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V. Spartacus – „Grosser General“ und „Räuberhauptmann“

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V. Spartacus – „Grosser General“ und „Räuberhauptmann“ Wann immer die Rede auf Spartacus als vermeintliche Ikone und antike Gründer-figur des Klassenkampfes kommt, wird das Urteil Karl Marx’ aus einem Brief an Friedrich Engels vom 27. Februar 1861 zitiert: „Spartakus erscheint als der famo-seste Kerl den die ganze antike Geschichte aufzuweisen hat. Grosser General (kein Garibaldi), nobler Charakter, real representative des antiken Proletariats.“1Marx’ Einschätzung beruhte auf seiner abendlichen Lektüre in „Appians römi-sche[n] Bürgerkriege[n] im griechischen Originaltext“, die er sich „zur Erholung“ von seinen täglichen Geschäften gönnte.2 Diese Lektüre enthält verdichtet all jene mythischen Bestandteile, die Spartacus zu einem Gründungsvater der Arbeiter-bewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts machen konnten, sowie entschei-dende Hinweise auf das produktive misreading der Quellen im Lichte eines ver-meintlichen Aktualitätsbezuges, das auch für Spartacus’ Karriere als Held der deutschen Römertragödie entscheidend gewesen sein dürfte. Das Zupackende an Marx’ nebenher, eben am Ende eines Briefes geleisteter Transformation des Stof-fes besteht darin, dass er die zur Jahrhundertmitte naheliegende Analogie – die des von Giuseppe Garibaldi (1807–1882) geführten italienischen Freiheitskamp-fes – zugleich benennt und beiseite wischt. Angesichts der spärlichen Quellen, die zum Sklavenaufstand unter der Füh-rung des Thrakers Spartacus vorliegen – neben Appian sind es vor allem die Crassus-Vita Plutarchs sowie Florus’ Epitome aus Titus Livius –, lässt sich ein Charakter dieses Anführers ebenso schwer herausarbeiten wie sich der genaue Ablauf der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Römern und Sklaven bestimmen lässt. Alle Quellen beschreiben die Ereignisse aus der Perspektive der Römer; in der Reihe Plutarch-Appian-Florus ist überdies ein ansteigendes Maß an Verachtung für die Gegner festzustellen, welche aus der Schmach resultiert, die der jahrelange Kampf gegen entlaufene Sklaven für die Römer bedeutete. Eine gewisse Anerkennung für die kämpferische Leistung des Spartacus unterdrückt dagegen keiner der antiken Autoren, was Marx auch zu seinem Urteil geführt haben dürfte, Spartacus sei ein großer Feldherr gewesen. Schwerer fällt es, für die zweite, von Marx als selbstverständliche Kontradiktion zum Feldherrn eingeführ-te Charakterisierung in den Vorlagen Bestätigung zu finden, nämlich dass Sparta-_____________ 1 MEGA, Abt. 3, Bd. 11, 380. Vgl. zu Marx’ und der Marxistischen Antikerezeption Trilse (1974), zur römischen Geschichte insbes. 15–20; Wolfgang Fritz Haug: Art. „Marxismus“. In: DNP, Bd. 15/1, Sp. 295–303 v.a. Sp. 297–299. 2 MEGA, Abt. 3, Bd. 11, 380.
© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

V. Spartacus – „Grosser General“ und „Räuberhauptmann“ Wann immer die Rede auf Spartacus als vermeintliche Ikone und antike Gründer-figur des Klassenkampfes kommt, wird das Urteil Karl Marx’ aus einem Brief an Friedrich Engels vom 27. Februar 1861 zitiert: „Spartakus erscheint als der famo-seste Kerl den die ganze antike Geschichte aufzuweisen hat. Grosser General (kein Garibaldi), nobler Charakter, real representative des antiken Proletariats.“1Marx’ Einschätzung beruhte auf seiner abendlichen Lektüre in „Appians römi-sche[n] Bürgerkriege[n] im griechischen Originaltext“, die er sich „zur Erholung“ von seinen täglichen Geschäften gönnte.2 Diese Lektüre enthält verdichtet all jene mythischen Bestandteile, die Spartacus zu einem Gründungsvater der Arbeiter-bewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts machen konnten, sowie entschei-dende Hinweise auf das produktive misreading der Quellen im Lichte eines ver-meintlichen Aktualitätsbezuges, das auch für Spartacus’ Karriere als Held der deutschen Römertragödie entscheidend gewesen sein dürfte. Das Zupackende an Marx’ nebenher, eben am Ende eines Briefes geleisteter Transformation des Stof-fes besteht darin, dass er die zur Jahrhundertmitte naheliegende Analogie – die des von Giuseppe Garibaldi (1807–1882) geführten italienischen Freiheitskamp-fes – zugleich benennt und beiseite wischt. Angesichts der spärlichen Quellen, die zum Sklavenaufstand unter der Füh-rung des Thrakers Spartacus vorliegen – neben Appian sind es vor allem die Crassus-Vita Plutarchs sowie Florus’ Epitome aus Titus Livius –, lässt sich ein Charakter dieses Anführers ebenso schwer herausarbeiten wie sich der genaue Ablauf der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Römern und Sklaven bestimmen lässt. Alle Quellen beschreiben die Ereignisse aus der Perspektive der Römer; in der Reihe Plutarch-Appian-Florus ist überdies ein ansteigendes Maß an Verachtung für die Gegner festzustellen, welche aus der Schmach resultiert, die der jahrelange Kampf gegen entlaufene Sklaven für die Römer bedeutete. Eine gewisse Anerkennung für die kämpferische Leistung des Spartacus unterdrückt dagegen keiner der antiken Autoren, was Marx auch zu seinem Urteil geführt haben dürfte, Spartacus sei ein großer Feldherr gewesen. Schwerer fällt es, für die zweite, von Marx als selbstverständliche Kontradiktion zum Feldherrn eingeführ-te Charakterisierung in den Vorlagen Bestätigung zu finden, nämlich dass Sparta-_____________ 1 MEGA, Abt. 3, Bd. 11, 380. Vgl. zu Marx’ und der Marxistischen Antikerezeption Trilse (1974), zur römischen Geschichte insbes. 15–20; Wolfgang Fritz Haug: Art. „Marxismus“. In: DNP, Bd. 15/1, Sp. 295–303 v.a. Sp. 297–299. 2 MEGA, Abt. 3, Bd. 11, 380.
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