Startseite Literaturwissenschaften III.3.3 Weibliche Autorschaft
Kapitel
Lizenziert
Nicht lizenziert Erfordert eine Authentifizierung

III.3.3 Weibliche Autorschaft

Veröffentlichen auch Sie bei De Gruyter Brill
Irina GradinariIII.3.3 Weibliche Autorschaft1 Der Mythos weiblicher Nicht-KreativitätNach fast 50 Jahren einer intensiven, geradezu archäologisch verfahrenden lite-raturwissenschaftlichen Aufarbeitung scheint klar, dass weibliches Schreiben keinesfalls erst im 20. Jahrhundert begann: Auch in früheren Jahrhunderten gab es eine Vielzahl äußerst produktiver Autorinnen. Ebenso wenig haltbar ist das Narrativ vom sogenannten „literarischen Fräuleinwunder“ (Müller 2004), als das die plötzliche Sichtbarkeit vieler junger Schriftstellerinnen in der gegenwärtigen Öffentlichkeit bezeichnet wird. Zahlreiche Forschungsarbeiten und Monografien (zum Überblick vgl. Teben 1998; Stephan 2000; Keck und Günter 2001), Nach-drucke von Standardwerken (Lehms (1966 [1714–1715]; Schindel 1978 [1823–1825]; Pataky 2010 [1898]) und von Essays (Möhrmann 1977; 1978) aus früheren Jahrhun-derten, bibliografische Werke (Frederiksen 1989; Frederiksen und Ametsbichler 1998) und vor allem Lexika zeugen von der Fülle und Vielfalt weiblicher Autor-schaft (Brinker-Gabler 1978; Brinker-Gabler et al. 1986; Budke und Schulze 1995; Friedrichs 1981; Hechtfischer et al. 1998; Wall 1995; Loster-Schneider und Pailer 2006). Susanne Kord spricht von ca. 3940 Autorinnen (1996, 13), die im 18. und 19. Jahrhundert tätig waren. Das Metzler Autorinnen Lexikon beinhaltet Informa-tionen zu 400 Schriftstellerinnen weltweit. Gudrun Loster-Schneider und Gaby Pailer (2006) versammeln Angaben zu 343 Werken von 170 deutschsprachigen Autorinnen zwischen 1730 und 1900. Aber auch in der Zeitperiode von 1945 bis Mitte der 1980er Jahre verzeichnet Sigrid Weigel (1987) über 130 deutschsprachige Autorinnen. Die öffentliche Wahrnehmung weiblicher Schreibproduktivität bleibt trotz der intensiven Forschungstätigkeiten zu ausgewählten Schriftstellerinnen jedoch ungebrochen eingeschränkt: Selbst ‚gewichtige‘ Autorinnen der Vergan-genheit wie Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1762), Sophie von La Roche (1730–1807), Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805–1880), Fanny Lewand (1811–1889), Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916), Clara Viebig (1860–1952) und Ricarda Huch (1864–1947) sind kaum bekannt, geschweige denn die Werke von (re-)kano-nisierten Autorinnen wie Therese Huber (1764–1829), Caroline von Wolzogen (1763–1847), Johanna Schopenhauer (1766–1838), Sophie Mereau (1770–1806), Caroline de la Motte-Fouqué (1773–1831), Louise Aston (1814–1871), Luise Mühlbach (1814–1873), Louise von François (1817–1893), Louise Otto-Peters (1819–1895) und Helene Böhlau (1856–1940). In Literaturgeschichten für die Schule tauchen häufig nicht einmal die Namen der insgesamt meisterforschten Autorinnen wie Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848), Ingeborg Bachmann (1926–1973) und Christa Wolfhttps://doi.org/10.1515/9783110297065-017
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Irina GradinariIII.3.3 Weibliche Autorschaft1 Der Mythos weiblicher Nicht-KreativitätNach fast 50 Jahren einer intensiven, geradezu archäologisch verfahrenden lite-raturwissenschaftlichen Aufarbeitung scheint klar, dass weibliches Schreiben keinesfalls erst im 20. Jahrhundert begann: Auch in früheren Jahrhunderten gab es eine Vielzahl äußerst produktiver Autorinnen. Ebenso wenig haltbar ist das Narrativ vom sogenannten „literarischen Fräuleinwunder“ (Müller 2004), als das die plötzliche Sichtbarkeit vieler junger Schriftstellerinnen in der gegenwärtigen Öffentlichkeit bezeichnet wird. Zahlreiche Forschungsarbeiten und Monografien (zum Überblick vgl. Teben 1998; Stephan 2000; Keck und Günter 2001), Nach-drucke von Standardwerken (Lehms (1966 [1714–1715]; Schindel 1978 [1823–1825]; Pataky 2010 [1898]) und von Essays (Möhrmann 1977; 1978) aus früheren Jahrhun-derten, bibliografische Werke (Frederiksen 1989; Frederiksen und Ametsbichler 1998) und vor allem Lexika zeugen von der Fülle und Vielfalt weiblicher Autor-schaft (Brinker-Gabler 1978; Brinker-Gabler et al. 1986; Budke und Schulze 1995; Friedrichs 1981; Hechtfischer et al. 1998; Wall 1995; Loster-Schneider und Pailer 2006). Susanne Kord spricht von ca. 3940 Autorinnen (1996, 13), die im 18. und 19. Jahrhundert tätig waren. Das Metzler Autorinnen Lexikon beinhaltet Informa-tionen zu 400 Schriftstellerinnen weltweit. Gudrun Loster-Schneider und Gaby Pailer (2006) versammeln Angaben zu 343 Werken von 170 deutschsprachigen Autorinnen zwischen 1730 und 1900. Aber auch in der Zeitperiode von 1945 bis Mitte der 1980er Jahre verzeichnet Sigrid Weigel (1987) über 130 deutschsprachige Autorinnen. Die öffentliche Wahrnehmung weiblicher Schreibproduktivität bleibt trotz der intensiven Forschungstätigkeiten zu ausgewählten Schriftstellerinnen jedoch ungebrochen eingeschränkt: Selbst ‚gewichtige‘ Autorinnen der Vergan-genheit wie Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1762), Sophie von La Roche (1730–1807), Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805–1880), Fanny Lewand (1811–1889), Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916), Clara Viebig (1860–1952) und Ricarda Huch (1864–1947) sind kaum bekannt, geschweige denn die Werke von (re-)kano-nisierten Autorinnen wie Therese Huber (1764–1829), Caroline von Wolzogen (1763–1847), Johanna Schopenhauer (1766–1838), Sophie Mereau (1770–1806), Caroline de la Motte-Fouqué (1773–1831), Louise Aston (1814–1871), Luise Mühlbach (1814–1873), Louise von François (1817–1893), Louise Otto-Peters (1819–1895) und Helene Böhlau (1856–1940). In Literaturgeschichten für die Schule tauchen häufig nicht einmal die Namen der insgesamt meisterforschten Autorinnen wie Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848), Ingeborg Bachmann (1926–1973) und Christa Wolfhttps://doi.org/10.1515/9783110297065-017
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Heruntergeladen am 8.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110297065-017/html?lang=de&srsltid=AfmBOoqT1KbCOwoYbn8OHmyhwfqMA5U32HdWSPpkxA6UK6ylW005lHKW
Button zum nach oben scrollen