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Klage auf Unterlassung und Widerruf: Ermittlung der Beschwer

Veröffentlicht/Copyright: 26. Mai 2023
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Klage auf Unterlassung und Widerruf: Ermittlung derBeschwerZPO§511 Abs.2S.1;GKG§48Abs.2S.1Klagt eine Partei auf Unterlassung und Widerruf, so richtet sich ihreBeschwer u.a. nach der Breitenwirkungder behaupteten Äußerun-gen sowie nach deren verständigerweise anzunehmenden Wirkungauf die klagendeParteiselbst.(nichtamtl.)BGH, Beschl. v. 17.1.2023VI ZB 114/21, MDR 2023, 531(LG Bayreuth12 S54/21; AG Bayreuth103C461/21)èDas Problem:Gegen B, Mutter des K, wird wegen Verleum-dung desKein Strafbefehl erlassen.Blegt Einspruch ein. Sienimmt diesen später im Rahmender Hauptverhandlung wiederzurück.Noch am Tage der Hauptverhandlung erhebt sie miteinem handschriftlichen Schreiben an das AG allerdings einenWiderspruch.Khält verschiedene in diesem Schreiben ver-wendete Formulierungen für ehrverletzend. Er klagt daherge-genB.Diese soll verurteilt werden,die Äußerungen zu wider-rufen und es ab sofort u.a. zu unterlassen, zu behaupten,Kbe-treibe gegen sie seit dreieinhalb Jahrenwegen Enterbung Psy-choterror vom Feinsten,Khabe ihr geschrieben,erhasse siebis auf den Tod,ermachesie plattundfahre sie an dieWand.Das AG weist die Klage ab. Das LG meint, die Be-schwer desKsei mit nicht mehr als 500zu bewerten. Die Be-rufung sei daher in Ermangelung einer Zulassung unzulässig.Hiergegen wendet sichKmit seiner Rechtsbeschwerde.èDie Entscheidung des Gerichts:Ohne Erfolg! Die LG-Ein-schätzung sei nicht zu beanstanden. Ermessensfehler seiennicht erkennbar. Klage eine Partei auf Unterlassung und Wi-derruf, so richte sich ihre Beschwer auf die verständigerweisezu besorgende Beeinträchtigung, die von den beanstandetenÄußerungen ausgehe und sich auf den sozialen Geltungs-anspruch des Klägers auswirken könne. Das LG habe zu Rechtdie geringe Breitenwirkung der Äußerungen in den Blickge-nommen, aber aucherkannt,dass sich die Bedeutung der Sachenicht allein nach der Breitenwirkung der behaupteten Äuße-rungen,sondern auch nach deren verständigerweise anzuneh-mendenWirkung auf den Kläger richte.Soweit das LG in diesem Zusammenhang den Umstand in denBlick genommen habe,dassBsich (subjektiv) zu ihrer Vertei-digung in einem sie betreffenden, allerdings beendeten Straf-verfahren geäußert habe, sei dies rechtlich nicht zu beanstan-den. Sonstige Umstände,aufgrund derer sich die Bewertungmit nur 500als ermessensfehlerhaft darstelle, seien nicht er-sichtlich. Selbst dann, wenn bei Ehrverletzungenregelmäßigvon einem Wert von 5.000auszugehen sein sollte, könnehiervonimEinzelfall erheblichauch nach untenabge-wichen werden.èKonsequenzen für die Praxis:Die Berufungist nach§511Abs.2ZPO nur zulässig,wennder Wertdes Beschwerdegegen-standes600übersteigt (Nr. 1) oder das Gericht des erstenRechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat (Nr. 2). DerBerufungskläger hat den Wert§511 Abs.2Nr. 1ZPO nach§511 Abs.3ZPO glaubhaftzumachen. Die Berufungsbegrün-dung soll nach§520 Abs.4Nr. 1ZPO außerdem die Angabedes Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsummebeste-henden Beschwerdegegenstandes enthalten, wenn von ihm dieZulässigkeit der Berufung abhängt.Diese Bestimmungen sollten u.a. im Äußerungsrechtund imgewerblichen Rechtsschutz eine große Bedeutung haben. So istes bislang aber nicht.Auchdort wird selteneine Glaubhaftma-chung und ein Vortrag zur Beschwer geboten. Allerdingsist esnaturgemäß schwer, bei einer nichtvermögensrechtlichen Strei-tigkeit einenZahlwert zu nennen.Der BGH meint insoweit, bei der Wertermittlung sei auf dieverständigerweisezu besorgendeBeeinträchtigung abzustel-len,die von den beanstandeten Äußerungen ausgehe und sichauf den sozialen Geltungsanspruch des Klägers auswirken kön-ne. Ferner sei dieverständigerweiseanzunehmende Wirkungder Äußerungen auf den Kläger selbstzubewerten. Zu den zuberücksichtigenden Umständen gehöre außerdem u.a. die Fra-ge, unter welchen Umständenund aus welchem Anlass die be-anstandeten Äußerungen nach dem insoweit maßgeblichenVortragdes Klägers getätigt worden seien (grundlegendzuei-nem Facebook-Eintrag: BGH v. 16.8.2016VI ZB 17/16Rz. 10 ff., MDR 2016, 1282;s.a uch BGH v. 16.11.2021VI ZB58/20Rz. 11,MDR 2022,262).Dies sind allesAspekte, die§48Abs. 2S.1GKG zwarnichtnennt,aber durch den Begriffinsbesondereauch nicht ent-gegensteht. Interessant wäre aber, warum der BGH im Fall dieEinschätzungdes Klägers,die Äußerungen hättenauf ihn gro-ße Wirkungen (jedenfalls größere als 600), letztlich keineBe-deutung zumisst. Sind sieverständigerweisewirkungslos?Ferner ist unklar, warum der Antrag auf Widerruf nicht eigen-ständig bewertet wurde (zumVeröffentlichungsantrag s. BGHv. 16 .8.2016VI ZB 17/16 Rz. 14, MDR 2016,1282).èBeraterhinweis:Die Beschwer des Unterlassungsschuldnerseiner Äußerung soll sich nachh.M. danach richten, in welcherWeise sich das ausgesprochene Verbot zu seinem Nachteil aus-wirkt. Maßgeblich seien die Nachteile, die ihm aus der Erfül-lung des Unterlassungsanspruchs entstünden (BGH v.13.1.2015VI ZB 29/14 Rz. 8, MDR 2015, 230). Hierin liegtwie bei der Beschwer des Auskunftsschuldnersein (nicht er-kannter?) Perspektivwechsel. Denn es soll nicht mehr um denvon der klagenden Parteibestimmten Streitgegenstand gehen,sondern um ein Interesse der beklagtenPartei. Das überzeugtdogmatisch nicht (Toussaint/Elzer,52. Aufl. 2022,§47GKGRz. 14). Denn beispielsweise beim Äußerungsschuldnerwürdedann der Wert wohlimmer herabsinken,da es in der Regelnic ht um seineEhre geht, sondernnur um die Möglichkeit,eine Meinung erneut zu äußern.RiKG Dr. Oliver Elzer, Berlinnn!Hinweis der Redaktion:Die Entscheidungdes BGH v. 17.1.2023VI ZB 114/21 istveröffentlicht in MDR 2023, 531; Volltext im BeratermodulZivil- und Zivilverfahrens-recht.616Prozessrecht aktivMDR10/2023
Online erschienen: 2023-05-26
Erschienen im Druck: 2023-05-01

© 2023 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln.

Artikel in diesem Heft

  1. Titelei
  2. Inhalt
  3. MDR Report
  4. Rechtsprechung kompakt
  5. Bankrecht
  6. Insolvenzrecht
  7. Gesellschaftsrecht.
  8. Arbeitsrecht
  9. Urheberrecht
  10. Aufsätze
  11. Verfahrensrecht
  12. Rechtsprechungsübersicht zum Berufungsrecht für die Jahre 2021/2022
  13. Berufsrecht
  14. Die berufsrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts bei der Nutzung des beA
  15. Architekten- und Ingenieurrecht
  16. Aktuelle Entwicklungen im Architekten- und Ingenieurrecht
  17. Prozessrecht aktiv
  18. Berufung: Behandlung mehrfacher Einlegung bei verschiedenen Gerichten
  19. Berufung: Zweite Verlängerung der Begründungsfrist bei Einwilligung des Gegners
  20. Klage auf Unterlassung und Widerruf: Ermittlung der Beschwer
  21. Rechtsprechung
  22. Vertragsrecht
  23. Gesetzlichkeitsfiktion nur bei unveränderter Muster-Widerrufsbelehrung
  24. Rückzahlung von Online-Glückspieleinsätzen
  25. Miet- und WEG-Recht
  26. Beschlusszwang für bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums
  27. Räumungsklage: Klageveranlassung bei Schweigen des Mieters vor Anspruchfälligkeit
  28. Stimmrechte nach Unterteilung der Wohnungseigentumseinheit
  29. Gerichtliche Verwalterbestellung bei einer Zwei-Personen-Gemeinschaft
  30. Immobilienrecht
  31. Pfändbarkeit des Wohnungsrechts des Insolvenzschuldners
  32. Grundbuch: Löschung einer Dienstbarkeit bei nicht nachgewiesenem Tod des Berechtigten
  33. Kfz- und Verkehrsrecht
  34. Haftung des Halters für Beschädigung durch einen rollenden Anhänger
  35. Verkehrsunfall: Abtretung von Ansprüchen auf Ersatz der Sachverständigenkosten
  36. Abgas-Skandal: Bedeutung des EuGH-Thermofenster-Urteils
  37. Kollision von Pkw mit Bahn wegen Ausfalls der Bahnübergangssicherungsanlagen
  38. Kfz-Haftpflicht: Anrechnung eines Großkundenrabatts bei der Regulierung
  39. Abgas-Skandal: Nutzungsentschädigung bei vorsteuerabzugsberechtigtem Geschädigten
  40. Haftungsrecht
  41. Pressebericht über Krankenbesuch eines Geistlichen bei einem Prominenten
  42. Prospekthaftung: Vorsatz bei uneingeschränktem Bestätigungsvermerk eines Wirtschaftsprüfers
  43. Schadensminderungspflicht des Unfallgeschädigten nach Arbeitsplatzverlust
  44. Verdachtsberichterstattung ohne vorherige Anhörung des betroffenen Betriebs
  45. Weiterleitung personenbezogener Daten per E-Mail-Verteiler durch ein Impfzentrum
  46. Ansprüche bei nicht mehr aktuellem Beitrag auf anwaltlicher Homepage
  47. Versicherungsrecht
  48. Rechtsschutzversicherung: Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer als Schadensersatzanspruch
  49. PKV: Schützenswertes Vertrauen auf Ersatz von Kosten einer nicht notwendigen Behandlung
  50. Familienrecht
  51. Ausgleichsreife von sog. Grundrenten-Entgeltpunkten
  52. Vaterschaftsanerkennung: Versterben der Mutter vor Zustimmungserteilung
  53. Unterhaltsklage: Berechnung des Verfahrenswerts
  54. Arbeitsrecht
  55. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses bei Kettenbetriebsübergang
  56. Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes bei Verletzung der Pflicht zur Arbeitslosmeldung
  57. Gesellschaftsrecht
  58. Aktiengesellschaft: Nach § 181 BGB beschränkte Vertretungsmacht eines Vorstandsmitgliedes
  59. Klauselerteilung an den Rechtsnachfolger einer gelöschten Personengesellschaft
  60. Bank- und Kreditsicherungsrecht
  61. Beweis für Unrichtigkeit eines Sparbuchs
  62. Wettbewerbsrecht und gewerblicher Rechtsschutz
  63. Mitgliederstruktur eines UWG-Wirtschaftsverbandes
  64. Keine UrhG-Gerätevergütungspflicht für Internet-Marktplätze
  65. Verjährung von Ansprüchen wegen vermeintlich unlauterer Mitarbeiterabwerbung
  66. Verfahrensrecht
  67. Beweisantrag auf Beiziehung von Strafakten
  68. Berufungsschriftsatz: Bezeichnung des Rechtsmittelbeklagten
  69. Anwaltliche Prüfungspflichten bei Vorlage der Hauptakten
  70. Berufung: Abweichende Würdigung einer Zeugenaussage ohne erneute Vernehmung
  71. Rechtskraftwirkung von Feststellungen aus einem Vorprozess
  72. Anhörung des Betroffenen ohne Beteiligung des bestellten Verfahrenspflegers
  73. Eingeschränkte Überprüfung der Bemessung der Beschwer
  74. Übermittlung bestimmender Schriftsätze im E-Mail-to-Fax-Verfahren mit eingescannter Unterschrift
  75. Rechtsweg bei Regress des Unfallversicherers gegen den Durchgangsarzt
  76. KapMuG-Verfahren bei spezialgesetzlich geregelter Prospekthaftung nach Ablauf der Ausschlussfrist
  77. Befangenheitsablehnung: Verfahrensübergreifender Verlust des Ablehnungsrechts
  78. Gerichtsstand für negative Feststellungsklage
  79. Insolvenzrecht
  80. InsO-Tabelle: Rechtsstreit-Aufnahme nach Abtretung einer bestrittenen Forderung
  81. Kostenschuldner für Nachtragsverfahren bei verspäteter Forderungsanmeldung
  82. Gebührenrecht
  83. Erlöschen des Anspruchs des Verfahrenspflegers auf Rechtsanwaltsvergütung
  84. Notarkosten für Beurkundung eines Treuhänderwechsels
  85. Einigungsgebühr in Kindesschutzverfahren
  86. Berufsrecht
  87. Anwaltsvertrag: Pflichten bei der Beratung im Hinblick auf mögliche PKH-Ansprüche
  88. MDR Report
  89. Rechtsprechung kompakt
  90. Vertragsrecht
  91. Verfahrensrecht
  92. Grundstücksrecht
  93. Kfz-Recht
  94. Mietrecht
  95. Bericht
  96. Rückgang der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten
  97. Fachliteratur
  98. Schnellenbach/Normann-Scheerer/Giers/Thielke, Betreuungsrecht für die Praxis – Das neue Recht ab 1.1.2023
  99. Anwaltsgeschichten
  100. Die Hecke
  101. Impressum
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