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»Inventarisation als Daueraufgabe«

Fortschreibung und Präzisierung der Denkmallisten
  • Helmtrud Köhren-Jansen , Melanie Mertens , Ralph Paschke and Uwe Schwartz
Published/Copyright: November 9, 2022
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Die wichtigsten Aufgaben der Inventarisation sind die systematische Erfassung und Bewertung von Objekten aller Zeitschichten und Gattungen sowie die Entwicklung methodischer und denkmalkundlicher Fragestellungen. Dies gilt auch für das 21. Jahrhundert. Daneben sind jedoch auch – den jeweiligen Denkmalschutzgesetzen der einzelnen Bundesländer entsprechend – die bestehenden Denkmallisten fortzuschreiben und zu präzisieren, nicht nur, um den gestiegenen rechtlichen Ansprüchen an die Eintragungstexte Genüge zu tun, sondern auch um neue Erkenntnisse zu einzelnen Objekten zu dokumentieren. Wichtiger denn je ist im 21. Jahrhundert der genaue Wortlaut der Listentexte, sowohl, was die konkrete Benennung der denkmalkonstituierenden Substanz des betroffenen Objektes als auch, was die fundierte Denkmalbegründung betrifft. Angesichts der Mängel hinsichtlich Erfassungstiefe, Textqualität und Aktualität stellen sich die Fachämter immer wieder in unterschiedlicher Art und Weise die Frage, inwieweit eine Revision der Denkmallisten geleistet werden kann und ob sie überhaupt sinnvoll ist.

Angestoßen und angeführt von der Leiterin der Inventarisation des LVR-Amts für Denkmalpflege im Rheinland beleuchtet dieser Beitrag die Problematik aus dem Blickwinkel von vier Bundesländern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen – exemplarisch und ohne repräsentativen Anspruch. Inhaltlich mit sehr verwandten Themen und Fragestellungen befasst, agieren die Fachämter nicht nur aufgrund der divergierenden Eintragungsverfahren – konstitutiv oder deklaratorisch – im Detail sehr unterschiedlich. Geschildert werden neben der jeweiligen gesetzlichen Grundlage in den vier Ländern die Genese der Erfassung in der Frühzeit der Denkmalschutzgesetze, die Herangehensweise bei der Erfassung sowie die Konsequenzen, die sich daraus für den heutigen Umgang mit den Denkmallisten ergeben.

Listenerfassung in Baden-Württemberg

Seit Inkrafttreten des Denkmalschutzgesetzes 1972 (DSchG BW) gilt in Baden-Württemberg das ipsoiure-Prinzip, nach dem eine Sache (Sachgesamtheit, Teil einer Sache) kraft Gesetz unter Denkmalschutz steht, wenn es die Kriterien eines Kulturdenkmals gemäß § 2 DSchG BW erfüllt. Der Vorteil dieser generalklauselartigen Legaldefinition liegt in ihrer sofortigen Schutzfunktion, die keiner Eintragung in eine Liste und keines Verwaltungsaktes bedarf. Diese Regelung war 1972 (und ist bis heute) eine Erleichterung für die Sicherung des noch nicht bekannten Schutzguts, enthob das Landesdenkmalamt aber nicht der Aufstellung einer Denkmalliste, die zur Durchführung der Aufgabe erforderlich war. 1977 erließ das Kultusministerium »Richtlinien für die Erfassung von Kulturdenkmalen in einer Liste«,[1] die Aufnahmekriterien sowie Vorgaben zu Aufbau, Inhalt und Bekanntmachung der Liste enthielt. Die Eigentümerinformation oblag den Unteren Denkmalschutzbehörden, die Gemeinden sollten auf die fertiggestellten Listen »in geeigneter Weise öffentlich« hinweisen. Gemäß diesen Richtlinien begann die systematische, flächendeckende Erfassung der Kulturdenkmale in Baden-Württemberg, ausgelegt auf eine Dauer von »4 bis 5 Jahren«.[2] Obwohl die Aufnahme nach Prüfung der wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt wurde, beschränkte sich der Listentext auf tabellarische Angaben der Adresse, Flurstücknummer, des Gebäudetyps und einer stichwortartigen Kurzbeschreibung einschließlich Datierung. »Anliegen und Ziel der Listenerfassung […] ist es«, so August Gebeßler, Präsident des Landesdenkmalamts, »ganz im Gegensatz zur wissenschaftlich erforschenden und gründlich beschreibenden Denkmaldokumentation im Inventar nunmehr so rasch wie möglich einen nachrichtlichen Überblick über den historischen Baubestand in unserem Lande zu gewinnen, und damit – angesichts eines enorm erweiterten Denkmalverständnisses speziell im Bereich der gefährdeten historischen Hauslandschaft – für Behörden, Öffentlichkeit und Denkmale gleichermaßen eine belastende Unsicherheit alsbald zu beheben.«[3]

Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen im April 1979,[4] nach der die Eigentümerinformation der Unteren Denkmalschutzbehörde ein im Rechtswege anfechtbarer Verwaltungsakt sei, kippte das Verfahren, da ein Verwaltungsakt gemäß Landesverwaltungsverfahrensgesetz (LVwVfG) begründet werden muss und die Listentexte dafür nicht ausreichten. Das nun zuständige Innenministerium änderte daraufhin die Richtlinien 1980 dahingehend ab, dass das Landesdenkmalamt die Listen mit »Einzelbegründungen« zu erarbeiten habe, mit denen die Eigentümer*innen angehört und rechtsmittelfähig informiert werden können. Zwar wurde der Sigmaringer Entscheidung schon 1982 widersprochen,[5] an der Liste mit Einzelbegründungen und Eigentümeranhörung hielt das Innenministerium jedoch fest und erließ am 28. Dezember 1983 die »Verwaltungsvorschrift […] für die Erfassung von Kulturdenkmalen in einer Liste (VwVKulturdenkmallisten)«.[6]

Bis zur Richtlinienänderung 1980 hatte die Inventarisation für 348 der damals 1.111 Gemeinden des Landes Listenentwürfe erstellt.[7] Die rechtliche Entwicklung warf das Tempo der Erfassung zurück, so wurde beispielsweise die Denkmalliste von Mannheim, die bereits 1979 vorlag, aufgrund der notwendigen Ergänzung mit Begründungstexten erst 1986 mit einer Eigentümeranhörung abgeschlossen.[8] Das verlangsamte Voranschreiten der Listenerfassung mit Einzelbegründung führte dazu, dass gut 15 Jahre später noch immer ein Drittel der Landkreise über keine Kulturdenkmalliste gemäß VwV verfügte. Wegen der bevorstehenden Vereinfachung des Baugenehmigungsverfahrens erschien der Listenabschluss dringender denn je. Das nun zuständige Wirtschaftsministerium ordnete daher 1997 eine »beschleunigte Erfassung von Kulturdenkmale[n]« in den betroffenen Landkreisen an.[9] Die Kulturdenkmale sollten in einem sogenannten »ersten Erfassungsschritt« mit kurzen identifizierenden Angaben in einem Verzeichnis zusammengestellt und den Gemeinden zur Veröffentlichung im Amtsblatt übergeben werden; eine Eigentümeranhörung war nicht vorgesehen. Diese sogenannte Ersterfassung entsprach im Wesentlichen der nachrichtlichen Listenerfassung der Frühzeit. Die per Anordnung zurückgestellten »weiteren Erfassungsschritte« wie die Begründung der Kulturdenkmale sollten im Rahmen der Denkmaltopographie erfolgen, deren erster Band von 1997 an erarbeitet wurde.[10]

In den frühen 2000er Jahren führte der Transfer des Denkmalwissens in digitale Datenformate einerseits zu einer erneuten Drosselung der Ersterfassung. Andererseits war mit der dafür notwendigen Aktualisierung des Fotobestands mittels systematischer Bereisungen – zumindest in gewissen Grenzen – eine Revision des bereits erfassten Bestands verbunden, die Denkmalverluste, augenfällige Veränderungen und Kartierungsfehler verzeichnete. 2010 ließ sich festhalten, dass das Ziel einer flächendeckenden, systematischen Erfassung bis auf wenige Gemeinden abgeschlossen war (Abb. 1).

1 Gemeinde- und Kreiskarte Baden-Württemberg mit dem Stand der Denkmalerfassung 2010
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Gemeinde- und Kreiskarte Baden-Württemberg mit dem Stand der Denkmalerfassung 2010

Nach unverändertem Neuerlass der VwV-Kulturdenkmalliste im Jahr 1993 gab das Wirtschaftsministerium erst am 26. April 2018 eine neue VwV heraus.[11] Sie enthält eine Anpassung an das digitale Fachinformationssystem ADABweb, zu dem die Unteren Denkmalschutzbehörden direkten Zugang haben. Von Bedeutung für die heutige Inventarisationspraxis ist die Definition der »Erfassungstiefe«, die mit der Benennung denkmalkonstituierender Teile, der Erläuterung der Schutzgründe sowie des öffentlichen Interesses einer »Einzelbegründung« gleichkommt. Präzisiert wurde die alleinige Entscheidungsbefugnis des Landesamts für Denkmalpflege über die Aufnahme eines Objekts in die Denkmalliste. Die daraus abgeleitete Übernahme der Eigentümerinformation stellt in der Praxis eine neue Erschwernis dar.

Die unterschiedlichen Erfassungsformate in Baden-Württemberg resultieren aus den divergierenden Zielen nach einem schnellen Überblick über alle Kulturdenkmale im Land einerseits und der wissenschaftlich vertieften Erfassung mit Begründung und Eigentümeranhörung andererseits. Der wissenschaftlich kaum zu unterschätzende Gewinn der vertiefenden VwV-Erfassung zwischen 1983 und 1997 wird dadurch geschmälert, dass viele Untere Denkmalschutzbehörden aus Kapazitätsgründen keine Eigentümeranhörung durchführten. Das ist rückblickend von erheblicher Bedeutung, da eine Publikation der Denkmallisten im Internet seit 2006 aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich ist. Der Missstand, dass noch immer viele Eigentümer*innen nicht wissen, dass sie ein Kulturdenkmal besitzen, beschränkt sich so denn auch nicht auf die Gebiete der Kurzlisten. Auch führte der Zeitdruck – ein Arbeitsplan nannte durchschnittlich 150 Begründungen pro Bearbeiter pro Monat[12] – zu einer Verflachung der Texte. Beiden Problemen will das seit 2019 laufende Projekt »denkmale_bw« abhelfen, das eine einheitliche Informationsstruktur für die derzeit etwa 96.000 Bau- und Kunstdenkmale Baden-Württembergs erarbeitet und – in der Hoffnung auf eine entsprechende Gesetzesänderung – deren Veröffentlichung im Internet vorbereitet.

Die qualifizierende Pflege der Denkmallisten ist und bleibt Daueraufgabe der Inventarisation. Von einer – notwendigerweise erneut oberflächlichen – Revisionskampagne im Land wird zugunsten von vertiefenden Forschungs- und Erfassungsprojekten, wie etwa zum verdichteten Siedlungsbau der 1960er und 1970er Jahre, zum Kirchenbau der Nachkriegsmoderne oder jüngst zum Hochschulbau der Nachkriegs- und Postmoderne, in näherer Zukunft abgesehen.[13]

Entstehung und Fortschreibung der Bremer Denkmalliste

Das Fundament der heute geführten Bremer Denkmalliste entstand durch eine Verordnung des Bremer Senats vom 28. August 1973,[14] zwei Jahre bevor das erste Bremer Denkmalschutzgesetz 1975 (BremDSchG)[15] in Kraft trat. Diese Verordnung hatte eine mehrseitige Anlage, die 875 Denkmalpositionen enthielt.[16] Das Verfahren der Unterschutzstellung per Verordnung war seit 1909 in Bremen gebräuchlich,[17] der Denkmalschutz wurde durch die Bauordnung gewährleistet. Die Liste von 1973 unterschied sich aber insofern von den vorherigen, als der am 28. Juni 1971 zum Leiter des noch neu zu gründenden Landesamts für Denkmalpflege[18] bestellte Architekt Hans-Christoph Hoffmann mit der Erstellung der besagten Liste beauftragt war.

Hoffmann hatte dabei kaum Mitarbeiter*innen[19] und nur wenige Anhaltspunkte für seine Aufgabe. Nach Kriegszerstörung und Wiederaufbau waren viele Denkmale vernichtet. Hoffmann resümierte 1975: »Von der 1934 erstellten Liste der bremischen Denkmäler, die nur Bauten und Straßenbilder bis zum Frühklassizismus aufführte und die 20 Plätze und Straßenzüge sowie 163 Einzelgebäude nannte, waren 40 Jahre später noch 7 Plätze und Straßen und 32 Einzeldenkmäler übrig.«[20] Seit 1945 waren bis 1971 insgesamt nur fünf Mühlengebäude hinzugefügt worden.

Für die Fortschreibung der Denkmalliste wandte Hoffmann sein Augenmerk den historischen Vorstädten zu und dort besonders dem Typus des Bremer Reihenhauses, auch genannt »Bremer Haus«. In der ersten »Verordnungsliste« waren in 21 Ensembles insgesamt 430 »Bremer Häuser« enthalten. Der Schutz dieser für Bremen besonderen Bauart bildet bis heute einen Schwerpunkt der bremischen Denkmalliste und der Arbeit im Denkmalamt.

Weil auch Vorschläge der Stadtteilbeiräte einen gewichtigen Anteil an der letztlichen Auswahl hatten, handelte es sich allerdings mehr um eine »zufallsbedingte Selektion«[21] als um eine wissenschaftlich vorbereitete, denkmalkundliche Inventarisation. Diese Auswahl wurde redaktionell von Hoffmann bearbeitet, hoheitlich legitimiert und anschließend einem nichtständigen Ausschuss der Deputation für Wissenschaft und Kunst vorgelegt. Die Beschlussfassung oblag am Ende dem Senat, dem die Deputation die Liste zuleitete. »Eine Inventarisation findet in Bremen […] so wenig statt wie in der Vergangenheit«, stellte Hoffmann 1978 ernüchtert fest, weil für eine kontinuierliche wissenschaftliche Aufarbeitung die »sachlichen und personellen Voraussetzungen« fehlten.[22]

Das erste Bremer Denkmalschutzgesetz (Brem DSchG) trat am 27. Mai 1975 in Kraft und verbesserte die rechtliche Basis der Denkmalpflege in Bremen. Neueintragungen in die Denkmalliste wurden nun nicht mehr wie zuvor durch Senatsbeschluss, sondern durch das dem Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst zugeordnete neugegründete Landesamt für Denkmalpflege durchgeführt. Dieses hatte als Denkmalfachbehörde das Vorschlagsrecht für Neueintragungen und war durch das Gesetz gehalten, den Eigentümer*innen und die zuständige Behörde der Stadtgemeinde anzuhören. Über die Eintragung entschied noch bis zur ersten Novelle des BremDSchG 1989 die obere Denkmalschutzbehörde beim Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst. Das konstitutive Eintragungsverfahren war in einer Rechtsverordnung geregelt.[23] Alle Novellen des BremDSchG[24] haben das konstitutive Eintragungsverfahren, also eine Unterschutzstellung durch Bescheid, beibehalten. Erst die letzte Novelle 2019 änderte dieses Verfahren teilweise; seither genügt bei landeseigenen Immobilien eine Mitteilung anstelle eines Bescheids, das heißt, das Eintragungsverfahren kann hier nicht durch einen Widerspruch gegen den Bescheid aufgehalten werden.

Es soll an dieser Stelle nicht über den Sinn, die Vorteile und die Nachteile eines konstitutiven Eintragungsverfahren diskutiert werden. Die »nackte« Statistik besagt, dass die Summe der Unterschutzstellungen pro Jahr seit 1975 bei etwas mehr als 20 Eintragungen lag. Das waren mal mehr und mal weniger, aber die Verlaufskurve (Abb. 2) zeigt keine großen Ausreißer. Auf diese Weise konnten in den vergangenen 50 Jahren 1.000 Denkmalpositionen in die Denkmalliste eingetragen werden.

2 Verlaufskurve der Denkmaleintragungen im Bundesland Bremen 1973–2022
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Verlaufskurve der Denkmaleintragungen im Bundesland Bremen 1973–2022

Im Jahr 2000 veränderte sich mit der Ernennung des Kunsthistorikers Georg Skalecki zum Landeskonservator in Bremen der Anspruch an die Denkmalerfassung und auch deren Präsentation in der Öffentlichkeit. Nach kurzem Anlauf initiierte er in Bremen eine bis heute ununterbrochene Folge von drittmittelfinanzierten Werkverträgen, praktisch eine zusätz­ liche wissenschaftliche Stelle. Die erste Aufgabe war die Bestandsaufnahme der bis zu diesem Zeitpunkt geleisteten Arbeit in der Inventarisation. Zwischen 2004 und 2006 entstand eine überprüfte und deshalb publikationsfähige Denkmalliste sowie gleichzeitig eine Datenbank, deren Inhalte seitdem nicht nur den Mitarbeiter*innen im Landesamt zur Verfügung stehen, sondern seit 2005 in reduzierter Form auch der Öffentlichkeit.[25] Von 2006 bis 2018 leisteten weitere Werkverträgler*innen die Inventarisation Bremerhavens und der Stadtbezirke Bremen-Nord, -Süd und -West; derzeit bis 2025 läuft die Erfassung von Bremen-Ost (Abb. 3).

3 Erfassungsprojekte im Land Bremen 2006–2022
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Erfassungsprojekte im Land Bremen 2006–2022

Aus den Erfassungskampagnen seit 2006, die als eine erste flächendeckende Inventarisation in Bremen gesehen werden können, resultiert ein neuer Eintragungsbedarf in der Größenordnung von derzeit etwa 350 Objekten. Diese Zahl wird bis zum Abschluss der Kampagne voraussichtlich bis auf etwa 400 Objekte ansteigen. Im behördeninternen Intranet sind auch diese Fälle in einer flächenscharfen, beständig aktualisierten Kartierung sichtbar, sodass insbesondere die Bauordnung und die Stadtplanung in Planungs- und Genehmigungsprozessen neben eingetragenen Denkmalen auch die Denkmalvorschläge sowie darüber hinaus die ebenfalls erfasste »besonders erhaltenswerte Bausubstanz« (rund 2.500 Objekte) berücksichtigen können. Es gilt nun, in der Inventarisation Strategien dafür zu entwickeln, wie man beispielsweise durch Synergieeffekte bei der Bearbeitung der Eintragungen den Prozess beschleunigen kann.

Listenerfassung in Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen (NRW) sind die Denkmalpflegeämter der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe[26] nicht in die Hierarchie der Denkmalschutzbehörden eingebunden, das heißt, sie nehmen als Fachämter keine ordnungs- und aufsichtsbehördlichen Funktionen wahr. Für den Vollzug des Denkmalschutzgesetzes NRW (DSchG NRW) sind ausschließlich die Unteren Denkmalbehörden verantwortlich, die in den Kommunen angesiedelt sind.[27] Die Fachämter haben nur bedingt Einfluss auf deren Handeln und sind beratend tätig. Die Unterschutzstellung der Denkmäler in NRW erfolgt nach dem konstitutiven Prinzip, demnach bedarf es eines förmlichen Verwaltungsaktes, um die Objekte per Bescheid in die Denkmalliste einzutragen. Erst nach erfolgreichem Abschluss des Verfahrens sind die Denkmäler rechtskräftig geschützt.

Als die denkmalpflegerische Tätigkeit in NRW 1980 ihre gesetzliche Grundlage erhielt, stellten sich für die Inventarisation neue Aufgaben, gab es doch erstmals Tatbestandsmerkmale für eine Denkmalwertbegründung, die einer systematischen Erfassung und Bewertung aller Objekte in NRW bedurfte.

Mit Blick auf das kommende Gesetz finanzierte das Ministerium in NRW bereits ab den frühen 1970er Jahren Fachkräfte, die im Rahmen der sogenannten Schnellinventarisation die Kulturguterfassung im gesamten Land vornahmen.[28] Diese vorgesetzliche Tätigkeit war dem konstitutiven System geschuldet. Die Kommunen sollten mit den von den Fachämtern durch geführten Erfassungen in die Lage versetzt werden, die Eintragungsverfahren nach Inkrafttreten des Gesetzes möglichst zügig in die Wege leiten zu können.

Die Inventarisator*innen dieser frühen Phase bereisten kommunenweise ganz NRW, nachdem ihre Tätigkeit in den jeweiligen Regionen durch die Presse bekannt gemacht worden war. Sie erarbeiteten einen profunden Überblick über die Architektur- und Ortsgeschichte des Gebiets, für das sie zuständig waren. Im Fokus stand die Bausubstanz bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts; nur vereinzelt wurden jüngere Objekte der Zwischenkriegszeit in das sogenannte Kulturgutverzeichnis (KGV) aufgenommen.

Innerhalb kurzer Zeit mussten flächendeckend Aufstellungen von Objekten angefertigt werden, die die Kriterien der Denkmalschutzgesetze erfüllen. In der Regel handelte es sich dabei um kurze Objektbeschreibungen des Äußeren (meist nur des Bereichs, der vom öffentlichen Raum aus zu sehen war), ergänzt um pauschale Denkmalwertbegründungen. Der genaue Denkmalumfang wurde im Text selten definiert, sondern allenfalls in der Deutschen Grundkarte im Maßstab von 1:5.000 (DGK 5) kartiert. Dabei waren aus Zeit- und Kapazitätsgründen weder aufwendige Literaturrecherchen noch ein Bauaktenstudium möglich. Selbst Objekte wie Kirchen, Burgen und Schlösser, über die es bereits einen profunden, publizierten Kenntnisstand gab, wurden mit nur knappen Texten bedacht, weil man davon ausgehen durfte, dass Denkmalwert und -umfang nicht angezweifelt werden und ein sorgfältiger Umgang selbstverständlich und allgemein akzeptiert sei (Abb. 4, 5). Schwieriger war die Einschätzung des Denkmalwerts bei Objekten, die bislang nicht im Fokus der Denkmalpflege standen, wie beispielsweise landwirtschaftliche Gehöfte, die noch nicht durch die Hausforschung untersucht worden waren, Gründerzeithäuser, über deren Wertigkeit sich die Öffentlichkeit in den 1970er Jahren erst allmählich bewusst, oder Industrieanlagen, denen im DSchG NRW erstmals eine eigene Bedeutungsebene zugestanden wurde.

4 Jüchen, Schloss Dyck, Denkmallistenblatt, 1985, ohne Erwähnung des Parks und ohne Denkmalbegründung
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Jüchen, Schloss Dyck, Denkmallistenblatt, 1985, ohne Erwähnung des Parks und ohne Denkmalbegründung

5 Jüchen, Schloss Dyck mit Parkanlage, Kupferstich aus dem Hortus Dyckensis von Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheid-Dyck, 1834. Der dargestellte Bestand, 1819 von Thomas Blaikie entworfen, entspricht in etwa dem heutigen Denkmalumfang.
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Jüchen, Schloss Dyck mit Parkanlage, Kupferstich aus dem Hortus Dyckensis von Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheid-Dyck, 1834. Der dargestellte Bestand, 1819 von Thomas Blaikie entworfen, entspricht in etwa dem heutigen Denkmalumfang.

Bewertungsmaßstäbe wurden auf der Basis der gesetzlichen Kriterien im Team erarbeitet. Sobald die systematische Erfassung einer Kommune abgeschlossen war, fanden im Fachamt sogenannte Kommissionssitzungen statt. Darin wurde anhand von Fotos und auf der Grundlage der Erörterung des jeweiligen Erfassenden in einer Gruppe von Inventarisator*innen plus der zuständigen Referent*innen aus der Praktischen Denkmalpflege entschieden, welche Objekte denkmalwert seien und welche nicht. Auf diese Weise kam man zu einem einheitlichen Bewertungsmaßstab.

Die so entstandenen Kulturgutverzeichnisse der einzutragenden Denkmäler gemäß § 2 DSchG NRW – das heißt Denkmalwert festgestellt, aber noch nicht geschützt – wurden an die jeweiligen Kommunen verschickt. Auf dieser Grundlage nahmen die Kommunen sukzessive die Eintragungen vor. Diese erste, landesweite Denkmalerfassung dauerte bis weit in die 1980er Jahre. In den 1990er Jahren erarbeitete die Inventarisation die Aufstellungen für diejenigen Orte, die in der Frühzeit noch nicht bereist werden konnten, und schrieb die vorhandenen Verzeichnisse fort.

Damals war die erstmalige systematische Bereisung NRWs, die jedes einzelne vom Menschen geschaffene Objekt in den Blick nahm und nicht nur unter kunsthistorischen und hauskundlichen Aspekten bewertete, sondern auch vermeintlich banalere Objekte hinsichtlich ihres Zeugniswerts befragte, wahre Pionierarbeit. Die Aufgabenstellung richtete sich auf die Fläche, nicht in die Tiefe. Die mangelnde Bestimmtheit der frühen Erfassungs- und der darauf basierenden Eintragungstexte wird heute oft kritisiert, wohl auch, weil die damaligen Parameter und Rahmenbedingungen, unter denen die Aufstellungen erarbeitet wurden, verkannt werden oder nicht mehr bekannt sind. Die denkmalpflegerische Praxis zeigte jedoch, dass diese Texte damals in der Regel durchaus ausreichend waren. Die Unterschutzstellung selbst wurde oft akzeptiert. Maßnahmen wurden vor Ort und im Planungs- und Bauprozess abgestimmt, ohne dass konkret hinterfragt worden wäre, ob dieses oder jenes Detail denkmalkonstituierend und damit zu erhalten sei. Die exakte Benennung des Schutzumfangs war ebenso wenig erforderlich wie eine detaillierte Begründung des Denkmalwerts. Dass sich die Verwaltungsgerichte in ihren Urteilen konkret und dezidiert auf den genauen Wortlaut der Eintragungstexte fokussieren, entwickelte sich erst allmählich im Laufe der letzten 20 Jahre. Die heute vielfach von den Gerichten und damit von den Unteren Denkmalbehörden sowie den Kolleg*innen der Praktischen Denkmalpflege eingeforderte Beschreibungs- und Begründungstiefe ist bei Flächendenkmälern oder komplexen, aus vielen Bauteilen bestehenden Anlagen mit unterschiedlichen denkmalwerten Zeitschichten aus Kapazitäts- und Zeitgründen schlicht nicht zu leisten, auch wenn dies bei den jüngeren, oft wissenschaftlichen Abhandlungen gleichenden gutachtlichen Stellungnahmen versucht wird.

Aus heutiger Perspektive müssen die damaligen Kulturguterfassungen als inhaltlich und auch methodisch veraltet angesehen werden: inhaltlich, weil die Texte den heutigen Ansprüchen weder in der Beschreibung noch hinsichtlich der Denkmalwertbegründung genügen; methodisch, weil die Auswahl ohne tiefergehende Recherche und ohne Innenbesichtigung vorgenommen worden ist.

Neben diesen Kritikpunkten zeigt sich in NRW mit dem konstitutiven Eintragungsverfahren ein weiteres Problem: Zwar haben die kommunalen Unteren Denkmalbehörden anfangs im Überschwang des gesetzlichen Neubeginns die Unterschutzstellungen auf der Basis der Kulturgutverzeichnisse in großer Zahl vorgenommen. Im Laufe der Zeit ebbte dieser Elan jedoch dramatisch ab. Oft endeten die begonnenen Eintragungsverfahren mit dem ersten Widerspruch der Eigentümer*innen. Vielfach war es politischer Wille, Denkmalschutz nicht gegen die Bürger*innen durchzusetzen. Manchmal sind die vor Jahrzehnten aufgestellten Verzeichnisse der Fachämter durch Personalwechsel in den Unteren Denkmalbehörden auch in Vergessenheit geraten. Und so blieben diese Denkmäler rechtlich ungeschützt. Dabei sind Denkmäler gemäß DSchG NRW einzutragen! Die Unteren Denkmalbehörden haben keinen Ermessensspielraum, wenn das Fachamt den Denkmalwert eines Objektes feststellt; es sei denn, die Kommunen vertreten eine andere Auffassung zum Denkmalwert. Ein solcher fachlicher Dissens muss ausdiskutiert und gegebenenfalls durch eine sogenannte Ministeranrufung geprüft und entschieden werden.

Die erforderliche Nachqualifizierung der Denkmallisten betrifft also mehrere Segmente: Zum einen geht es um die Überprüfung dieser nicht geschützten Denkmäler, die im Zuge der vom Ministerium in den 2010er Jahren durchgeführten Evaluation des DSchG NRW landesweit mit etwa 6.000 Objekten beziffert wurden. Nicht wenige von ihnen sind in den letzten Jahrzehnten so stark verändert worden, dass sie heute nicht mehr als Denkmäler einzustufen sind. Dies (und auch die etwa 70 nicht mit Satzungen geschützten Denkmalbereiche) bedeutet einen enormen Verlust für die Kulturlandschaft in NRW. Zum andern geht es um die systematische Fortschreibung der für die rechtswirksame Eintragung durch die Kommunen genutzten Texte, die auf den frühen Erfassungstexten der Fachämter beruhen und heutigen rechtlichen Ansprüchen nicht mehr genügen.

Durch das neue DSchG NRW, das am 1. Juni 2022 in Kraft getreten ist, droht zusätzliches Ungemach. Darin heißt es (§ 9, Absatz 1, Satz 2 DSchG NRW): »Instandsetzungsarbeiten bedürfen keiner Genehmigung, wenn sie sich nur auf Teile des Denkmals auswirken, die für seinen Denkmalwert ohne Bedeutung sind.« Diese Formulierung macht – so ist zu befürchten – die Fortschreibung von inhaltlich mangelhaften rechtskräftigen Eintragungstexten zwingend erforderlich, möchte man es nicht den Eigentümer*innen überlassen festzustellen, welche Teile das sein könnten. Zwar sind hier die Unteren Denkmalbehörden in der Pflicht, doch mit der jetzigen personellen Ausstattung werden sie dies nicht leisten können. Die Fachämter können hier allenfalls anlassbezogen und nicht systematisch unterstützen.

Die Fachämter haben ihre frühen Verzeichnisse mittlerweile durch jüngere systematische Erfassungskampagnen ergänzt, die vielfach von externen Kräften erarbeitet wurden. In NRW sind das Siedlungsinventar[29], die Erfassungen der Nachkriegskirchen[30], von Hochbunkern, der Zeitschicht des Neuen Bauens[31], der Gärten nach 1945 oder auch der Architektur der Zeit nach 1960 zu nennen. Im westfälischen Landesteil werden darüber hinaus Denkmaltopographien verfasst. Diese gattungs-, zeit- und ortsspezifischen Erfassungskampagnen sollten heute die Hauptaufgabe der Inventarisation der Fachämter in NRW darstellen. Sie werden vom Deutschen Städtetag auch zu Recht eingefordert. Das neue DSchG NRW bietet den Fachämtern bei aller Kritik dazu auch eine große Chance. Sie müssen »nur« lernen, die Verantwortung für die Baudenkmäler, die das Gesetz den Kommunen zubilligt, zu akzeptieren und einfachere Dienstleistungen wie beispielsweise die Fortschreibung oder Präzisierung eines bereits eingetragenen Gründerzeithauses, die Untere Denkmalbehörden einfordern, nicht mehr zu erbringen. So entstehen Freiräume.

Denkmalinventarisation im Land Brandenburg

Das Land Brandenburg sah sich nach dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 – wie die anderen »neuen Bundesländer« auch – der Aufgabe gegenüber, seine Verwaltung grundgesetzkonform neu aufzubauen. Dabei wurde jedes »neue« Land von einem »alten« begleitet und unterstützt; für Brandenburg war dies Nordrhein-Westfalen. Nach einer kurzen Übergangsfrist mit Verfahren noch nach dem Denkmalpflegegesetz der DDR aus dem Jahr 1975 trat das Brandenburgische Denkmalschutzgesetz (BbgDSchG) vom 22. Juli 1991 im August des Jahres in Kraft. Inhaltlich war es insbesondere mit dem konstitutiven Eintragungsverfahren eng an das Denkmalschutzgesetz Nordrhein-Westfalens (DSchG NRW) angelehnt, wobei die Gliederung der Denkmalschutzbehörden an die landesspezifischen Gegebenheiten in Brandenburg (geringere Bevölkerung, Bebauungsdichte etc.) angepasst wurde. Das am 22. Januar 1991 gegründete Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege (BLAD, seit der Vereinigung mit der Landesarchäologie 1998 Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, BLDAM), erhielt den Status einer fachlich weisungsunabhängigen Landesoberbehörde.

Schon früh gab es hausintern sehr enge Abstimmungen hinsichtlich der theoretischen und methodischen Herangehensweise an inventarisatorische und praktische Fragen, stets auch mit dem Ziel der Kommunikation nach außen. Ein besonderer Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit – auch im bundesweiten Vergleich – lag von jeher auf einer breiten Palette von wissenschaftlichen Publikationsreihen (namentlich den bis heute hausintern erarbeiteten und in 14 Bänden erschienenen Denkmaltopographien) sowie Veranstaltungsformaten zur Denkmalvermittlung. Hinsichtlich der Denkmalinventarisation war es daher möglich, einen fachlich besonders gefestigten Weg zu gehen:[32] Auf die politische Forderung nach einer flächendeckenden Schnellinventarisation stellte das Amt in ministeriellen Gesprächsrunden klar, dass dies aufgrund von Erfahrungen in anderen Bundesländern als nicht zielführend erachtet wurde, man wolle aber durchaus einer erkennbaren Systematik folgen.[33] So wurde die »Netzknoten-Systematik« erfunden: Die großen Knoten im landesweiten Netz waren die aus der DDR-zeitlichen Republikliste übernommenen Denkmale »von nationaler Bedeutung«, die mittleren Knoten diejenigen von »überregionalem« Belang aus den Bezirkslisten, die kleinen aus den Kreislisten.[34] Die künftige Arbeit würde in einem verfeinerten Weiterknüpfen dieses Netzes bestehen, und zwar ohne die im Denkmalpflegegesetz der DDR verankerte Kategorisierung und nicht nach einer vom Informations- und Begründungsaufwand her ausgedünnten Schnellinventarisation, sondern streng nach dem gesetzlich vorgeschriebenen konstitutiven Eintragungsverfahren mit einer präzisen, gebäudescharfen Bezeichnung des Denkmals, seiner Kurzbeschreibung sowie einer (für den gebildeten Laien nachvollziehbaren) Begründung. So wurden – immer in engster Abstimmung mit den Kolleg*innen der Unteren Denkmalschutzbehörden – anlassbezogen Objekte begangen und ansonsten die auf den häufigen Dienstreisen erfassten denkmalwerten Objekte nach (nicht öffentlichen) Arbeitslisten der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen abgearbeitet. Parallel dazu entstanden die Denkmaltopographien (Abb. 6),[35] mit denen die jeweils bearbeiteten Gebiete als »durchinventarisiert« gelten konnten und deren wissenschaftlicher Charakter nicht nur von Berliner Universitäten anerkannt wurde.[36] Zu beachten ist freilich, dass eine mit diesen Denkmaltopographien »abgeschlossene« Denkmalerfassung nur in ländlichen Gebieten »funktioniert«, weil denkmalwerte Neubauten eher in größeren Städten zu erwarten waren und sind.

6 Übersicht über die Erfassungsgebiete der Denkmaltopographien in Brandenburg bis 2019, Perleberg als jüngster Band im Farbton hervorgehoben, 2019
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Übersicht über die Erfassungsgebiete der Denkmaltopographien in Brandenburg bis 2019, Perleberg als jüngster Band im Farbton hervorgehoben, 2019

Der »Widerstand« gegen eine Schnellinventarisation zeigte sich insofern als erfolgreich, als der aus anderen Bundesländern mit konstitutivem Eintragungsverfahren bekannte Effekt eines »Eintragungsstaus« bei den Unteren Denkmalschutzbehörden in Grenzen gehalten werden konnte (Überhang durch in der Regel lokalpolitisch motiviert verzögerte oder gar nicht vollzogene Eintragungsverfahren). Als mit der Novelle des BbgDSchG 2004 das nachrichtliche Verfahren eingeführt und die Listenführung dem BLDAM übertragen wurde, belief sich der landesweite Überhang auf 601 zuvor beantragte, aber von den Unteren Denkmalschutzbehörden nicht eingetragene Denkmale.

Wiederum war es gelungen, den Gesetzgeber von einer flächendeckenden Liste aufgrund einer »Schnellinventarisation« abzubringen (die ersten einschlägigen Beratungen hatten bereits 1998 begonnen!). Durch die Definition der »Denkmalliste« im BbgDSchG § 3, Abs. 3 hinsichtlich der unerlässlichen Bestandteile einer Denkmaleintragung (gebäudescharfe Bezeichnung des Objekts, Beschreibung, wesentliche Gründe der Eintragung) war erneut gewährleistet, dass der seitens der Inventarisation erhobene Anspruch einer wissenschaftlichen Kriterien genügenden gutachtlichen Stellungnahme bei einer Eintragung aufrechterhalten werden konnte. Selbstverständlich waren dabei nach wie vor Innenbesichtigungen (und damit die von den Eigentümer*innen erwirkte Betretungsgenehmigung, was bedeutete, dass diese immer über eine bevorstehende Eintragung informiert waren) und möglichst tiefgehende Literatur- und Aktenauswertungen (wo vorhanden) sowie bei mehrteiligen Anlagen auch eine Kartierung erforderlich.

Mit der Einführung des deklaratorischen Verfahrens kam es zwar zu einer Erhöhung der »Schlagzahlen«, doch bei Weitem nicht in dem Umfang, wie dies zuvor vom – vorsichtig formuliert – als »denkmalzögerlich« bekannten Städte- und Gemeindetag des Landes Brandenburg befürchtet worden war. Hatten sich die Eintragungen in den letzten Jahren vor der Novelle auf circa 250 pro Jahr eingependelt, so gab es nach der Novelle zwar für etwa drei Jahre einen Aufwuchs um circa 30 Prozent, doch sank dieser aufgrund von Personalverteilungen und vor allem aufgrund massiver Personaleinsparungen des Landes auf heute im Durchschnitt jährlich etwa 120 Denkmaleintragungen. Insgesamt wurden 1991 aus den DDR-zeitlichen Listen 6.428 Positionen übernommen, Ende 2021 deren 14.126 gezählt, wobei zu beachten ist, dass sich hinter einer »Listenposition« mehrere bauliche Anlagen verbergen können.

Auch mit Blick auf die Gerichtsverfahren, die sich gegen eine Denkmaleintragung richten (nach altem Gesetz erst nach Anhörung und beschiedenem Widerspruch möglich, nach neuem Gesetz als Feststellungsklage), können die Regelungen des BbgDSchG als erfolgreich angesehen werden: Nach inoffiziellem Überblick gab es von 1991 bis 2018 nur insgesamt 34 Verfahren, von denen eines verloren wurde und drei in einem Vergleich, 30 aber mit einem Verbleib im Denkmalverzeichnis bzw. in der Denkmalliste endeten.

Seit 1992 entstand sukzessive eine »Denkmaldatenbank«, die im Intranet des BLAD/BLDAM einschließlich der Eigentümeranschriften und gutachtlichen Stellungnahmen Ende der 1990er Jahre in vollem Umfang verfügbar war und mit Übernahme der Listenführung nach der Gesetzesnovelle 2004 bald in einer reduzierten Version online ging.[37] Eingebunden sind in der öffentlich zugänglichen Version Texte aus dem Dehio-Handbuch für Kunstdenkmäler sowie aus den Denkmaltopographien. Eine GIS-Anbindung der Fachdatenbank ist in Arbeit.

Bis heute liegt der Fokus der Inventarisation in Brandenburg nicht auf der Nachholung einer Schnellerfassung oder einer Listenrevision, sondern sie verfolgt vielmehr die Fortführung des Knotenprinzips, das sich seit Langem bewährt hat. Abgesehen davon, dass erstere aufgrund des massiven Personalabbaus der letzten Jahre (Rückgang um nahezu ein Drittel der vorhandenen Stellen) gar nicht zu leisten wäre, wachsen – zweifellos verlangsamt, aber stetig – durch die fortgesetzte, anlassbezogene landesweite Inventarisation die Kenntnis über die Denkmale und den Denkmalbestand. Außerdem ermöglichen außerordentliche Haushaltsaufstockungen sowie Drittmittel themengebundene Erfassungen für die Denkmaltopographie-Gebiete, etwa der jüngeren Zeitschichten (DDR) oder der Zeugnisse des Braunkohle-Tagebaus.

Fazit

Die unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen und variierenden Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern machen es schwierig bis unmöglich, für das gesamte Bundesgebiet eine gemeinsame Strategie zum Umgang mit den Denkmallisten zu entwickeln. Es gibt konstitutive und deklaratorische Eintragungsverfahren, die in einzelnen Ländern sogar nach- oder auch nebeneinander Anwendung finden oder fanden.[38] Es gibt Fachämter, die für den Vollzug des Denkmalschutzgesetzes verantwortlich sind (und daher auf qualifizierte Listen besonderen Wert legen), neben solchen, die für die Vollzugsbehörden fast nur beratend tätig sind. Es gibt große Flächenländer sowie einzelne Stadtstaaten, die unterschiedlich personell ausgestattet sind und deren digitale Entwicklung verschieden ausgeprägt ist. Und es gibt Unterschiede in Ost und West, die auf der divergierenden Geschichte und Erfassungstradition beruhen.

Trotzdem sei ein grobes Fazit gewagt, das sich vielleicht in folgendem Motto zusammenfassen lässt: Mehr grundlegende Fachlichkeit wagen! Der Alltag der Inventarisation besteht vielfach aus der Erstellung umfangreicher Einzelgutachten zum Denkmalwert verschiedener Objekte aller Gattungen, aus Präzisierungen und Fortschreibungen. Steigende Fallzahlen sowie komplexer werdende Verfahren erfordern einen hohen Zeitaufwand. Ziel muss es sein, die Quantität der Einzelgutachten zugunsten von fundamentalen Erfassungen (damit ist keine Schnellinventarisation gemeint) zurückzudrängen. Dies umso mehr als die Personalsituation in den meisten Bundesländern mit den gestiegenen gesetzlichen Anforderungen an die Eintragungstexte nicht Schritt hält. Insofern müssen Strategien entwickelt werden, um diesem Anspruch gerecht zu werden, ohne die denkmalfachlichen und denkmalkundlichen Hauptaufgaben der Inventarisation aus dem Blick zu verlieren. Große systematische Revisionskampagnen mögen notwendig sein, würden aber wiederum oberflächlich bleiben müssen. Daher sollte die Inventarisation im Einzelfall »Mut zur Lücke« beweisen und sich besser auf thematisch gebundene Forschungs- und Erfassungsprojekte sowie Vermittlungsarbeit konzentrieren, die manchmal auch für die Fortschreibungen einzelner Objekte hilfreich sein können.

Gerade auch, wenn neue Zeitschichten erschlossen werden, ermöglicht es erst ein auf umfangreichen Recherchen basierender Überblick über die betreffende Baugattung, die Spreu vom Weizen zu trennen, indem Maßstäbe zur Bewertung auf der Basis der jeweiligen Denkmalschutzgesetze entwickelt werden. Anhand derer sollte möglichst bundesweit entschieden werden können, welche Objekte als Denkmäler/Denkmale eingestuft werden können und welche nicht. Bei der Bewertung und der Formulierung der qualifizierten, wissenschaftlich fundierten Denkmalbegründungen ist die Kompetenz der Fachämter tatsächlich gefordert, weitaus mehr als etwa bei der detaillierten Beschreibung der denkmalkonstituierenden Bestandteile eines Wohnhauses. Die Inventarisation muss das wissenschaftliche Fundament legen, auf dem dann die Einzelbewertungen vonstattengehen können.

»Inventarisation als Daueraufgabe«[39] – diese Formulierung von Ralph Paschke behält auch im 21. Jahrhundert ihre Gültigkeit.

  1. Abbildungsnachweis

    1: Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg — 2, 3: Landesamt für Denkmalpflege der Freien Hansestadt Bremen — 4: LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, Objektakte Jüchen, Schloss Dyck — 5: LVR-ADR, Fotoarchiv, Repro Hans-Dieter Heckes — 6: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Kerstin Scholz

Published Online: 2022-11-09
Published in Print: 2022-11-25

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany

Downloaded on 18.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/DKP-2022-2005/html
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