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Gattungswesen, Stoffwechsel und Naturschranken

  • Karen Ng
Veröffentlicht/Copyright: 26. Mai 2025
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Abstract

This paper explores two key concepts in Marx and argues for their interconnection: species-being and natural limits. In section 1 I provide an account of the idea of species-being drawing on both Hegel and Marx. I show that species-being is connected with self-consciousness of the form of living activity and its natural limits, enabling and constraining certain theoretical and practical powers. In section 2 I develop a philosophical account of natural limits in contrast to the empirical account taken up in eco-Marxist debates. I argue that this philosophical account provides a new way of understanding Marx’s claim that the movement of capital is limitless or maßlos, drawing on Aristotle to develop an idea of limits connected with purposes or ends. In section 3 I turn to Hegel’s account of limits to provide a more dynamic and dialectical account of natural limits, in accordance with our powers of self-consciousness and self-transcendence.

Das allgemeine Vorhaben dieses Textes ist es, den Begriff des Gattungswesens einer Neubetrachtung zu unterziehen. Er soll dabei nicht in erster Linie als Frage nach dem Wesen des Menschen aufgefasst werden, sondern vielmehr als der übergreifende normative Rahmen der marxschen Kritik, die ich in Kontinuität zum kantischen und postkantischen Verständnis von „Kritik“ verstehe. In einem seiner frühesten Versuche, das Projekt einer Kritik der politischen Ökonomie – die sich zunächst noch zwischen Religions- und Staatskritik bewegte – zu formulieren, greift Marx auf mehrere Aspekte von Kants Kritikverständnis zurück und eignet sie sich für sein eigenes Vorhaben an. An erster Stelle steht dabei der Gedanke einer kopernikanischen Revolution in der Philosophie, die Marx in humanistischen Begriffen interpretiert. Der Mensch, so schreibt er, bewege sich „um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne“, er sei die „Wurzel“, der Ursprung und die Quelle seiner eigenen Tätigkeit[1]. Marx’ eigene kopernikanische Revolution stellt so die Selbstbestimmung des Menschen in den Mittelpunkt der Gesellschaftskritik. Gesellschaften sind demnach das Resultat menschlichen Handelns und können folglich auch durch dasselbe menschliche Handeln verändert werden. Zweitens formuliert Marx den kategorischen Imperativ Kants – und das in einem explizit moralischen Register – zu der Forderung um, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“[2]. Für Marx folgt dieser neue kategorische Imperativ aus der „Theorie, welche den Menschen für das höchste Wesen des Menschen erklärt“[3], womit er sich entschieden gegen jede Form von Theodizee wendet, die menschliches Leiden aus theologischen, historischen, politischen oder naturalistischen Gründen rechtfertigt. Schließlich schreibt er, im Rückgriff auf Kants Leitspruch der Aufklärung – „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ –, man müsse „das Volk vor sich selbst erschrecken lehren“[4], damit es den Mut („Courage“) habe, sich der Unterdrückung bewusst zu werden, die aus der gesellschaftlichen Organisation resultiere. Mindestens in diesen drei Punkten radikalisiert die marxsche Kritik also Kants Kritikverständnis, indem Marx das Gattungswesen Mensch und nicht das reine Selbstbewusstsein in den Mittelpunkt seiner Analyse stellt.

Das spezifischere Vorhaben des vorliegenden Textes ist es nun, zu untersuchen, was der Begriff des Gattungswesens zu Marx’ Verständnis des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur beiträgt sowie welche Rolle Naturschranken dabei spielen.[5] Obwohl die Rede von Naturschranken den oben skizzierten humanistischen Aspekten des marxschen Projekts zuwiderzulaufen scheint, werde ich versuchen zu zeigen, dass sie das nicht tut. Vielmehr lassen sich diese ‚Schranken‘, richtig verstanden, als Bedingungen begreifen, die den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur – bzw. den Stoffwechsel von Lebewesen im weiteren Sinne – zugleich ermöglichen und einschränken. Um dabei eine malthusianische Herangehensweise an Naturschranken zu vermeiden, bei der diese wie ahistorische, feste Naturgesetze wirken, werde ich im Folgenden eine eigene Konzeption von Naturschranken in Anlehnung an Aristoteles und Hegel skizzieren.[6] Für Aristoteles sind Grenzen durch den jeweiligen Zweck der betreffenden Tätigkeit oder Sache bestimmt. Ein Mangel an Grenzen deutet so auf einen fehlenden Zweck hin. Die Rede von einer natürlichen Schranke steht, im Anschluss daran, nicht im Gegensatz zu einer historischen oder gesellschaftlich auferlegten Schranke, sondern definiert sie in Hinblick auf besondere Zwecke und Ziele. Hegel wiederum versteht Schranken dialektisch: Sie bestimmen sowohl, was etwas ist, als auch, was es nicht ist. Auch wenn man Hegel hier eine unnötig obskure Formulierung unterstellen könnte, steht seine Konzeption von Schranken im Kontext eines umfassenderen Verständnisses von Bestimmung und von qualitativem Sein als Negation, der zufolge die Beschaffenheit von etwas teilweise dadurch bestimmt wird, dass es in Beziehung zu dem steht, was es nicht ist.[7] Führt man diese beiden Ansätze zusammen, dann sind die von Marx angesprochenen Naturschranken, wie ich im Folgenden zeigen werde, so zu verstehen, dass sie sich für Lebewesen in Hinblick auf ihren Gattungsbegriff bestimmen. Im Falle des Menschen erschließen sie sich in Bezug auf das selbstbewusste Gattungswesen. Zwar bringt das Entstehen von Selbstbewusstsein einige Neuerungen mit sich, es hebt die Idee von Naturschranken aber nicht auf. Und ohne sie können wir, so mein Argument, die marxsche Kritik am Kapital als einem schrankenlosen Prozess der Selbstverwertung nicht verstehen. Nun ist die Kritik an der Schrankenlosigkeit des Kapitals zwar sicherlich nicht das einzige Merkmal von Marx’ Analyse, doch scheint sie mir einen der zentralen Knotenpunkte darzustellen, der viele ihrer entscheidenden Themen miteinander verbindet, darunter auch die grundlegende Irrationalität des Kapitals als einer institutionalisierten Gesellschaftsordnung und ihre schädlichen Auswirkungen auf die Menschen und die ökologischen Systeme, von denen sie abhängen.

Im ersten Abschnitt gebe ich einen allgemeinen Überblick über den Begriff des Gattungswesens, der darauf abzielt, seine Bedeutung als normativer Rahmen einer humanistischen Kritik zu verdeutlichen. Meine These ist, dass der Begriff ‚Gattungswesen‘ insofern ‚kritisch‘ ist, als er erfüllt, was ich die ‚Reflexivitätsanforderung‘ nenne. Anschließend präsentiere ich, im Rückgriff auf Hegel und Marx, drei miteinander verbundene Argumente dafür, dass wir Selbstbewusstsein im Sinne des Gattungswesens zu verstehen haben. Für beide Denker ist das Gattungswesen eng verknüpft damit, dass Selbstbewusstsein das Bewusstsein der Form lebendiger Tätigkeiten und ihrer natürlichen Schranken ist, wobei diese Schranken eine Reihe theoretischer und praktischer Fähigkeiten zugleich ermöglichen und einschränken. Im zweiten Abschnitt entwickle ich dann ein dezidiert philosophisches Verständnis von Naturschranken, das im Gegensatz zu einem empirischen Verständnis dieser Schranken steht, das sich meist in ökomarxistischen Diskussionen findet. Meine These ist, dass dieses philosophische Verständnis von Naturschranken es uns ermöglicht, Marx’ Behauptung, dass die Bewegung des Kapitals maßlos ist, auf eine neue Weise zu verstehen. Ich greife dabei auf Aristoteles zurück, um den Begriff der Schranke (hier ‚Grenze‘) in seiner Verbindung mit Zwecken oder Zielen zu erläutern. Drittens und abschließend kehre ich kurz zu Hegel und seiner Diskussion von Schranken zurück, um ein explizit dynamisches und dialektisches Verständnis von Naturschranken zu skizzieren, das mit unseren selbstbewussten Fähigkeiten allgemein und mit unserer Fähigkeit zur Selbsttranszendenz vereinbar ist. Demnach werden diese Fähigkeiten durch unsere Lebensform zugleich ermöglicht und eingeschränkt, was wiederum deutlich macht, dass eine notwendige Verbindung zwischen dem Gattungswesen und Naturschranken besteht.

1 Das Gattungswesen und der humanistische Anspruch der marxschen Kritik

Obwohl kein Zweifel daran besteht, dass der unmittelbare Kontext von Marx’ intellektuellem Engagement Feuerbach als Quelle des Begriffs „Gattungswesen“ nahelegt, ist es Hegel, der als erster eine systematische Konzeption der engen Verbindung zwischen Selbstbewusstsein und Gattungsbewusstsein ausarbeitet, die diesem Begriff zugrunde liegt.[8] Die notwendige Rolle des Selbstbewusstseins in der Thematisierung seiner eigenen Voraussetzungen, lässt sich – trotz der großen Unterschiede zwischen Kant und den nachfolgenden Deutschen Idealisten – allgemein als das entscheidende Merkmal bestimmen, das die „kritische“ von der dogmatischen Philosophie unterscheidet. Galt Kants Interesse dabei allerdings noch vorrangig den transzendentalen Voraussetzungen der theoretischen und praktischen Vernunft, deren Quelle die Einheit des reinen Selbstbewusstseins ist, begannen die Postkantianer die Voraussetzungen von Wissen und Handeln zunehmend sowohl in Bezug auf die Natur als auch auf die sich historisch entwickelnden sozialen Beziehungen und Institutionen zu erläutern. Durch das, was wir die ‚Reflexivitätsanforderung‘ nennen können, spielte das Selbstbewusstsein jedoch weiterhin eine zentrale Rolle bei der Formulierung dieser natürlichen und geschichtlichen Bedingungen: Demnach muss unser philosophisches Verständnis von Natur und Geschichte sowie ihrer Wechselbeziehung es uns erlauben, die selbstbewusste Tätigkeit des Erfassens von Natur und Geschichte als Bedingungen menschlichen Wissens und Handelns zu verstehen. Im Fall der Natur bedeutet das, dass wir sie in einer Weise aufzufassen haben, die es zugleich verstehbar macht, wie selbstbewusstes Leben aus natürlichen Prozessen entstehen kann (die Natur kann also kein umfassender Mechanismus sein). Im Fall der Geschichte müssen wir diese so auffassen, dass geschichtliche Prozesse als Resultat des selbstbestimmten Handelns von gesellschaftlichen Individuen und Gruppen ersichtlich werden (der historische Materialismus kann also kein ökonomischer oder technologischer Determinismus sein). Kritische Philosophie verschreibt sich dieser ‚Reflexivitätsanforderung‘ und schreibt die Bedeutung des Selbstbewusstseins tief in ihre eigene Methode ein. Dogmatische Philosophie hingegen – meist entweder mit Spinoza oder religiösen Dogmen assoziiert – ignoriert oder verschleiert die Rolle selbstbewussten Denkens und Handelns in der Darstellung und Bestimmung ihres Gegenstandes. Ob sie nun behauptet, dass alles Substanz sei oder dass Gott die beste alle möglichen Welten geschaffen habe: Dogmatische Philosophie verkennt die Rolle des Selbstbewusstseins dabei, seine eigenen Voraussetzungen zu erkennen und nach ihnen zu handeln.

Ich beginne mit dieser ‚Reflexivitätsanforderung‘, weil sie die Grundlage für zwei Argumente bildet, die ich im Folgenden entwickeln werde. Erstens liegt die Bedeutung des Selbstbewusstseins, das Marx im Sinne des Gattungswesens versteht, nicht einfach darin, eine Wesensbestimmung des Menschen vorzunehmen, sondern vielmehr in seiner Rolle als methodologischer und letztlich normativer Rahmen der marxschen Kritik. Das bedeutet, dass, obwohl Marx die Rede vom Gattungswesen später großenteils aufgegeben hat, nichts darauf hindeutet, dass dasselbe für die grundlegende Bedeutung des Selbstbewusstseins oder die „Reflexivitätsanforderung“ gilt. Dies ermöglicht uns ein neues Verständnis davon, in welcher Form das Gattungswesen den Rahmen für die Kritik der politischen Ökonomie bildet. Denn für den späten Marx ist der menschliche Arbeitsprozess selbstbewusste zweckmäßige Tätigkeit.[9] Zweitens muss jedes Verständnis von Naturschranken notwendig die ‚Reflexivitätsanforderung‘ erfüllen. Sofern es also natürliche Schranken gibt und menschliches Handeln durch sie begrenzt ist, dürfen wir sie nicht als feste oder unüberwindliche Hindernisse auffassen, sondern müssen sie vielmehr im Verhältnis zu unseren selbstbewussten Fähigkeiten verstehen.

Wie bereits erwähnt, wird die Verknüpfung von Selbstbewusstsein und Gattungsbewusstsein erstmals von Hegel ausgearbeitet. Sowohl in der Phänomenologie des Geistes als auch anderweitig stellt er die These auf, dass das Selbstbewusstsein die Gattung-für-sich ist. Er begreift das selbsttätige Selbstverhältnis des ,Ich‘ als eine Form der Lebenstätigkeit, die ihre eigene allgemeine Form erkennt.[10] Diesen Gedanken, dass Selbstbewusstsein Gattungsbewusstsein ist, können wir anhand von drei miteinander verschränkten Argumenten verstehen.

Erstens wendet Hegel, wenn er das Selbstbewusstsein als ein Selbstverhältnis des ,Ich‘ beschreibt, einfach ein Prinzip an, das für die Bestimmung jedes Individuums gilt: dass es ist, was es ist, weil es Individuum einer bestimmten Art oder Gattung ist. Ein Individuum ist demnach niemals nur ein bloßes Dieses, sondern immer schon ein so-und-so Bestimmtes, und ein ,Ich‘ kann folglich nur als solches bestimmt werden, wenn es das ,Ich‘ einer bestimmten Gattung ist.[11] Wenn Selbstbewusstsein das Selbstbewusstsein eines individuellen ,Ichs‘ ist, dann folgt daraus, dass Selbstbewusstsein immer schon zumindest zum Teil darin besteht, Gattungsbewusstseins zu sein. Ein ,Ich‘ zu sein, sich als solches zu erkennen und zu setzen, bedeutet also, ein ,Ich‘ einer bestimmten Gattung zu sein bzw. sich als solches zu erkennen und zu setzen. Während Hegel dieses Selbstverhältnis als Gattung-fürsich bezeichnet, beschreibt Marx das Selbstbewusstsein als ein Gattungsbewusstsein, insofern es darin besteht sich die eigene „Gattung […] zu seinem Gegenstand“ zu machen.[12] Auch in einer weiteren Formulierung des Manuskripts von 1844 affirmiert Marx dieses hegelsche Verständnis der engen Verknüpfung von Individuum und Gattungsbegriff, wenn er schreibt, dass „das Individuum das gesellschaftliche Wesen“ sei[13]. Wichtig ist hier der Gedanke, dass sich als Gattungswesen zu erkennen der Individualität des ,Ich‘ weder widerspricht noch sie verschleiert. Ein ,Ich‘ zu sein besteht vielmehr darin, das ,Ich‘ eines Gattungswesens zu sein, sich also zugleich als Individuum und als Allgemeines zu erkennen.

Zweitens folgt der Gedanke, dass Selbstbewusstsein Gattungsbewusstsein ist, aus einem bestimmten Verständnis des Lebendigen und der Form seiner Tätigkeit. Überall dort, wo Hegel das Selbstbewusstsein thematisiert, nähert er sich ihm von einer Diskussion des Lebens aus und kommt zu der Schlussfolgerung, dass Selbstbewusstsein eine Form der Lebenstätigkeit ist, die ihre eigene lebendige Form erkennt. Mit dem Leben zu beginnen ist dabei eine Weise, die ‚Reflexivitätsanforderung‘ zu erfüllen: Denn wenn wir von einer im weitesten Sinne naturalistischen Sichtweise ausgehen wollen, der zufolge das Selbstbewusstsein und seine Tätigkeiten aus der natürlichen Welt hervorgehen und durch sie bedingt sind, dann müssen natürliche Prozesse selbst bereits eine Form von Tätigkeit realisieren, die in Kontinuität zu den Tätigkeiten des Selbstbewusstseins steht und somit die Möglichkeit enthält, den Verstand und die unterschiedlichen Weisen der Selbstbestimmung hervorzubringen. Auch wenn diese naturalistische oder materialistische Sichtweise generell eher mit Marx als mit Hegel assoziiert wird, ist es tatsächlich Hegel, der erstmals eine detaillierte Konzeption davon ausarbeitet, dass, wie Marx es in der Deutschen Ideologie ausdrückt, „das Leben […] das Bewußtsein [bestimmt]“[14]. Aber welche Bedeutung hat es genau, dass Selbstbewusstsein selbstbewusstes Leben ist?

Im Schlussteil der Wissenschaft der Logik versucht Hegel eine Antwort auf diese Frage zu geben, indem er drei grundlegende Prozesse skizziert, die für das Leben charakteristisch sind und eine Voraussetzung selbstbewusster Erkenntnis bilden. Der erste Prozess betrifft die Frage der Körperlichkeit: Lebenstätigkeiten realisieren sich in einem bestimmten Körper, der die Fähigkeit, zu erkennen und zu handeln, zugleich ermöglicht und einschränkt. Selbstbewusstsein ist also, erstens, Bewusstsein des eigenen lebendigen Körpers – seiner Kräfte, Schranken, Grenzen und Bedürfnisse. Der zweite Prozess betrifft das Verhältnis zu einer äußeren Umwelt, da Lebewesen sich nur dann erhalten und reproduzieren können, wenn sie sich gegenüber äußerer Materie öffnen und sie sich aneignen. Hegel bezeichnet diese Voraussetzung des Selbstbewusstseins als „angemessene“ Äußerlichkeit, und seine Konzeption der Lebensprozesse und ihres Austauschs mit der äußeren Natur kommt dem marxschen Begriff des Stoffwechsels sehr nahe[15]. In der Beschreibung der Form des Arbeitsprozesses bezeichnet Marx den „Stoffwechse[l] zwischen Mensch und Natur“ entsprechend als die „ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens“.[16] Allgemeiner gesprochen können wir jedoch sagen, dass der Stoffwechsel zwischen Lebewesen und Natur die ewige Naturbedingung allen Lebens ist. Selbstbewusstsein ist also, zweitens, ein Bewusstsein unseres Verhältnisses zur äußeren Natur und unserer Abhängigkeit vom Austausch mit ihr. Der dritte vom Selbstbewusstsein vorausgesetzte Prozess, der von Hegel beschrieben wird, betrifft die Gattung selbst. Lebewesen sind verkörperte Wesen, die sich im Austausch mit ihrer Umwelt erhalten und reproduzieren. Die Form dieser Lebenstätigkeit ist dabei durch die Teilhabe an dem umfassenderen Lebensprozess einer Gattung oder Lebensform bestimmt. Wie bereits erwähnt, sind Individuen immer Individuen einer bestimmten Art, sie instanziieren das Leben einer Gattung. Sie reproduzieren jedoch nicht nur ihre eigene Gattung und vermehren sich durch die Interaktion mit ihren Artgenossen. Vielmehr ist es ist die Zugehörigkeit zu einer Gattung und die Teilhabe an ihr, die all ihren Tätigkeiten eine bestimmte Form gibt und somit den Standard für ihr Funktionieren und Wohlbefinden bereitstellt. Selbstbewusstsein ist dann, drittens und letztens, ein Bewusstsein des eigenen Gattungslebens – es ist Gattungsbewusstsein. Wenn Marx also behauptet, dass es die „bewusste Lebenstätigkeit“ ist, die den Menschen zu einem Gattungswesen macht, können wir das so verstehen, dass sie in einem Bewusstsein der drei oben genannten grundlegenden Lebensprozesse besteht, also in Prozessen, die die Tätigkeit des Selbstbewusstseins zugleich ermöglichen und einschränken.[17]

Drittens, und aus dem oben Gesagten folgend, bringt das Gattungswesen, insofern es Bewusstsein der Form der Lebenstätigkeit ist, verschiedene theoretische und praktische Fähigkeiten mit sich. In seiner recht komplizierten Version des Arguments aus der Logik versucht Hegel, das, was er „Begriff“ und „Idee“ nennt, auf die Einheit und Tätigkeit des Lebendigen zurückzuführen. Marx hingegen ist viel prägnanter, wenn er die theoretischen und praktischen Fähigkeiten des Gattungswesens skizziert. So schreibt er:

Der Mensch ist ein Gattungswesen, nicht nur indem er praktisch und theoretisch die Gattung, sowohl seine eigne als die der übrigen Dinge, zu seinem Gegenstand macht, sondern – und dies ist nur ein andrer Ausdruck für dieselbe Sache –, sondern auch indem er sich zu sich selbst als der gegenwärtigen, lebendigen Gattung verhält, indem er sich zu sich als einem universellen, darum freien Wesen verhält.[18]

Er fährt fort:

Das Tier formiert nur nach dem Maß und dem Bedürfnis der species, der es angehört, während der Mensch nach dem Maß jeder species zu produzieren weiß und überall das inhärente Maß dem Gegenstand anzulegen weiß; der Mensch formiert daher auch nach den Gesetzen der Schönheit.[19]

Die entscheidende Fähigkeit, die das Gattungswesen dem Menschen ermöglicht, ist es, sich „die Gattung, sowohl seine eigne als die der übrigen Dinge, zu seinem Gegenstand [zu] mach[en]“. Die selbstbewusste Fähigkeit, durch die wir unseren eigenen Gattungsbegriff erfassen, ist demnach wesentlich verknüpft mit der allgemeineren Fähigkeit, Gattungsbegriffe zu erkennen und anzuwenden, eine Fähigkeit, die sowohl unser theoretisches als auch unser praktisches Verhältnis zur Natur transformiert. In theoretischer Hinsicht bietet das Gattungswesen uns die Fähigkeit, das „inhärente Maß“ der Dinge zu erkennen und so in eine wissenschaftliche und ästhetische Auseinandersetzung mit der Welt zu treten.[20] Diese theoretische Fähigkeit, Gattungsbegriffen entsprechend zu denken und zu urteilen, ist zugleich eine praktische Fähigkeit, die es uns erlaubt, „nach dem Maß jeder species zu produzieren“[21]. Es ist die „Bearbeitung der gegenständlichen Welt“ in der „sich der Mensch […] erst wirklich als ein Gattungswesen [bewährt]“[22]. Man beachte hier, dass Marx bei der Beschreibung der theoretischen und praktischen Fähigkeiten des Gattungswesens nicht schreibt, dass sie es uns erlauben, insofern als universelle und freie Wesen zu wissen und zu handeln, als wir die Bedingungen des Lebens oder die von der Natur gesetzten Grenzen transzendieren oder überwinden. Stattdessen liegen die begrifflichen und produktiven Fähigkeiten des Selbstbewusstseins, sofern sie vernünftig sind, darin, dass wir in Übereinstimmung mit den objektiven und inhärenten Standards der Gattungen der Dinge wissen und produzieren – unseren eigenen ebenso wie denen der unzähligen Dinge um uns herum, die unsere natürliche Umwelt ausmachen. Die allgemeine Freiheit des Selbstbewusstseins besteht somit weder darin, in einer rein selbstgewählten Weise, noch darin, allein der eigenen Gattung entsprechend zu wissen und zu produzieren, sondern vielmehr in Übereinstimmung mit dem Maßstab jeder Gattung, der einen objektiven Standard für jede Theorie und Praxis bereitstellt.

Da der Begriff des Gattungswesens um ein bestimmtes Verständnis des Selbstbewusstseins und seiner Fähigkeiten kreist, gibt es also ausreichend Anhaltspunkte dafür, dass dieser Gedanke weit über die frühen Werke der marxschen Philosophie hinaus eine zentrale Rolle spielt, von der Ausarbeitung einer materialistischen Geschichtsauffassung bis hin zur grundlegenden Darstellung des Arbeitsprozesses in Das Kapital, Band I. Marx’ Kritik der politischen Ökonomie – von der frühen Kritik entfremdeter Arbeit bis zur ausgereiften Kritik in den drei Bänden von Das Kapital – dreht sich um den selbstbewussten Charakter der menschlichen Produktionstätigkeit, die durch die konkreten Lebensbedingungen ermöglicht und eingeschränkt wird. Sie ist entfremdet oder verzerrt, insofern sie nicht im Einklang mit dem Gattungswesen, sondern um das schrankenlose Streben nach Mehrwert herum organisiert ist.

Mit dem Begriff des Gattungswesens im Hinterkopf wende ich mich nun dem Problem der Naturschranken zu. Wie ich zu zeigen hoffe, ist die Idee natürlicher Schranken nicht nur von zentraler Bedeutung für Marx’ Kritik am Kapital, sondern auch vollständig vereinbar mit den humanistischen Überlegungen rund um die Idee des Gattungswesens.

2 Naturschranken[23]

Eines der Hauptmerkmale der marxschen Kritik am Kapital betrifft dessen Bewegung in Form grenzenloser Selbstverwertung. Bei der Ausarbeitung der allgemeinen Formel das Kapitals beschreibt Marx eine Bewegung, in der sich der Wert als „Subjekt“ darstellt, als „sich selbst bewegende Substanz“, die „die okkulte Qualität erhalten [hat], Wert zu setzen“, „lebendige Junge [wirft]“ und „goldene Eier“ legt.[24] Das von ihm festgestellte Problem ist dabei nicht einfach die vermeintliche Umkehrung, in der das Kapital als lebendiges Subjekt auftritt, das handlungsfähig ist und mit einem klaren Ziel agiert, während die selbstbewusste Arbeitskraft der Menschen, im Gegensatz dazu, auf eine bloße Ware reduziert wird. Das Problem betrifft vielmehr das Verhältnis von Zwecken und Schranken das Marx wie folgt darstellt:

Die einfache Warenzirkulation – der Verkauf für den Kauf – dient zum Mittel für einen außerhalb der Zirkulation liegenden Endzweck, die Aneignung von Gebrauchswerten, die Befriedigung von Bedürfnissen. Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos.[25]

Aber was genau ist das Problem an dieser „maßlosen“ oder, wie wir sagen könnten, schrankenlosen Bewegung des Kapitals als einem Selbstzweck, der sich kontinuierlich selbst Wert hinzufügt? Aus einer bestimmten ökologischen Perspektive ist die Antwort klar: Insofern die natürlichen Ressourcen der Erde selbst eine Quelle von Wert sind und eine notwendige Bedingung für den wertproduzierenden menschlichen Arbeitsprozess darstellen, sind sie gerade nicht schrankenlos, und die schrankenlose Bewegung des Kapitals droht so die irdischen Bedingungen seiner Selbstverwertung zu zerstören. Zwei einschlägige Theorien haben diese Perspektive auf unterschiedliche Weise vertreten.

Auf der einen Seite argumentieren John Bellamy Foster und Paul Burkett, die führenden Vertreter der Theorie eines sogenannten „ökologischen Bruchs“ („metabolic rift“), dass der Kapitalismus einen „unheilbaren Riß“[26] (rift) im „Stoffwechsel“ zwischen Mensch und Erde hervorrufe. Das Resultat sei die „materielle Entfremdung der Menschen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft von den natürlichen Bedingungen, die ihre eigene Existenzgrundlage bilden“[27]. Ausgehend von der Idee eines solchen ökologischen Bruchs argumentiert Foster, dass Marx’ Kritik am Kapitalismus bereits ein tiefgehendes Interesse an Nachhaltigkeit beinhaltet, demzufolge ökologische Nachhaltigkeit für die Bewältigung der Entfremdungsproblematik entscheidend ist.

Auf der anderen Seite vertritt Nancy Fraser – die auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, den Begriff des Kapitalismus über den Bereich der Produktion hinaus zu erweitern und ihn stattdessen als eine institutionalisierte soziale Ordnung zu verstehen – einen krisentheoretischen Ansatz für den ökologischen Widerspruch des Kapitalismus.[28] In Anbetracht der Tatsache, dass die Natur als nicht-ökonomische Bedingung der Möglichkeit von Produktion und Austausch fungiert, argumentiert Fraser, dass der Kapitalismus strukturell anfällig für ökologische Krisen ist: „[S]ystemisch darauf ausgerichtet […], auf dem Trittbrett einer Natur zu fahren, die sich nicht wirklich endlos selbst erneuern kann, steht [die kapitalistische Ökonomie] immer kurz davor, ihre eigenen ökologischen Möglichkeitsbedingungen zu destabilisieren.“[29] Die Schrankenlosigkeit des Kapitals steht demnach in krassem Gegensatz zum endlichen Charakter der Natur. Insofern die Natur notwendigerweise endlich ist, haben wir es also mit einem empirischen Verständnis von Naturschranken zu tun.[30]

Beide Ansätze enthalten, meines Erachtens, wichtige Einsichten, sowohl als Lesarten von Marx als auch als Grundlage einer ökologischen Kritik am Kapitalismus. Dennoch möchte ich, im Rückgriff auf die oben zitierte Passage, einen etwas anderen Ansatz vorschlagen, um zu verstehen, warum es für Marx ein Problem darstellt, dass die Bewegung und das Ziel des Kapitals schrankenlos bzw. maßlos ist. Meiner Lesart nach basiert Marx’ Kritik auf einem philosophischen Begriff von Naturschranken, der mit der ‚Reflexivitätsanforderung‘ und der Konzeption des Gattungswesens, wie ich sie im ersten Abschnitt vorgestellt habe, vereinbar ist. Die Ausarbeitung einer solchen philosophischen Konzeption von Naturschranken gilt dabei jedoch nicht dem Versuch, zur ersten Generation des ökologischen Marxismus zurückzukehren, für die z. B. Ted Benton steht, der Marx weitgehend dafür kritisierte, dass dieser die Naturschranken in seiner Konzeption des Arbeitsprozesses nicht berücksichtigt habe.[31] Während diese Diskussion sich vorrangig um die Frage drehte, ob und inwieweit die sogenannten Naturschranken ahistorisch, auf malthusianische Weise, aufgefasst wurden oder ob sie sozial- und historisch bestimmt seien, werde ich im Folgenden einen anderen Weg einschlagen. Ich setze dabei voraus, dass die marxsche Konzeption von Naturschranken nicht nur historisch variabel ist, sondern auch, dass sie nur in Bezug auf den selbstbewussten Stoffwechselprozess zwischen Mensch und Natur verstanden werden kann.[32] Anstatt Naturschranken durch den Gegensatz historisch-ahistorisch zu erläutern, wende ich mich stattdessen zwei separaten philosophischen Fragen zu: erstens der Frage, was es bedeutet, zu sagen, dass das Kapital maßlos ist, und zweitens der Fußnote von Marx, in der er ausführlich Aristoteles zur Frage der Grenzen zitiert.

Zunächst also die Frage, was die Bewegung des Kapitals im Gegensatz zur einfachen Warenzirkulation ‚maßlos‘ macht. Um zwischen Geld als Geld und Geld als Kapital zu unterscheiden, nennt Marx bekanntlich zwei verschiedene Formen der Zirkulation: In der einfachen Warenzirkulation findet eine Verwandlung von Waren in Geld und die Rückverwandlung von Geld in Waren statt (W–G–W); in einer anderen Form der Zirkulation die Verwandlung von Geld in Waren und die Rückverwandlung von Waren in Geld (G–W–G). Letztere beschreibt die Zirkulation von Geld als Kapital, die, wie Marx bemerkt, „abgeschmackt“, „inhaltslos“ und „zwecklo[s]“ wäre, wenn sich die Geldmenge an den beiden Enden als gleich erwiese.[33] Schließlich ist der springende Punkt hier, dass die ursprüngliche Summe an Wert hinzugewinnt, es geht also um die Schaffung von Mehrwert. Dieser Prozess der Wertverwertung – die Vergrößerung des Werts durch den Prozess der Zirkulation – ist die Bewegung des Kapitals, und es ist dieser Prozess, den Marx als schrankenlos oder maßlos bezeichnet. Wir können hier mindestens zwei Bedeutungen von Schrankenlosigkeit festmachen. Die erste ist die schiere Endlosigkeit: Die Bewegung des Kapitals ist endlos oder unendlich, weil sie schlicht niemals zu einem Ende kommt, denn das Geld, sofern es als Kapital zirkuliert, hat die unendliche Selbstverwertung zu seinem „Beruf“. Die Bewegung des Kapitals ist hier quantitativ endlos, weil sie keinen Endpunkt hat. Die zweite Bedeutung der Schrankenlosigkeit des Kapitals betrifft das Fehlen eines genuinen Maßes oder Standards. Der Gedanke ist hier, dass die bloß quantitative Zunahme kein Maß bereitstellen kann, von dem ausgehend sich so etwas wie ein sinnvolles, genaues Ziel bestimmen ließe. Obwohl also die sich selbst verwertende Bewegung des Kapitals als Selbstzweck erscheint, ist dieser Anschein letztlich falsch, da es an einem qualitativen Maßstab oder Standard mangelt, durch den überhaupt erst ein richtiger Zweck oder ein Ziel bestimmt werden könnte.

Die meisten Ansätze – darunter auch die von Foster und Fraser – konzentrieren sich auf den ersten Sinn der Schrankenlosigkeit des Kapitals: Sein endloser Bedarf an natürlichen Ressourcen und Arbeitskräften im Zuge der Selbstverwertung des Werts führt zu einem ökologischen Bruch oder einer Krise, die die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit deutlich macht. Dem ist, denke ich, größtenteils zuzustimmen. Und doch möchte mich auf den zweiten Sinn der Schrankenlosigkeit des Kapitals konzentrieren, auf das Fehlen eines geeigneten Maßes oder Standards. Dieser zweite Sinn der Schrankenlosigkeit des Kapitals ist nicht nur qualitativ statt quantitativ bestimmt, sondern hängt vor allem damit zusammen, wie Marx die Objektivität und Rationalität jener Zwecke und Ziele versteht, die wir als Lebewesen und als Gattungswesen haben. Erinnern wir uns daran, dass Marx zuvor ausgeführt hatte, dass eine der wichtigsten Fähigkeiten, die das Gattungswesen mit sich bringt, die Fähigkeit ist, das „inhärente Maß“ der Dinge zu erkennen und ihm entsprechend zu produzieren, indem wir uns unsere eigene Gattung und die Gattungen anderer zum Gegenstand machen. Indem Marx den Gedanken eines „inhärenten Maßes“ mit dem des Gattungswesens verbindet, knüpft er direkt an Hegels allgemeineren Überlegungen zu begrifflicher Einheit und Objektivität an, die dieser am Modell der organischen Einheit von Individuen entwickelt hat, die ihre Wirklichkeit darin haben, dass sie Instanziierungen oder Exemplare von Gattungstätigkeiten sind. Zwar hat nicht alles in der Natur die Form eines organischen Individuums oder gehört einem biologischen Gattungsbegriff an, es sind aber die kognitiven und praktischen Fähigkeiten von Lebewesen und Gattungswesen, durch die objektive, inhärente Maßstäbe erfasst werden und so eine Bedeutung im Rahmen theoretischer und praktischer Vorhaben bekommen können. Diese Verknüpfung von begrifflicher Objektivität (oder inhärentem Maß) und dem Gattungswesen zeigt, dass Naturalismus und kritischer Idealismus für Hegel und Marx untrennbar sind. Tatsächlich schreibt Hegel in der Logik, dass „der Gegensatz von idealistischer und realistischer Philosophie […] ohne Bedeutung“ sei[34], und der frühe Marx spricht in den 1844er Manuskripten von dem „durchgeführte[n] Naturalismus des Menschen und [dem] durchgeführten Humanismus der Natur“[35]. Im Einklang mit einem den Dingen innewohnenden Maß zu wissen und zu handeln ist möglich, weil wir selbst eine Manifestation eines solchen Maßes sind – sowohl als Lebewesen als auch als Gattungswesen. Die Schrankenlosigkeit des Kapitals im zweiten Sinne des Fehlens eines genuinen Maßes oder Standards bezieht sich also darauf, dass das Kapital völlig entkoppelt von den Bedürfnissen und Zielen des Gattungswesens ist, von den selbstbewussten und selbstbestimmenden Tätigkeiten jener Lebewesen, die die Fähigkeit haben, ihre theoretischen und praktischen Vorhaben im Einklang mit dem inhärenten Maß der Dinge zu vollziehen. Auf diese Weise sind Naturschranken wesentlich mit Lebewesen und dem Gattungswesen verknüpft, die beide bereits ein eigenes Maß für ihre Tätigkeiten mit sich bringen. Wenn Marx also behauptet, dass das Kapital maßlos ist, dann besteht eines der Hauptprobleme darin, dass sich das Kapital von den Bedürfnissen und Zielen der Lebewesen und Gattungswesen als Träger und Subjekte der ihnen innewohnenden Maßstäbe abkoppelt und deren Realisierung letztlich vereitelt.

Einen weiteren Kontext für seine Behauptung, dass das Kapital in dem Sinne schrankenlos ist, dass es kein richtiges Maß hat, liefert Marx in einer Fußnote, in der er ausführlich einen Gedanken aus Aristoteles Politik zitiert, in dem es um die Unterscheidung zwischen zwei Formen der „Kunst des Besitzerwerbes“ geht: Auf der einen Seite steht eine Erwerbskunst, die ein natürlicher Bestandteil der Haushaltsführung (oikonomia) im Streben nach „wahrem Reichtum“ ist – sie ist Aristoteles zufolge notwendigerweise begrenzt und unterliegt bestimmten Grenzen. Auf der anderen Seite steht eine Erwerbskunst, die Aristoteles mit dem Tausch und dem Handel in Verbindung bringt, denen, ihm zufolge die Annahme zugrunde liegt, dass das Streben nach Reichtum und Eigentum unbegrenzt ist und so keinerlei Schranken unterliegt. Bei der Formulierung dieser Unterscheidung stellt Aristoteles zusätzlich die Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert vor, die in etwa dem jeweiligen Wertehorizont und den Zwecken der Erwerbsarten entsprechen. Die Bewegung des Kapitals funktioniert eindeutig nach der zweiten Form der Erwerbskunst, und ich nehme Marx’ Bezugnahme auf Aristoteles hier als ein Zeichen dafür, dass Aristoteles’ Verständnis von Grenzen das Problem der Schrankenlosigkeit des Kapitals im Wesentlichen erklärt. Für unser Verständnis von Marx sind dabei zwei Aspekte von Aristoteles’ Konzeption von Naturschranken entscheidend. Der erste betrifft die umstrittene und letztlich nicht zu klärende Rede von „natürlich“: Was ist natürlich an Naturschranken und was ist natürlich an der ,natürlichen‘ Form der Erwerbskunst, die nach wahrem Reichtum strebt? Der zweite betrifft die Verbindung von Grenzen mit Zwecken oder Zielen.

Was also ist natürlich an Naturschranken? Für Aristoteles (und viele seiner Nachfolger) ist die Unterscheidung zwischen dem, was natürlich ist, und dem, was künstlich ist, von entscheidender Bedeutung. Aristoteles zufolge entsteht jede Wesenheit „[e]ntweder […] durch Kunst oder durch Natur […]. Die Kunst nun ist ein in einem Anderen befindliches Prinzip, die Natur Prinzip in dem Dinge selbst“[36]. Für Aristoteles ist die Natur also ein Prinzip in dem Dinge selbst: Das Natürliche enthält demzufolge das Prinzip – oder die Quelle – seines eigenen Entstehens und seiner Hervorbringung, es ist Quelle seiner eigenen Tätigkeit. Es ist selbstproduzierend und selbstorganisierend, oder, um es mit den Worten Kants und Hegels zu sagen, das Natürliche ist ein Selbstzweck. Was künstlich ist, hat dagegen sein Prinzip oder die Quelle seiner Hervorbringung und Erzeugung außerhalb von sich selbst: Das Prinzip seiner Tätigkeit liegt außer ihm, sein Zweck wird von etwas ihm Externen, von außen, bereitgestellt. Wenn Aristoteles also davon spricht, dass es eine „natürliche“ Form der Erwerbskunst gebe, die nach wahrem Reichtum strebe und dabei natürlichen Grenzen unterworfen sei, dann meint er damit, dass es sich dabei um einen Prozess handelt, der ein eigenes Tätigkeitsprinzip mit sich bringt und Quelle seiner eigenen Regeln der Produktion ist.

Diese natürliche Form des Erwerbs ist Aristoteles zufolge aber auch noch in einem einfacheren Sinne natürlich, da sie „allen [Lebewesen] von der Natur selber gegeben [ist]; wie dies gleich bei der Geburt der Fall ist, genauso auch, nachdem sie zur Reife gelangt sind“.[37] Die natürlichen Grenzen dieser Erwerbsform werden von der Lebensform selbst gesetzt, die in unserem Fall darin besteht einen

reichliche[n] Vorrat an Gütern, die für das Leben unerläßlich und für die staatliche und häusliche Gemeinschaft nützlich sind, [bereitzustellen]. […] In solchen Gütern scheint der wahre Reichtum zu bestehen. Denn der für ein vollkommenes Leben ausreichende Umfang eines solchen Besitzes geht nicht ins Grenzenlose […], (vielmehr) ist dem Besitz, wie auch sonst fachmännischen Tätigkeiten, eine Grenze gesetzt.[38]

Die natürliche Form der Erwerbskunst hat also Grenzen, die in zweifacher Hinsicht selbstbestimmt sind: erstens durch die Bedürfnisse der eigenen lebensformspezifischen Tätigkeit und zweitens gemäß der Nützlichkeit, da, sofern das Nützliche bloßes Mittel ist, es per definitionem begrenzt ist.

Das führt uns zu der zweiten Weise, wie Aristoteles Naturschranken versteht, die eng mit seinem Verständnis von Nützlichkeit und dem Setzen angemessener Zwecke zusammenhängt. Aristoteles erläutert die zweite, unbegrenzte Form der Erwerbskunst, indem er die inzwischen einschlägige Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert einführt, und es ist das Entstehen der Kunst des Tausches – die er schließlich als Tauschhandel bezeichnet –, die dem Besitzerwerb seinen unbegrenzten Charakter verleiht. Der Unterschied von etwas, das eine Naturschranke aufweist, und dem, was unbegrenzt oder schrankenlos ist, betrifft dabei das jeweilige Verhältnis von Mitteln und Zwecken oder Zielen (teloi). Aristoteles erläutert dies dadurch, dass er die Kunst des Besitzerwerbs mit anderen Künsten vergleicht, die ebenfalls bestimmte Mittel für einen Zweck einsetzen:

Bei dieser Form von Reichtum, der durch die [zweite,] gewinnsüchtige Erwerbsweise aufgehäuft wird, gibt es keine Begrenzung. Denn auch die Medizin zielt auf eine unbegrenzte Herstellung der Gesundheit ab; überhaupt lassen sich alle fachmännischen Tätigkeiten bei der Festlegung ihres Zweckes keine Grenze setzen, denn sie wollen ihn ja so gut wie möglich verwirklichen – bei den Mitteln zum Zweck gehen sie jedoch nicht bis zum Grenzenlosen, denn der beabsichtigte Zweck setzt allen die Grenze – genauso nimmt auch diese gewinnsüchtige Erwerbskunst bei der Festsetzung ihres Zieles keine Begrenzung hin: ihr Ziel ist diese bestimmte Form von Reichtum, der Besitz von Geld. Eine Begrenzung gibt es dagegen bei der Erwerbskunst, die in den Bereich der Haushaltsführung fällt; denn solchen (unbegrenzten Reichtum zu gewinnen), ist nicht die Aufgabe der Ökonomik.[39]

Diese Passage ist auf den ersten Blick etwas verwirrend, da Aristoteles sowohl zu sagen scheint, dass die Künste keinerlei Grenzen haben, als auch, dass sie solche haben. Es ist jedoch besser, diese Stelle so zu lesen, dass Aristoteles sich hier auf zwei verschiedene Arten von Grenzen bezieht. Die Kunst der Medizin hat keine Grenze in dem Sinne, dass sie versucht, Gesundheit in größtmöglichem Maße herzustellen, wobei dieses Maß sowohl quantitativ als auch qualitativ bestimmt werden kann – für die größtmögliche Anzahl von Menschen oder in dem höchsten Maße für ein gutes Leben. Ich möchte hier hinzufügen, dass die Unbeschränktheit des größtmöglichen Maßes zwar quantitative Festlegungen und Überlegungen beinhalten kann, sie aber notwendig auch qualitativ bestimmt sein muss. Die in allen Künsten eingesetzten Mittel sind jedoch immer begrenzt, was uns zur zweiten Bedeutung der Grenze führt, die im Verhältnis zu einem Zweck oder einem Ziel, einem telos, definiert wird. Wenn Aristoteles behauptet, dass die Mittel, die wir zur Erreichung von Zwecken einsetzen, Grenzen aufweisen, dann deshalb, weil „der beabsichtigte Zweck […] allen die Grenze [setzt]“. Obwohl die Kunst der Medizin also darauf abzielt, Gesundheit in größtmöglichem Maße herzustellen, bleibt sie in einem anderen Sinne begrenzt, insofern sie an einen bestimmten, qualitativ definierten Zweck geknüpft ist. Der Zweck selbst stellt eine Grenze dar, weil er qualitative Grenzen setzt, ohne die wir nicht in der Lage wären, die geeigneten Mittel zu seiner Realisierung zu bestimmen. Um zu Marx zurückzukehren, lässt sich also sagen, dass Naturschranken als bestimmte, irreduzibel qualitative Ziele (teloi oder Zwecke) bestimmt werden. Die natürliche Form der Erwerbskunst ist beschränkt, weil sie das bestimmte Ziel der Subsistenz und des guten Lebens hat; die zweite Form des Erwerbs ist unbeschränkt oder schrankenlos, weil sie überhaupt kein bestimmtes Ziel oder keinen bestimmten Zweck hat. Die bloß quantitative Vermehrung stellt keinen wirklichen Zweck dar, der den ihm zugehörigen Mitteln Schranken setzen könnte. Die Idee des vernünftigen Einsatzes von Mitteln zu Zwecken wird so grundsätzlich verzerrt. Ohne Naturschranken in dem hier skizzierten Sinne, d. h. ohne den Bezug auf die Selbstbestimmung von Lebewesen gemäß ihrer spezifischen Tätigkeiten und Zwecke, ist das Kapital maßlos, weil es überhaupt keinen richtigen Zweck bzw. kein Ziel verfolgt.

Bevor ich im letzten Abschnitt kurz zu Hegel zurückkehre, um die Idee der Naturschranken weiter zu entfalten, möchte ich an dieser Stelle noch auf die Radikalität von Marx’ aristotelischem Ansatz hinweisen. Im Rahmen der inzwischen klassisch gewordenen und vielzitierten Gesellschaftskritik der ersten Generation der Frankfurter Schule argumentieren Adorno und Horkheimer, dass die grundlegende Irrationalität des Kapitalismus und seine entscheidenden Pathologien dadurch erklärt werden könnten, dass das kapitalistische Tauschprinzip alle menschlichen Tätigkeiten auf den Standard einer bloß instrumentellen Vernunft reduziert.[40] Während die Details ihrer Überlegungen komplex und von Max Webers Verständnis der Formen der Rationalität beeinflusst sind, geht Marx bereits einen Schritt weiter und behauptet, dass dem Kapitalismus überhaupt die Möglichkeit abgeht, auch nur in einem echten Sinne instrumentell rational zu sein. Der richtige Einsatz von Mitteln zu Zwecken setzt Naturschranken voraus, d. h. qualitativ definierte Zwecke, die es uns ermöglichen, angemessene Mittel zu bestimmen. Ohne die Schranken der qualitativen teloi oder Zwecke gibt es keinerlei Möglichkeit, den vernünftigen Gebrauch der Mittel, die selbst wiederum begrenzt sein müssen, für einen Zweck zu bestimmen. Die Schrankenlosigkeit des Kapitals, sein maßloser Charakter, legt also nahe, dass seine Bewegungen und Prozesse nicht einmal instrumentell rational sind, dass seine angeblich rücksichtslose Effizienz qua instrumenteller Rationalität nur ein Schein ist. Der vernünftige Einsatz von Mitteln zu Zwecken setzt einen begrenzten Zweck oder ein begrenztes Ziel voraus, das sich nach den Bedürfnissen der Lebewesen im weiteren Kontext ihrer jeweiligen Lebensformen richtet. Insofern die Bewegung des Kapitals – die Zirkulation von Geld als Kapital und die Verwertung des Wertes – quantitativ schrankenlos ist und einer eindeutigen qualitativen Bestimmung entbehrt, sind folglich nicht einmal die Bedingungen für instrumentelle Rationalität erfüllt. Die Schrankenlosigkeit des Kapitals ist demzufolge noch deutlich irrationaler, als Adorno und Horkheimer es nahegelegt haben, denn sie verzerrt grundsätzlich die Idee des Einsatzes von Mitteln zu Zwecken und damit den Gedanken der Nützlichkeit überhaupt. Die Befriedigung von konkreten Bedürfnissen, die Produktion dessen, was „für das Leben unerläßlich und für die staatliche und häusliche Gemeinschaft nützlich“ ist, ist dabei bestenfalls nebensächlich und wird allgemein vereitelt oder verschleiert, da die Ziele der Menschen sowie die Ziele aller Lebewesen und die Bedingungen des Lebens als solchem zerstört werden.

3 Hegels Verständnis von Schranken

In diesem letzten Abschnitt möchte ich nun kurz auf Hegel zurückkommen, um die Idee der Naturschranken, wie ich sie bisher dargestellt habe, in eine expliziter dynamische und dialektische Richtung zu entwickeln. Hegels Verständnis von Schranken erlaubt es uns, so meine ich, mögliche Sorgen über den vermeintlich statischen oder ahistorischen Charakter einer ausschließlich aristotelischen Konzeption auszuräumen.

Hegel greift das Problem der Grenzen und Schranken im Kontext der weit gefassten Frage des Nachdenkens über die Bestimmtheit des Seins auf: Was bedeutet es, dass etwas bestimmt ist, was gibt ihm eine bestimmte Qualität, und wie ist die qualitative Bestimmtheit als solche zu verstehen? Auf der abstrakten Ebene beinhaltet Bestimmtheit für Hegel wesentlich ein Moment der Negation: Was etwas ist – insofern es bestimmte Qualitäten hat – ist in Bezug auf das bestimmt, was es nicht ist. Wir können weiter sagen, dass alles, was qualitativ bestimmt ist, eine besondere Beschaffenheit und damit eine Grenze hat. Hegel zufolge „ist Etwas zugleich durch seine Grenze […], [es] ist durch sie das, was es ist, hat in ihr seine Qualität[41]. Dies steht im Einklang mit dem, was wir in Aristoteles’ Konzeption gesehen haben, der zufolge qualitative Bestimmtheit Grenzen voraussetzt (das Kapital ist zum Teil deswegen schrankenlos, weil es keine qualitative, sondern nur eine quantitative Bestimmung hat).

Nun sagt Hegel zwei weitere Dinge, die sein Verständnis von Grenzen deutlich dynamischer machen als dasjenige Aristoteles’.

Erstens: dass „Etwas in seiner Grenze ist und nicht ist[42].

Und zweitens: dass, „indem [die Grenze] in der Bestimmung selbst als Schranke ist, […] Etwas damit über sich selbst hinaus [geht]“[43].

Aus diesen Zitaten können wir zwei Schlüsse ziehen. Erstens: Indem Hegel vorschlägt, dass etwas in seiner Grenze sowohl ist als auch nicht ist, führt er den Gedanken ein, dass Grenzen nicht als träge, fixe Punkte verstanden werden müssen, sondern als Bedingung der Möglichkeit, die etwas dazu machen, was es ist, die, wie er sagen würde, seine Beschaffenheit definieren. Grenzen schränken ein, was etwas ist und was etwas sein kann (und was es nicht sein kann), aber sie stellen auch seine grundlegenden Ermöglichungsbedingungen dar, sie sind Quelle seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten. Das heißt, dass sich ohne solche Grenzen nichts so konstituieren würde, dass es Möglichkeiten und Fähigkeiten hätte. Grenzen befähigen und ermächtigen ebenso, wie sie einschränken, und sie tun beides zugleich. Sie statten die Dinge mit einer bestimmten Beschaffenheit aus, so dass sie sein können, was sie sind, und (gegebenenfalls) tun können, was sie tun.

Zweitens formuliert Hegel den Gedanken, dass wir Grenzen als Bedingungen zu verstehen haben, die zugleich ermöglichen und einschränken, so weiter aus, dass es Schranken sind, die etwas über sich hinausgehen, sein Selbst transzendieren lassen. Das unterstreicht das dynamische Potenzial, das in Grenzen enthalten ist. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass Hegel hier davon spricht, dass wir unser eigenes Selbst transzendieren, nicht dass wir die Schranken als solche transzendieren. Es sind vielmehr die Schranken selbst, durch die die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz definiert und verwirklicht wird. Trotz des häufigen Vorwurfs an Hegel, dass er nicht genug Respekt für all die von Kant formulierten Grenzen habe, versteht Hegel also tatsächlich die Bedeutung und das Potenzial von Grenzen viel tiefergehend. Anstatt uns in Bezug auf einen festen Punkt zu fixieren, machen Naturschranken bestimmte Fähigkeiten der Selbsttranszendenz möglich, aber nur insofern, als wir ein angemessenes Verständnis der Beschränkungen unserer selbstbestimmten Zwecke sowie der Schranken und Ziele unserer Lebensform haben. Naturschranken, die die Entfaltung von Lebewesen zugleich ermöglichen und einschränken, sind dann nicht nur vereinbar mit der Selbstüberschreitung und dem kritischen Gehalt des Gattungswesens, den ich in diesem Text verteidigt habe, sie erlauben es uns vielmehr die Form selbst-transzendierender Tätigkeiten überhaupt zu verstehen. Im Gegensatz zu dem schrankenlosen Charakter der Produktion am Maß der Selbstverwertung des Kapitals weisen Naturschranken – in Verbindung mit dem Maß, den Bedürfnissen und den Zielen von Lebewesen und Gattungswesen – einen alternativen Weg für die Organisation menschlicher Tätigkeiten, einen Weg, der der oben genannten Reflexivitätsanforderung gerecht wird und so an das postkantische Projekt der Kritik anknüpft.

4 Schluss

Ich habe eingangs für die Bedeutung des Selbstbewusstseins und des Gattungswesens als methodischer und normativer Rahmen der marxschen Kritik argumentiert und dabei einige der wichtigsten Merkmale des Gattungswesens, wie sie sich bei Hegel und Marx entwickelt finden, dargelegt. Anschließend habe ich versucht, eine neues Verständnis von Naturschranken in Zusammenhang mit der Idee des Gattungswesens zu verteidigen (in einer Weise, die der Reflexivitätsanforderung gerecht wird), um die Bedeutung der marxschen Behauptung zu untersuchen, wonach die Bewegung des Kapitals schrankenlos oder ohne Maß ist. Diese Behauptung ist einer der Kernpunkte der marxschen Kapitalismuskritik, und ich habe argumentiert, dass wir das normative Problem der Schrankenlosigkeit des Kapitals nur im Zusammenhang mit dem Gattungswesen verstehen können. Das Selbstbewusstsein unserer Lebensform als das Bewusstsein von Naturschranken, wobei Naturschranken – in Bezug auf unseren Körper, unsere Umwelt und andere Menschen – unsere selbstbestimmten Zwecke und unsere Fähigkeit zur Selbsttranszendenz zugleich ermöglichen und einschränken – das ist der kritische und normative Rahmen, den Marx gegen den blinden und maßlosen, von allen Naturschranken losgelösten Drang des Kapitals setzt. Das mag zwar nicht nach viel klingen, und Kritik kann Praxis nicht ersetzen, aber etwas anderes als unsere eigenen Fähigkeiten zur Selbsttransformation zu adressieren, wäre für Marx nicht mehr als eine ideologische Fantasie – der Wunsch, dass Gott, die Moral oder ein anderer deus ex machina kommen möge, um uns doch noch zu retten.

Aus dem Englischen von León Antonio Heim

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Published Online: 2025-05-26
Published in Print: 2025-05-26

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