Startseite Philosophie Wagner, Nietzsche und das Judentum
Kapitel
Lizenziert
Nicht lizenziert Erfordert eine Authentifizierung

Wagner, Nietzsche und das Judentum

Veröffentlichen auch Sie bei De Gruyter Brill
Nietzsche und Wagner
Ein Kapitel aus dem Buch Nietzsche und Wagner
Dieter BorchmeyerWagner, Nietzsche und das Judentum1 Richard Wagners Verhältnis zum Judentum gehört zu den prekärsten Seiten seines Charakters.1 In einem Brief an Liszt vom 18. 4. 1851 hat er gestanden, sein „groll gegen diese Judenwirthschaft“ sei seiner Natur „so nothwendig wie galle dem blute“ (Wagner 1967, Bd.  3, S.  544). Dieser Groll nimmt im Laufe der Jahre immer mehr Züge eines Verfolgungswahns an, der durch keinerlei Fakten gedeckt ist (seine Hauptwidersacher waren so gut wie niemals Juden, umgekehrt hat er aber von jüdischen Freunden, Mentoren und Anhängern immer wieder bedeu-tende Unterstützung erfahren), so daß man von einer regelrechten Obsession reden kann. Sie drückt sich nirgends deutlicher aus als in Wagners Brief an König Ludwig II. vom 22.11.1881, wo er bekennt: „dass ich die jüdische Race für den gebo-renen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr halte: dass namentlich wir Deutschen an ihnen zu Grunde gehen werden, ist gewiss, und vielleicht bin ich der letzte Deutsche, der sich gegen den bereits alles beherrschenden Judais-mus als künstlerischer Mensch aufrecht zu erhalten wusste“ (Wagner 1967, Bd. 3, S. 230).In einer Aufzeichnung vom Frühling-Sommer 1878 hat Nietzsche sich fas-sungslos gefragt, wie sich durch seinen „Judenhass [...]ein solcher Mann so tyrannisirenl a s s e n k a n n !“ (NL 1878, KSA, 8, S. 502). Und er begründet das durch einen möglichen jüdischen Selbsthaß: „sollte Wagner ein Semite sein? Jetzt verstehen wir seine Abneigung gegen die Juden“ (NL 1878, KSA  8, S.  500). „Der Mensch haßt nur“, wird es später in Otto Weiningers Geschlecht und Charakter heißen, „durch wen er sich unangenehm an sich selbst erinnert fühlt“. Der Hass sei wie die Liebe ein „Projektionsphänomen“: „wer immer das jüdische Wesen haßt, der haßt es zunächst in sich: daß er es im anderen verfolgt, ist nur sein Versuch, vom Jüdischen auf diese Weise sich zu sondern; er trachtet sich von ihm zu scheiden dadurch, daß er es gänzlich im Nebenmenschen lokalisiert, und so für den Augenblick von ihm frei zu sein wähnen kann“ (Weininger 1980, S. 407). 1 Der erste Teil dieser Studie greift auf frühere Publikationen des Autors zu diesem Thema zu-rück (insbesondere auf den Artikel „Judentum“ in: Sorgner 2008).
© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

Dieter BorchmeyerWagner, Nietzsche und das Judentum1 Richard Wagners Verhältnis zum Judentum gehört zu den prekärsten Seiten seines Charakters.1 In einem Brief an Liszt vom 18. 4. 1851 hat er gestanden, sein „groll gegen diese Judenwirthschaft“ sei seiner Natur „so nothwendig wie galle dem blute“ (Wagner 1967, Bd.  3, S.  544). Dieser Groll nimmt im Laufe der Jahre immer mehr Züge eines Verfolgungswahns an, der durch keinerlei Fakten gedeckt ist (seine Hauptwidersacher waren so gut wie niemals Juden, umgekehrt hat er aber von jüdischen Freunden, Mentoren und Anhängern immer wieder bedeu-tende Unterstützung erfahren), so daß man von einer regelrechten Obsession reden kann. Sie drückt sich nirgends deutlicher aus als in Wagners Brief an König Ludwig II. vom 22.11.1881, wo er bekennt: „dass ich die jüdische Race für den gebo-renen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr halte: dass namentlich wir Deutschen an ihnen zu Grunde gehen werden, ist gewiss, und vielleicht bin ich der letzte Deutsche, der sich gegen den bereits alles beherrschenden Judais-mus als künstlerischer Mensch aufrecht zu erhalten wusste“ (Wagner 1967, Bd. 3, S. 230).In einer Aufzeichnung vom Frühling-Sommer 1878 hat Nietzsche sich fas-sungslos gefragt, wie sich durch seinen „Judenhass [...]ein solcher Mann so tyrannisirenl a s s e n k a n n !“ (NL 1878, KSA, 8, S. 502). Und er begründet das durch einen möglichen jüdischen Selbsthaß: „sollte Wagner ein Semite sein? Jetzt verstehen wir seine Abneigung gegen die Juden“ (NL 1878, KSA  8, S.  500). „Der Mensch haßt nur“, wird es später in Otto Weiningers Geschlecht und Charakter heißen, „durch wen er sich unangenehm an sich selbst erinnert fühlt“. Der Hass sei wie die Liebe ein „Projektionsphänomen“: „wer immer das jüdische Wesen haßt, der haßt es zunächst in sich: daß er es im anderen verfolgt, ist nur sein Versuch, vom Jüdischen auf diese Weise sich zu sondern; er trachtet sich von ihm zu scheiden dadurch, daß er es gänzlich im Nebenmenschen lokalisiert, und so für den Augenblick von ihm frei zu sein wähnen kann“ (Weininger 1980, S. 407). 1 Der erste Teil dieser Studie greift auf frühere Publikationen des Autors zu diesem Thema zu-rück (insbesondere auf den Artikel „Judentum“ in: Sorgner 2008).
© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

Kapitel in diesem Buch

  1. Frontmatter 1
  2. Inhalt 5
  3. Siglenverzeichnis 9
  4. Einleitung 11
  5. Plakat Nietzsche und Wagner. Perspektiven ihrer Auseinandersetzung (2013) 17
  6. I. Nietzsches Wagnerbild zwischen Erfahrung und Erfindung
  7. Nietzsche und Wagner – über die Schwierigkeiten einer Kontroverse 21
  8. Die Masken des Freigeistes und des Schauspielers in der Philosophie Friedrich Nietzsches 38
  9. Nietzsches Wagnerianerinnen 46
  10. Affektökonomien: Großer Stil und Niedere Heilkunst 82
  11. „Wagners Kunst ist krank“ 94
  12. Übermenschkonzeptionen bei Wagner und Nietzsche 111
  13. „Ich nehme den unangenehmsten Fall, den Fall Wagner“ 129
  14. „Ich habe ihn geliebt und niemanden sonst. Er war ein Mensch nach meinem Herzen…“ 140
  15. II. Nietzsche – Wagner – Schopenhauer
  16. Wagner als Vorbild des Selbstseins? 153
  17. Nietzsches Loslösung von Wagner und Schopenhauer als Bedingung seiner philosophischen Aufgabe einer Umwertung aller Werte 160
  18. Parsifal, Siegfried und der Kompromiss der Moderne 171
  19. Wagner als „Erbe Hegels“ – Die Musik als „Idee“? 181
  20. III. Rezeptionswege mit Nietzsche und Wagner
  21. Schopenhauer – Nietzsche – Wagner 193
  22. Keller contra Wagner 203
  23. Wagner, Nietzsche und das Judentum 215
  24. Nietzsches Siegfried 235
  25. IV. Das Kunstwerk der Zukunft
  26. Der Nutzen des Effekts 245
  27. Die Kunst des Fragens bei Richard Wagner und Friedrich Nietzsche 256
  28. Kunstreligion Redeemed: From Religion to Art in Parsifal 269
  29. Gegen eine Theorie der Musik als „Sprache des Gefühles“ 278
  30. Personenregister 289
  31. Autorinnen und Autoren 293
Heruntergeladen am 23.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110378757-018/html?lang=de&srsltid=AfmBOoqBJVQ0Pg89kita7gZVqdNR844QkbfsUeYiCcKXspB6TAcVub3I
Button zum nach oben scrollen