Bd. 26, 263 (künftig unter Angabe von Band und Seitenzahl als „NA" zitiert). 2 Jean Paul, Sämtliche Werke, hrsg. von N. Miller, München 1959ff., Bd. 1,5,397. 3 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik IH, in: Werke, hrsg. von E. Moldenhauer/K.M. Michel, Frankfurt/M. 1986, Bd. 15,524. 4 Vgl. W. Müller-Seidel, Verschwörungen und Rebellionen in Schillers Dramen, in: A. Aurnhammer u.a. (Hrsg.), Schiller und die höfische Welt. Tübingen 1990, 422ff.

Kapitel in diesem Buch

  1. Frontmatter I
  2. Vorwort VII
  3. Inhalt IX
  4. Achilleus, Patroklos und Meleagros 1
  5. Homer und die platonische Seelenlehre 7
  6. Die Seele im Thiasos. Zu Euripides, Bacchae 75 37
  7. Zur Bedeutung der „Frauengemeinschaft" War Piaton ein Feminist? 73
  8. Fragment und Kontext. Zwei Methoden der Interpretation in der griechischen Literatur 89
  9. Das Denkvermögen und die Hand im Kontext der griechischen Kulturgeschichte 113
  10. Aristoteles über das Wesen der Erinnerung. Eine Analyse von De memoria 2,451al8-bl0 121
  11. „Conchae et umbilici" Eine motivgeschichtliche Betrachtung zu Cicero, De oratore 2,22f. 132
  12. Einhundert Jahre Prinzipat. Über den Sinn der Argonautica des Valerius Flaccus 145
  13. „Animula vagula blandula" Übersetzungen - Nachdichtungen - Neuschöpfungen Ein Übersetzungsvergleich 157
  14. Konstanz, Wandel, Entwicklung. Beobachtungen zur Charakterdarstellung Plutarchs in den Viten 170
  15. Fliegentod und Auferstehung. Zu Lukian, Muse. 7 194
  16. Die Träume der römischen Kaiser 200
  17. Die leibliche Gegenwart körperloser Seelen 225
  18. Die Seele im Piatonismus und bei den Kirchenvätern 243
  19. Seele, Zeit, Eschaton bei einem frühen christlichen Theologen Basilides zwischen Paulus und Piaton 255
  20. Die Seelenlehre des Gnostikers Herakleon 279
  21. Seelenverständnis bei Irenäus von Lyon 301
  22. Soul and Time in Plotinus 335
  23. Ankunft an der Milvischen Brücke Wort, Bild und Botschaft am Konstantinsbogen in Rom 345
  24. Isidor von Pelusium und die Seele 355
  25. Das Seelen-Cliché im byzantinischen Epigramm 359
  26. בְנִא בְצִא תְּקֵל וּפֵדִסִין „Gezählt, gewogen und zu leicht befunden" (Dan 5,25-28) Bemerkungen zum Motiv der Seelenwägung 369
  27. Metempsychotica mediaevalia Pictagoras redivivus 385
  28. Plotin und Ficino 417
  29. Machtspiele Die Psychologie des politischen Dramas in Schillers Don Karlos 436
  30. „Das Glück, von der Seele zu sprechen, die Herzen ins Unendliche zu tauchen" Der Höhenflug der „kleinen Seele" bei Therese von Lisieux 472
  31. Was sagt die Seele dem Philosophen heute 499
  32. Anhang
  33. Laudatio auf Karin Alt anläßlich der akademischen Feier am 7. Mai 1998 512
  34. Veröffentlichungen 517
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