Armutsgefährdung regional: neue Perspektiven durch Preisbereinigung
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Christoph Schröder
Christoph Schröder ist Diplom-Statistiker und arbeitet seit Oktober 1989 im Institut der deutschen Wirtschaft als Senior Researcher im Kompetenzfeld „Tarifpolitik und Arbeitsbeziehungen“. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kostenwettbewerbsfähigkeit, Kaufkraft und soziale Ungleichheit mit einem Schwerpunkt auf Armutsfragen.
Abstract
Die Betroffenheit von relativer Einkommensarmut weist große regionale Unterschiede auf. In der herkömmlichen Betrachtung mit (nominal) bundeseinheitlichem Schwellenwert zeigt sich ein deutliches Ost-West-Gefälle (5 Prozentpunkte Differenz) und ein fast ebenso großer Stadt-Land-Unterschied. Ein nominal gleich hoher Einkommensschwellenwert hat in den verschiedenen Regionen Deutschlands jedoch eine unterschiedlich hohe Kaufkraft. Daher werden hier die Individualeinkommen um die regionalen Preisunterschiede bereinigt, und es wird analog zur Einkommensarmut die relative Kaufkraftarmut berechnet. Diese weist differenziertere regionale Muster mit einem stark ausgeprägten Stadt-Land-Gefälle aus: Die Unterschiede zwischen ostdeutschen und westdeutschen Bundesländern betragen bei der relativen Kaufkraftarmut 2 Prozentpunkte, die Differenz zwischen Stadt und Land dagegen fast 8 Prozentpunkte. Die hohe Betroffenheit der Städte ergibt sich zum einen aus dem dort hohen Preisniveau. Zum anderen ist der Bevölkerungsanteil von Gruppen mit deutschlandweit erhöhter Armutsgefährdung (beispielsweise Arbeitslose, Alleinerziehende, Personen mit Migrationshintergrund) in Städten überdurchschnittlich hoch. Zudem sind diese Gruppen in Großstädten besonders stark armutsgefährdet.
Abstract
The proportion of people living in relative income poverty in Germany varies widely regionally. Conventional analysis utilizing an income threshold set at the same (nominal) level across the Federal Republic shows a clear East-West divide (just under five percentage points) and an almost equally large urban-rural divide. But nominally equal incomes at the level of this threshold do not have the same purchasing power in different regions throughout the country. This analysis adjusts personal incomes to account for regional purchasing power disparities and determines relative purchasing power poverty analogously to the way income poverty is calculated. Doing so uncovers differentiated regional patterns with a pronounced urban-rural divide: the prevalence of relative purchasing power poverty differs by only two percentage points between East and West German federal states, but by eight percentage points between urban and rural areas. The high degree to which urban centers are affected results not only from the higher price levels in cities, but also from the higher than average representation in cities of demographic groups that are particularly at risk of poverty (for example unemployed people, single-parent families, people with migrant backgrounds). Members of these at-risk categories are, moreover, more strongly exposed to poverty when they live in large cities.
About the author
Christoph Schröder ist Diplom-Statistiker und arbeitet seit Oktober 1989 im Institut der deutschen Wirtschaft als Senior Researcher im Kompetenzfeld „Tarifpolitik und Arbeitsbeziehungen“. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kostenwettbewerbsfähigkeit, Kaufkraft und soziale Ungleichheit mit einem Schwerpunkt auf Armutsfragen.
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© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- ZSR-Schwerpunkt: Ungleichheit und Wohlfahrtsstaat
- Editorial
- Die Klassenzusammensetzung der Regierungswählerschaft: Soziale Klassen, Parteiendifferenz und Sozialstaatstätigkeit
- Lieber krank und arbeitslos als „nur“ arbeitslos? Die Auswirkungen der Medikalisierung von arbeitslosen Personen auf Stigmatisierungsprozesse
- Ausgleich oder Verschärfung von Einkommensrisiken? Lebensläufe und Alterseinkommen in Deutschland aus der Paarperspektive
- Armutsgefährdung regional: neue Perspektiven durch Preisbereinigung
- Ungleiche politische Repräsentation und sozialstaatlicher Wandel
- Die AfD-Wahl als Antwort auf Statusängste?
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