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Gerechter Friede

  • Elisabeth Maikranz

    Dr. Elisabeth Maikranz ist Akademische Rätin auf Zeit am Ökumenischen Institut der Universität Heidelberg und war Mitoganisatorin des Panels „Just Peace in the Perspective of Different Church Traditions“, das im Rahmen der European Academy of Religion 2023 stattfand.

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Published/Copyright: December 3, 2024
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Liebe Leserinnen und Leser,

„Der gerechte Friede ist ein Weg, der ausgerichtet ist auf Gottes Heilsplan für die Menschheit und die ganze Schöpfung. Er wurzelt im Selbstverständnis der Kirchen, in der Hoffnung auf spirituelle Transformation und dem Aufruf, nach Gerechtigkeit und Frieden für alle zu streben.“ Mit diesen Worten beginnt die „Erklärung über den Weg des gerechten Friedens“, die auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) in Busan 2013 verabschiedet wurde. Die Frage nach gerechtem Frieden und der Wunsch, eine Kirche des Friedens zu werden, wurden zuerst auf der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in Ostdeutschland 1988/89 formuliert. Dies griff der ÖRK im Rahmen des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung auf und trug das Konzept so in die weltweite ökumenische Gemeinschaft. Die Erklärung von Busan sieht nun den Weg des gerechten Friedens als Bezugsrahmen für die ökumenische Zusammenarbeit, buchstabiert ihn mit Blick auf regionalgemeinschaftliche, ökologische, wirtschaftliche und weltgemeinschaftliche Fragen aus und konkretisiert ihn gar durch Handlungsempfehlungen für den ÖRK sowie Regierungen.

Mag die Formulierung „gerechter Friede“ an die lange Tradition des „gerechten Krieges“ erinnern, so liegt ihr Akzent eben nicht auf einer Rechtfertigung kriegerischer Auseinandersetzungen, sondern auf einer gerechtigkeitsethischen Perspektive auf Frieden. Angesichts der gegenwärtigen Kriege, wie dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine oder dem Krieg im Nahen Osten, stellt sie die bohrende Frage: Wie kann angesichts von kriegerischen Gräueltaten, Gewalt und Leid, Demütigungen und Ungerechtigkeiten „gerechter Friede“ aussehen, ja möglich werden?

Die vielfältigen theologischen Traditionen der christlichen Konfessionen bieten für diese Frage nicht nur Friedens- und Gerechtigkeitsvorstellungen, sondern reflektieren auch selbstkritisch auf die Rolle der eigenen Kirche in Friedensprozessen. In diesem Heft zum Thema „Gerechter Friede“ des Materialdienstes des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim (MdKI) kommen verschiedene konfessionelle Stimmen zu Wort, die danach fragen, was „gerechter Friede“ für ihre Kirche bedeutet, wie er verstanden werden kann und welche hermeneutischen Grundentscheidungen die eigene konfessionelle Auffassung bedingen. Die Beiträge stammen zum Teil aus dem „Scripture and Theology“-Panel „Just Peace in the Perspective of Different Church Traditions“, das am 20. Juni 2023 im Rahmen der European Academy of Religion in St. Andrews, Schottland, stattfand. Angeregt davon wurde der Kreis der Konfessionen für dieses Heft noch erweitert, sodass neben römisch-katholischer, lutherischer und freikirchlicher Perspektive auch anglikanische, mennonitische, orthodoxe und pfingstlerische Stimmen zu lesen sind.

Aus katholischer Perspektive schärft Bernhard Koch die Begriffe und erarbeitet systematisch, wie sich „gerechter Friede“ und „gerechter Krieg“ zueinander verhalten. Die Nähe von gerechtem Krieg und gerechtem Frieden beschäftigt auch Nikolaos Asproulis. Er zeichnet nach, wie die Verquickung von Nationalstaat und Kirche in der Orthodoxie zur Legitimierung von Kriegen führte und entwirft eine orthodoxe Theologie der Toleranz als Beitrag zur Debatte um „gerechten Frieden“. Ausgehend von einer Analyse der Diskussion um „gerechten Frieden“ im Protestantismus entwickelt Friederike Nüssel im Anschluss an Martin Luthers Friedensverständnis und seine Unterscheidung von weltlicher und geistlicher Macht eine lutherische Perspektive darauf. Wie Bibelhermeneutik, Theologie und Ethik miteinander verzahnt werden können, um einen vielschichten Friedensbegriff zu entwickeln, erarbeitet Markus Iff anhand der Theologischen Orientierungshilfe der Vereinigung Evangelischer Freikirchen e.V. zur Friedensethik. Gegenüber einem friedensethischen Ausgangspunkt schärft Matthias Wenk die pfingstlerische Gerechtigkeitstheologie, die durch Apg 2 und die Vorstellung vom Reich Gottes geprägt ist, und entwirft von hier aus mögliche Impulse für eine Friedenstheologie. Die kontextuelle Einbettung von Friedenstheologien zeigen besonders der anglikanische und der mennonitische Beitrag. Mark Barwick sieht befreiungstheologische Einflüsse und das afrikanische Ubuntu-Prinzip als wichtige Impulsgeber für das anglikanische Friedensverständnis. J. Jakob Fehr verfolgt die unterschiedlichen Interpretationen der Nachfolge Christi in der Geschichte der Mennoniten und zeigt auf, welche Folgen dies für Theorie und Praxis von Frieden und Gerechtigkeit hatte.

Die Beiträge geben viele Denkimpulse, wie Frieden und Gerechtigkeit zu „gerechtem Frieden“ werden könn(t)en. Eine bereichernde und horizonterweiternde Lektüre!

Elisabeth Maikranz, Gast-Editorin

Autoreninformationen

Über den Autor / die Autorin

Elisabeth Maikranz

Dr. Elisabeth Maikranz ist Akademische Rätin auf Zeit am Ökumenischen Institut der Universität Heidelberg und war Mitoganisatorin des Panels „Just Peace in the Perspective of Different Church Traditions“, das im Rahmen der European Academy of Religion 2023 stattfand.

Online erschienen: 2024-12-03
Erschienen im Druck: 2024-12-02

© 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 11.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/mdki-2024-0031/html
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