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»Polemisch mäandrierende Prosa«. Zu Anton Kuhs geistiger Signatur aus Anlaß einer Neuausgabe seines Buchs »Juden und Deutsche«

  • Claudia Albert
Veröffentlicht/Copyright: 21. Dezember 2007
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Aschkenas
Aus der Zeitschrift Band 13 Heft 2

Selbst für hartgesottene Kritiker des Zionismus bietet Kuhs (1890–1941) Schrift Juden und Deutsche, aus Vorträgen in Prag, Berlin und Wien hervorgegangen und 1921 in Berlin publiziert, erhebliches Provokationspotential. Von den vier streitbaren Widmungsgebern Schopenhauer, Altenberg, Nietzsche und Börne bis zur »aphoristischen Streubüchse« (S. 103) die er über »Kaffeelöffelempiriker« (S. 69) ebenso ausleert wie über »Inzestmißwachs, Schachererotik, Krämpfe der Unnaivität, Überredungstonfall und die Ursprache des Speisezimmers« (S. 99), spannt sich eine nicht immer treffsichere, dafür aber um so anregendere Grundsatzkritik der »Jahrtausendpsychose der Juden« (S. 73). Kilchers mit 58 Seiten überaus umfangreiche und gut informierte Einleitung (im folgenden zit. mit K und Seitenzahl) wie auch der 44-seitige Anhang mit Rezeptionszeugnissen von Max Brod, Berthold Viertel, den Vettern Felix und Robert Weltsch, Elias Hurwicz, schließlich dem Offenbacher Reformrabbiner Max Dienemann, belegt die umfassende Wirkung von Kuhs Vorträgen und Publikationen. Sie verdeutlicht aber auch das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen »Prager und Berliner Literaturzirkeln« (S. 20) und die vielfältigen Verknüpfungen zwischen dem seit 1915/1916 umjubelten Salon- und Stegreifredner Kuh und der jüdischen Moderne in Deutschland und Österreich. Als »einer der nervösesten Menschen, mit einem Dutzend Manien und von Bosheit funkelnd«, so Hermann Kesten, und als langjähriger Mitarbeiter des Prager Tagblattes (1912–1937) stand Kuh, der zudem mit der Familie Egon Erwin Kischs verwandt war, im Zentrum der literarischen Avantgarde von 1920. Sich von Weininger und Altenberg ab- und Freud wie Otto Gross zuwendend, demontierte er die Autorität »des Phänomens Kraus« (S. 17), nicht ohne Rückgriff auf die Figur des Affen, die er schon bei Kafka kennengelernt hatte. Mit Kafka verbanden Kuh zudem das Interesse an dem radikal-expressionistischen Zeitschriftenprojekt Blätter zur Bekämpfung des Machtwillens (S. 14 mit Anm. 21, S. 58), und der kalte, vollständig desillusionierte Blick auf die Selbsttäuschungen des assimilierten Judentums (vgl. S. 31/88).

Online erschienen: 2007-12-21
Erschienen im Druck: 2004-July-03

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Postfach 2140, D–72011 Tübingen, 2003

Artikel in diesem Heft

  1. Überleben durch Kooperation mit dem »Feind«? Deutungen von Krieg und Frieden in der Gründungslegende des rabbinischen Judentums
  2. Zur sozialen Hierarchie der Judenheit in Spätantike und Frühmittelalter
  3. Die Judensteuerliste Markgraf Albrechts von Brandenburg aus dem Jahr 1461
  4. Juden in Paris und Berlin. Zur Berichterstattung über die Französische Revolution in Berliner Zeitungen und Zeitschriften (1789–1791)
  5. Salomon Formstechers »Religion des Geistes« – Versuch einer Neulektüre
  6. Der frühe Hermann Cohen und die Völkerpsychologie
  7. Von Parodien deutscher Dichtung, dem Nachleben von Isaak Euchels ›Reb Henoch‹ und anderen Lesestoffen der Berliner Juden: Die Kolportagereihe ›Gedichte und Scherze in jüdischer Mundart‹
  8. Das Tagebuch der Šejna Gram – ein historisches Dokument und Zeugnis eines menschlichen Schicksals
  9. Henry Wassermann, die deutsche Kollektivschuld und das Ausbleiben des Messias
  10. Die Welt der »Jüdischen Studien« – von außen betrachtet
  11. Der Centralverein in neuer Perspektive? Zur »ideengeschichtlichen« Monographie des Sozialhistorikers Avraham Barkai
  12. »Mährischen Volkes Weisen«. Das Olmützer »Lexikon deutschmährischer Autoren«
  13. »Die Schauspieler haben es wohl in der Emigration am schwersten«. Anmerkungen zu einem Standardwerk über Verfolgung und Exil deutschsprachiger Theaterkünstler
  14. »Polemisch mäandrierende Prosa«. Zu Anton Kuhs geistiger Signatur aus Anlaß einer Neuausgabe seines Buchs »Juden und Deutsche«
  15. »und alles war ihm Opfertod: Erinnern«. Eine Rezension und ein Nachruf – Armin A. Wallas in memoriam
  16. Rezensionen
  17. Zur Dokumentation jüdischer Ritualbauten in Brandenburg
  18. Namen- und Ortsregister
Heruntergeladen am 4.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/ASCH.2003.543/html
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