Ort der Geschäftsleitung und Steuerhinterziehung durch Unterlassen
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Caroline Schrepp
Zusammenfassung
Der schillernde Begriff der faktischen Geschäftsführung steht seit einigen Jahren im Fokus steuerlicher Diskussion. Dieser Beitrag beleuchtet die aus der Zivilrechtsprechung stammende Rechtsfigur und zeigt ihre Verknüpfung zum steuerlichen Ort der Geschäftsleitung sowie zum Straftatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen auf. Die Aktualität der Thematik gibt Anlass, die Ausführungen der Verfasser in der Gedächtnisschrift für Andreas Musil, die den auch für diesen Beitrag passenden Titel „Steuerkritik“ trägt, an dieser Stelle erneut zu publizieren. Gleichzeitig werden gegen vermeintlich faktische Geschäftsführer strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet mit dem Vorwurf, die deutschen Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben. Durch Nichtabgabe von Steuererklärungen hätten sie den Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt. Dabei wird vielfach verkannt, dass eine faktische Geschäftsführung an hohe Voraussetzungen geknüpft ist. Sie kommt im Steuerrecht nur höchst selten zum Tragen und stellt bei der Bestimmung des Ortes der Geschäftsleitung einer Gesellschaft bereits gesetzessystematisch einen eng umgrenzten Ausnahmefall dar. Im Rahmen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen wird das Rechtsinstitut der faktischen Geschäftsführung darüber hinaus vom Verfügungsberechtigten i.S.d. § 35 AO verdrängt, der die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters hat, soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. - Zunächst folgt ein Überblick über die Gesetzessystematik zur Bestimmung des Ortes der Geschäftsleitung. Diese ist eng verknüpft mit den Betriebsstättendefinitionen des § 12 AO und geht auf eine langjährige Rechtsprechungsentwicklung zurück (II.). - Sodann wird das Rechtsinstitut der faktischen Geschäftsführung dargestellt und die unterschiedlichen Nuancierungen in der Rechtsprechung der Zivil- und Strafsenate des BGH sowie deren Bedeutung für die Rechtsprechung des BFH herausgearbeitet (III.). - Anschließend wird dargelegt, dass ein faktischer Geschäftsführer kein tauglicher Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sein kann (IV.). - Die Verfasser gelangen zu dem Ergebnis, dass der darauf basierende Steuerhinterziehungsvorwurf mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist und damit gegen den Grundsatz nulla poena sine lege verstößt (V.).
© 2025 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln.
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